Wednesday, June 19, 2013

Türkeisolidarität: Weg ins Chaos oder demokratische Entwicklung durch Massenerhebung?

 Tobias Riegel im "Neuen Deutschland" irrt!!


„Werden sie Angela Merkel in die Nähe von Faschisten rücken, wenn sie das Preußenschloß durchsetzen wird?“ So fragt der kritische Kritiker des „Neuen Deutschland“ Tobias Riegel mit Blick auf die Vorgänge in der Türkei heute seine aus dem Umfeld der „LINKEN“ stammenden Leser. Treffen will er damit eine, wie er meint, vorschnelle Solidarität mit der türkischen Protestwelle. Er wittert in der „geforderten Emanzipation“ auf Türkisch ein Einfallstor für ausländische Einmischung und rückt damit in gefährliche Nähe der Anschuldigung Erdogans, der die Proteste als vom Ausland gesteuert einschätzt. Waschechte Türken müssen brav und angepasst sein. Die Demonstranten denunzierte der türkische Regierungschef als „Pöbel“ oder gar als „Terroristen“. Soweit geht unser Kommentator nicht, aber Herr Riegel vom ND ist doch ratlos, ob des um sich greifenden anti-Erdogan Tenors. So kurz vor der (Wieder-) Aufnahme von Beitrittsverhandlungen in die EU findet er die Proteste unangesagt. Er befürchtet gar ein Abgleiten der Türkei ins Chaos und sieht natürlich schwarz hinsichtlich des „Bürgerkriegs“ in Syrien. Recep Tayyib Erdogan und seine Regierung spielten offenbar für ihn eine positive Rolle in den unheilvollen Vorgängen im Nachbarland. Der ND Kommentator befürchtet weiter, dass der Protest in der Türkei eher die autoritären Strukturen befördern wird. Er glaubt deswegen den türkischen Demokraten auf gut Deutsch eine Lektion erteilen zu müssen: „Die Bäume, um die es anfgangs ging sind schön – ist es angemessen, dafür das öffentliche Leben des Landes lahmzulegen?“ Mithin unterstellt Riegel, dass die Protestbewegung das öffentliche Leben lahmlegt, nicht etwa die brutalst durchgreifende Staatsgewalt. Von den inzwischen fünf Toten und Hunderten Verletzten, von den verhafteteten Ärzten, die Erste Hilfe leisten wollten, alles Opfer der Staatsgewalt, kein Wort. Die Opfer von Erdogans NATO-gestützter Politik gehen bei ihm unter im „Rausch der Tat“ im „großen Gefühlskino“. Selbst die Kollegen vom SPIEGEL erscheinen ihm „eingebettet im Demonstrantenlager“ und feiern in seinen Augen den „linken Aufstand“ in der Türkei aus den “Schützengräben“ heraus. Ihm ist das Anlaß zu kritischer Distanz. Er fragt also „Was macht den einst geachteten türkischen Staatsmann nun zum Diktator, ja Faschisten?“ Er fragt so, als so als sei Erdogan bis dato das Musterbeispiel eines Demokraten, so als habe es nicht kürzlich das 'getürkte' Attentat „syrischer Rebellen“ in der Provinz Hatay mit vielen Opfern unter der eigenen Bevölkerung gegeben, so als unterstütze die Türkei nicht seit langem die bewaffneten Infiltranten an der offenen syrischen Grenze, so als versuche der 'NATO-Partner' nicht seit geraumer Zeit einen offenen Krieg mit Syrien herbeizuprovozieren, so als gebe es nicht die lange Spur unheilvoller Kurdenpolitik, so eben als müsse man den so wichtigen Partner mit Glacehandschuhen anfassen. Man gewinnt den Eindruck, als wolle der Mann uns anderen kritischen Stimmen Opposition ebenso wenig zubilligen, wie Erdogan es eben in der Türkei nicht mag.
Auf einmal gegen Schluß macht Riegel, dessen Ton ansonsten an den unsäglichen Hendrik Broder erinnert, einen Schwenk und gemahnt an den vorschnellen Jubel, der der syrischen (vor allem der gewalthaltigen!) Oppositionsbewegung zugedacht war und wagt einen Verweis auf folgende, wie er meint, mögliche Deutung bezüglich der Situation in Syrien: „Ein noch immer von großen Teilen der Bevölkerung unterstützter Präsident wehrt sich gegen hochgerüstete und von Giftgas-Legenden flankierte CIA Islamisten.“ Dieser Schwenk soll wohl verbergen, wes Geistes Kind der Kerngehalt seines Beitrags ist.
alles Opfer der Staatsgewalt,
Nachsatz:
Die Vorgänge in der Türkei sind von ganz anderer Art als der vermeintliche „arabische Frühling“. Schon gar nicht sind sie gleichzusetzen mit dem brutalen und widerwärtigen Vorgehen einer vom Ausland in der Tat gesteuerten „Rebellen-Mafia“ in Syrien, ohne die der Spuk dort bald ein Ende hätte. Echte Solidarität muss ein Abrücken von der NATO-Politik unseres Landes zum Inhalt haben und den Abzug der Patriot-Raketen aus der Provinz Hatay fordern, ebenso wie ein Ende der Waffenlieferungen an das NATO-Mitglied Türkei.

