Tuesday, November 11, 2014

Wie DDR-Schriftsteller im Herbst 1989 glaubten, Revolution machen zu können Kai Köhler


Schriftsteller verstehen ungefähr so viel von Politik wie Maurer, Bankangestellte oder Supermarktkassierer – manche ziemlich viel und manche jämmerlich wenig. Allerdings vermögen sie ihre Meinungen besser zu formulieren. Auch sehen sie sich mit der schmeichelhaften Erwartung konfrontiert, tiefsinniger als andere Leute zu denken.
All das ist normalerweise harmlos. Als besonders handlungsmächtig erleben sich Schriftsteller hingegen in zwei Fällen. Der erste Fall liegt dann vor, wenn sie herausbrüllen, was ohnehin alle denken (die nationalistischen Schriftsteller im Jahr 1914 zum Beispiel). Der zweite Fall ist der einer stark kontrollierten Öffentlichkeit, in der nur sie als berufsmäßige Träumer das aussprechen dürfen, was sonst nicht auszusprechen geht.
Blickt man auf die Monate, in denen die DDR zusammenbrach, so ist vor allem eine Gruppe interessant: die der solidarisch-kritischen Reformsozialisten. Von der Ausreisewelle im August 1989 bis zum Ende jenes Jahres, als sich die deutsche Einstaatlichkeit abzeichnete, schien diese Gruppe ein realitätstaugliches politisches Programm zu vertreten.
Diese Autoren sind insofern interessant, als sie sich zwar auf die demonstrierenden Teile der DDR-Bevölkerung bezogen, jedoch auf keine institutionalisierte Macht. Damit sind sie ganz untypisch, denn politisch beachtet wird gemeinhin, wer über Macht verfügt. Doch es gab zur Position der Reformsozialisten in der intellektuellen Diskussion während einiger Monate wenig Konkurrenz.
Auf der einen Seite schwiegen oder taktierten die der SED nahestehenden Autoren. Eine öffentliche Verteidigung des bestehenden Staates ist schwer zu finden. Auf der anderen Seite gab es zwar Schriftsteller, die für Kapitalismus und eine deutsche staatliche Einheit argumentierten. Aber erstens waren sie in der DDR in der Minderheit und vertraten zweitens nur das, was ohnehin in Westmedien dauernd zu lesen war. So war die Zeit der »Wende« die große Zeit jener Dichter, die einen idealen Sozialismus herbeisehnten und mehr oder weniger bewusst einen Bezug auf reale Mächte ablehnten. Um diese Leute soll es hier gehen.
Illusorische Politik
Vorweg dieses: Es ist heute klar, daß ihre Vorstellungen nicht Wirklichkeit wurden. Hohn und Spott sind im Rückblick einfach auszuschütten. Allerdings kann man fragen, ob die nachträgliche Erkenntnis nicht auch schon damals möglich gewesen wäre. Das ist zum einen ökonomisch begründet. Vom Beginn der Ausreisewelle im August 1989 an war klar, daß eine politische Reform im Sinne des sozialistischen Idealismus ohne eine Maueröffnung nicht zu haben war. Damit aber wurde die Situation wiederhergestellt, die mit dem Mauerbau 1961 unter Kontrolle gebracht worden war: dass insbesondere gut (und teuer) ausgebildete Bewohner der DDR einen Anreiz hatten, ihre Arbeitskraft im Westen zu verkaufen. Ein Staat mit weitgehend egalitärer Bezahlung hier, einer mit erheblichen Einkommensdifferenzen dort, keine Sprachprobleme beim Überqueren der Grenze und die herrschende Klasse des reicheren Staats mit einem handfesten Interesse, eine attraktive Entwicklung des weniger produktiven Staats zu verhindern – über die wirtschaftlichen Konsequenzen einer solchen Lage können keine ernsthaften Zweifel bestehen.
Das gilt auch fürs Politische. Es gab in der Geschichte immer wieder zeitweise vergessene Gegenden, wo ein paar Jahre oder Jahrhunderte lang eine von außen wenig beeinflusste Entwicklung möglich war, weil sich die mächtigen Akteure auf lohnendere Ziele konzentrierten. Ein Staat 1989 in Mitteleuropa, direkt an der Systemgrenze, praktisch schon verlassen von der Hauptschutzmacht Sowjetunion, gehörte gewiss nicht dazu. Der Imperialismus verwendete beträchtliche Kräfte darauf, die nach außen wenig attraktiven realsozialistischen Staaten der 1980er Jahre zu bekämpfen. Der Gedanke, er hätte einen ausstrahlungskräftigen Sozialismus auf dem Gebiet der DDR tolerieren können, ist naiv.
