Saturday, August 3, 2013

"Sabotage" (Jakob Augstein) ist kein zukunftsweisendes Programm


"Das Vertrauen in das kapitalistische System ist verloren gegangen."  sagt Jakob Augstein richtig, aber er hilft uns  nicht den Weg darüber hinaus  zu bahnen.

Die Spatzen pfeifen es zwar von den Dächern, aber damit ist noch kein Staat zu machen. Es kömmt  darauf an, die richtige  Erkenntnis in ein systemüberwindendes Programm zu übersetzen.
Es kömmt auch darauf an, den jeden Fortschritt blockierenden Antikommunismus  endlich auf den Müllhaufen der Geschichte zu befördern. Erforderlich dafür sind,  historische Kenntnisse und Präzision im Denken.
Augstein meint: "Wenn wir unsere Begriffe verlieren, dann verlieren wir die Möglichkeit, die Wirklichkeit zu verstehen." Damit hat er recht. Er hat auch recht, wenn er sagt: "Es geht darum, Begriffe zurückzuerobern: Gerechtigkeit, Gesetz, Gleichheit, Demokratie, Freiheit: Ein trübsinniger  Kapitalismus hat uns diese Begriffe geraubt".  So weit J. Augstein.
 Der Kapitalismus allerdings ist zwangsläufig trübsinnig für die Menschen und für den Planeten. Es geht auch um mehr als Begriffe, es geht um die Sache selbst. Jakob Augsteins  Ausführungen  in seiner Spiegel-online Kolumne "Im Zweifel LINKS"sind daher verwirrend. Wer weiter liest, merkt rasch, dass der Sohn von Martin Walser und Rudolf Augstein nicht die nötige Klarheit zu stiften vermag. Auch der provokative Titel seines neuen Buches "Sabotage" zielt nicht auf Klarheit und ernst gemeinte Systemtranszendenz.
Wichtiger als provokative Wortfetzen  sind allemale die  Begriffsinhalte.  Die Begriffshüllen für die von Augstein zitierten Worte sind ja  in unserer Sprache noch vorhanden.  Die Definitionsgewalt über sie  befindet sich aber  in den Händen jener, die die Medien beherrschen. Die Medien sind im Besitz der Kapitaleigner. In den Konzernmedien, dort  wo auch Augstein zu Hause  ist, sind die Begriffs-Verdreher, die Umdeuter  am Werk.

Ergreifen wir also zuerst  den zentralen, den  viel geschundenen Begriff der Gerechtigkeit.

 Das Wesen der  Gerechtigkeit ist sozial, ist gemeinnützig. Kein Mensch ist überflüssig, kein Mensch darf darben oder für andere zum Instrument werden. Darauf zielt Gerechtigkeit, darauf zielt unser Grundgesetz, darauf zielt das Völkerrecht. Solche Gerechtigkeit ist  natürlich mit dem Kapital  nicht zu haben. Das Kapital kennt nur seine Profitmarge  und seine für die Welt ruinösen Effizienzkriterien.  Menschen werden ihm - wie alles, was kreucht und fleucht, ja wie selbst die unbelebte Natur - zur Ware. Waren erwirbt man. Waren kann man nach Gusto benutzen, auslutschen und wegwerfen.
Die Belange des Kapitals sind menschenfeindlicher Natur qua der ihm eigenen Logik, der es bei Strafe des Unterangs gehorchen muss, das hat Marx beweiskräftig entdeckt.
Wollen wir in dieser Welt also Gerechtigkeit erlangen, dann müssen wir uns folgerichtig gegen die Belange des Kapitals stellen. Wir müssen uns  leider mit den Mächtigen anlegen. 

Ähnlich ist es mit dem Einsatz für Recht und Gesetz. Der Sinn von Gesetzen besteht darin, den Schwachen vor den Übergriffen der Mächtigen zu schützen. Aufgabe jeglichen Gesetzes ist es, der Macht Schranken aufzuerlegen. Der Mächtige braucht kein, Gesetz. Gebote und Vorschriften stören ihn nur. Das Kapital muss schrankenlos wirken. Gesetze sind ihm  „wettbwerbsverzerrende Vorgaben“. Der Starke nimmt sich sein Recht gewöhnlich  mit Gewalt oder er hat hochdotierte  Anwälte, die für ihn Recht aus- und zurechtlegen.

Gesetze sind Hindernisse für  die schrankenlose Ausbeutung von Natur und Mensch. Das Kapital lässt sich keine Vorschriften machen. Es muss sich von solchen Hindernissen "befreien". Das  genau ist der Sinn „neoliberaler" Politik, der Hauptinhlat der  Nach-Wende-Politik. Sie zielt  auf die totale Freiheit, auf die Befreiung von Kapitalhemmnissen. Gedungene Medienmacher  nennen das  „Neue Freiheit“.   Noch wohlklingender klingt der von ihnen kreierte Terminus "Neoliberalismus". 

 Die erste Handlung, die uns Betroffenen abverlangt wird, ist daher Präzision im begrifflichen Denken. Wiederaneignung der Sprache für unsere Belange ist ein Gebot der Stunde. Interessenorientiertes Denken ist schließlich  die erste  und wichtigste "Waffe" der Ausgebeuteten. Wir müssen überhaupt  in den Sinn kriegen, dass das Kapital, das uns regiert, nur ausbeuten kann. Es ist sein Wesenskern. Wir müssen also begreifen, das wir ausgebeutet werden. Wir müssen begreifen, dass 99% der Menschheit  heute dem Ausbeutungsprozess unterliegen, auch dann falls wir uns noch als relativ Privilegierte erleben sollten.  "Ausbeutung" ist  ein systemischer Vorgang, ein objektiver Prozess, kein gefühlter.

Bei dieser notwendigen, basialen Einsicht, die dennoch schwer zu erlangen ist, helfen uns  die Analysen der Klassiker. Lesen wir also das Kapital von Karl Marx und darauf aufbauende Schriften. Nutzen wir das offizielle Weltkulturerbe! Die Mühe lohnt. Aus der richtigen Erkenntnis erwächst die Befähigung zu befreiendem, gemeinschaftlichem Handeln.

Die Befassung mit der Geschichte der fortschrittlichen Errungenschaften der Menschheit ist fast genauso wichtig. Die Geschichte wurde uns aus den Händen gerissen und gewaltsam umintepretiert. Die größte Errungenschaft in der  Geschichte der Menschheit war  schließlich der Sowjetstaat und nachfolgend die  sozialistische Staatengemeinschaft.  Diese waren menschheitlich gesehen große  Errungenschaften, trotz all  der Mängel, die ihnen zwangsläufig anhafteten. Es waren  aber diese „Mängelwesen“ keineswegs  "Unrechtsregime". Dieses stigmatisierende Etikett hefteten ihnen die vorübergehend enteigneten Kapitaleigner - interessenbewusst - an.


Ich fürchte die Lektüre von  Jakob Augsteins Buch "Sabotage", das  am 29.7. 13 im Münchner Hanser Verlag erscheint, wird uns bei der Suche nach einem Weg aus der Falle, in der wir uns gegenwärtig zu befinden scheinen, kaum behilflich sein können.

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/augstein-kolumne-am-schmelzpunkt-des-sozialen-systems-a-913612.html