Mitverantwortung der Bundesregierung für die syrische Tragödie - Nato Krieg gegen Syrien
von Bernd Duschner
Die andauernden Kämpfe in Syrien haben inzwischen schätzungsweise 120.000 Menschen, darunter 40.000 Soldaten, das Leben gekostet. Fast 5 Millionen Syrer sind zu Binnenflüchtlingen geworden, weitere 1,7 Millionen sind vor Krieg, Terror und ethnischen Säuberungen in die Nachbarstaaten geflohen. Sie alle haben ihr ganzes Hab und Gut verloren, viele sind schwer traumatisiert.
Die Infrastruktur Syriens ist zum großen Teil zerstört, seine Wirtschaft weitgehend zum Erliegen gekommen. Es fehlt an Lebensmitteln, Medikamenten und ärztlicher Versorgung. Nur einem sehr kleinen Teil unserer Bevölkerung ist bewusst, dass die Bundesregierung für diese Tragödie des syrischen Volkes in hohen Maße Mitverantwortung trägt.
Seit über 30 Monaten führt die Bundesregierung gemeinsam mit den USA und Nato-Partnern, mit Israel und den reaktionären Monarchen von Saudi-Arabien und Katar verdeckt vor den Augen unserer Bevölkerung Krieg gegen Syrien. Erklärtes Ziel der „Freunde Syriens“, wie sich dieses Kriegsbündnis verlogen nennt, ist es, die syrische Regierung zu stürzen und durch eine ihnen hörige Marionettenregierung zu ersetzen.
Die „Freunde Syriens“
Gemeinsam mit den USA und ihren Bündnispartner hat die Bundesregierung die diplomatischen Beziehungen zur syrischen Regierung eingefroren. Selbstherrlich haben die „Freunde Syriens“ in Kolonialherrentradition die von ihnen selbst zusammengestellte und finanzierte „Nationale Syrische Koalition“ als den „legitimen Vertreter der Bestrebungen des syrischen Volkes“ anerkannt. Diese von Islamisten dominierte „Koalition“ setzte von Anfang an wie ihre Zahlmeister auf den gewaltsamen Sturz der syrischen Regierung durch Terroranschläge, Bürgerkrieg und eine militärische Intervention der Nato.
Saudi-Arabien und Katar übernahmen bekanntlich die Finanzierung, Bewaffnung und Einschleusung islamistischer Kämpfer nach Syrien. Die Türkei und Jordanien stellten ihr Territorium als Aufmarsch und Rückzugsgebiet zur Verfügung. Sondereinheiten der Nato-Staaten und Söldner von Blackwater und Co. unterstützen diese „Freiheitskämpfer“ bei ihren Terroranschlägen und militärischen Operationen. Die Bundesregierung ihrerseits erhöhte den Druck auf die syrische Regierung mit einem Spionageschiff vor der syrischen Küste, der Stationierung von Patriot-Raketen an der türkisch-syrischen Grenze und der Unterstützung der amerikanischen Kriegsdrohungen: Syrien sollte gezwungen werden, möglichst viele Ressourcen für seine Verteidigung gegen eine mögliche Invasion der Nato bereitzuhalten, damit sein Zusammenbruch beschleunigt würde.
Das entscheidende Instrument aber, mit dem Bundesregierung und EU bis heute den Bürgerkrieg in Syrien forcieren, sind die Wirtschaftssanktionen. Seit 2011 sind sie in Kraft. Die Bundesregierung forciert mit dem Embargo Bürgerkrieg und Elend. Sie sehen sich selbst als Herrenmenschen. Wenn Staaten der Dritten Welt eine eigenständige Politik verfolgen, maßen sich die Regierungen der USA, der EU und Deutschlands das Recht an, sie mit Wirtschaftssanktionen zu bestrafen. Dabei nutzen sie ihre beherrschende Position auf den Handels- und Kapitalmärkten aus. Die betroffenen Völker werden vor die Alternative gestellt, in bodenloses Elend zu stürzen oder sich sklavisch zu fügen. Selbst den Tod von Hunderttausenden Menschen wie im Fall des Embargos gegen den Irak in den 90er Jahren nehmen US- und EU-Regierungen dabei bedenkenlos in Kauf.
Die Sanktionen
Syrien ist für den Einkauf notwendiger Industriegüter auf die Erlöse aus den Verkauf seines Rohöls angewiesen. Weil es selbst nur über zwei eigene Raffinerien verfügt, muss es seinerseits Treibstoff und Heizöl importieren. Für die Stromversorgung seiner Industrie braucht es Technologie und Ersatzteile von den westlichen Industriestaaten. Genau da setzen die Sanktionen der Bundesregierung und EU an:
• Die syrischen Guthaben bei den westlichen Banken wurden „eingefroren“ und dem Land der Zugang zu den internationalen Kapitalmärkten versperrt.
• Sämtliche Investitionsvorhaben in Syrien wurden gestoppt.
• Der Import von syrischem Erdöl und Erdölprodukten wurde verboten. Fast 90 % der syrischen Ölexporte gingen bis dahin in EU-Staaten. Mit diesem Embargo verlor das Entwicklungsland rund 4 Milliarden EUR an Deviseneinnahmen pro Jahr. Mit den Einnahmen aus Öl und Gas erwirtschaftete Syrien 20 % des Bruttosozialproduktes und 25 % der gesamten Staatseinnahmen. Ein rapider Wertverlust des syrischen Pfundes und sprunghafte Preissteigerungen für die Bevölkerung waren die Folge.
