Monday, June 4, 2018

Sieferles undialektisches Menschen- und Gesellschafftsbild

Dank für die Anstrengung, der Du Dich unterzogen hast, indem Du Rolf Peter Sieferles pessimistische Lektüre 'Finis Germania' ganz gelesen und Deine Gedanken dazu formuliert hast. Schade, dass Du einen wichtigen, ja zentralen, positiven Gegengedanken zu Sieferles Ausführungen, gleich im ersten Absatz, nicht weiter verfolgst, nicht vertiefst. Du sagst dort:

Einzelnen herrschenden Personen kann es je nach Stärke der Persönlichkeit u. U. gelingen, Anstöße zu einer Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Lage der Menschen ihres Herrschaftsbereiches damit einer anderen moralischen Grundlage politischer Strukturen zu geben“ .

Als Beispiel zur Fundierung Deines Gedankens wäre hier der sehr gegenwärtige, jüngst von seinem Volk in demokratischer Wahl mit 77% Zustimmung bestätigte russische Präsident Vladimir Putin zu nennen. Aus der jüngsten Vergangenheit fallen mir spontan ein, der unlängst in hohem Alter verstorbene Fidel Castro, weiter in dessen Geiste der viel zu früh an Krebs zugrunde gegangene Hugo Chavez und der ermordete chilenische Präsident Allende. Auch der ganz anders geartete Mann, ein General, vom Imperium gestürzt, der NS- und NATO-widerständige Charles de Gaulle oder aus dem asiatischen Kulturkreis so verschiedene Menschen wie Mao Tse Tung oder die ermordete indische StaatschefinIndira Ghandi, aus Nordamerika der Millionär John F. Kennedy und aus Schweden Olaf Palme. Lumumba und Nelson Mandela mögen als Vertreter Schwarzafrikas hier stehen. Die Liste ist zufällig und äußerst unvollständig. Es ist aber menschheitsgeschichtlich unverzichtbar, solche Vorkämpfer ihrer Nation im ersten Glied zu erwähnen, um ihr Erbe, ihren Beitrag für die antikoloniale und Antikriegs-Bewegung, für ein Auftreten zur Vermenschlichung der Erde zu würdigen und Deine so wichtige Aussage damit qualitativ zu untermauern. Die Erwähnung vorbildlich handelnder Einzelner in politisch verantwortlicher Positionen ist notwendig, weil sie uns anderen, uns 'kleinen' Leute an der Basis Kraft gibt und Mut macht, trotz ihres zum Teil tragischen Endes. Es ist ihr Geist der bleibt, der künftige Generationen inspiriert, was man von einem Sieferle natürlich nicht sagen kann, ganz im Gegenteil.

Die genannten politischen Persönlichkeiten wurden allerdings durch sehr verschiedene kulturelle, gesellschaftliche und historische Umstände von ihren Völkern, von ihren Nationen nach vorne getragen, insofern spielen die Massen eine geschichtsverändernde Rolle. Viele der genannten Vorkämpfer und noch viele mehr wurden durch Intrigen der Imperial-Mächte, des 'Tiefen Staates', der mächtigen Kreise gestürzt oder umgebracht. Trotz alledem haben solche einzelne Menschen ihre Kraft und ihr Leben für die Sache ihres Volkes, für nationale Belange und damit letztlich auch für alle Erdbewohner eingebracht. Im 200. Geburtsjahr des weltgeschichtlich so bedeutsamen Karl Marx seien zur Ermutigung ein paar Worte aus dessen Abituraufsatz zitiert, Worte eines 17Jährigen, dem eine glänzende Karriere möglich gewesen wäre, wenn er sein Leben nicht den Millionen geopfert hätte, Menschen in Massen, Menschen, denen sein tätiges Mitgefühl gehörte:

Wenn wir den Stand gewählt, in dem wir am meisten für die Menschheit wirken können, dann können uns Lasten nicht niederbeugen, weil sie nur Opfer für alle sind. (…) unsere Taten leben still, aber ewig wirkend fort, und unsere Asche wird benetzt von der glühenden Träne edler Menschen“ (MEGA I/1 zit. nach Eike Kopf, Marx Engels Experte, lebt und wirkt heute in China).

