Tuesday, April 19, 2016

Syrien: Saudi-Söldner blockieren UN-Verhandlungen und brechen Waffenstillstand 

Die Gesichter des von Saudi-Arabien gegründeten 'High Negotiations Committee' (HNC): George Sabra (links), Leiter der Delegation Asaad Al-Zoubi (mitte) und Chef-Unterhändler der 'Armee der islamistischen Rebellen', Mohammed Alloush (rechts) am Wochenende in Genf, Schweiz, am 15. April 2016.
Die Gesichter des von Saudi-Arabien gegründeten 'High Negotiations Committee' (HNC): George Sabra (links), Leiter der Delegation Asaad Al-Zoubi (mitte) und Chef-Unterhändler der 'Armee der islamistischen Rebellen', Mohammed Alloush (rechts) am Wochenende in Verschiedene Terror- und Söldnertruppen künden mitten in der aktuellen Runde der Friedensverhandlungen neue Angriffe auf die syrische Regierung an. Auch zwischen den vom Westen als „Rebellen“ bezeichneten Milizen kam es in den letzten Tagen wieder zu Gefechten. Unterdessen gab die Regierung die Ergebnisse der Parlamentswahlen bekannt. Die UN schlägt eine Übergangsregierung unter Präsident Bashar al-Assad vor.
In der Nacht zum heutigen Montag haben bewaffnete Gruppen in Syrien neue Kämpfe angezettelt. Die Angriffe bedrohen die von den Vereinten Nationen geleiteten Friedensverhandlungen. In einer Erklärung machten die sunnitische Extremistentruppe Ahrar al-Sham und die von den USA unterstützte ‚Freie Syrische Armee‘ bekannt, dass sie erneut „mit Gewalt“ gegen Regierungstruppen vorgehen.
Ahrar al-Sham ist auch in Deutschland als Terrororganisation verboten. Trotzdem unterstützt Außenminister Frank-Walter Steinmeier ihre Beteiligung an den Friedensgesprächen. In der aktuellen Erklärung geben die Terrororganisation und die mit ihr verbündeten Gruppen der FSA bekannt, dass sie ein gemeinsames militärisches Kommando eingerichtet haben.
Seit der vergangenen Woche nahmen die Kämpfe um die geteilte Stadt Aleppo deutlich zu. Die Organisation Daesh, der so genannte Islamische Staat, und die al-Qaida-Gruppe al-Nusra-Front hatten kurz vor dem Beginn der Genfer Friedensverhandlungen bis zu 10.000 Kämpfer mobilisiert, um die Truppen der regulären syrischen Armee anzugreifen.
Parallel zu den militärischen Angriffen in Syrien machen von Saudi-Arabien und der Türkei gesponserte Gruppen auch bei den Verhandlungen in Genf Druck auf Staffan de Mistura, berichtet Reuters. Angeblich hätten die Oppositionellen aus dem Ausland ihre Milizen in Syrien am Sonntag aufgerufen, den militärischen Druck auf die syrische Armee zu erhöhen. Die beiden Regionalmächte und die von ihnen finanzierten Milizen wollen einen Übergangsprozess erreichen, in dem die reguläre syrische Regierung möglichst ausgeschlossen ist.
Unterdessen gab die Wahlkommission in Damaskus das Ergebnis der Parlamentswahlen bekannt. Die Abstimmung wurde nur in den von Regierungskräften kontrollierten Gebieten durchgeführt. Von den dort eingeschriebenen Wahlberechtigten beteiligten sich nur knapp 58 Prozent. Die Baath-Partei von Präsident Bashar al-Assad und andere Parteien aus der Regierungskoalition gewannen 200 der 250 Parlamentssitze. Nach Angaben der Kommission hatten sich mehr als 11.000 Kandidaten für die Abstimmung aufstellen lassen.
Die Vereinten Nationen plädieren dafür, im Rahmen eines Friedensprozesses innerhalb der nächsten 18 Monate neue Parlaments- und Präsidentschaftswahlen abzuhalten. Den aktuellen Vorschlag der UNO, eine Übergangsregierung unter Einschluss von Präsident Bashar al-Assad und der Baath-Partei zu bilden, wird von dem in Saudi-Arabien gegründeten „Hohen Verhandlungskomitee“ HNC abgelehnt.
Vertreter dieses Verhandlungskomitees informierten am Wochenende darüber, dass der UN-Sondergesandte Staffan de Mistura ihnen einen Vorschlag unterbreitete, demzufolge Bashar al-Assad drei Stellvertreter aus den Reihen der von Saudi-Arabien gesponserten Opposition an die Seite gestellt würden. Der syrische Präsident solle jedoch seine repräsentative Funktion behalten. Am heutigen Montag ist ein weiteres Treffen zwischen de Mistura und der HNC-Delegation geplant.
Bisher fordert der politische Arm der sunnitischen Extremistenverbände mit seinem Sprecher Salem al-Meslet, dass eine Übergangsregierung ohne Assad gebildet wird. Man sei zu einer Interimsregierung unter Einschluss von „Technokraten und Diplomaten“ aus Assads Umfeld bereit. 
Am Wochenende verschärfte sich die Situation in der Provinz Aleppo weiter. Human Rights Watch erklärte, die erneuten Angriffe der islamistischen Rebellen haben 30.000 Menschen in die Flucht getrieben. Mehr als 100.000 Menschen seien zwischen Aleppo und der türkischen Grenze gefangen, viele Menschen schlafen im Freien ohne Essen und Wasser.
Der sogenannte "Islamische Staat", die Terrororganisation Daesh, hat bei den Kämpfen im Norden Syriens maßgebliche Gebiete von den Regierungstruppen wie auch von rivalisierenden Milizen zurückerobert. Rebellen in der Ortschaft Dudjan seien von den Dschihadisten praktisch eingeschlossen. Zudem eroberte Daesh auch mehrere Hügel in der Nähe der Ortschaft Khanasser, durch die eine wichtige Verbindungsstraße zwischen den von Regierungstruppen gehaltenen Gebieten in und um Aleppo verläuft.