• Der Verkauf von Treibstoff und Heizöl sowie von Ausrüstung und Technologie für die
Förderung von Erdgas und Erdöl sowie für Kraftwerke zur Stromgewinnung an Syrien wurde untersagt. Ohne Treibstoff und Strom aber kommen Traktoren und Bewässerungsanlagen in der Landwirtschaft, die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung, Industrie, Handwerk, Handel und Transportwesen zum Erliegen. Gerade auch deshalb sind die beiden Raffinerien des Landes, die Ölpipelines, die Kraftwerke und das Stromversorgungsnetz bevorzugtes Ziel der vom Westen gesteuerten Aufständischen bei ihren Anschlägen.
Mit dem Embargo soll die Wirtschaft Syriens nach dem Willen der Bundesregierung und der EU bewusst lahmgelegt, die Arbeitslosigkeit und die Not der betroffenen Bevölkerung drastisch erhöht werden. Die Sanktionen zielen darauf, der syrischen Regierung ihre soziale Basis nehmen. Die internen Konflikte sollen verschärft, die Rekrutierung für einen bewaffneten Aufstand erleichtert und das Land in einen Bürgerkrieg getrieben werden.
Resumee der „Stiftung Wissenschaft und Politik“
Im Februar 2012 zog die regierungsnahe „Stiftung Wissenschaft und Politik“ ein erstes Resumee: Unterdessen zeigen die Wirtschaftssanktionen Wirkung, die von den USA, der EU, der Türkei und den arabischen Staaten verhängt wurden, allen voran die europäischen Sanktionen gegen den syrischen Ölsektor. Die Bevölkerung leidet unter Knappheit von Benzin, Heizöl und Butangas; Stromsperren von bis zu sechs Stunden täglich treffen mittlerweile auch die Hauptstadt. Seit Beginn der Krise ist der Schwarzmarktkurs der syrischen Regierung um rund 50 % gefallen. Importgüter wie Weizen werden knapp
und damit mangelt es an Brot; die Preise für lokal erzeugte Güter des täglichen Bedarfs, etwa Milchprodukte, steigen spürbar. Nach wie vor sind jedoch keine Anzeichen für die erhofften politischen Wirkungen der Sanktionen zu sehen. Weder hat die Regimespitze ihre Haltung verändert, noch hat die Unternehmerelite sich vom Regime abgewandt.
Zynisch empfahlen die Autoren der Studie, die „stringente Umsetzung und weitere Verschärfung der bestehenden Sanktionen“, um die „Implosion des Regimes“ zu erreichen. Und genau das taten Bundesregierung und EU. Sie zogen die Daumenschrauben immer weiter an. In den letzten zwei Jahren ist das Sozialprodukt Syriens um über 60 % eingebrochen. 50 % der Syrer sind arbeitslos. Die Preise sind um über 200 % gestiegen. Es herrscht bitterste Armut und Verzweiflung. Es fehlt an Lebensmitteln und Medikamenten. Wegen des Mangels an Treibstoff und Strom behandeln viele Krankenhäuser nur noch Notfälle. Bis zu 200.000 Menschen sollen durch mangelhafte medizinische Versorgung seit Ausbruch der Kämpfe 2011 an einem vermeidbaren, verfrühten Tod gestorben sein. Zehntausende unverzichtbarer Fachleute, Wissenschaftler, Ärzte und Ingenieure sind ins Ausland geflohen. Vor allem aber: das Land wurde in einen blutigen, es immer mehr zerstörenden Bürgerkrieg gestürzt. Wie lange wollen wir dieser Entwicklung noch zusehen?
Die Aufhebung der Sanktionen durchsetzen!
Sagen wir es deutlich: Die Sanktionen sind ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Mit ihnen wird ein ganzes Volk planmäßig ins Elend gestürzt, um es in den Bürgerkrieg und zum Aufstand gegen die eigene Regierung zu treiben. Darüber müssen wir unsere Bevölkerung informieren. Wir müssen Druck auf die Bundesregierung ausüben, die Sanktionen umgehend aufzuheben. Eine bundesweite Unterschriftensammlung kann dazu entscheidend beitragen. Von Parteien und Abgeordneten, die sich der Friedensbewegung verbunden fühlen, ist zu verlangen, die bedingungslose Aufhebung der Sanktionen umgehend auf die Tagesordnung des Bundestages setzen.
Die Patriot-Raketen sind von der syrisch-türkischen Grenze abzuziehen und jegliche Unterstützung der bewaffneten Aufständischen einzustellen. Das Selbstbestimmungsrecht des syrischen Volkes ist zu respektieren. Die vollen diplomatischen Beziehungen mit Syrien sind wieder herzustellen und dem Land Wiederaufbauhilfe und Entschädigung für die gewaltigen Verluste zu gewähren, die es durch das Embargo erlitten hat. (PK)
Quellen:
Armand Hurault: Syria: Why Sanctions are Efficient
SWP -Aktuell 12: Der gewaltsame Machtkampf in Syrien
Samer Abboud: The Syrian Economy: Hanging by a Thread
UNDP: Syria. War on Development, Oktober 2013