Referenz: 
http://www.neues-deutschland.de/artikel/824627.einen-schritt-zurueck.html

17. 06. 2013 / Feuilleton / Seite 15


stiller protest in der Türkei: duranadam - standingman



Die Studentin Eylem Özkan (Foto: DW/S. Sokollu)

TÜRKEI

Stiller Protest in der Türkei

Schweigend und stehend demonstrieren Tausende im ganzen Land gegen Premier Erdogan. So wollen sie ein Zeichen gegen das aggressive Vorgehen der Polizei gegen die Proteste der vergangenen Wochen setzen.
Verhaftete, zahlreiche Verletzte und vier Tote - das ist die vorläufige Bilanz der Protestbewegung in der Türkei. Mehr als zwei Wochen lang demonstrierten Tausende Türken für mehr Rechte und Freiheiten in ihrem Land. Vor allem Premierminister Recep Tayyip Erdogan wurde zur Zielscheibe der Proteste: "Tayyip istifa!" ("Tayyip trete zurück!") gehörte zu den am lautesten gerufenen Slogans.
Die Demonstranten marschierten durch die Straßen Istanbuls, beschmierten die Wände mit regierungskritischen Sprüchen und lieferten sich heftige Gefechte mit der Polizei. Der Gezi-Park wurde zum Symbol der Protestbewegung. Dort wurde getanzt, gesungen, gegessen und in Zelten geschlafen. Nach der gewaltsamen Räumung des Parks durch die Polizei scheint das alles nun ein Ende zu haben. Statt der Rufe herrscht Schweigen, statt marschierenden Menschen sieht man Stillstand.
Schweigen als neue Art des Widerstandes
Der Vater des stillen Protests in der Türkei: der Choreograph Erdem Gündüz (Foto: Reuters)Der "Vater" des stillen Protests in der Türkei: der Choreograph Erdem Gündüz (Bildmitte)
Abendliches Töpfeklopfen, Pfeifen, Klatschen und das An- und Ausschalten von Lichtern galten bereits in den vergangenen Wochen im ganzen Land als alternative Formen des Demonstrierens. Doch der schweigsame Stehprotest ist neu. Begonnen hat er am Montag (17.06.2013) mit einem Mann, der einfach nur dastand. Schweigend, die Hände in den Hosentaschen. Sein Blick starr, in Richtung eines Porträts des türkischen Staatsgründers Mustafa Kemal Atatürk. Über fünf Stunden verharrte der Choreograph Erdem Gündüz in der gleichen Pose auf dem Taksim-Platz. Bald wurde er von Demonstranten bemerkt, mehr und mehr schlossen sich spontan seinem Beispiel an.
In der Nacht schließlich stand eine Menschentraube um den vorher einsamen Protestler herum. Schweigend. Nichts fordernd. Ein friedlicher Stehprotest. Die türkische Polizei war sich nicht sicher, was sie tun soll. Demonstrationen auf dem Taksim-Platz hat Erdogan verboten. Jeder, der jetzt noch dort demonstriere, werde als Terrorist behandelt, erklärte seine Regierung. Schließlich vertrieb die Polizei die schweigende Menge. Gündüz wurde festgehalten und verhört, letztendlich aber frei gelassen.
Stehender Mann mobilisiert die Massen