Die DDR war 1989 in einer Lage, in der nur entschlossene Abwehrbereitschaft vielleicht noch retten konnte. Die Idee, dass ausgerechnet eine Auflösung von Herrschaftsstrukturen ihr den Sozialismus garantieren könnte, war einerseits völlig absurd. Andererseits werden Absurditäten nie ohne Gründe wirkmächtig.
Das Blöde setzt sich dann durch, wenn das Gute versagt. Künstler scheuen nicht die Gewalt (das maoistische China hatte im Westen nie mehr Anhänger als während der barbarischen Kulturrevolution); was Künstler scheuen, ist die Schwäche. Der Staat DDR und die Partei SED agierten seit geraumer Zeit defensiv. Sie hoben punktuelle wirtschaftliche Erfolge hervor und erklärten nicht das konfliktentscheidende relative Zurückbleiben hinter dem westlichen Gegner. Im Spätsommer 1989 konnten sie keine überzeugende Erklärung für die massenhafte Ausreise vermitteln. Das Vorgehen der Volkspolizei gegen Demonstrationen Anfang Oktober war zu schwach, um sie zu stoppen, doch hart genug, um die Empörung anzuheizen.
Als am 17. Oktober Erich Honecker als Generalsekretär der SED von Egon Krenz abgelöst wurde, erschien auch dies lediglich als Rückzugsbewegung. Nun wurde zwar deutlich, daß eine gewaltsame Lösung kaum mehr zu fürchten war. Die Politik der Partei wirkte jedoch immer noch ausschließlich reaktiv, mehrere Autoren mutmaßten: opportunistisch. Die Initiative blieb deshalb bei den Reformkräften, die – scheinbar siegreich – die Macht von Staat und Partei abräumten und damit tatsächlich ihr eigenes Grab schaufelten.
Organisationspolitik
Schriftsteller agieren einzeln, aber auch in Verbänden. Letztere, die zuvor trotz mancher Konflikte die Vorgaben der SED umgesetzt hatten, entwickelten angesichts der offensichtlich hilflosen Partei stärker eigene Impulse. Den Anfang machte dabei am 14. September der Bezirk Berlin des Schriftstellerverbands. Wenige Tage nach Gründung des oppositionellen Neuen Forums und nach der Grenzöffnung durch Ungarn, aber noch vor Beginn größerer Demonstrationen in der DDR, gingen die Autoren davon aus, daß die Ursachen für die Abwanderung »in nicht ausgetragenen Widersprüchen im eigenen Land« lägen. Entsprechend forderten sie einen »demokratischen Dialog auf allen Ebenen«.1
Das markierte einerseits Distanz von Partei und Regierung, verzichtete andererseits auf eine politische Zuspitzung. Ein Dialog kann zu konkreten Veränderungen führen, muss dies aber nicht. Indem die Schriftsteller gleichzeitig die »kritische Auseinandersetzung mit westlichen Massenmedien« forderten, machten sie deutlich, daß es ihnen nicht um einen Kampf gegen die DDR ging. Eine SED-Politik der Machtsicherung hätte angesichts dieser Lage zwei Möglichkeiten gehabt: entweder eine entschlossene Repression oder ein Dialog mit den sozialistischen Teilen der Opposition, mochte auch ein solches Gespräch nur pro forma und zwecks Zeitgewinn geführt werden.
Tatsächlich entschloss sich die Parteiführung, das Angebot anzunehmen. In der Berliner Zeitung war als Antwort auf den Schriftstellerverband zu lesen: »Die eingeleitete Wende, die es durch konkrete Taten weiter zu untermauern gilt, braucht auch fürderhin und jetzt erst recht das Wort der Autoren unseres Landes. Die notwendige Erneuerung unserer Gesellschaft kann nur gelingen, wenn sie von den breitesten Schichten des Volkes getragen wird.« Diese Erklärung von Egon Krenz hatte den einzigen Schönheitsfehler, dass sie erst am 1. November veröffentlicht wurde. Nach sechs ereignisreichen Wochen standen andere Forderungen auf der Tagesordnung.
