Am Donnerstag vergangener Woche fand sich der Sicherheitsrat der Russischen Föderation unter dem Vorsitz des Präsidenten Wladimir Putin zu einer Sitzung ein, um die Strategie zur Bekämpfung des Extremismus in Russland bis 2025 festzulegen. Putin erklärte, Extremismus werde „in der modernen Welt zu geopolitischen Zwecken instrumentalisiert“. Sogenannte Farbrevolutionen, unbewaffnete, doch nicht immer gewaltfrei verlaufende Regimewechsel, die nach einer Farbe oder Pflanze benannt werden, hätten in vielen Ländern negative Auswirkungen gehabt, sagte Putin. In Russland sollen ähnliche Entwicklungen daher verhindert werden. Von RBTH befragte Experten sehen derzeit allerdings kein Potenzial für Farbrevolutionen in Russland. Die Gefahr durch Extremismus und Nationalitätenkonflikte sehen sie hingegen durchaus.

Dmitrij Trenin:  Extremismus ist eine Bedrohung für Russland  
„Russland war lange Zeit ein geeintes Reich. Erst in der jüngeren Vergangenheit durchlebt das Land den schwierigen Transformationsprozess zu einem Vielvölkerstaat. In Russland leben neben Russen noch mehr als hundert andere Nationen in ihren angestammten Gebieten, die in eigenständigen Republiken organisiert sind. Die Wahrung der Einheit ist keine leichte Aufgabe für die Regierung und wird dann noch erschwert, wenn zusätzlich soziale oder wirtschaftliche Probleme auftreten. Diese führen bei der Bevölkerung zu Unzufriedenheit. Die Probleme werden dann auf die ethnische Herkunft zurückgeführt und begünstigen extremistische Tendenzen. Russland ist zudem ein offenes Land geworden, das eingebunden ist in die globale Wirtschaft und Politik. Daher kommen auch eine ganze Menge Arbeitsmigranten ins Land, die sich in ethnischer Hinsicht vom Großteil der Bevölkerung unterscheiden. Die Integration dieser Arbeitsmigranten stellt eine neue Herausforderung dar, der sich die russische Regierung stellen muss.
Im Hinblick auf die innere Sicherheit ist der Ukraine-Konflikt ein weiterer Faktor, der berücksichtigt werden sollte. Doch Farbrevolutionen drohen Russland nach meiner Einschätzung nicht, dafür gibt es keinen Grund. Zwar gibt es in Russland seit der ‚Orangenen Revolution‘ in der Ukraine Befürchtungen, dass die USA einen revolutionären Flächenbrand in der Region entfachen könnte, indem sie Agitatoren unterstützt, doch die russische Gesellschaft denkt sehr selbstständig und lässt sich nicht manipulieren.
Die Ergebnisse der Sitzung des Sicherheitsrats wird die russische Regierung nicht zum Anlass nehmen, die Opposition oder Andersdenkende zu bekämpfen, dafür fehlt der Nährboden. Denn es gibt in Russland keine 
Opposition, die dazu imstande wäre, die Regierung objektiv zu kritisieren. Aus diesem Grund gilt es für die zukünftige politische Entwicklung Russlands, günstige Bedingungen zu schaffen, um eine nationale Regierung zu bilden. Diese darf jedoch nicht nach dem Postulat ‚Macht – Opposition‘ gebildet werden, sondern muss dem Grundsatz ‚Regierung – Opposition‘ folgen. Die Opposition von heute ist nämlich die Regierung von morgen und umgekehrt.“
Dmitrij Trenin ist  Leiter des Moskauer Carnegie-Zentrums.

Wladimir Scharichin: Eine Farbrevolution in Russland ist unwahrscheinlich
„Obwohl die Bedrohungen, die vom Extremismus sowie von Farbrevolutionen ausgehen, für Russland nicht ungefährlich sind, sind sie unter den derzeitigen Bedingungen, unter denen der russische Präsident einen durchaus hohen Beliebtheitsgrad genießt, höchst unwahrscheinlich. Denn eine Revolution hat immer die Ablösung einer gesellschaftlichen Ordnung oder eine Änderung der Lebensbedingungen zum Ziel, Farbrevolutionen hingegen einen Regierungswechsel. Deshalb wäre es auch angebrachter, solche Farbrevolutionen als Staatsstreiche zu bezeichnen. Die Methoden dieser eingeleiteten Umbrüche sind eher simpel und standardisiert. Zuerst wird die Staatsspitze korrumpiert, dann erlaubt man es ihr, zuvor gestohlenes Geld auf westliche Bankkonten zu transferieren. Im Gegenzug wird verlangt,  nichts gegen mögliche Gefahren zu unternehmen, die von auf der Straße wütenden Demonstranten ausgehen. Allerdings fruchten solche Methoden nicht, wenn die Regierung dazu bereit ist, sich mit allen ihr zur Verfügung stehenden, konstitutionellen Mitteln gegen die Proteste auf der Straße zu wehren – wie es in den USA, in Europa oder in China der Fall ist. Putin hat sich daher zum Jahrestag des Maidan geäußert. Er wollte damit zeigen, dass solche Demonstrationen unnütz sind.
Was die Bedrohungen angeht, die vom Extremismus ausgehen, so ist es hierbei nicht nur wichtig, diesen genau zu beobachten und ihm vorzubeugen, sondern auch rechtzeitig auf soziale Probleme zu reagieren, 
also gezielt mit der Bevölkerung in einen Dialog zu treten, wobei hier am wichtigsten der Dialog mit jungen Menschen ist. Farbrevolutionen und Extremismus gehorchen den gleichen Gesetzen. Sie nutzen eine unzureichende Kommunikation zwischen der Regierung und der Gesellschaft, um dadurch ihre Aktivitäten organisieren zu können. Aus diesem Grund ist es essenziell, potenziellen Gefahren für Russland schon im Vorfeld entgegenzuwirken.“
Wladimir Scharichin ist stellvertretender Direktor des GUS-Instituts.
Einig sind sich die beiden Experten darüber, dass vor allem junge Menschen besonders anfällig für extremistische Parolen seien. Ihnen müsse sich die Regierung daher aktiv zuwenden und neue und moderne Kommunikationskanäle finden, um sie zu erreichen, Außerdem müssten die jungen Menschen unterstützt werden, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden.