Wednesday, August 28, 2013

Sebastian Bahlo (Diplom-Mathematiker) Mitglied des Frankfurter Solidaritätskomitees für Syrien: Stoppt die Aggression!

Muslim-Markt interviewt
Sebastian Bahlo, Frankfurter Solidaritätskomitees für Syrien
28.8.2013 - http://www.muslim-markt.de/interview/2013/bahlo.htm


Sebastian Bahlo (Jahrgang 1982) studierte Mathematik in Frankfurt am Main
und beendete sein Studium mit Diplom. Er ist seit 2002 im Internationalen
Komitee für die Verteidigung von Slobodan Milosevic (jetzt Internationales
Komitee Slobodan Milosevic - Nationale Souveränität - Soziale
Gerechtigkeit,
www.free-slobo.de) engagiert und gehörte zeitweise dem Verteidigungsteam
des
jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic am "Internationalen
Straftribunal für das ehemalige Jugoslawien" in Den Haag an. Er arbeitete
vor allem als Übersetzer am Buch "Die Zerstörung Jugoslawiens - Slobodan
Milosevic antwortet seinen Anklägern" (Zambon Verlag 2006) mit. Ebenfalls
für Zambon übersetzte er das Buch "Herr oder Knecht? Über das beispiellose
Verhältnis zwischen Israel und den USA" von James Petras. Sebastian Bahlo
ist derzeit Referent für Internationale Solidarität des Deutschen
Freidenkerverbandes sowie Gründungsmitglied und Sprecher des Frankfurter
Solidaritätskomitees für Syrien.

Herr Bahlo lebt in Frankfurt am Main.
MM: Sehr geehrter Herr Bahlo, von Diplom-Mathematikern wird in der Regel
angenommen, dass sie logisch denken können. Ist es logisch sich auf die
Seite eines von der gesamten Westlichen Welt als Diktator bezeichneten
Präsidenten wie Assad zu schlagen?