Die Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizisten Anfang Oktober, die immer größer werdenden Protestveranstaltungen führten zu einer Konkretisierung des Verlangten. Noch am 22. September hatte das Präsidium des P.E.N.-Zentrums DDR zum 40. Jahrestag der Staatsgründung eine Erklärung herausgegeben, die allenfalls indirekt als Kritik lesbar war. Die DDR sei immer ein Ort gewesen, wo es möglich war, »sich gegen rassistische Vorurteile zu wenden, nationalen Größenwahn zurückzuweisen und die Freiheit des Wortes zu verteidigen« – hier kam es auf den letzten der Punkte an und darauf, seine Einlösung für die Zukunft zu garantieren. Erklärungen von Organisationen des Schriftstellerverbands benannten dagegen in zunehmender Schärfe das, was erst eingelöst werden sollte.
Am 4. Oktober sahen die Schriftsteller aus dem Bezirk Halle »deutliche Anzeichen dafür, daß das Vertrauensverhältnis zwischen Staat und Bürgern beschädigt ist«. Betonten hier Autoren wie Erik Neutsch Gesprächsbereitschaft als Voraussetzung einer »Entwicklung des Sozialismus«, so forderte der Bezirksverband Potsdam am 10. Oktober eine gänzlich neue Medienpolitik. Einen Tag später formulierte dann das Präsidium des Schriftstellerverbands eine Mitteilung, in der von einer »revolutionären Reform« die Rede war. Dieses Begriffsungetüm erklärt sich daraus, dass die Verfasser den »Übergang« zu der im »Kommunistischen Manifest« geforderten »Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist«, verlangten.
Das bezeichnet den Kommunismus, also einerseits eine Gesellschaft, die den Interessen des in der »Mitteilung« auch benannten westlichen Klassenfeinds klar widerspricht. Andererseits ist in dieser Perspektive der Sozialismus als eigene Gesellschaftsordnung, die aus realpolitischen Gründen viel länger dauerte, als bei der russischen Oktoberrevolution 1917 erhofft, abgewertet. Der unter den Bedingungen von 1989 utopistische Vorgriff ging in der Folge einher mit dem Rückbezug auf einen bürgerlichen Menschenrechtskatalog. Wenn am 16. Oktober der Bezirksverband Dresden nicht nur »Presse-, Rede- und Versammlungsfreiheit« forderte, sondern auch das »Recht zur Bildung von Vereinigungen«, so ließ sich dieses zwar auch im Kommunismus vorstellen. Es bedeutete aber jedenfalls einen Angriff auf den sozialistischen Staat, der angesichts seiner Bedrohung von außen und innen die Gründung von Organisationen gerade zu kontrollieren versuchte.
Das von den Dresdnern geforderte Wahlsystem, »das dem mündigen Bürger das Recht der freien Wahl unter Parteien und Personen sichert«, lief dagegen auf eine repräsentative Demokratie hinaus, die mit der kommunistischen »freien Assoziation« und dem damit verbundenen Absterben des Staats wenig zu schaffen hat. Linksradikalismus und rechte Reformforderungen sind zwar inhaltlich nicht vereinbar, trafen sich allerdings in der Ablehnung des sozialistischen Staats, wie er 1989 bestand.
Politische Konkretisierung
Den Machtverschiebungen der folgenden Wochen entsprechend trat in den Deklarationen die Forderung nach Elementen bürgerlich-demokratischer Rechtsordnung in den Vordergrund. Am 30. Oktober schlug die Mehrheit des P.E.N.-Präsidiums – darunter Friedrich Dieckmann, Stephan Hermlin und Helga Königsdorf – ganz andere Töne an als einen guten Monat zuvor. Nun forderte sie eine »Vielfalt politischer Meinungen und Organisationsformen, deren Koordination kein obrigkeitliches Monopol sein darf, sondern sich als demokratischer Prozess herstellen muss.« Mit Hinweis auf die Verfassung der DDR forderten die Unterzeichner auch »Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit, das Recht auf Vereinigung und die Unantastbarkeit der Persönlichkeit« zu garantieren. Von einer führenden Rolle der SED konnte in dieser Konzeption nicht mehr die Rede sein.
