Vom Links- und Rechtsradikalismus, von einer politischen Farce und vom Exportweltmeister
16.02.2020 • 08:50 Uhr
Quelle: www.globallookpress.com
Demonstration in Hamburg gegen die Zusammenarbeit von CDU & FDP mit der AfD, 7. Februar 2020
von Gert Ewen Ungar
In den letzten Tagen gab es zwei Ereignisse, die auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun haben, die aber strukturell zusammenhängen. Zum einen wurde in Thüringen eine Farce aufgeführt, bei der die Demokratie massiv Schaden genommen hat. Die AfD hat im dritten Wahlgang für den plötzlich aufgetauchten Bewerber zum Ministerpräsidenten Kemmerich gestimmt und so den FDP-Mann zum Landesvater gemacht. Ziel des Bündnisses aus FDP, CDU und AfD war, die Wiederwahl des bisherigen Ministerpräsidenten Ramelow (Die Linke) zu verhindern.
In den sozialen Medien konnte man lesen warum: Der Linksradikalismus, die Wiederauferstehung des Sozialismus, die DDR 2.0 sollte, nein, musste verhindert werden. Darunter taten es die selbst ernannten Hüter des Bürgerlichen nicht. Nun hat die Partei Die Linke in Thüringen mit Sozialismus und DDR 2.0 nun so gar nichts zu tun. Als Partei füllt sie eine Lücke, die eine in Richtung Marktradikalismus abgedriftete SPD hinterlassen hat – ohne sich selbst vom Neoliberalismus radikal abzugrenzen wohlgemerkt.
Teile der Linkspartei stehen den neoliberalen Mitteln und Rezepten durchaus offen gegenüber. So trägt in Berlin die an der Regierung beteiligte Linkspartei die Entscheidung mit, die Berliner S-Bahn aufzuspalten und Strecken der Berliner S-Bahn zu privatisieren. Eine Maßnahme aus dem marktradikalen Giftschrank, die absehbar zu einer Verschlechterung der Versorgungsstruktur der Berliner führen wird. Daran zeigt sich, dass Die Linke oftmals nur dem Namen nach links ist. Die Diskussion zeigt jedoch auch, wie sehr uns die Kategorien der Bemessung und Einordnung verloren gegangen sind. Das gilt allerdings auch für die Diskussion über die AfD, die allzu hysterisch mit der Auferstehung des Faschismus gleichgesetzt wird.
Der Vorgang in Thüringen war insgesamt sicherlich spitzbübisch und bauernschlau, was dann allerdings folgte, ist nur noch mit den Worten "beschämend" und "unwürdig" zu fassen. Das, was dann folgte, war allerdings kein Werk der AfD, sondern eins der CDU, der Kanzlerin und der inzwischen zurückgetretenen Vorsitzenden der Partei Kramp-Karrenbauer. Was die AfD in Verabredung mit der FDP und der Thüringer CDU gemacht hat, war eine politische Farce, das, was die Kanzlerin im Anschluss daraus gemacht hat, hat die Demokratie nachhaltig beschädigt.
Was angesichts der Diskussion und allgemeinen Empörung über diese Vorgänge ganz im Hintergrund blieb, war die Nachricht, dass Deutschland wieder einmal exorbitante Leistungbilanzüberschüsse angehäuft hat. Insbesondere die Handelsbilanz weist erneut ein üppiges Plus auf. Wir sind wieder Exportweltmeister. Toll, oder? Wenn wir Demokratie schon nicht können, dann können wir wenigstens Exportweltmeister.
Man kann von der AfD halten, was man will, aber es gibt einen Grund für ihren Aufstieg. Der Grund dafür findet seinen Ausdruck in der deutschen Handelsbilanz. Das mag auf den ersten Blick etwas merkwürdig klingen, aber es hängt unmittelbar zusammen. Die Handelsbilanz sagt nämlich eins ganz deutlich: Deutschland lebt weit unterhalb seiner Möglichkeiten. Deutschland hat für sich und seine Bürger den Gürtel zu eng geschnallt, könnte man zugespitzt sagen. Deutschland stellt Güter her, die es selbst nicht verbraucht und ins Ausland verkauft. Umgekehrt kauft Deutschland im Ausland deutlich weniger als das Ausland bei uns. Und wieso kauft uns das Ausland unsere Produkte so gern ab? Die Antwort, die in der Politik und Wirtschaft gegeben wird, lautet, weil deutsche Produkte sehr gut und von hoher Qualität sind. Diese Antwort ist in ihrer Verkürzung falsch.
