Wednesday, January 20, 2016

Willy Wimmer: »Das dürfte an die Existenz der CDU gehen«


 Der CDU-Politiker Willy Wimmer gehörte 33 Jahre lang dem Deutschen Bundestag an. Von 1985 bis 1992 war er zunächst verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU und anschließend Parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium. 


Herr Wimmer, der Bundestag hat am Freitag grünes Licht für die Beteiligung der Bundeswehr am Krieg gegen den IS in Syrien gegeben. Das Volk will dies laut mehreren Umfragen jedoch mehrheitlich nicht. Wie stark beschädigt ist unsere repräsentative Demokratie?
Willy Wimmer: Das Volk und die eigene Verfassung scheinen seit dem völkerrechtswidrigen Krieg gegen Jugoslawien nicht zu interessieren. Die Charta der Vereinten Nationen auch nicht, wie der regelmäßige Verstoß gegen das Völkerrecht zeigt. Frankreich, an dessen Seite wir in Syrien eingreifen, hat seit mehr als vier Jahren aktiv diesen Bürgerkrieg in Syrien angeheizt, wie man seit langer Zeit den internationalen Medien entnehmen kann.
Zusammen mit den USA, Großbritannien, Stiftungen aus Saudi-Arabien und Katar ist dies durch Spezialkräfte geschehen. Wir greifen also an der Seite eines verbündeten Staates ein, der selbst als Aggressor in Syrien auftritt. Wir haben offensichtlich die Lehren aus den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen vergessen und verlangen von unseren Piloten Handlungen, die sie vor den Internationalen Strafgerichtshof nach Den Haag bringen können.
Sie gehörten 33 Jahre lang dem deutschen Parlament an. Wie stark wird der Bundestag derzeit von der Exekutive, also im Wesentlichen von der Kanzlerin, ausgebremst? Ist das Parlament zahnlos geworden?
Willy Wimmer: Mit dem Umzug 1999 von Bonn nach Berlin und dem so genannten »schlanken Staat« sind Parlament und Ministerien geradezu degeneriert. Ohne US-Anwaltskanzleien kommt fast kein bedeutender Gesetzentwurf zustande.
Musterbeispiel sind die gigantischen Gesetzgebungsvorhaben nach Lehman Brothers und der Finanzkrise und das auf Englisch, das niemand in Berlin versteht. Selbst im Indien der Kolonialzeit gab es so etwas nicht. Der Bürger wird nur noch als Steuerzahler und Konsument wahrgenommen. Staatsbürger und  »mehr Demokratie wagen« aus der Zeit von Willy Brandt sind vorbei. Es ist ein Abgesang der parlamentarischen Demokratie und der Parlamentspräsident schweigt dröhnend dazu.

Seit unserem letzten Interview kamen zum Flüchtlingsstrom noch die Terroranschläge des IS in Paris und Mali hinzu, auch offenbar ein vereitelter Anschlag in Hannover. Es gibt Hinweise, dass Deutschland und Großbritannien ebenfalls Ziele des IS sind. Wie real ist diese Gefahr Ihrer Einschätzung nach?

Willy Wimmer: Es kommt nicht auf meine Einschätzung an, obwohl ich dazu eine Meinung habe. Die Sicherheitsbehörden schlagen doch Alarm und der gesunde Menschenverstand sagt uns, dass wir ins unbeherrschbare Chaos laufen. Bei Hunderttausenden, die sich in unser Land geschlichen haben, muss niemand etwas vermuten. Nach den heutigen Entwicklungen kann man gewiss sein, das sagen uns der Verstand und die Erfahrung.

Sie haben kritisiert, dass die Bundeskanzlerin die verfassungsmäßigen Vorkehrungen, die es bei uns gibt, systematisch außer Kraft setzt. Geändert hat sich daran nichts. Angela Merkel hält unbeirrt Kurs. Was sagt das über unser politisches System?

Willy Wimmer: Das Urteil fällt verheerend aus und es wird in einer Systemkrise und tiefer Agonie oder der Aufgabe unseres Staatsverständnisses enden. Wir bemühen uns, im Gegensatz zu all unseren Nachbarn, in dem EU-Europa aufzugehen, und landen damit in den Fängen von TTIP und damit der Aufgabe unseres politischen Systems.
Wie wenig das die Regierung und die deutsche Öffentlichkeit derzeit schert, das haben wir bei der verhängnisvollen Entscheidung zur Beteiligung am derzeitigen Regionalkrieg in Syrien gesehen. Es gibt kein UN-Mandat für die deutsche Beteiligung an diesem Krieg. Damit gibt es keine Legitimation für uns. Damit untergraben wir das Gewaltmonopol der Vereinten Nationen und beteiligen uns an der amerikanischen Zerschlagung der einzigen Organisation, die dem Weltfrieden als Konsequenz aus den Weltkriegen dient.
Ohne Mandat der UN sind wir in den NATO-Geburtstagskrieg gegen Jugoslawien gegangen. 2014 hat der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder freimütig die Verletzung des Völkerrechts durch ihn selbst gestanden. Konsequenz heute durch Frau Dr. Merkel: keine. Wir fördern nicht das Völkerrecht, sondern das Faustrecht des vermeintlich Stärkeren.

Was sagt dieser Befund über den Zustand der CDU als führende Partei in der Großen Koalition aus?