Heinz Kamnitzer, Präsident des P.E.N.-Zentrums, war nicht bereit, diese Erklärung mitzutragen. Er gab nicht nur sein Amt ab, sondern äußerte öffentlich im Neuen Deutschland, dass der P.E.N. mit dieser Stellungnahme zur Staatsverfassung der DDR seine Kompetenzen überschritten habe. Kamnitzers kurze Wortmeldung ist insofern eine Ausnahme, als von Autoren, die den Zerfall der Parteimacht mit Sorge sahen, sonst wenig zu hören und zu lesen war. Andererseits ist sie in ihrer defensiven Grundhaltung bezeichnend. Kamnitzer – der in den Weißenseer Blättern seine Position inhaltlich erläuterte – war in der Parteizeitung dazu gezwungen, sich auf Formalia zurückzuziehen. Dies war angesichts des raschen Niedergangs von Partei und Staat keine brauchbare Verteidigungsstellung. Die zentrale inhaltliche Frage – nämlich was Organisationsfreiheit angesichts der Grenzlage der DDR und einer interventionsbereiten Bundesrepublik bedeuten musste – sprach auch Kamnitzer nicht an.
So zeichnete sich in den Stellungnahmen von Institutionen in den Wochen vor der Maueröffnung eine zunehmend grundsätzliche Kritik ab, verbunden mit weitreichenden politischen Forderungen. Schriftsteller haben jedoch auch andere Möglichkeiten, sich zu dem Geschehen zu positionieren, vielleicht sogar einzugreifen. Angesichts einer schnellen politischen Entwicklung taugt dabei nicht, was doch ihr Hauptjob sein sollte: Romane, Erzählungen, Theaterstücke zu schreiben. Vielmehr treten andere Genres in den Vordergrund: Reden, Interviews, Essays. Schriftsteller können auch bei Veranstaltungen mitwirken und dabei ihr künstlerisches Ansehen in politischen Einfluss ummünzen.
Dabei zeigen sich durchaus unterschiedliche Strategien. Auf der einen Seite hob Christa Wolf in ihren Reden und Auftritten immer wieder die Bedeutung einer neuen Sprache für ein erneuertes Miteinander hervor. Von Schriftstellern erwartet man qua Beruf, dass sie besonders genau mit Sprache umgehen können; zudem hatte sich Christa Wolf der Öffentlichkeit als besonders sensibel und empfindsam dargestellt, so dass ihr politisch-literarisches Programm jetzt als ideales Gegenbild zu einer erstarrten Formelsprache der Macht erscheinen konnte. Während Wolf auf die Identität von Dichtung und Politik zielte, hielt auf der anderen Seite Christoph Hein die Tätigkeiten klar getrennt. Im November lehnte er einen Beitrag für einen im bundesrepublikanischen Rowohlt-Verlag geplanten Sammelband ab: Er sei ganz durch »›berufsfremde‹ Arbeiten« in Anspruch genommen. Überhaupt erscheine ihm praktische Arbeit nun wichtiger als Resolutionen oder Absichtserklärungen. Allerdings dürfte Heins Beruf das Gewicht seiner Tätigkeiten in der Kommission vergrößert haben.
Wer absagt, muss zunächst einmal überhaupt eine Anfrage erhalten haben. Es ist eine überschaubare Gruppe prominenter Autoren, die sich immer wieder in Medien mit großer Reichweite zu Wort melden konnte. Einige von ihnen hatten die Möglichkeit, auch zeitnah in Westmedien zu publizieren – Heiner Müller, Christa Wolf, Volker Braun, Stefan Heym, Christoph Hein, Günter de Bruyn und (in Ausnahmefällen) Hermann Kant. Auch wenn Die Zeit oder Der Spiegel in der DDR bis zum 9. November nur schwer erhältlich waren, Westradio und -fernsehen wurden verfolgt, und die berichteten über diese Beiträge.
Von den eben Genannten gehörten zwei im Herbst 1989 nicht zur Kerngruppe der Reformsozialisten. Auf der einen Seite ist dies Günter de Bruyn, der schon früh für eine Umwandlung der DDR in eine bürgerliche Demokratie und bald auch für die deutsche Einigung optierte. Auf der anderen Seite forderte Hermann Kant zwar wie die anderen Schriftsteller von der Führung der DDR Reformen ein. In einer Umfrage der Zeit vom 22. September 1989, ob der Sozialismus am Ende sei, benannte er jedoch hellsichtig die Folgen eines möglichen Scheiterns. Eine ausschließlich kapitalistische Welt sei eine Welt des Krieges und der Zerstörung sozialer Zusammenhänge. Kant beschrieb damit im Vorgriff ziemlich genau das, was wir seit 25 Jahren erleben.