Bahlo: Da Sie die Mathematik erwähnen: In der Tat wird man als Mathematiker
darin geschult, nichts als richtig anzunehmen, das nicht bewiesen werden
kann, und dieses Prinzip wende ich auch auf Behauptungen an, die "in der
gesamten westlichen Welt" vorherrschend sind. Allerdings kommt man in der
Politik mit den logischen Instrumenten der Mathematik nicht weit, denn
diese
gehen von rein geistigen Grundbegriffen und Axiomen aus, die ihrer Natur
nach nicht hinterfragbar sind. Wenn man sich wissenschaftlich mit
gesellschaftlichen (oder überhaupt realen) Erscheinungen befasst, muss man
sich aber gerade vor solchen "Axiomensystemen" hüten. In Bezug auf Syrien
wollen uns interessierte Kreise mittels der von ihnen kontrollierten Medien
glauben machen, dass ein Volk gegen einen Unterdrücker kämpft. Schon
dadurch, dass in den Nachrichten wie selbstverständlich von der syrischen
Regierung als dem "Regime" gesprochen wird und ihre Gegner als "Opposition"
bezeichnet werden, wird uns tagtäglich eingehämmert, was wir zu glauben
haben. Dabei ist es schon lange kein Geheimnis mehr, dass die der
"Opposition" zugerechneten Kämpfer zu einem großen Teil aus dem Ausland mit
Waffen versorgt und angeleitet, ja sogar aus anderen Ländern nach Syrien
eingeschleust werden, dass sie nackten Terror nicht nur gegen den
Staatsapparat, sondern auch gegen die Zivilbevölkerung ausüben und dass
ihre
Ziele nichts mit "Demokratie" zu tun haben, sondern, dass sie "für eine
Handvoll Dollar" (auch wenn die Währung in Katar anders heißt) die
Zerstörung einer modernen Gesellschaft und ihre Spaltung entlang religiöser
und ethnischer Linien betreiben. Geld und Waffen kommen aus Saudi-Arabien
und Katar, die Türkei gewährt den Terroristen einen Rückzugsraum, die USA
und andere NATO-Staaten koordinieren ihre Einsätze und liefern ihnen zu
diesem Zweck Kommunikationstechnologie. Israel hat bereits mehrfach direkte
Luftangriffe gegen Syrien verübt. Die regulären syrischen Streitkräfte
schützen die Bevölkerung vor diesem Terror. D.h., die - immer noch weit
verbreiteten - Grundannahmen über den Krieg in Syrien halten den Tatsachen
nicht stand. Es handelt sich im Kern nicht um einen Volksaufstand, sondern
um einen Krieg der NATO-Mächte im Verbund mit den Golfmonarchien und Israel
gegen Syrien. Dass ich mich in dieser Situation - wie Sie es ausdrücken -
“auf die Seite Assads schlage”, halte ich für eine Selbstverständlichkeit.
Ich bin mit dem syrischen Volk, wie mit allen angegriffenen Völkern,
solidarisch in seiner Abwehr dieses Angriffs. Aber diese kann ihm nur
gelingen, wenn es sich fest hinter seiner Führung zusammenschließt.
Vorausgesetzt, dass die Führung das Volk nicht verrät. Assad hätte jede
Gelegenheit gehabt, sich mit seiner Familie aus dem Staub zu machen und
sich
von den Feinden ein “goldenes” Exil finanzieren zu lassen, wenn er ihnen im
Gegenzug Syrien überließe. Dass er das nicht getan hat, sondern - mit allen
möglichen Konsequenzen - auf seinem Posten an der Spitze des Widerstands
verharrt, sehen viele Syrer und auch ich als heldenhaftes Verhalten an, das
ihn erst recht zu einer Integrations- und Symbolfigur gemacht hat. Assad
steht nicht nur für die Verteidigung der Souveränität Syriens, sondern auch
für die Verteidigung des Säkularismus und der Einheit und Einigkeit des
syrischen Volkes. Das ist im Moment die Rolle, die ihm durch die Ereignisse
und, weil er den Verrat abgelehnt hat, zugewiesen wurde. Sie anzuerkennen
bedeutet nicht, ihn zu vergöttern oder ihm für alle Zeiten blind ergeben zu
sein, wie manche Leute gerne argwöhnen.

MM: Worin besteht die Aufgabe und Zielsetzung des Frankfurter
Solidaritätskomitees für Syrien?

Bahlo: Wir sind ein sehr breiter Zusammenschluss unterschiedlichster
Menschen und Organisationen, die auf politischem, religiösem oder
kulturellem Gebiet aktiv sind. Was uns eint, ist die Einsicht, dass gegen
Syrien ein imperialistischer Krieg geführt wird, wie ich eben umrissen
habe,
und natürlich die Ablehnung dieses Krieges sowie die Verurteilung der
allgegenwärtigen Medienmanipulationen. Wir wollen durch unsere Aktivitäten
teils unsere Auffassung in die Öffentlichkeit tragen, andererseits wollen
wir Menschen, die bereits im Stillen zu der gleichen Überzeugung gelangt
sind wie wir, ermutigen, sie offen zu vertreten, da sie nicht allein sind.
Wir veranstalten regelmäßig Kundgebungen und Diskussions- oder
Informationsabende in Frankfurt und rufen gerade zu unserer dritten
Demonstration auf. Am 31. August gehen wir mit Gleichgesinnten aus ganz
Deutschland anlässlich des traditionellen Antikriegstags (1. September) in
Frankfurt auf die Straße unter der Losung “NATO, Golfmonarchien, Israel:
Hände weg von Syrien!” Unsere Antikriegstagsdemonstration im letzten Jahr
war unsere erste Aktion, die gerade einmal vier Wochen nach unserer
Gründung
stattfand und mit rund 3.000 Teilnehmern ein bedeutender Erfolg wurde. Auch
in diesem Jahr rechnen wir mit einer beeindruckenden Demonstration, denn
erstens hat die von der Kriegspropaganda gelieferte Interpretation der
Geschehnisse in Syrien im Laufe des zurückliegenden Jahres stark an
Glaubwürdigkeit verloren, und selbst Medienorgane, die sie vorher vehement
vertreten hatten, mussten sich korrigieren; zweitens wird die Drohung einer
direkten militärischen Invasion durch eine US-geführte Koalition immer
greifbarer. Gerade jetzt dient der angebliche Giftgasangriff in Ghouta als
Vorwand, um die Angriffsvorbereitungen zu verstärken. Und das, obwohl sogar
öffentlich starke Zweifel daran geäußert werden, dass die regulären
syrischen Streitkräfte einen etwaigen Giftgasangriff verübt haben sollten.
Diese mit Händen greifbare Verlogenheit wird viele weitere Menschen
wachrütteln. Man ist schon längst kein einsamer “Verschwörungstheoretiker”
mehr, wenn man vermutet, dass hier eine grausame Provokation im Auftrag der
Kriegstreiber verübt wurde, um ihnen einen Vorwand für die weitere
Eskalation des Krieges bis hin zur direkten Invasion zu liefern.