Willy Wimmer: Alle Parteien, auch die CDU, haben sich verändert und sind zu weitgehend leeren Hüllen verkommen. Sie achten nicht auf das, was die Staatsbürger sagen, weil sie ihnen nicht zuhören. Man ist in die eigene Karriere verliebt. In der CDU regiert seit Jahren der »demokratische Zentralismus« und es wird von oben nach unten »durchbestimmt«.

Die CDU wird von den Wählern laut einer neuen Umfrage erstmals links der politischen Mitte verortet. Die Kanzlerin regiert mit grünen Positionen wie bei der Energiewende oder in der Flüchtlingspolitik. Was verheißt das für die Zukunft der CDU, wenn Millionen konservative Wähler rechts heimatlos werden?

Willy Wimmer: Das werden die kommenden Wahlen deutlich zeigen. Wenn die CDU sich so ignorant gegenüber den deutschen Bürgern verhält, wie es die politische Klasse in Frankreich geschafft hat, dann blüht uns was. Es gibt auf keiner Ebene der CDU mehr eine ernsthafte Auseinandersetzung über die Zukunft des Landes. Die Frau Bundeskanzlerin verhält sich auch als Parteivorsitzende wie eine »Bundes-Zarin«. Warum soll das gut gehen?

In drei Monaten findet die Landtagswahl in Baden-Württemberg statt. Wenn vorher ein Wechsel im Kanzleramt gelingen soll, dann wird die Zeit jetzt ziemlich knapp. Es ist aber sehr ruhig, wir hören nichts. Selbst aus München kommen aktuell weniger kritische Töne?

Willy Wimmer: Wenn man genau hinhört, dann ist gewaltig Druck im Kessel. Die CDU hat zwei Chancen: Entweder sie zieht die Reißleine in diesem Jahr und Frau Dr. Merkel tritt zurück, oder sie verfällt in Agonie und zieht das Land mit.

Was erwarten Sie beim CDU-Parteitag, der am kommenden Sonntag in Karlsruhe beginnt? Gibt es eine Rebellion gegen Angela Merkel? Kommen wenigstens neue Weichenstellungen in der Flüchtlingspolitik?

Willy Wimmer: Das Land hält den Spagat zwischen der Haltung der Bundeskanzlerin und den Bemühungen anderer, das Land nicht untergehen zu lassen, nicht aus. Offensichtlich herrschen in den Führungsstrukturen der CDU autistische Anwandlungen. Dafür wird man einen Preis bezahlen müssen und das dürfte an die Existenz der CDU gehen. Wir haben nur 15 Jahre vom »Ehrenbürger Europa« zur  heutigen Entwicklung benötigt, bei der Europa und unser Land auf der Strecke bleiben, weil die CDU an den Aufgaben scheitert.

Wir hören in der Redaktion, dass sich die Kommunen (zumindest in Baden-Württemberg) darauf einstellen sollen, Flüchtlinge und Wirtschaftsmigranten im Umfang von zehn Prozent der jeweils lokalen Bevölkerung aufzunehmen. Stimmt das nach Ihren Informationen?

Willy Wimmer: Ob es zehn oder 20 Prozent sein werden, kann niemand sagen, weil man es durchgehen lässt, dass die Bundeskanzlerin nicht ihre Politik erklärt und im »Volkskammer-Stil« das Parlament auskurvt. Dr. Peter Gauweiler hat auf diese verheerende Konsequenz den Bundestagspräsidenten öffentlich hingewiesen. Frau Dr. Merkel ist für ihre Politik in der Migrationsfrage nicht legitimiert. Wo sind eigentlich der Generalbundesanwalt, der Bundespräsident und das Bundesverfassungsgericht?

Wie gefährlich ist die Situation in Syrien und dem Irak, nachdem Herr Erdoğan in der Türkei seine gezielten Provokationen gegen Russland nicht einstellen will?

Willy Wimmer: Wir haben die Wahl zwischen Weltkrieg und Erfolg der russischen Politik und einer Verhandlungslösung. Wenn Russland auf der Seite der legitimen Regierung nicht interveniert haben würde, wären zwangsläufig durch die vorgenannten Fördermächte des IS Syrien und wohl auch weite Teile des Irak dem Erdboden gleich gemacht worden – und als Staat ausgelöscht. An dieser Neuordnung arbeiten im Nahen Osten viele, wie amerikanische und israelische Sandkastenspiele mit den Grenzen zeigen.

Türkische Truppen marschieren im Nordirak ein, der Sohn von Erdoğan handelt mit dem Öl des Islamischen Staates. Und jetzt kommen Forderungen wie von Günther Oettinger, die Türkei solle der EU beitreten. Wie ist das zu bewerten?

Willy Wimmer: Herr Oettinger ist doch der, der statt der deutschen Sprache Englisch in Deutschland für alle als Sprache einführen wollte? Die Verhandlungen mit dem Staat, der seit Jahrzehnten seine Bevölkerungsprobleme auf dem Rücken Deutschlands zu lösen versucht, sind Ausdruck der in Berlin und Brüssel herrschenden Hilf- und Konzeptionslosigkeit.
Die Kurden sind durch die Türkei schon aus ihrer Heimat nach Izmir, Stuttgart und Köln verdrängt worden. Herr Oettinger und diejenigen, die die Türkei jetzt unter erpresserischen Umständen in die EU holen wollen, spielen bei klarem Verstand mit dem Feuer und dem Krieg in Europa und damit Deutschland.
Vielen Dank, Herr Wimmer.