Die anderen Autoren hofften auf einen erneuerten Sozialismus und vergaßen im Protest gegen Probleme im Bestehenden die Gefahr, die vom Westen ausging. Zwar nannten sie hin und wieder das Risiko einer feindlichen Übernahme. Doch der Gesichtspunkt blieb entweder randständig oder wurde sogar zum Argument, dass der Sozialismus, sollte er überleben, ganz anders werden müsse als bisher. Unter diesem Blickwinkel erschien der demonstrierende Teil der Bevölkerung als Hoffnung, wenn nicht gar als Erfüllung linker Versprechen.
Ein Schlagwort, das in fast allen Reden und Essays von Oktober an vorkam, ist in diesem Zusammenhang »Revolution«. Die Autoren waren derart begeistert, dass überhaupt etwas geschah, und gar noch von unten, dass sie nicht nach den Folgen fragten und danach, wer davon den Nutzen hatte. Doch eine Revolution muss sich gegen etwas richten. Das Zauberwort lautete hier »Stalinismus«, und die Fixierung darauf glich einer Obsession. In immer neuen Varianten wurden die Verhältnisse in der DDR als stalinistisch gegeißelt.
Der Vorwurf war dabei von allem historisch Konkreten gesäubert. Weder erläuterten die Autoren, welche von Stalins Maßnahmen unvermeidbar gewesen waren, welche auf einem – vielleicht vermeidbaren – Irrtum beruht hatten und ob es Befehle gegeben hatte, die als Verbrechen zu verurteilen sind. Ebenso wenig findet man eine Begründung, wieso die Herrschaftspraxis in der DDR, die von ihrer Gründung an erkennbar milder als die in der Sowjetunion der Stalinzeit war, dennoch stalinistisch sein soll. Das Wort Stalinismus hat in all diesen Texten überhaupt keinen Inhalt; vielmehr bezeichnet es rhetorisch Feinderklärung. Den reformsozialistischen Autoren ging es, abgesehen von einigen Psychologisierungen, nirgends darum, die politischen Zwänge und Beweggründe der Führungspersonen von Staat und Partei nachzuvollziehen und sich auf dieser Basis politisch mit ihnen zu verständigen. Vielmehr identifizierten sie sich ganz mit dem Protest von unten.
Politisches Scheitern
Getragen von einer solchen Begeisterung, gelangen den Schriftstellern Auftritte, bei denen sie sich im Einklang mit der historischen Bewegung fühlen konnten. Die Podiumsdiskussion »DDR – wie ich sie träume« am 24. Oktober im Berliner Haus der jungen Talente und vier Tage später eine Gemeinschaftsaktion Berliner Künstler in der Erlöserkirche unter dem Titel »Wider den Schlaf der Vernunft« – das waren Gelegenheiten, sich im Kreis von Gleichgesinnten der eigenen Bedeutung zu vergewissern.
Den Höhepunkt solcher Aktivitäten bildete die Demonstration für Pressefreiheit auf dem Berliner Alexanderplatz am 4. November. Die Reden von Christa Wolf, Christoph Hein und Stefan Heym wurden mit viel Applaus belohnt; nur Heiner Müller, unzureichend vorgestellt, wurde ausgepfiffen, als er statt eines eigenen Beitrags einen Gewerkschaftsappell verlas. Insgesamt jedoch bezeichnet dieses Datum den Höhepunkt einer Einheit von Intellektuellen und Protest.
Wie gering der gefühlte Einfluss der Dichter auf die Ereignisse war, das zeigt eine Erklärung, die Christa Wolf im Namen von Künstlern und Vertretern von fünf Bürgerinitiativen am 8. November im DDR-Fernsehen abgab, also am Vorabend der Maueröffnung. Hier heißt es: »Was können wir Ihnen versprechen? Kein leichtes, aber ein nützliches und interessantes Leben. Keinen schnellen Wohlstand, aber Mitwirkung an großen Veränderungen. Wir wollen einstehen für Demokratisierung, freie Wahlen, Rechtssicherheit und Freizügigkeit.«
Man möge für Ideale auf den erhofften Wohlstand verzichten und in der DDR bleiben – dieser kaum massenwirksame Appell deutet schon die Defensive an, in die die reformsozialistischen Autoren, als sie nach dem Anschluss nicht mehr gebraucht wurden, sämtlich gerieten. Wollte man sich als Kritiker der DDR profilieren, so war dafür die mindeste Voraussetzung, dass es überhaupt eine DDR gab. Insofern Wolf, Hein, Heym, Braun und Müller, wahrscheinlich wider Willen, die Abschaffung dieses Staates beförderten, schafften sie selbst ihre politisch relevante Position ab.
