Vor 370 Jahren wurde Gottfried Wilhelm Leibniz geboren. Die Prinzipien seines Denkens sind auch heute noch höchst aktuell Quelle: https://www.jungewelt.de/2016/07-01/050.php
Von Hannes A. FellnerGottfried Wilhelm Leibniz (er lebte vom 1. Juli 1646 bis zum 14. November 1716) wurde gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges (1618–1648) in eine Familie des Leipziger Bildungsbürgertums geboren. Sein Vater war Jurist und Professor für Moralphilosophie an der Universität Leipzig, der während des verheerenden Krieges unter anderem mit der Wahrung des Buchbestandes der Hochschule betraut war. Bereits im Vorschulalter begann der junge Leibniz mit Hilfe der bestens ausgestatteten väterlichen Bibliothek, sich das Wissen seiner Zeit zu erschließen.
Nach dem Besuch der Leipziger Nikolaischule von 1655 bis 1661 studierte Leibniz Philosophie, Theologie und Recht in Leipzig und Mathematik, Physik und Astronomie in Jena. Er wurde 1662 Baccalaureus, 1664 Magister der Philosophie und 1665 Baccalaureus des Rechts. Er promovierte und habilitierte sich 1666 an der Universität Leipzig in Philosophie. Im Jahr 1667 wurde er an der Universität Altdorf in Nürnberg zum Doktor der Rechte promoviert.
In jener Zeit machte Leibniz, der schon damals – im Alter von 21 Jahren – den Ruf eines angesehenen Gelehrten genoss, Bekanntschaft mit dem kurmainzischen Staatsmann Johann Christian Freiherr von Boyneburg (1622–1672). Dieser war um Frieden zwischen den Religionen ebenso bemüht wie um die Wissenschaften, verfügte über eine umfangreiche Bibliothek und stand mit unzähligen Gelehrten in Kontakt. Boyneburg machte den jungen Magister zu seinem Assistenten, zum Lehrer seines Sohnes und führte ihn am Mainzer Hof ein.
Diplomat und Erfinder
1669 wurde der lutherische Leibniz Rat am kurfürstlichen Oberrevisionsgericht im katholischen Mainz. Nur kurze Zeit später trat er in den Dienst des Mainzer Erzbischofs und Reichserzkanzlers Johann Philipp von Schönborn, der eine maßgebliche Rolle bei den Verhandlungen um den Westfälischen Frieden gespielt hatte. Leibniz wurde Schönborns Berater und war für ihn als Diplomat tätig. Neben seinen politischen Verpflichtungen widmete sich der junge Gelehrte aber nach wie vor Wissenschaft und Technik, entwarf und konstruierte zu dieser Zeit eine bahnbrechende mechanische Rechenmaschine, die in der Lage war, alle vier Grundrechnungsarten auszuführen.
Ab 1672 war der damals 25jährige in diplomatischer Mission in Paris. Dort verkehrte er mit den führenden Köpfen jener Zeit, wozu unter anderen die Philosophen Antoine Arnauld (1612–1694), einer der bedeutendsten Logiker der Philosophiegeschichte, Nicolas Malebranche (1638–1715), ein wichtiger Metaphysiker und Verbreiter der Schriften René Descartes’ (1598–1650), und Christiaan Huygens (1629–1695), der führende Mathematiker und Physiker des 17. Jahrhunderts, zählten. Letzterer wurde Leibniz’ Mentor bei dessen physikalischen und astronomischen Studien, deren Resultat die Entwicklung der Infinitesimalrechnung war – die zur selben Zeit unabhängig und in anderer Form auch Isaac Newton (1642–1726) gelang. Mitte der 1670er Jahre wurde Leibniz Mitglied der erst wenige Jahre zuvor gegründeten französischen und britischen Akademien der Wissenschaften, eine Ehre, die in dieser Epoche nicht vielen Deutschen zuteil wurde.
