»Bundeswehr ist allein zur Verteidigung da«
Gespräch mit Peter Gauweiler. Über verfassungswidrige Einsätze der deutschen Streitkräfte, Kampfdrohnen und das politische Erbe von Franz Josef Strauß
Interview: Thomas WagnerPeter Gauweiler, geb. 1949 in München, ist stellvertretender Vorsitzender der CSU und Abgeordneter des Deutschen Bundestages. Er arbeitet als Rechtsanwalt
Der zum rechten Flügel der Union gezählte Peter Gauweiler argumentierte in einer am 4. Juni 2014 an der Universität der Bundeswehr in Hamburg gehaltenen Rede, die »Umwidmung der Bundeswehr in eine Interventionsarmee« stimme mit der »historischen und verfassungspolitischen Motivation des Grundgesetzes« nicht überein. Die offensive Ausrichtung der NATO sei eine »krasse Fehlentwicklung«, der Verteidigungsfall »nur bei einem bewaffneten Angriff auf das Bundesgebiet« gegeben. Während sich führende Unionspolitiker von diesen Aussagen distanzierten, schwiegen sich große Teile der Medien über Gauweilers Stellungnahme aus
Auf dem Weg hierher in die Deutsche Parlamentarische Gesellschaft sah ich Diether Dehm von der Bundestagsfraktion Die Linke. Ein Kollege erzählte mir, Sie würden gemeinsam musizieren. Stimmt das?
Wir haben im Bundestag eine Zusammenkunft, die hieß früher mal ironisch Kulturzentralkomitee. Dort treffen sich Abgeordnete in der ganzen Bandbreite zwischen Diether Dehm und Erika Steinbach und starten bestimmte Kulturinitiativen. Ich habe dort vor vielen Jahren einmal etwas von Ludwig Thoma vorgelesen, einem Rechts-Links-Wanderer aus Bayern, was mir eine gute Kritik in der jungen Welt eingetragen hat. Wir hatten den Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger zu Gast, um mit ihm über Texte zu diskutieren. Wir haben als Parlamentarier auch zusammen gesungen.
Doch nicht etwa Lieder von Diether Dehm, der sich ja auch als Protestsänger betätigt?
Nein, nein. Das waren Weihnachtslieder. Im Herbst wollen wir, das muß ich organisieren, den von der ARD gezeigten Film »Die Spiegel-Affäre« anschauen und darüber diskutieren. Die Spiegel-Affäre hatte damals für viele, auf welcher politischen Seite sie auch standen, eine politische Richtungswende in der politischen Debatte bedeutet.
Sie waren damals noch Student, oder?
Ich bin Jahrgang 1949 und war damals erst dreizehn. Für unser Gesprächsthema »Wird Krieg wieder Mittel der Politik?« ist Franz Josef Strauß aber auch interessant. Bei der Diskussion um die Atombewaffnung vertrat er als Bundesverteidigungsminister seinerzeit die Position: »Wenn ihr wollt, daß die Bundeswehr eine Kriegsverhinderungsschule ist, dann müßt ihr euch so und so und so verhalten.«
Wobei wir beim Thema sind. Warum will die Bundesregierung unbedingt bewaffnete Drohnen anschaffen?
Zur Selbstverteidigung. So wird es begründet. Ob es im Rahmen des heutigen Konzepts für Auslandseinsätze dabei bleibt, wird sich zeigen. Eine Maschine ist nie gut oder schlecht. Gut oder schlecht ist, was der Mensch aus ihr macht.
Umso wichtiger ist das Konzept, in das diese neue Waffentechnik eingebaut wird. Seit einigen Jahren beobachten wir einen kontinuierlichen Umbau der Bundeswehr von einer Armee, die für die Landesverteidigung auch strukturell geeignet war, zu einer Armee, die für Einsätze in anderen Ländern tauglich gemacht wird. In diesen Zusammenhang gehören auch die Abschaffung der Wehrpflicht und die Anschaffung von Drohnen.