Was unsere Ziele betrifft: Natürlich könnten selbst 10.000 Demonstranten in
Frankfurt den Imperialisten nicht das Handwerk legen. Aber jeder muss in
seinem Wirkungskreis das ihm mögliche tun, und ich bin sicher, dass unsere
vergangen Aktivitäten keinen unerheblichen Einfluss auf die Veränderung der
öffentlichen Wahrnehmung des Krieges hatten. In diesem Sinne setzen wir
unsere Arbeit zuversichtlich fort.

MM: Sehen Sie Parallelen zu früheren Kriegsfällen; schließlich haben Sie
sich auch bei der Aufarbeitung des Jugoslawienkrieges ungewöhnlich
positioniert?

Bahlo: Die Kriege, die seit dem Ende des Kalten Krieges geführt wurden und
werden, haben viele Gemeinsamkeiten. Sie alle dienten der Unterwerfung
souveräner Länder unter das Diktat der imperialistischen Länder unter
Führung der USA, wurden aber von gleichgeschalteten Medien als
“Befreiungsmissionen” ausgegeben, nachdem die politische Führung der
angegriffenen Länder vorher gründlich und unter Verbreitung von allerhand
Lügen als Geißel ihrer Bevölkerung dämonisiert wurde. Besonders frappierend
sind die Parallelen zwischen den Szenarien, die in den Amtszeiten der
“demokratischen” US-Präsidenten Clinton und Obama geschaffen wurden - in
Jugoslawien, Libyen und Syrien. In allen drei Fällen wurden innere
ethnische
oder religiöse Konflikte durch Unterstützung terroristischer Elemente und
durch diplomatische Coups sowie das Ausspielen sämtlicher Register der
psychologischen Kriegsführung von außen angeheizt, um den Boden dafür zu
bereiten, auf einer Seite in den Krieg einzugreifen - vorgeblich zu deren
“Schutz”, aber natürlich nicht, um ihr tatsächlich an die Macht zu
verhelfen, sondern um instabile, zersplitterte, allein nicht lebensfähige
Staaten zu kreieren. Erfunden wurde dieses Vorgehen allerdings schon
früher.
Ich erwähne in diesem Zusammenhang besonders Hitlers Strategie zur
Vorbereitung der Annexion des Sudetenlandes, die darin bestand, von Berlin
aus deutschen Terror in der Tschechoslowakei zu unterstützen, um zu
erreichen, dass die damalige “Internationale Gemeinschaft” die deutsche
Minderheit vor den konsequenten Gegenmaßnahmen der Prager Regierung
“schützen” würde.

MM: ... und Jugoslawien ...?