Im Jahr 1676 erlangte Leibniz eine Stellung als Berater und Bibliothekar beim welfischen Herzog Johann Friedrich von Braunschweig-Lüneburg (1625–1679) in dessen Residenzstadt Hannover. Auf dem Weg zum Antritt seines neuen Postens hielt er sich einige Zeit in den Niederlanden auf, wo er zum geistigen Austausch mit Antoni van Leeuwenhoek (1632–1723), dem Vater der Mikroskopie, und Baruch de Spinoza (1632–1677), einem der bedeutendsten und radikalsten Philosophen der frühen Neuzeit, zusammenkam.
In Hannover stieg er rasch zum Hofrat des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg auf, eine Stelle, die er auch noch unter Ernst August (1629–1689), dem Nachfolger Johann Friedrichs, und dessen Sohn Georg Ludwig (1660–1727) – als Georg I. später König von Großbritannien – bis zu seinem Lebensende bekleiden sollte. So war Leibniz politischer Berater, Diplomat, Historiker, Erfinder und führender Wissenschaftler im Dienste dreier aufeinander folgender Welfenherrscher. Seine Stellung erlangte durch die Erhebung des Herzogs von Braunschweig zum Kurfürsten des Heiligen Römischen Reiches unter Ernst August umso größere Bedeutung.
Chronist und Mathematiker
Zu Beginn der 1680er Jahre beschäftigte sich Leibniz mit der Verbesserung des Bergbaus im Oberharz. Während dieser Zeit gewann er wichtige Einsichten in die Geologie und Paläontologie. Im Jahr 1685 erhielt er von Ernst August den Auftrag, die Geschichte des Geschlechts der Welfen zu schreiben und bereiste zu diesem Zweck für einige Jahre Europa. Wo immer er auch hinkam, nahm er Kontakt zu wichtigen Vertretern von Politik und Wissenschaft auf und tauschte sich mit ihnen aus. In Österreich traf Leibniz mit Kaiser Leopold I. zusammen, um Verbesserungen der habsburgischen Ökonomie und Verwaltung anzuregen. In Italien verkehrte er mit dem Mathematiker, Physiker und Ingenieur Vincenzo Viviani (1622–1703), dem letzten Schüler und Mitarbeiter Galileo Galileis.
Die Geschichte der Welfen führte Leibniz sehr zum Missfallen seiner Auftraggeber nicht in der dafür vorgesehenen Zeit zu Ende. Nur ein Teil seiner umfangreichen Studien kam zum Abschluss. Dies lag auch daran, dass er auf vielen anderen Gebieten publizistisch tätig war. So veröffentlichte er Werke in Mathematik und Philosophie. Das umfangreiche Material, das er für seine Welfenchronik zusammengetragen hatte, ist die erste große Sammlung von staatsrechtlichen Urkunden zur europäischen Geschichte. Auch wenn Leibniz’ gesamte Arbeiten zur Geschichte des Adelsgeschlechts nicht zu seinen Lebzeiten erschienen, sind sie dennoch ein Meilenstein quellenkritischer Edition und markieren den ersten Höhepunkt wissenschaftlicher Historiographie.
Um die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert verhandelte er mit dem brandenburgischen Kurfürsten Friedrich III., dem späteren König Friedrich I., über die Stiftung einer Gelehrtenanstalt. Am 11. Juli 1700 erfolgte schließlich die Gründung der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften, deren erster Präsident Leibniz wurde. Diese wissenschaftliche Institution lebt trotz historischer und politischer Zäsuren in Form der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin bis heute fort. Auch die russische Akademie der Wissenschaften, die der Hofrat der Welfen bei Gesprächen mit Zar Peter dem Großen 1711 in Hannover angeregt hatte, besteht bis heute ebenso wie die österreichische, deren Gründung er bei seinen frühen Aufenthalten am Wiener Hof vorgeschlagen hatte und in seiner Zeit als habsburgischer Hofrat von 1712 bis 1714 voranzutreiben versuchte.