Das kann man so sehen. Das Ganze hängt zusammen mit der Out-of-Area-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vor zwanzig Jahren. Damals ging es um die Frage, wie der Artikel 87a des Grundgesetzes angesichts neuer Anfragen an die Bundeswehr auszulegen ist. Dieser regelt, daß die Streitkräfte außer zur Verteidigung nur eingesetzt werden dürfen, soweit das Grundgesetz dieses ausdrücklich zuläßt: zum Beispiel bei der Katastrophenhilfe. Keineswegs ist meines Erachtens dem Erfordernis der Ausdrücklichkeit durch den Hinweis Genüge getan, daß die Bundesrepublik Deutschland völkerrechtliche Verträge abschließen darf und sich in das System der Vereinten Nationen integrieren soll, das wiederum bestimmte Einsätze vorsieht. Eine Verfassungsbeschwerde gegen eine diesbezügliche Entscheidung war ja nur in wichtigen Teilen deswegen nicht angenommen worden, weil es in dem damals zuständigen Senat ein Patt gab. Vier Verfassungsrichter erklärten, solche Out-of-Area-Einsätze sind verfassungswidrig, und vier haben sich anders geäußert. In meinem an der Universität der Bundeswehr in Hamburg gehaltenen Vortrag über Sinnhaftigkeit und Grenzen von Bundeswehreinsätzen im Ausland teile ich die Auffassung jener Verfassungsrichter, welche die Out-of-Area-Einsätze als vom Grundgesetz nicht gedeckt ansehen.Der Konflikt rührt von der neuen Strategie her, mit der die NATO in den 90er Jahren ihren Auftrag erweitert hat: über die Selbstverteidigung im Bündnis hinaus zu sogenannten Kriseninterventionseinsätzen. Der größte Einwand lautet: Wo ist die Grenze? Hinzu kommen die Fragen: Wer bestimmt das, und ist die Bundeswehr dazu ausgerüstet? Letzteres ist auch ein moralischer Einwand. Denn Leute in Konfliktlagen zu schicken, die sie nicht bestehen können, ist, jenseits des juristischen Dürfens, nicht in Ordnung. Ich empfehle einen Vergleich mit den japanischen Selbstverteidigungskräften.
Wir sollten uns einmal über zwei Dinge Gedanken machen. Erstens ist Japan, obwohl es an keinem der internationalen Brennpunkte, ich denke insbesondere an Afghanistan, auch nur mit einem einzigen Soldaten vertreten ist, keineswegs weniger geachtet in der westlichen Welt. Das Land begründet das mit seiner verfassungsrechtlichen Lage. Zweitens ist Japan im Vergleich mit Deutschland in Sachen Selbstverteidigung viel besser aufgestellt. Ich glaube, daß die heutige Entwicklung der Bundeswehr, sofern man das als Kriterium sieht, auch militärisch nichts genützt hat. Die Frage ist doch: Kann die Bundeswehr heute ihren Auftrag erfüllen? Und der Auftrag ist doch nach wie vor die Selbstverteidigung.
Nun würde mancher dagegen einwenden, daß die Weltlage sich geändert habe, die Bundeswehr andere Aufgaben erfüllen müsse und man dafür das Grundgesetz eben ändern sollte.
Die Leute meiner Denke gingen und gehen davon aus, daß es bitter nötig war, ein starkes Westdeutschland im Kalten Krieg zu haben. Möglicherweise sehen Sie das anders. Das ist Meinungsfreiheit. Ich glaube, daß wir überhaupt nur deswegen durchgehalten haben, bis Gorbatschow kam, weil wir ein überzeugendes Konzept der Verteidigung hatten, das auf Abschreckung beruhte. Henry Kissinger hat in den frühen 1970er Jahren gesagt, daß Westeuropa in zehn Jahren kommunistisch sein würde. Er hatte dabei die damalige Entwicklung in der Welt vor Augen: die militärische und moralische Niederlage der USA in Vietnam, die Bündnisse der verschiedenen Freiheitsbewegungen in der Dritten Welt mit der Sowjetunion, die Depression der intellektuellen Klasse des Westens. In den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren gab es nicht allzuviele Leute, die mit Kraft dabei geholfen haben, daß der Westen durchgehalten hat.Ich glaube, daß das Ergebnis auch im Interesse der jungen Welt ist, wenn ich das in diesem Wochenendgespräch sagen darf. Sonst könnten Sie heute nicht so schreiben, wie Sie schreiben.
Doch nach 1989 ist eine neue Situation entstanden, zu der man sich etwas Neues überlegen muß. War es richtig, die NATO beizubehalten? Oder hätten wir etwas Neues versuchen sollen? Als von Helmut Kohl die großen Versprechungen an Gorbatschow abgegeben wurden, hätten wir nachdenken müssen, wie wir ein neues Europa aufbauen. Statt dessen hat die Politik, weil sie eben immer kurzfristig denkt, auch kurzfristig reagiert.