Bahlo: Es würde hier wohl den Rahmen sprengen, detailliert auf die
Entwicklung der Kriege in Jugoslawien einzugehen. Zentral ist aber die
Feststellung, dass es sich dabei um einen einzigen Krieg ausländischer
Mächte gegen Jugoslawien handelte. Anfangs spielte die deutsche
Kohl-Genscher-Regierung eine treibende Rolle, vor allem durch die
einseitige
völkerrechtswidrige diplomatische Anerkennung der kroatischen und
slowenischen Separatstaaten. Nach der Wahl Clintons zum US-Präsidenten
übernahmen die USA das Ruder in der gewaltsamen Aufspaltung des
jugoslawischen Staates. Ihr Hauptfeind war dabei stets die serbische
Volksgruppe, denn diese lebte nicht nur in Serbien, sondern auch in
Kroatien
und Bosnien-Herzegowina in großen zusammenhängenden Gebieten, so dass sie
naturgemäß das stärkste Interesse an der Erhaltung Jugoslawiens hatte. Die
Aggressoren ergriffen also vorgeblich Partei für die kroatische und
bosnisch-muslimische Seite und stellten sie als Opfer eines angeblichen
“großserbischen” Wahns dar. Zu diesem Zeitpunkt wurden zum ersten Mal
islamistische Terroristen aus den Golfstaaten auf der Seite der NATO
eingesetzt - wie später in Libyen und Syrien. Letztlich waren alle
jugoslawischen Völker gleichermaßen Opfer des Imperialismus, der sie in
einem zerstörerischen Krieg gegeneinander hetzte. Was haben sie gewonnen?
Statt einem großen, international gewichtigen Staat gibt es nun viele
kleine, ausgeblutete, wirtschaftlich und politisch machtlose
Splitterstaaten. Ihre Leser dürften sich insbesondere für das Schicksal der
bosnischen Muslime interessieren. Diese haben heute ihren eigenen Staat,
aber dessen Verfassung wurde im tausende Kilometer entfernten Dayton
beschlossen, sie enthält alle möglichen Regelungen für das direkte
Eingreifen internationaler Organisationen in die bosnische Politik und
Verwaltung. Darüber hinaus wurde das Amt des internationalen Hohen
Repräsentanten für Bosnien-Herzegowina eingeführt, der die Macht hat, jedes
Gesetz zu annullieren und jeden Amtsträger abzusetzen. Das Land ist ein
Protektorat. Noch schlimmer ist die Situation im Kosovo, das nach dem
Angriffskrieg der NATO gegen Jugoslawien 1999 faktisch von Serbien
abgetrennt wurde. Dort herrscht unter dem Schutz der USA, die dort eine
riesige Militärbasis errichtet haben, die kosovo-albanische Mafia. Eine
vielleicht noch größere Katastrophe droht den Menschen in Syrien, wenn ihr
Staat fällt, der seine Stärke nicht nur aus der Koexistenz, sondern aus der
organischen Verwobenheit verschiedener ethnischer und religiöser Gruppen
bezieht.

MM: Sowohl die bosnische Gesellschaft, als auch die heutige syrische
Gesellschaft sind religiös geprägt (Gegner wie Befürworter). In wie weit
kann ein Vertreter des Freidenkerverbandes eine religiöse Gesellschaft
überhaupt verstehen und beurteilen?

Bahlo: Ich halte es für ein Vorurteil religiöser Menschen, dass sie davon
ausgehen, wer sich vom Glauben abgewandt hat, müsse völlig anders ticken,
quasi aus einer anderen Substanz gemacht sein. Das Bestreben, dem Leben
einen Sinn zu geben, den eigenen Platz in der Welt zu finden, einen Maßstab
für richtiges und falsches Handeln zu haben, sich stets auf das Wesentliche
zu besinnen, einem festen Lebensrhythmus zu folgen, das ist allen
kultivierten Menschen gemeinsam. Wir Freidenker schöpfen seine Erfüllung
nicht aus dem Glauben, sondern aus der rationalen Erkenntnis der Welt und
der menschlichen Gesellschaft. Ich persönlich habe große Sympathie und
Achtung für alle Menschen, die Religion im genannten Sinne praktizieren,
sicher mehr als für die ignoranten Banausen, die einem trügerischen
Individualismus frönen und jede Besinnung auf höhere Werte verspotten. Um
auf Ihre Frage zurückzukommen: Ich maße mir in der Tat nicht an, die
bosnische oder die syrische Gesellschaft vollständig verstehen und
beurteilen zu können. Religion ist dafür aber viel weniger ausschlaggebend
als die Tatsache, dass ich Deutscher bin.