Nachdem die SED keinen Rückhalt mehr in Moskau sah und die Demonstrationen in der DDR die Maueröffnung erzwungen hatten, klärten sich die Machtverhältnisse. Schon am 8. November hatte Bundeskanzler Helmut Kohl in einem Bericht zur »Lage der Nation« den westdeutschen Gesamtvertretungsanspruch erneuert und ein »Selbstbestimmungsrecht für alle Deutschen« eingefordert. An die Stelle des »Wir sind das Volk« trat nun: »Wir sind ein Volk« – eine in sich stimmige Verschiebung, denn die zweite Parole entsprach den Verhältnissen, die mit der ersten hergestellt worden waren. Was folgte, war nur noch die Abwicklung.
Die Autoren bemerkten die Gefahr durchaus, hielten jedoch eine sozialistische Entwicklung nach wie vor für möglich. Der Aufruf »Für unser Land« vom 28. November, der u. a. von Braun, Heym und Wolf unterzeichnet war, stellt zwei gegensätzliche Wege vor. Entweder komme es unter Druck »einflussreicher Kreise aus Wirtschaft und Politik in der Bundesrepublik« zu einem Ausverkauf der »materiellen und moralischen Werte«, wobei »über kurz oder lang die Deutsche Demokratische Republik durch die Bundesrepublik vereinnahmt« werde – oder es gelinge, »in unserem Land eine solidarische Gesellschaft zu entwickeln, in der Frieden und soziale Gerechtigkeit, Freiheit des einzelnen, Freizügigkeit aller und die Bewahrung der Umwelt gewährleistet sind«.
Natürlich plädierten die Unterzeichner für die letztere Version und für eine Besinnung »auf die antifaschistischen und humanistischen Ideale, von denen wir einst ausgegangen sind«. Aber dafür war es bereits zu spät. In dem im Juli 1990 entstandenen Gedicht »Das Eigentum« konstatierte Volker Braun dann: »Da bin ich noch: mein Land geht in den Westen. / KRIEG DEN HÜTTEN FRIEDE DEN PALÄSTEN / Ich selber habe ihm den Tritt versetzt. / Es wirft sich weg und seine magre Zierde / Dem Winter folgt der Sommer der Begierde.«


1 Der Schriftstellerverband der DDR hat 1990 in den ersten drei Heften seiner Zeitschrift „Neue Deutsche Literatur“ eine Zusammenstellung von Dokumenten aus den Herbstmonaten publiziert, auf die sich die folgende Darstellung stützt.
Kai Köhler schrieb auf diesen Seiten zuletzt am 22.10. über deutsche Dichtung im Ersten Weltkrieg.

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Die neue EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini hat sich bei einem Besuch im Gazastreifen nachdrücklich für die Gründung eines palästinensischen Staates ausgesprochen. "Wir... 
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Lebenswichtige Umweltbereiche.doc: Auswirkungen der israelischen Militäroperation auf lebennswichtige Umweltbereiche in GAZA,2014   -   Einführung: Dr. Amal Sarsour
 
 Die  israelische Militäroperation  „Operation Protective Edge“ (Operation Fels in der Brandung) war gegen  den südlichen Teil des Gouvernements „Gaza-Streifen“ von Palästina in der Zeit vom 8. Juli bis 26. August 2014, wo die Schäden der  51 Tage andauernden  Eskalation der Feindseligkeiten ein seit Beginn der Besatzung 1967 noch nie da gewesenes Ausmaß erreichten. Der Schaden in der allgemeinen Infrastruktur ließ Hundert –Tausende von Menschen ohne entsprechende notwendige Versorgung, einschließlich Strom, Zugang zu sauberem Wasser und  guter Gesundheitsversorgung, wie von der palästinensischen  Behörde für Umwelt berichtet wurde.
Die kürzliche israelische Militäroperation im Gazastreifen verletzte die Grundregeln, Gebräuche und Sitten des Krieges. Sie  warf auf dieses belagerte Gebiet über 20 000 Tonnen verschiedener gefährlicher explosiver und international verbotener Munition, was  als Kriegsverbrechen angesehen wird, gemäß Paragraph 8/2/b/4 der Statuten von Rom, angenommen für den Internationalen Strafgerichtshof am 17. Juli 1998 in Rom, Artikel 35 und 55des Zusatzprotokolls 1 der Genfer Konvention, unterzeichnet in 1977 und basierend auf Artikel 78 des geänderten Gesetz zur Umwelt,  Nummer 7, für das Jahr 1999. Auch seine Exzellenz, der Präsident des Staates Palästina, erklärte den Gazastreifen  am Donnerstag, den 30. Juli 2014, zur humanitären Katastrophe.....