Im Jahre 1708 wurde Leibniz in der führenden wissenschaftlichen Zeitschrift der Royal Society vorgeworfen, die Infinitesimalrechnung von Isaac Newton plagiiert zu haben. Trotz der nach heutigem Kenntnisstand haltlosen Anschuldigung bestätigte eine Kommission der Royal Society, die der Beschuldigte angerufen hatte, den Vorwurf. Aus diesem Grund und da er die versprochene Welfenchronik nicht zu Ende geführt hatte, verbot Georg Ludwig ihm die Anwesenheit bei seiner Krönung zu Georg I. von Großbritannien. Obwohl Leibniz maßgeblich politisch und diplomatisch daran beteiligt war, den Welfen auf den englischen Thron zu bringen, verweigerte ihm der König auch nach seiner Krönung den Aufenthalt am britischen Hof.
In seinen letzten Lebensjahren veröffentlichte der Universalgelehrte seine bekanntesten philosophischen Schriften. Darunter war die Theodizee, die der Frage nach dem Bösen in der Welt und der damit verbundenen Rechtfertigung bzw. Gerechtigkeit Gottes nachging, und die Monadologie, die kurzgefasst seine Metaphysik darstellte.
Welt in Bewegung und qualitativ zum Besseren veränderbar (Treppauf in der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek in Hannover)
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Am 14. November 1716 starb Leibniz in Hannover. Sein Verhältnis zu Georg I. war dermaßen getrübt, dass weder der englische König selbst, obwohl er zufällig in der Nähe weilte, noch sonst jemand vom Hofe Kurhannovers an seinem Begräbnis teilnahm. Einzig sein Sekretär erwies ihm die letzte Ehre. Es sollte 50 Jahre dauern, bis an seinem Grab auch sein Name angebracht wurde.
Philosoph und Weltverbesserer
Leibniz war der letzte Universalgelehrte, der es vermochte, sich beinahe alle Wissenschaften, die in der frühen Neuzeit aus der Philosophie und Theologie des Mittelalters heraus entstanden waren und selbstständige Gestalt angenommen hatten, anzueignen und auch weiterzuentwickeln. Davon zeugen seine Arbeiten und Erkenntnisse in Mathematik, Geometrie, Physik, Astronomie, Geologie, Geschichts-, Sozial-, Rechts- und Sprachwissenschaft. Stets verfolgte er die Absicht, diese wissenschaftlichen Erkenntnisse auch zur Anwendung zu bringen. Dies wird durch seine praktisch-technische und seine politische Tätigkeit deutlich.
Theoria cum praxi, diese Einheit war Leibniz’ Grundsatz. Dies bedeutete für ihn nicht nur das Zusammengehen von akademischer Theorie und experimenteller Praxis in der Forschung der empirischen Wissenschaften, sondern auch theoriegeleitetes vernünftiges Handeln in der Welt. Seine Philosophie war der Entwurf eines Weltmodells, einer auf dem Stand seiner Zeit formulierten wissenschaftlichen Weltanschauung, die dem Menschen Orientierung und Anleitung für sein Handeln geben sollte. Sein Weltmodell – auch wenn es epochenbedingt nicht ohne theologische Phrasen und religiöse Untertöne auskommen konnte – ist, wie der marxistische Philosoph Hans Heinz Holz in seinem Lebenswerk gezeigt hat, ein dialektisches (siehe jW-Thema vom 26.2.2014).
Die Welt ist für Leibniz in all ihren Sphären (der Natur, der Gesellschaft und des Denkens) eine lebendige, bewegte, sich entwickelnde Ganzheit von allseitigen Bedingungs- und Wirkungszusammenhängen, eine, wie er formulierte, universelle Harmonie. Sie ist die Gesamtheit der materiellen Verhältnisse, welche die Elemente der Natur und die Menschen in einer Gesellschaft auf verschiedenen Ebenen und in verschiedener Komplexität eingehen. Sie ist auch die Gesamtheit der in ihr durch ihre Bewegung angelegten und sich verwirklichenden Möglichkeiten. So ist die Welt für Leibniz ein Organismus, in welchem jeder Teil mit jedem anderen auf unterschiedliche Art und Weise vermittelt ist. Jede Änderung eines Teils des Organismus hat Auswirkungen auf alle anderen Teile und damit den ganzen Organismus. Jedes Einzelne wird damit durch alle anderen Einzelnen, deren Summe die Welt ist, bestimmt. Mit anderen Worten, jeder einzelne Weltpunkt – Leibniz nennt dies Monade – spiegelt die Welt gemäß dem Wirkungszusammenhang, in welchem er sich befindet, wider.