Ausschreitungen auf dem Taksim-Platz in Istanbul (Foto: Reuters)Vorherige Proteste wurden mit Gewalt beendet
Binnen weniger Stunden gingen die Bilder und Berichte über den stillen Protest des stehenden Mannes (türkisch: duran adam) auf dem Istanbuler Taksim-Platz via Twitter (Hashtag #duranadam bzw. #standingman) um die Welt. In vielen türkischen Städten nahmen sich Demonstranten ein Beispiel am friedlichen Stehprotest. In Istanbul selbst hat sich der stille Protest inzwischen auf andere Stadtteile verlagert. So stehen etwa in Besiktas Demonstranten gegen die Regierung Erdogan ein. Ein Mann stellte sich vor die Redaktion der als regierungsnah geltenden Tageszeitung Sabah. Über die sozialen Netzwerke werden feste Uhrzeiten ausgemacht, zu denen die gesamte türkische Nation für fünf Minuten stillstehen soll. So wie Dienstagabend: Um Punkt 20 Uhr stand das ganze Land still.
Unglücklicherweise  sei es in den letzten Tagen zu einem Verbrechen geworden, auf Dinge zu reagieren, die in diesem Land passieren, erklärt die 26-jährige Demonstrantin Eylem Özkan im DW-Gespräch: "Im Gezi-Park haben die jungen Menschen versucht, mit ihrer Kultur und ihrem Sinn für Humor Widerstand zu leisten. Aber es hat nicht geholfen. Jetzt haben wir uns für Stille entschlossen. Manchmal ist Stille die beste Reaktion."
"Wir sind klüger und stärker als sie"
Der Soziologe Hüseyin Günes (Foto: DW/S. Sokollu)Soziologe Hüseyin Günes: Das ist ein Aufschrei
Auf dem Taksim-Platz richten sich die Blicke vor allem auf das Atatürk-Kulturzentrum, das Erdogan zum Abriss verdonnert hat. Sitzend, betend und meditierend drücken die Menschen ihren Protest aus. Die Blicke richten sich auch auf die Polizei, die den Gezi-Park mit Absperrungen besetzt. Stundenlang stehen die Menschen den Beamten gegenüber. Ohne eine Miene zu verziehen, schauen sie ihnen in die Augen. "Das ist der beste Weg, um ihnen zu zeigen, dass wir klüger und stärker sind als sie. Denn sie schlagen uns und schubsen uns. Wir müssen klügere Wege finden, zu demonstrieren", sagt die Demonstrantin Gökce Isilsen. Ein weiterer Demonstrant hat vier Kerzen angezündet: Als Andenken an die vier Todesopfer - drei Demonstranten und ein Polizist. "Wenn wir uns mit Lauten ausdrücken, werden wir mit Schmerz konfrontiert, wenn wir leise sind, dann nicht", so der sitzende Demonstrant.
Der Journalist und Soziologe Hüseyin Günes ist schon seit dem ersten Tag der Protestbewegung dabei. "Mich hat eine Plastikkugel an der Hand getroffen, ich wurde von einer Tränengasbombe getroffen und mit Wasserwerfern angegriffen", so der stillstehende Günes im DW-Gespräch. Dies sei ein Aufschrei - und er wolle den Schrei damit verstärken.

DW.DE

AUDIO UND VIDEO ZUM THEMA

  • Datum 19.06.2013

Turkish Protesters Stand Up straight - Even Cats involved now