Wahlen in Syrien

18.04.2016 www.balqis.de

Wahlen in Syrien

Am 13. April fanden Parlamentswahlen in Syrien statt. Die Wahl fand in allen Gebieten Syriens statt, in denen die Regierung die Kontrolle hat. Hier leben ungefähr 80% der syrischen Bevölkerung und es waren ca. 8,8 Millionen Wahlberechtigten zur Wahl aufgerufen. Für die Flüchtlinge innerhalb Syriens wurden eigene Wahllokale eingerichtet. 
Die Zahl der Wahllokale pro Gouvernement variierte stark: Von 17 in Deir Essor (Die Stadt selbst ist unter Kontrolle der Regierung, das Umland ist in den Händen von Dschihadisten) bis ca. 2000 in Damaskus. Pro Wahllokal wurden zwischen 1000 und 1500 Wähler erwartet. Eine sehr große Zahl von Kandidaten hatte sich um die Teilnahme beworben, viele von ihnen zogen ihre Kandidatur wieder zurück. Am Ende bewarben sich ca. 3000 Kandidaten um 250 Plätze im Parlament. 
Dem US-Außenministerium fiel zu der Wahl nur das übliche ein: Wir haben diese Wahl nicht selbst organisiert, deshalb ist sie von vornherein ungültig. Die Tagesschau folgte auf dem Fuß: "Wahlzirkus im Bürgerkrieg".
Wenn aber Wahlen im Kriegsgebiet Afghanistans oder des Irak jeweils nicht nur gültig sein sollten, sondern Politiker und Medien sich zu wahren Begeisterungstürmen hinreißen ließen – warum sollte das nicht für Syrien gelten.
Stabilität und Kontinuität
Die Wahlen waren zeitlich fällig. Gemäß der syrischen Verfassung müssen Parlamentswahlen alle 4 Jahre durchgeführt werden, die letzte Wahl fand 2012 statt. Es ist nur im Interesse der Stabilität und Kontinuität des syrischen Staates, die Wahlen entsprechend der Verfassung durchzuführen – und selbst die Resolutionen der UN betonen mittlerweile die Notwendigkeit, die staatlichen Institutionen zu erhalten ("through the establishment of an inclusive transitional governing body ...while ensuring continuity of governmental institutions"). 
Erst, falls im Rahmen eines Übergangsprozesses eine andere Verfassung für Syrien gilt, wird auch das Thema neuer Wahlen aktuell werden.
Hier wollen wir einige interessante Entwicklungen im Rahmen der Wahlen darstellen.
Baath-Partei:Die Baath-Partei hat in den letzten Jahren Einfluss und Mitglieder verloren. In den Medien wird sie durchaus noch bevorzugt behandelt; indessen hat sie vor Ort viel an Einfluss verloren. In einem Vorbericht zu den Wahlen schrieb die syrische Zeitung al-Watan über die Kritik, die auf einer Gewerkschaftsversammlung an der Liste der Baath-Partei laut wurde: offenbar aus Mangel an Mitgliedern würden in Tartus Namen auf der Liste stehen, von denen man "seit 40 Jahren" nichts gehört hätte. Dennoch war es der Liste der Baath-Partei – zum Teil gemeinsam mit anderen Listen – gelungen, die meisten Abgeordneten zu gewinnen.