Das menschliche Bewusstsein ist die höchste Form dieser Widerspiegelung. Der Mensch tritt also der Welt nicht als ganz Anderes, sondern als Teil von ihr entgegen. Damit hat jede seiner Handlungen eine Auswirkung auf die Welt und auch auf ihn selbst. Der Mensch verwirklicht wissend und bewusst, was in der Welt als reale Möglichkeit angelegt ist. Im Erarbeiten und Erkennen seines Weltverhältnisses kommt der Mensch zur Welt- und Selbsterkenntnis und damit zur Freiheit. Hier erweist sich Leibniz’ Weltanschauung als aufklärerisch. Er schreibt: »Die Wurzel der Freiheit liegt in den ursprünglichen Anlagen« des Menschen, worunter er dessen Vernunftbegabung und dessen Gesellschaftlichkeit versteht. Beide sind gleichsam die Widerspiegelungen der universellen Harmonie im Denken und in der Gesellschaft. Aber wie alles in Leibniz’ Weltentwurf – der deshalb von der besten aller Welten spricht, weil diese Welt in Bewegung und qualitativ zum Besseren veränderbar ist – sind Vernunft und Gesellschaft zu Verbesserung fähig und ihrer bedürftig. Eine Welt, die durch Zweckhandlungen verändert werden kann, ist die Welt des gesellschaftlich tätigen und politischen handelnden Menschen. Hier vollzieht sich der Umschlag von Philosophie in Politik. Leibniz steht damit am Anfang einer Entwicklung, an deren Ende Hegel steht, von dem wiederum ausgehend Marx, Engels und Lenin die Überleitung zu einer Philosophie der revolutionären Praxis und zu einer Praxis der revolutionären Philosophie entwerfen.
Wegbereiter und Dialektiker
Auch gesellschaftlich vertrat Leibniz für seine Zeit eine sehr fortschrittliche und zukunftsweisende Maxime, bedenkt man, dass er in der Übergangszeit von Feudalismus und bürgerlicher Gesellschaft lebte: »Was von öffentlichem Nutzen ist, muss getan werden.« Öffentlicher Nutzen steht aber für ihn in einer Wechselwirkung mit dem Nutzen der Individuen in einer Gesellschaft. Nicht nur gilt für diese, »niemandem zu schaden«, sondern gerade »allen zu helfen, damit mehr an öffentlichem Wohl hervorgehe«. Für das gesellschaftlich »ehrenhafte Leben« forderte er: »Gerechtigkeit, das heißt die kluge Sorge für das fremde Wohl«, was verlangt, »dass jeder auch das Wohl des Nächsten fördere«. Und weiter: »Gerechtigkeit ist die recht geordnete Nächstenliebe oder die Tugend, die in der Neigung des Menschen zu seinem Mitmenschen die Vernunft wahrt. [...] Zu loben ist eine Handlung, durch deren Setzung mit aller Wahrscheinlichkeit etwas Gutes in der Gesellschaft herbeigeführt werden wird.« Durch das »Niemandem schaden, allen nützlich sein« könne dann wechselseitig das Wohl des Einzelnen und der ganzen Gesellschaft (»Commune bonum«, das gemeinsame/gesellschaftliche Gute) garantiert werden.