MM: Zweifelsohne steht der Syrienkonflikt auch im Zusammenhang mit der
Besetzung Palästinas. Können derartige Konflikte überhaupt separat
betrachtet werden?

Bahlo: Der Krieg gegen Syrien fügt sich in die imperialistische
Unterwerfung
der arabischen Länder ein, und es ist kein Wunder, dass Israel klar an der
Seite der Aggressoren gegen seinen alten Feind Syrien kämpft. Wundern
könnte
man sich darüber nur, wenn man die jahrzehntelang von den Zionisten
verkündete Propaganda, Israel verteidige sich gegen islamistischen Terror,
für bare Münze genommen hätte. Denn in Syrien steht Israel an der Seite der
schlimmsten salafistischen Terrorbanden. Israel stellt fast seit seiner
Gründung einen Brückenkopf des US-Imperialismus in der Levante dar und
erfüllt jetzt seine strategische Rolle. Dabei spielen die eigenen
zionistischen Interessen eine große Rolle, sind aber meiner Meinung nach
nicht ursächlich für die Ereignisse in Syrien. Hier stehen die globalen
imperialistischen Interessen im Vordergrund: Syrien unterhält enge
Beziehungen mit Russland und beherbergt den einzigen russischen
Marinestützpunkt im Mittelmeerraum, es ist der engste Verbündete des Iran,
es ist ein wichtiger Partner Nordkoreas, es ist ein Knotenpunkt für den
Güterverkehr zwischen Europa, Asien und Afrika. Separat betrachten sollte
man keinen Konflikt, allerdings muss man in der Lage sein, auf einzelne
Konflikte separat zu reagieren, wie wir es zum Beispiel mit unserem Komitee
tun, das sich bewusst nur auf Syrien bezieht. So lassen sich verschiedene
Kräfte bündeln, die selbst in nahe verwandten Fragen auseinanderstreben.
Angesichts der Bedeutung Syriens bei der imperialistischen
Weltkriegseskalation ist es auch notwendig, sich derart auf die
Unterstützung des syrischen Widerstands zu fokussieren.

MM: Es ist geschichtlich belegt, dass der Zusammenbruch eines
internationalen Finanzsystems mit allerlei Kriegen verbunden ist. In wie
weit wird ein solcher globaler Zusammenhang bei der Beurteilung der
Syrienkrise berücksichtigt?

Bahlo: Ich betrachte den Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Krieg stets
als Ausgangspunkt für die Beurteilung militärischer Konflikte. Die
kapitalistischen Konzerne brauchen eine gesicherte Rohstoffzufuhr und
Absatzmärkte. Wenn das eine oder das andere nicht mehr langfristig
gesichert
erscheint, laufen ihnen die Aktionäre davon. Wenn die Aktionäre den
Konzernen eines Landes davonlaufen, stürzt das Land in die Krise. Zur
Sicherung der nationalen Wirtschaftskraft werden politische Maßnahmen zur
Sicherung der Rohstoffzufuhr und der Erschließung neuer Absatzmärkte
ergriffen. Wenn die politischen Maßnahmen nicht ausreichen, stehen
gewaltsame Maßnahmen auf dem Plan. Da gibt es für die Regierungen der
wichtigsten kapitalistischen Länder kaum einen Spielraum. Natürlich kann
man
nicht immer sagen: Land X wird überfallen, um Rohstoff Y zu kontrollieren,
im Rahmen der imperialistischen Gesamtstrategie spielen vielfältige
Erwägungen eine Rolle. Verschärft wird das durch eine globale
kapitalistische Krise, die als Krise des Finanzsystems erscheint, aber
ursächlich eine Krise des Produktions- und Verteilungsprozesses materieller
Güter ist, d.h. die produzierten Waren werden nicht verkauft, die Aktien
sinken, die Wetten auf die Aktien und die Wetten auf die Wetten, alles
zerplatzt, Banken und Fondgesellschaften gehen pleite. Jetzt wird es für
die
Menschheit besonders gefährlich, denn in dieser Situation ist Krieg der
einzige Ausweg und das einzige noch lohnende Geschäft. Dass wir uns
gegenwärtig in so einer Krisenperiode befinden, muss tatsächlich bei der
Beurteilung des Krieges gegen Syrien berücksichtig werden: Das Handeln der
Imperialisten wird nicht mehr nur durch nüchterne Abwägung ihrer
Möglichkeiten und der Möglichkeiten ihrer Gegner und eine Kalkulation zu
erwartender und in Kauf zu nehmender Verluste sowie vorausschauende
Analysen
bestimmt, sondern durch den ökonomischen Druck sind auch unüberlegte
Schritte denkbar. Während jeder vernünftige Mensch den USA von einer
direkten Invasion Syriens abraten würde, angesichts der Erfahrungen in Irak
und Afghanistan, angesichts der Erfolge des syrischen Streitkräfte und
angesichts der Gefahr eines Krieges mit Russland, so kann man nicht sicher
sein, dass die politische und militärische Führung diesen Argumenten den
Vorrang geben wird, wenn das Kapital nach der Frischzellenkur des Krieges
ruft. Derzeit sieht es in der Tat so aus, als ob ein solcher direkter
Angriff kurz bevor steht.