Politisches Handeln ist sicher oft kurzatmig. Zugleich haben sich im westlichen Bündnis Thinktanks und Netzwerke herausgebildet, die das politische Tun langfristig beeinflussen. Eine Studie des Kommunikationswissenschaftlers Uwe Krüger mit dem Titel »Meinungsmacht« zeigt, daß die außenpolitisch meinungsbildenden Journalisten zumeist Mitglied in einer Reihe von transatlantischen Vereinigungen sind und sich die dort entwickelten politischen Handlungsempfehlungen fast eins zu eins in ihren Kommentaren wiederfinden.
Das ist manchmal verhängnisvoll, zum Beispiel bei dem, was ich heute über die Auslandseinsätze der Bundeswehr schreibe. Da gebe ich Ihnen recht. Wenn wir jetzt schon von Thinktanks reden. Wir haben Anfang der 1990er Jahre im Hinblick auf Rußland, Rumänien und andere Staaten, die aus der Sowjetunion hervorgegangen sind, gedacht: Laßt den Kapitalismus das in die Hand nehmen, dann packen die das. Die Erfahrung war aber leider eine andere. Der Einfluß der Chicago Boys zeigte sich. Das Moskau, das ich Ende der 1990er Jahre besuchte, war ein Armenhaus. Dort war eine Ausplünderung zu sehen, die einen sprachlos gemacht hat. Das sage ich Ihnen als überzeugter Kapitalist. Statt dessen hätten sie, als der Kommunismus am Boden lag, etwas Neues beginnen müssen: eine große Reparatur im Sozialen, im Ökonomischen und im Moralischen.Wir wiederum hätten nach der Überwindung der Blockkonfrontation auch über unsere sicherheitspolitische Orientierung neu nachdenken müssen und müssen es immer noch tun.
Dabei gibt es nach unserer Philosophie, die vermutlich nicht die Ihre ist, zwei Axiome für die Verteidigungspolitik. Sie stammen von Franz Josef Strauß. Das erste steht wörtlich auch in der japanischen Verfassung. Es lautet: Krieg ist kein Mittel der Politik mehr. Das ist eine höhere Zivilisationsstufe. Das muß man erkennen. Zweitens ist die Geschäftsgrundlage dieses Obersatzes die Fähigkeit zur Selbstverteidigung. Je qualifizierter eine Armee ist, desto größer ist ihr Beitrag dazu, daß dieser Verteidigungsfall nie eintritt. In dem Moment, wo der erste Schuß fiele, hätte sie versagt.
Dürfen nach Ihrer Auffassung ökonomische Interessen, zum Beispiel am Zugang zu Rohstoffreserven, auch militärisch durchgesetzt werden?
Das lehne ich ab. Für mich kommt ein Bundeswehreinsatz nur in klarer Verteidigungssituation, das heißt im Falle eines Angriffs oder im Bündnisfall, in Frage. Das muß durchgehalten werden. Es gibt meines Erachtens nur einen Fall, in dem die Bundeswehr eingesetzt werden darf. Und der steht in der Verfassung: Das ist die Verteidigung allein und im Bündnis. Dafür ist sie da.
Sie würden sich auch dagegen verwehren, diese Verfassung zu ändern?
Ich kann ihnen meine Position sagen. Die heißt in allen Sprachen: nein! Natürlich kann man die Verfassung ändern, darüber muß dann politisch gestritten werden. Ich glaube aber, daß das, was die Gründer der Bundesrepublik Deutschland beabsichtigten, nach wie vor richtig ist und die Ausweitung der Aufgaben der Bundeswehr eine »Ermächtigung auf Rädern« ist, wie es vier Verfassungsrichter formuliert haben. Man weiß nicht, wo das alles noch hinführt.
Ich komme noch einmal auf die Drohnenbewaffnung der Bundeswehr zurück. Dieses Waffensystem hat eine neue Qualität. Seine Entwicklung folgt einer Logik, die menschliches Handeln und schließlich auch Entscheiden Schritt für Schritt durch automatische Prozesse ersetzt. Momentan scheinen wir den Beginn eines neuen Rüstungswettlaufs zu erleben. Ist es in dieser Angelegenheit nicht dringend erforderlich, zu internationalen Rüstungskontrollen zu kommen? Und wäre es nicht die vordringliche Aufgabe einer deutschen Bundesregierung, alles zu tun, um einen solchen Verhandlungsprozeß in die Wege zu leiten, statt nun selbst bewaffnete oder »bewaffnungsfähige« Flugroboter anzuschaffen?