Und so formulierte Leibniz im Sinne des und für das commune bonum einen bildungspolitischen Imperativ: »Man muss dafür sorgen, dass die Menschen klug, mit Tugend begabt, mit einer Fülle von Vermögen ausgestattet sind, damit sie das Beste wissen, wollen und tun können, das Schlechte aber weder zu denken noch zu wollen noch zu tun vermögen.« Geschichtsphilosophisch ist dies nichts anderes als die »Erziehung des Menschengeschlechts« (Lessing) im Sinne der Aufklärung. Damit ist Leibniz einer ihrer Wegbereiter. Seine Besonderheit ist darin zu sehen, dass er ein Konzept zur vernunftmäßigen Verbesserung des Menschen und seiner Gesellschaft auf der Grundlage einer wissenschaftlich-philosophischen Hypothese entwickelte, die, zwar in sich geschlossen, aufgrund ihrer dialektischen Struktur ein offenes System bildet. Dies bedeutet, dass dessen Bewegungsformen Übergang zu Neuem, das Entstehen und die Verwirklichung von darin angelegten Möglichkeiten zulassen, in Gang setzen und in Bewegung halten. Das macht den Frühaufklärer zu einem der bedeutendsten Vertreter der dialektischen Philosophie auf dem Wege zu Hegel und darüber hinaus zum Marxismus.
Wohl nicht zufällig entwickelte Leibniz denn auch gesellschaftspolitisch frühsozialistische Tendenzen, die seinerzeit entsprechend utopisch, aber nichtsdestoweniger bemerkenswert sind, und die so gar nicht zu einem »Fürstenknecht« – als den ihn der revolutionäre Sozialdemokrat Franz Mehring verächtlich bezeichnet hatte – passen mögen: »Wenn die Menschen schon genug Weisheit und Liebe hätten, und die Staaten so geordnet werden könnten wie gewisse Religionsgemeinschaften, dass nämlich alle an der Macht und an der Sorge für den Staat teilhätten, den einzelnen aber das Maß der Arbeit gleich dem des Lohnes und der Bedürfnisse (Begierden) gegeben würde, brauchte nichts anderes in der Rechtswissenschaft betrachtet zu werden als die Verteilung, das heißt, dass jedem jene Arbeiten zugeteilt werden, in denen er sich mit der mindesten Mühe die größten Dinge leistet, und dass er jeweils durch Belohnungen angetrieben werde, durch die ihm am meisten gedient werden kann.«
Hier werden die Konturen einer gerechte Verteilung in einer klassenlosen Gesellschaft gezeichnet, wie sie Marx ganz ähnlich in der Kritik des Gothaer Programms skizziert hatte: »In einer höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft, nachdem die knechtende Unterordnung der Individuen unter die Teilung der Arbeit, damit auch der Gegensatz geistiger und körperlicher Arbeit verschwunden ist; nachdem die Arbeit nicht nur Mittel zum Leben, sondern selbst das erste Lebensbedürfnis geworden; nachdem mit der allseitigen Entwicklung der Individuen auch ihre Produktivkräfte gewachsen und alle Springquellen des genossenschaftlichen Reichtums voller fließen – erst dann kann der enge bürgerliche Rechtshorizont ganz überschritten werden und die Gesellschaft auf ihre Fahne schreiben: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!«
Die aktuelle Bedeutung von Leibniz geht also über historisches Interesse und Philosophiegeschichte hinaus. Sie besteht in der Tatsache, dass er auf Grundlage des Wissenschaftsstands seiner Zeit ein dialektisches Weltmodell entwarf, das es dem Menschen ermöglichen sollte, sich zu orientieren, das dessen individuelles und gesellschaftliches Handeln leiten sollte – mit bisweilen zumindest theoretisch revolutionären Konsequenzen.
Es war Hans Heinz Holz, der das Denken Leibniz’ für eine dialektisch-materialistische Weltanschauung auf wissenschaftlicher Grundlage, eine »Wissenschaft des Gesamtzusammenhangs«, welche der dialektische Materialismus nach Engels sein sollte, fruchtbar machte. Mit Holz kann Leibniz zu den Quellen und Bestandteilen des Marxismus – wie Lenin in bezug auf die klassische deutsche Philosophie festhielt – gezählt werden. Eine Beschäftigung mit diesem Teil des marxistischen Erbes ist nicht nur an Gedenktagen äußerst lohnend.