Mit Klassik und Rechtsbewusstsein wider den Ungeist des Opportunismus

Führende "Linke"  Politiker verurteilen pünktlich zum 25sten Jubiläum des Berliner Mauerfalls die  vermeintlich verbrecherische  Politik des ersten sozialistischen Staates auf deutschem Boden. Sie verbeugen sich damit vor der Macht , in der trügerischen Hoffnung, sich auf solche Weise künftig einen Anteil an ihr zu erhaschen. Sie irren sich und ihr Irren zeitigt in Vergangenheit und Gegenwart verheerende Folgen.  Die lahmende Opposition gegen die fortschreitende Ausweitung der Kampfzonen, an deren  Unheil unser geeintes Vaterland völker- und grundgesetzwidrig beteiligt ist, ist nur die verhängnisvolle Spitze des Eisbergs.
Es ist daher unabdingbar, sich einer so charakterlos linken Haltung mutig und mit aller Entschiedenheit   zu widersetzen. Es ist gut, dass wir uns dabei auf völkerrechtliche Vorgaben, auf rechtsstaatliche Maximen und  auf  vernunftbegabte, weitsichtige  und gewichtige Stimmen der Vergangenheit und Gegenwart  auch aus dem bürgerlichen Lager stützen können.
So forderte der  große deutsche Dichter, der Literaturnobelpreisträger und  persönliche Freund von Franklin D. Roosevelt, Thomas Mann 1950 in einem Vortrag in Chicago:
"Die bürgerliche Revolution muss sich ins Ökonomische fortentwickeln und die liberale Demokratie zur sozialen werden. Jeder weiß das im Grunde. … Jeder vernünftige Mensch ist ein gemäßigter Sozialist."  Weiter meint Mann:
"Schon die Abkehr vom Aberglauben, man müsse über all in der Welt den Sozialismus niederhalten und  lieber sich mit dem Faschismus verbünden, als zuzulassen, dass irgendwo 'free enterprise'  Schaden nehme  - ich glaube, dass schon dies eine solche Veränderung der Atmosphäre mit sich bringen würde, dass dem russisch-amerikanischen Gegensatz viel, ja Entscheidendes  von seiner Schärfe  genommen wäre."
Thomas Mann war ein humanistisch gebildeter, ein lernfähiger Geist. Während er 1914 als deutscher Patriot noch mit dem intellektuellen Strom schwamm und  den Krieg guthieß, so distanzierte  er sich bereits 1923 vor  Münchner Studenten  klar und deutlich von seinen 1918 erschienenen "Betrachtungen eines Unpolitischen" und hielt ein kaum erwünschtes Plädoyer für die Republik.  Fünf  Jahre nach dem 2. Weltkrieg  und den  Atombombenabwürfen, als inzwischen  amerikanischer Staatsbürger, rief er leidenschaftlich :
"Aus der Tiefe der Menschenbrust löst sich heute der Schrei: Friede, um Gottes Willen Friede!"
Und weiter mahnt er seine jungen amerikanischen Zuhörer:
 "Das Bild des heißen  Krieges malt niemand sich aus. Dasjenige des kalten haben wir vor Augen und sehen, dass er zerstört, was er bewahren will: Die Demokratie. Denn sie unterliegt der Versuchung, den Teufel mit Beelzebub  auszutreiben und den Faschismus zum Weggefährten zu nehmen, ihn zu stützen und wieder großzuziehen."
Wie brennend aktuell sind diese Worte. Welch andere Stellungnahme in dieser Richtung   hätten wir von ehemaligen DDR -Bürgern und führenden Politikern einer Partei, die sich  'DIE LINKE' nennt ,zu dem unheilvollen Jahrestag der Deutschen erwarten müssen.
Was Thomas Mann und alle klassischen Autoren verbindet, ist das  altmodisch gewordene und  verpönte Ideal der Vernunft und des Humanismus. Er habe zu keiner Zeit "die Ehrfurcht vor der Idee, der höheren Berufung, der Würde des Menschen verleugnet", so Mann selbst im  obigen Vortrag "Meine Zeit" im Mai 1950.