MM: Was kann ein Deutscher tun, um das zu verhindern?

Bahlo: Bahlo: Wenn Sie mit Deutschen normale Bürger meinen, so lautet die
Antwort: Nichts. Die deutsche Regierung ist mit im Boot der Aggressoren,
selbst wenn sie sich auch zurückhaltend gibt, was teils mit ihren eigenen
kolonialen Interessen in der Region, teils mit Rücksichtnahme auf Russland
zu tun hat. Die Stimmen der Kriegsgegner sind nicht einmal laut genug, um
wenigstens in Wahlkampfzeiten auf die Bundesregierung einwirken zu können.
Wir können unmittelbar nichts tun, um einen direkten Angriff der
Aggressoren
gegen Syrien zu verhindern, so wie wir bisher nichts tun konnten, um ihre
indirekten Angriffe zu verhindern oder zu beenden. Und doch macht es einen
Unterschied, ob sie ihre Verbrechen ohne Protest begehen und ihre Lügen
ohne
Widerspruch verbreiten können oder nicht. Wenn ihre Macht absolut wäre,
hätten sie es dann nötig, ihre Verbrechen mit so aufwendig gestrickten
Lügen
zu verbrämen? Wenn sie tatsächlich alles tun könnten, was sie wollen, wozu
existiert dann die ganze Propagandaindustrie? Dass sie nicht einfach sagen:
Und jetzt reißen wir uns Syrien unter den Nagel, sondern sich so viel Mühe
geben, ihre Taten als moralisch gerecht erscheinen zu lassen, beweist klar,
dass sie dem öffentlichen Bewusstsein große Bedeutung beimessen. Und indem
wir auf diesem Feld wirken, üben wir Einfluss auf die Ereignisse aus. Der
NATO-Krieg gegen Libyen 2011 folgte demselben Muster, das wir in Syrien
sehen: Bewaffnete Banden wurden von außen unterstützt, um einen
vermeintlichen „Volksaufstand“ zu inszenieren, als die regulären
Streitkräfte kurz vor dem Sieg über die Terroristen standen, griff die NATO
fünf Monate lang direkt aus der Luft an. Es gab damals überhaupt keinen
nennenswerten Protest in den verantwortlichen Ländern, und wenn, dann war
er
bis auf wenige Ausnahmen (etwa seitens unseres Freidenkerverbandes) zaghaft
und darum bemüht, die Darstellung der NATO-Propaganda nicht grundsätzlich
in
Frage zu stellen. Im Vergleich dazu hat der Protest gegen den Krieg gegen
Syrien hier bei uns schon eine neue Qualität. Er wird natürlich immer noch
von sehr wenigen scharfsichtigen und mutigen Menschen getragen, aber er
bildet die Voraussetzung dafür, dass der weiteren Eskalation des
Weltkrieges
noch größerer Protest entgegengebracht wird, und, je näher der Krieg an
unsere Haustür kommt, desto mehr Menschen, die sich bisher an solchen
heiklen Themen nicht die Finger verbrennen wollen, werden die Wichtigkeit
des Protests erkennen. Aber eine solche breite Protestbewegung kann nicht
aus dem Nichts entstehen, ihre Entwicklung durchläuft verschiedene Stadien,
und wir haben die Aufgabe, sie in ihrem derzeitigen Stadium voranzutreiben.