Die richtige lautet: Das regelt der Preis. Die deutschen Produkte sind für das, was sie sind, billig. Und billig sind sie deshalb, weil in Deutschland die Löhne nicht angemessen steigen. Den Titel "Exportweltmeister" erhalten wir, weil in Deutschland die Arbeitnehmer nicht angemessen entlohnt werden. Auf eine angemessene Entlohnung würde eine ausgeglichene Handelsbilanz einen ersten Hinweis geben. Der niedrige Lohn macht aber nicht nur die Produkte zu denen der ausländischen Mitbewerber relativ günstig und schafft einen Wettbewerbsvorteil. Das hindert auch das Steigen allgemeinen Wohlstandes in Deutschland. Der Titel "Exportweltmeister" wird erkauft mit hohem Druck auf die deutsche Gesellschaft. Der Import nach Deutschland läuft nämlich nicht deswegen so schleppend, weil die ausländischen Produkte schlecht und minderwertig sind, sondern weil die Deutschen nicht das Geld haben, sie zu kaufen. Diese seit der Einführung des Euro anhaltende makroökonomische Schieflage wiederum bereitete den Boden für den Aufstieg der AfD. Die AfD fiel nicht vom Himmel. Der Boden, auf dem sie gedeiht, wurde von SPD und Grünen mit der Agenda 2010 bereitet, von der CDU und FDP gut gedüngt und anschließend dann von CDU und SPD gut gewässert. Allerdings sind die deutschen Handelsbilanzüberschüsse den deutschen Eliten heilig. Und das, obwohl die Kritik der Handelspartner daran immer weiter zunimmt. Dessen ungeachtet zwingt eine breite Parteienkoalition die Deutschen, den Gürtel eng geschnallt zu halten. Der Druck, unter dem Deutschland steht, soll aufrechterhalten bleiben.
Daher sind die Verlautbarungen der anderen Parteien gegenüber der AfD auch unlauter. Die AfD ist das Kind, das die völlig fehlgeleitete Wirtschaftspolitik von CDU, SPD und Grünen geschaffen hat. Der Aufstieg der AfD ist Zeichen dafür, dass ein Teil der Bevölkerung sich von etablierten Parteien nicht mehr repräsentiert sieht, sich politisch nicht mehr ernst genommen fühlt, vor allem aber ökonomisch ausgegrenzt und unter Druck gesetzt ist.
Entsprechend könnte man der AfD auch zügig wieder den Wind aus den Segeln nehmen. Der Wohlstand und die soziale Sicherheit müssen für alle spürbar wachsen.
Die Ausrede, Lohnabschlüsse machten die Tarifparteien, sie seien nicht politisch zu steuern, gilt hier nicht. Denn natürlich kann Politik hier eingreifen. Mit entsprechenden Abschlüssen im öffentlichen Dienst, mit der Erhöhung des Mindestlohns, um nur zwei Beispiele zu nennen.
Allerdings wird die CDU mit einem möglichen Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten Friedrich Merz genau das nicht tun. Ökonomische Vernunft wird in Deutschland keinen Einzug halten. Mit Merz wird der neoliberale, marktradikale Durchmarsch in Deutschland noch einmal Fahrt aufnehmen. Die gesetzliche Rente wird weiter zurückgebaut, und die Bürger werden in die risikoreiche private Rentenversicherung getrieben, um nur ein Beispiel zu nennen, das unter Merz mit Sicherheit umgesetzt wird.
Das Paradox der deutschen politischen Landschaft ist, dass es bei zentralen Themen überhaupt kein politisches Spektrum gibt. Bei Fragen der wirtschaftlichen Ausrichtung beispielsweise. Dabei geht es nicht um so grundlegende Unterschiede wie Sozialismus oder Kapitalismus. In den Parteien bilden sich inzwischen noch nicht einmal mehr die unterschiedlichen Spielarten der Marktwirtschaft ab. Es ist diese einseitige Ausrichtung, die dem deutschen Parteiensystem den Hals bricht.
Auch ist der Vorwurf, die AfD sei eine faschistische Partei angesichts der deutschen Außenpolitik, eine merkwürdig verschobene Sicht. Wir haben Europa ein Währungsregime aufgezwungen, das in der Peripherie zu massiver Verarmung führt. Mit Wolfgang Schäuble war ein deutscher Finanzminister auf dem Höhepunkt der Griechenlandkrise bereit, die Griechen von jeder Verfügbarkeit von Geld abzuschneiden – sie hungern zu lassen.
Deutschland bricht überall in der Welt das Völkerrecht, beteiligt sich an Angriffskriegen und Regime Changes. Es unterstützt rechtsgerichtete Putschisten, niemals aber linke, sozial orientierte Regierungen. Deutschland plant die zunehmende Durchsetzung und Absicherung seiner wirtschaftlichen Interessen mit militärischen Mitteln. Deutschland rüstet massiv auf und sucht permanent die Konfrontation mit Russland. Deutsche Soldaten stehen 160 Kilometer vor Sankt Petersburg an der russischen Grenze. Im Innern werden der Druck und die Spaltung der Gesellschaft aufrechterhalten und verstärkt. Bürgerrechte und soziale Errungenschaften werden geschliffen, die Freiheiten eingeschränkt, Demokratie wird zurückgebaut, immer mehr Kompetenzen an die EU abgegeben und damit der parlamentarischen Entscheidung und Kontrolle entzogen. Man kann das Kind nennen, wie man will, aber das, wovor man angesichts der AfD warnt, ist längst politische Praxis.
Es braucht in Deutschland einen grundlegenden Wandel der politischen Kultur. Es braucht wieder Alternativen, die sich in der Parteienlandschaft abbilden. Es braucht eine konservative Partei, und es braucht linke Parteien, die ökonomische Alternativen zum Marktradikalismus der politischen Mitte aufzeigen.
Die politische Landschaft in Deutschland muss wieder vielfältig werden. Die aktuelle Enge in der politischen Diskussion muss dringend überwunden werden. Es muss breit diskutiert werden – über Leistungsbilanzüberschüsse beispielsweise und darüber, warum es für die deutsche Gesellschaft schlecht ist, permanent Exportweltmeister zu sein. Dann würden uns auch politische Tragikomödien erspart bleiben, wie sie in Thüringen zur Aufführung kamen.
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