Dessen ungeachtet wurde der Dichter, ganz anders als sein Zeit- und Leidensgenosse Brecht, niemals ein Parteigänger des Sozialismus, Er begründet seine Distanz mit dessen, wie er meint ,"prinzipiellen Unverhältnis zur Wahrheit", das ihm gegen seine tiefsten Instinkte gehe.
"Als Schriftsteller, als Psycholog, als Darsteller des Menschlichen bin ich der Wahrheit verschworen  und auf sie angewiesen. Ich liebe ihren Reiz, wie ich durchdrungen bin von ihrer Würde und von der Verächtlichkeit des Unwahren." 
Nun, so weit ist ihm bedingungslos zuzustimmen.
Wenn er aber nun ganz im Sinne der Totalitarismus-Theorie beide Systeme gleichsetzt und gar noch die eigene Erfahrung mit einem totalen Staat auf einen anderen,  ihm nur durch die deutsch-amerikanische Brille bekannten, überträgt, dann müssen wir aus heutiger Sicht Einspruch erheben. Allerdings gilt die Nachsicht, die wir einem  Thomas Mann immerhin entgegenbringen, der 1950 vor einem US-amerikanischen Publikum spricht,  und zwar kurz bevor sich die  antikommunistische Massenhysterie des McCarthyismus voll entfaltet hat, nicht für  die LINKS-Politiker unserer Tage. Sie gilt auch nicht für die naiv- unhistorisch auftretenden Schrifstteller-Kaste  der DDR, die mithalf die DDR zu Grabe zu tragen und schon gar nicht für das Versagen der heutigen Intelligenz gegenüber  dem Krieg und  dem schon gar nicht mehr schleichend daher kommendem Faschismus.
Der Feigheit des heutigen Geistes ist vielmehr mit Thomas Mann entgegenzutreten, der immerhin an obiger Stelle auch klar und deutlich zu verstehen gibt, wo seine Sympathien liegen:
" Ich möchte keinen Zweifel lassen an meiner Ehrerbietung, vor dem  … historischen Ereignis der Russischen Revolution. Sie hat in ihrem  Lande längst unmöglich gewordene, anachronistische Zustände beendet, ein zu 90% analphabetisches Volk intellektuell gehoben, das Lebensniveau der Massen unendlich menschlicher gestaltet. Sie ist die große Revolution nach der von 1789 und wird wie diese ihre Spuren hinterlassen in allem unmenschlichen Zusammenleben. Wenn nichts anderes mir für sie  Achtung geböte, so wäre es ihre unveränderliche Gegenstellung zum Faschismus italienischer oder deutscher Färbung - dieser rein reaktiven und läppischen Nachäffung des Bolschewismus, einer Afterrevolution ohne jede Beziehung zur Idee der Menschheit und ihrer Zukunft."  ...
"Wer wollte Russland, dem ewigen Russland, die Menschlichkeit absprechen."
"Zu viel verdanke ich ihnen von meiner Bildung", hatte einst Goethe seine "kalte Haltung" gegenüber den Befreiungskriegen  erklärt  und Thomas Mann fährt fort:
"Von meiner Bildung zuviel verdanke ich dem  russischen Gedanken, der russischen Seele, als dass die Machtpolitik es fertig brächte, mich zum Hass auf Russland zu bewegen, und was den Kommunismus betrifft, der mir fremd ist, der aber tiefe Wurzeln hat im russischen Menschentum, so war es erst gestern, dass die westliche Demokratie um ihr Leben zu wahren, mit dem russischen Kommunismus zusammenstand im Kriege gegen den Nazi-Fascismus. Heute glaubt man, die  Notwendigkeit, die letzten Erinnerungen an dieses Gestern als hochverräterisch auszutreten; und doch meine ich, dass aus dem Fortbestehen dieser Kampfgemeinschaft … für die Menschheit Großes und Gutes hätte erwachsen können …"
Thomas Manns Anliegen war und bleibt es für die Vermenschlichung des Menschengeschlechts zu wirken und so endet der  75igjährige seinen Vortrag  mit  einem zu uns Heutigen gesprochenen Appell:
So gönnt es den Menschengeschlechtern, die droben durchs Licht ziehen , dass ihr Los nicht Elend sei und die Schmach der Vertierung, sondern Friede und Freude.

Mit Klassik und Rechtsbewusstsein wider den Ungeist des Opportunismus