Ich sehe, was Sie meinen. Und ich mache mir auch Sorgen wegen der Roboterisierung der Menschheit, die unaufhaltsam scheint. Aber auf unseren konkreten Fall bezogen: die Anschaffung von Drohnen. Ich weiß nicht, wie Sie zur Landesverteidigung stehen. Mal unterstellt, Sie würden diese von Ihrer anderen politischen Position her auch befürworten, dann würde ich dazu raten, auf die Anschaffung von Drohnen nicht grundsätzlich zu verzichten. Denn Landesverteidigung muß in ihrer militärischen Komponente glaubhaft sein. Das geht nicht mit der Freiwilligen Feuerwehr, sondern nur mit einem hochmodernen System, das nicht aus Attrappen bestehen darf. Meine Befürchtung ist ja eher, daß die Bundeswehr der Aufgabe der Landesverteidigung immer mehr entwöhnt wird.
Meine Frage nach der Rüstungskontrolle für Drohnen haben Sie damit noch nicht beantwortet.
Ich kenne keinen vernünftigen Menschen, der dem widerspräche. Die Frage der Rüstungskontrolle setzt ja nicht erst bei den Drohnen ein. Ich erinnere Sie an die Debatte um die Neutronenbombe, die wir vor dreißig Jahren geführt haben. Das war eine Bombe, die alles ganz ließ, nur Lebewesen nicht. Ich kann Ihnen nur eine philosophische Antwort geben: Jede vertragliche Rüstungsbeschränkung ist jeder Mühe wert.
Aber es muß auch jemand dafür streiten. Und da sehe ich im Moment niemanden.
Wollen Sie mich jetzt dazu auffordern?
Ja.
Ich kann doch nicht alles machen. Ich bin kein Verteidigungspolitiker. Mit meinem Vortrag vor der Bundeswehrakademie habe ich einen Beitrag gebracht. Der hat mich konzeptionell und in der Verteidigung viel Mühe gekostet.
Da gibt es noch eine andere Angelegenheit, bei der Sie als Parlamentarier aktiv werden könnten. In einer Fernsehdokumentation, die das ZDF unter dem Titel »Unser Krieg. Kampfeinsatz in Afghanistan« vergangenes Jahr im Oktober ausstrahlte, wurde berichtet, daß Agenten des Bundesnachrichtendienstes sowie Angehörige einer Spezialeinheit der Bundeswehr bereits 1981 in Afghanistan an der Seite der Mudschahedin nicht nur sowjetisches Militärgerät eingesammelt haben. In der Dokumentation kommt ein ehemaliger deutscher Kommandosoldat zu Wort, der erklärt, man habe damals auch gegen die sowjetische Armee gekämpft (siehe jW vom 10.10.2013).
Echt?
Auf die Frage, ob sie damals auch auf sowjetische Soldaten geschossen hätten, antwortet besagter Soldat wörtlich: »Im Klartext heißt das sicherlich, daß es dazu kommen mußte, weil man sonst von den Mudschahedin nicht als gleichwertiger Partner wahrgenommen wurde.«
Das klingt ein bißchen nach Sylvester Stallone. Aber ich mag den (lacht). Belassen wir es dabei. Vergessen Sie nicht, daß Sie einen alten reaktionären Knochen vor sich sitzen haben.
Meinen Sie nicht, daß das eine parlamentarische Anfrage an die Bundesregierung wert wäre?
Nein, oder: vielleicht durch einen Linken. Aber dafür bin ich der falsche Mann.
Ich habe noch eine letzte Frage. Die Bundestagsfraktion der Partei die Linke hat in der vergangenen Woche einen Antrag in die parlamentarische Debatte eingebracht, den sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten und späteren Mitbegründer der KPD, Karl Liebknecht, zu ehren, weil er sich als erster und zunächst einziger deutscher Parlamentarier der Finanzierung des Ersten Weltkriegs widersetzt hat. Welche Position haben Sie dazu?
Ich habe neulich in einem Vortrag gesagt, daß es in der Rückschau schade ist, daß sich bürgerliche Abgeordnete in dieser Frage im Reichstag nicht gerührt haben, obwohl auch damals schon viele gedacht haben, das kann doch nicht gutgehen. Das Verdienst der frühen öffentlich geäußerten Einsicht hat Karl Liebknecht. Das ist ja gar nicht zu bestreiten. Aber vielleicht können wir mal in einem weiteren Wochenendgespräch klären, warum man einen Gründer der KPD nicht wirklich ehren kann. Das ist eine herzliche Einladung.