MM: Wofür und/oder wogegen richtet sich die bevorstehende Demonstration am
kommenden Samstag (31.8.2013) in Frankfurt?

Bahlo: Letztes Jahr haben wir am Antikriegstag gegen die Einschleusung von
Söldnerbanden nach Syrien zum Zweck der Zerrüttung von Staat und
Gesellschaft demonstriert, was wir als Krieg gegen Syrien, wenn auch mit
indirekten Mitteln anprangerten. Wir drückten unsere Solidarität mit dem
syrischen Volk und seiner Regierung in der Abwehr dieser Aggression aus.
Dieses Jahr war die Situation schon während unserer Vorbereitungen
verschärft, da die USA sich offen zur Unterstützung der Terroristen
bekennen, und Israel mehrere Luftangriffe gegen syrische Ziele verübt hat.
Unsere Losung heißt deshalb „NATO, Golfmonarchien, Israel: Hände weg von
Syrien“. Wir fordern unter anderem wie im letzten Jahr das Ende des
Söldnerkrieges, das Ende der Sanktionen gegen Syrien, und insbesondere von
Deutschland den Rückzug der Patriot-Raketen aus der Türkei sowie - eine
allgemeinere, aber sehr wichtige Forderung - Deutschlands NATO-Austritt.
Durch die aktuelle Entwicklung rückt natürlich der Protest gegen den
offenen
Angriffskrieg, der am Samstag vielleicht schon begonnen haben wird, in den
Vordergrund. Er wird auch Menschen dazu bewegen, mit uns auf die Straße zu
gehen, die unsere Bewertung der zurückliegenden Kriegsphase nicht geteilt
haben.

MM: Was geschieht mit dem Solidaritätskomitee für Syrien, wenn der
Syrienkonflikt überstanden ist oder - Gott bewahre - Syrien ein ähnliches
Schicksal erlebt wie Afghanistan oder Libyen?

Bahlo: Ein Szenario, in dem seine Existenz obsolet würde, ist derzeit nicht
in Sicht. Das Komitee wird im Zusammenhang mit unserer Demonstration erst
einmal Zulauf gewinnen und mehr Gewicht erhalten, da es deutschlandweit die
einzige Organisation ist, die dem Krieg gegen Syrien, der nun drastisch
eskaliert wird, frühzeitig die entsprechende Bedeutung beigemessen und die
Tradition der Antikriegstagsdemonstrationen wiederbelebt hat, die in den
letzten Jahren mehr und mehr eingeschlafen war. Auf diese Schwäche wird
jetzt ein grelles Schlaglicht geworfen, indem der offene Angriffskrieg
gegen
Syrien sozusagen pünktlich zum Antikriegstag entfesselt wird, wenn Sie mir
diese sarkastische Bemerkung erlauben. Wie auch immer die Zukunft des
Komitees konkret aussieht, es hat bewiesen, dass es möglich ist, ein
erfolgreiches Bündnis aus Personen und Organisationen zu schmieden, die
hinsichtlich ihrer Herkunft, ihrer politischen und weltanschaulichen
Überzeugungen und Ziele sehr unterschiedlich sind. Aus dieser Erfahrung
kann
man auch auf anderen Kampffeldern schöpfen, und das ist das bleibende
Verdienst des Komitees.

MM: Herr Bahlo, vielen Dank für das Interview.

-----------------------------------------------------------------------

No comments:

Post a Comment