Wahlbetrug: Vor vier Jahren gab es Fälle von Wahlbetrug, gegen die damals Vertreter der (oppositionellen) Volksfront für Befreiung und Veränderung gerichtlich vorgingen. In einigen Wahlbezirken in Homs wurde damals die Wahl wiederholt. Bei den jetzigen Wahlen gab es Fälle, in denen Wahlvorstände in mehreren Wahlbezirken "gegen das Wahlgesetz verstoßen" hatten. In diesen Bezirken wurde die Wahl wiederholt. 
Wahlbeteiligung: In den Berichten des libanesischen Senders al-Mayadeen wurde das große Interesse vieler Syrer an der Wahl deutlich. Erneut wollten viele Wähler ein Zeichen setzen gegen den Terrorismus und für Stabilität und Sicherheit – für sie war es kein "Wahlzirkus". Zugleich zeigt die Zahl der Wahlberechtigten und die Wahlbeteiligung ein hohes Maß an Realismus, vor allem, wenn man es in den Kontext voriger Wahlen stellt. Bei der Präsidentschaftswahl 2014 – die eine sehr hohe Mobilisierung auch bei den Syrern im Ausland (Libanon, Jordanien) gesehen hat, lag die Wahlbeteiligung bei 73%. Bei dieser Wahl lag sie bei 57%.
Wenn westliche Medien die Wahlen in Syrien nicht gänzlich ignorieren, werden sie als Show abgetan. Vladimir Pran, Berater einer non-profit-Organisation (International Foundation for Electoral Systems -IFES) erklärte, die Wahl würde internationalen Standards nicht entsprechen. "Niemand in der Internationalen Gemeinschaft würde die Wahl anerkennen". Tatsächlich, und wie bereits erwähnt: Die NATO erkennt nur die Wahlen an, die sie selbst organisiert...
Wen repräsentieren die RepräsentantenEs lässt sich viel Kritisches zu den Wahlen sagen: Von der Bevorzugung der Baath-Partei in den Medien über das komplexe Wahlsystem mit den verschiedenen Bereichen ("Arbeiter und Bauern" – Sektor 'A' und "Andere Klassen" – Sektor 'B') und der jeweiligen Zuordnung der Anzahl der Abgeordneten zu den Bereichen bis zur Frage, inwieweit die Vertreter des Sektor 'A' wirklich ihren Sektor und überhaupt ihre Wähler repräsentieren (siehe Karrikatur). Leider war die politische Opposition in Syrien als die Verfassung diskutiert wurde mehr damit beschäftigt, auf den "Sturz von Assad" zu warten, als alternative Vorschläge zu unterbreiten. 
Mit anderen Worten: „Wir haben noch keine wirkliche politische Öffnung, vieles bewegt sich langsam, vielleicht zu langsam. Dies gilt für den gesamten Nahen Osten. Die Frage ist, welches institutionelle Vorgehen wir wählen müssen, um Fortschritte zu erreichen.“' 
Auch wenn die institutionellen Veränderungen langsam sind - es sind Fortschritte, die trotz des Krieges erfolgen und die die kontinuität und den Bestand des Landes erst ermöglichen.