Weil der kluge und gebildete Sieferle zu solchen Einsichten nicht fähig war, nahm er ein tragisches Ende, kein vorbildhaftes. Sein Ende ist aber eben auch Ausdruck des derzeitigen Zustandes unserer Nation, in der die Volksmassen in der Tat vorübergehend (!) träge und ihre potentiellen Führer feige und kraftlos geworden sind.

Es existiert also eine Dialektik zwischen den großen, mit Führungsqualitäten ausgestatteten Einzelnen und den jeweiligen Volksmassen, aus denen solche Menschen, wie oben genannt hervorsprießen. Es bedarf eben für das Wirksamwerden großer Individuen auch ganz bestimmter historisch-kultureller Gegebenheiten. So war das Jahr 1848, als die jungen Leute Karl Marx und Friedrich Engels das die Welt verändernde 'Kommunistische Manifest' herausbrachten auch ohne deren Zutun ein revolutionäres Jahr in Europa. Vorausgegangen waren 1789 die Französische Revolution, war Napoleon, dessen unrühmliches Ende, waren die nationalen Befreiungskriege gegen die ausländische Besatzung, war die Juli-Revolution von 1830 in Frankreich und der Vormärz. Die Bourgeoisie war noch jung und unverbraucht, brachte viele interessante Dichter und Denker hervor.

Ein Blick in die Geschichte genügt, um uns zu offenbaren: Politische „Systeme“ gleichen sich nicht wie ein Ei dem anderen. Politische Formationen, Prozesse der Staatenbildung oder des Staatsverfalls ahistorisch, rein systemtheoretisch, also von der Wirklichkeit abstrahierend, erfassen zu wollen entspringt letztlich der US-amerikanischen „Political Science“ und ist zum Scheitern verurteilt. Das Konzept „ die Masse Mensch ist träge“ entspringt solchen abgehobenen Denkfiguren, es ist außerdem oxymoronisch, ein Widerspruch in sich. Der Mensch ist keine Masse, sondern ein Individuum. Die Masse ist ein Plurale Tantum, es sind immer viele und wo viel sind, da gibt zwangsläufig auch Bewegung. Die bürgerliche Soziologie ist ebenso wie die bürgerliche Politikwissenschaft mit ihrer Begrifflichkeit und ihrer Methodik eine unhistorische und statische Wissenschaft, sie vermag Bewegung, Widersprüche, Dialektik nicht zu erfassen. Die bürgerliche Soziologie untersucht Systeme auf ihre Steuerbarkeit hin, erfasst nicht ihre innere Dynamik. Die von mir oben erwähnten Einzelnen haben sich nicht eingefügt, sie sind lebendig oder tot Motoren für tatkräftige Veränderungen, die sie angestoßen, die sie mitgetragen, zu deren Erfolg sie beigetragen haben. Große Veränderungen im menschheitlichen Maßstab brauchen Zeit. Wir sind mitten drin in epochalen Veränderungsprozessen, China ist mit seiner Jahrtausende alten Kultur derzeit weltführend in Sachen rapider Veränderungen.

Zurück nach Deutschland. Du erwähnst die bürgerlich „Grüne Parteienbildung“ als Beispiel für eine gescheiterte Trendwende. Das Bürgertum ist 170 Jahre nach seiner gescheiterten Revolution, nach zwei Weltkriegen und Faschismus, in der Phase seines Niedergangs also, natürlich nicht zu einer Trendwende aus eigener Kraft fähig. Interessant im Zusammenhang mit der aktuellen bürgerlichen Pseudo-Erneuerungsbewegung AFD ist übrigens, welche Persönlichkeiten an der Wiege der „Grünen“ gestanden haben: Der ehemalige CDU-Mann Herbert Gruhl, Petra Kelly , die Ziehtochter eines US-amerikanischen Offiziers, die in Washington D.C. Politikwissenschaft studiert hat, danach 10 Jahre lang bei der Brüsseler Kommission tätig war und ihr späterer Lebensgefährte, General Gert Bastian.

Was die Whistleblower betrifft, so sind diese aus ganz anderem Holz geschnitzt als die Grüne Mischpoke, sie sind auch keineswegs außen vor und vergessen, wie sehr die Herrschenden auch darum bemüht sind. Ihr warnendes, mahnendes Vorbild ist im Bewusstsein der Menschheit gespeist.

In meinen Augen war Jesus Christus ein früher Whistleblower, er wurde gekreuzigt! Seine Anhänger schrecklich verfolgt, seine Botschaft missdeutet und in ihr krasses Gegenteil verkehrt. Dennoch ist die Botschaft des Urchristentums keineswegs eine vergessene Angelegenheit. Fidel Castro, Henri Barbusse und und Josef Dugaschwili waren geschult an der christlichen Lehre zum Kommunismus gelangt, ihr Wirken hat Weltgeschichte geschrieben. Dem Kommunismus gehört die Zukunft. Da hilft kein noch so ausgefeiltes Kontrollsystem, da helfen auch nicht die feindbildverhafteten Staatstheorien eines Kriegsbefürworters Carlo Schmitt und seiner Kollegenschar.

 Irene Eckert







Masse und Mensch



Der Einzelne ist nicht nur Produkt seiner ihn prägenden Umwelt! Er gestaltete diese auch aktiv mit, er verändert sie. Die von mir im letzten Schreiben zitierten geschichtsträchtigen Persönlichkeiten von Allende über Castro bis Ghaddafi haben einen enormen Fußabdruck hinterlassen, ihr Denken und Handeln ist wirksam bis über ihren Tod hinaus.Vielleicht hat sogar der absichtlich herbeigeführte, tragische Tod einiger unter ihnen, ihren Einfluss auf andere Menschen, ihren Einfluss auf den Lauf der Geschichte potenziert. Solche ganz wesentlichen, dynamischen Prozesse, die widerspruchsvolle Interaktion zwischen Einzelnem etwa und Gesellschaft kann die bürgerliche Systemtheorie nicht erfassen. Dies gesagt, erhebe ich aber keine grundsätzlichen Einwände gegen Denken in systemischen Zusammenhängen, gegen eine Betrachtungsweise, die die Interaktivität und das Zusammenspiel aller mit allen in den Blick nimmt. Ganz im Gegenteil.

In meiner Betrachtungsweise sind allerdings die Kollektive, auch große Kollektive nicht von den noch herrschenden Mächtigen allerorten abhängig, sondern umgekehrt wird ein Schuh draus. Das Problem ist ein Mangel an Erkenntnis und Einsichtsfähigkeit in diese unumstößliche Tatsache. Es herrscht in unserem Kulturkreis insgesamt ein Denken vor, das die wirkliche Abhängigkeit der noch Mächtigen von ihren Völkern, die ja lange von der kolonialen Ausbeutung erheblich mit profitiert haben, negiert. Genauso wird die Tatsache unserer Abhängigkeit von den unter der neokolonialen Knute stehenden Nationen des Südens von deren Haut wir uns ernähren, auf deren Knochen unser Luxusleben ruht, nicht in de nBlick genommen, sondern schlicht ausgeblendet oder negiert. Die Widersprüche treiben die Entwicklung aber auch gegen ein noch verharrendes Bewusstsein voran. Wenn ein bestimmter Grad an Unterdrückung zunimmt, wie es etwa global gesprochen sich im Nord-Süd-Gefälle ausrückt, dann wächst auch der kollektive Unmut, dann wächst die Kraft zu kollekktiver Gegenwehr. Dann sprießen auch Gedanken, die den Funken des Widerstandes zünden. Der eindeutig im historischen Niedergang befindliche Kapitalismus in seinem imperialistischen Stadium hat Gier und Eigennutz in der Tat als die ihn treibenden Impulse zur Hypertrophie entwickelt, aber das heißt noch lange nicht, dass diese mißgebildeten Charaktereigenschaften das Wesen des Menschen ausmachen, ganz im Gegenteil. Der Mensch ist von seiner Natur aus ein Gemeinschaftswesen und auf Zusammenarbeit angewiesen. Keiner kann ohne den anderen existieren. Schöpfertum ist dem Menschen eigen. Er ist begabt dafür, für alle auftretenden Probleme Lösungen zu finden!!! Also kann er auch den ihn und seine basialen Bedürfnisse negierenden Kapitalismus überwinden, den er ja selber hervorgebracht hat. Quod erat demonstrandum, siehe Sowjetrussland, siehe China, siehe Kuba, siehe Nordkorea, das wie ein Phoenix wieder aus der Asche der völligen Zerstörung aufgetaucht ist, siehe Vietnam das sich einigermaßen aus kolonialer Unabhängigkeit befreit hat, siehe den Iran, dem dasselbe geglückt ist, siehe alle die Bestrebungen in Lateinamerika, dessen Völker nicht gewillt sind, sich dem US-imperialistischen Joch zu beugen. Solche Befreiungsprozesse dauern natürlich lange und sie werden nur möglich durch kollektive Zusammenarbeit! Völker, die ihre eigene nationale Identität bewahrt haben, die ihre Kultur für wert erachten, die können sich wehren. Ein Vorzeigebeispiel dafür ist heute Syrien. Selbst das geknebelte und geknechtete palästinensische Volk, das nach 70 Jahre währender Unterdrückung seine nationale Identität nicht preisgegeben hat, das sich immer noch gegen Goliath in Davids-Gewande zur Wehr setzt, mag uns dies vor Augen führen. Hoffnungsvoll kann natürlich nur derjenige die gegenwärtig ablaufenden kolossalen Veränderungsprozesse wahrnehmen, der ohne Furcht, vorurteilsfrei auf die großen geschichtsbildenden Nationen China, Russland, Iran und letztlich auch Lateinamerika blickt. Nur der vermag nämlich zu schauen, welch positiven Beitrag diese Völker nicht nur für ihre eigenen Nationen, sondern für die ganze Erde gegenwärtig erbringen. Allen voran hat das kommunistisch geführte China mit dem völkerverbindenden Infrastrukturinvestitionsprojekt der Neuen Seidenstraße eine positive Vision, die allen zugute kommt, eine Win-Win-Win Idee.

Der bürgerliche Mensch in seiner Beschränktheit auf die eigenen Stadtmauern ist nicht der Mensch an sich, auch nicht der Mensch der Zukunft. Er ist unfrei, ein Produkt der bürgerlichen, der kapitalistischen Gesellschaft und als solcher denkt er. Aber Menschen sind eben Menschen, weil sie in der Lage sind, sich aus solcher vorgestanzten Prägung zu befreien. Das ist so, weil als einzige Spezies mit Vernunft begabt und mit schöpferischen Kräften ausgestattet sind. Trotz aller Gehirnwäsche gelingt es daher immer wieder einzelnen sich aus vorgestanzter Mentalumklammerung zu befreien.

Natürlich gibt es Menschenmassen, wie es auch den Masse-Menschen gibt, aber die bürgerliche Friedensbewegung, die Kirchentage oder auch johlende, zu Gewaltexzessen neigende Fußballzuschauergemeinden und andere Menschenansammlungen großen Stils sind nicht zu verwechseln mit Streik-Versammlungen etwa oder mit den Menschenmassen auf den großen Demos gegen die Kriegsgefahr. Dort gibt es Bewegung von unten und viel kreative Lebendigkeit, dort ist das Potential zu echter Veränderung. Ich habe noch keine rauschhafte Friedensdemo erlebt, sondern mich immer wieder über die kreativen Spruchbanner und die interessanten Begegnungen mit den unterschiedlichsten, ungewöhnlichsten Menschen dort gefreut.

Natürlich wissen die Herrschenden um dieses Potential sehr genau Bescheid, weswegen sie auch ihre Agenten dort ansetzen, Führungskräfte einkaufen und sich allerlei einfallen lassen um dieses zu immunisieren. Aber auf Dauer wird ihnen das eben nichts helfen. Der Niedergang des US-Imperialismus beschleunigt sich gerade im Turbotempo. Im gleichen Tempo erstarken die hoffnungsstiftenden Gegenkräfte. Wer sich natürlich nicht auf diese in konstruktiver Weise zu beziehen vermag, weil sie zum erklärten Feindbildarsenal gehören, der ist verloren, schwankt wie ein Rohr imWind, sieht nur schwarz, bringt sich am Ende um, weil er die Katastrophe heraufziehen sieht und stiftet ein sehr schlechtes Vorbild


Dort wo keine Hoffnung ist, ist kein lebendiges, kein dynamisches Denken am Werk, ist keine Zukunft. Die rechten Scheinalternativen sind auch deswegen keine, weil sie am Alten klammern und meinen, sie könnten das Alte beibehalten und bessern. Trotzdem ist es freilich absurdes Affentheater, wenn dauernd gegen die Faschismusgefahr von Rechts getrommelt wird. Der Faschismus hat seine Keim-Zellen woanders und es wird viel Zeit, viel Analyse- und Aufklärungsarbeit notwendig sein, um diese Zellen schadlos zu machen und am Ende auszumerzen.   von Irene Eckert

Irene Eckert