Dank für die Anstrengung, der Du Dich unterzogen hast,
indem Du Rolf Peter Sieferles pessimistische Lektüre 'Finis
Germania' ganz gelesen und Deine Gedanken dazu formuliert hast. Schade, dass Du einen wichtigen,
ja zentralen, positiven Gegengedanken zu Sieferles Ausführungen, gleich im ersten Absatz, nicht weiter verfolgst, nicht
vertiefst. Du sagst dort:
„Einzelnen herrschenden Personen
kann es je nach Stärke der Persönlichkeit u. U. gelingen, Anstöße
zu einer Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Lage der
Menschen ihres Herrschaftsbereiches damit einer anderen moralischen
Grundlage politischer Strukturen zu geben“ .
Als Beispiel zur
Fundierung Deines Gedankens wäre hier der sehr gegenwärtige, jüngst
von seinem Volk in demokratischer Wahl mit 77% Zustimmung bestätigte
russische Präsident Vladimir Putin zu nennen. Aus der jüngsten
Vergangenheit fallen mir spontan ein, der unlängst in hohem Alter
verstorbene Fidel Castro, weiter in dessen Geiste der viel zu früh
an Krebs zugrunde gegangene Hugo Chavez und der ermordete chilenische
Präsident Allende. Auch der ganz anders geartete Mann, ein General,
vom Imperium gestürzt, der NS- und NATO-widerständige Charles de
Gaulle oder aus dem asiatischen Kulturkreis so verschiedene Menschen
wie Mao Tse Tung oder die ermordete indische StaatschefinIndira
Ghandi, aus Nordamerika der Millionär John F. Kennedy und aus
Schweden Olaf Palme. Lumumba und Nelson Mandela mögen als Vertreter
Schwarzafrikas hier stehen. Die Liste ist zufällig und äußerst
unvollständig. Es ist aber menschheitsgeschichtlich unverzichtbar,
solche Vorkämpfer ihrer Nation im ersten Glied zu erwähnen, um
ihr Erbe, ihren Beitrag für die antikoloniale und
Antikriegs-Bewegung, für ein Auftreten zur Vermenschlichung der
Erde zu würdigen und Deine so wichtige Aussage damit qualitativ zu
untermauern. Die Erwähnung vorbildlich handelnder Einzelner in
politisch verantwortlicher Positionen ist notwendig, weil sie uns
anderen, uns 'kleinen' Leute an der Basis Kraft gibt und Mut macht,
trotz ihres zum Teil tragischen Endes. Es ist ihr Geist der bleibt,
der künftige Generationen inspiriert, was man von einem Sieferle
natürlich nicht sagen kann, ganz im Gegenteil.
Die genannten
politischen Persönlichkeiten wurden allerdings durch sehr
verschiedene kulturelle, gesellschaftliche und historische Umstände
von ihren Völkern, von ihren Nationen nach vorne getragen, insofern
spielen die Massen eine geschichtsverändernde Rolle. Viele der
genannten Vorkämpfer und noch viele mehr wurden durch Intrigen der
Imperial-Mächte, des 'Tiefen Staates', der mächtigen Kreise
gestürzt oder umgebracht. Trotz alledem haben solche einzelne
Menschen ihre Kraft und ihr Leben für die Sache ihres Volkes, für
nationale Belange und damit letztlich auch für alle Erdbewohner
eingebracht. Im 200. Geburtsjahr des weltgeschichtlich so bedeutsamen
Karl Marx seien zur Ermutigung ein paar Worte aus dessen
Abituraufsatz zitiert, Worte eines 17Jährigen, dem eine glänzende
Karriere möglich gewesen wäre, wenn er sein Leben nicht den
Millionen geopfert hätte, Menschen in Massen, Menschen, denen sein
tätiges Mitgefühl gehörte:
„Wenn
wir den Stand gewählt, in dem wir am meisten für die Menschheit
wirken können, dann können uns Lasten nicht niederbeugen, weil sie
nur Opfer für alle sind. (…) unsere Taten leben still, aber ewig
wirkend fort, und unsere Asche wird benetzt von der glühenden Träne
edler Menschen“ (MEGA
I/1 zit. nach Eike Kopf, Marx Engels Experte, lebt und wirkt heute in
China).
Weil der kluge und gebildete Sieferle zu solchen Einsichten nicht
fähig war, nahm er ein tragisches Ende, kein vorbildhaftes. Sein
Ende ist aber eben auch Ausdruck des derzeitigen Zustandes unserer
Nation, in der die Volksmassen in der Tat vorübergehend (!) träge
und ihre potentiellen Führer feige und kraftlos geworden sind.
Es existiert also eine Dialektik zwischen den großen, mit
Führungsqualitäten ausgestatteten Einzelnen und den jeweiligen
Volksmassen, aus denen solche Menschen, wie oben genannt
hervorsprießen. Es bedarf eben für das Wirksamwerden großer
Individuen auch ganz bestimmter historisch-kultureller Gegebenheiten.
So war das Jahr 1848, als die jungen Leute Karl Marx und Friedrich
Engels das die Welt verändernde 'Kommunistische Manifest'
herausbrachten auch ohne deren Zutun ein revolutionäres Jahr in
Europa. Vorausgegangen waren 1789 die Französische Revolution, war
Napoleon, dessen unrühmliches Ende, waren die nationalen
Befreiungskriege gegen die ausländische Besatzung, war die
Juli-Revolution von 1830 in Frankreich und der Vormärz. Die
Bourgeoisie war noch jung und unverbraucht, brachte viele
interessante Dichter und Denker hervor.
Ein Blick in die Geschichte genügt, um uns zu offenbaren: Politische
„Systeme“ gleichen sich nicht wie ein Ei dem anderen. Politische
Formationen, Prozesse der Staatenbildung oder des Staatsverfalls
ahistorisch, rein systemtheoretisch, also von der Wirklichkeit
abstrahierend, erfassen zu wollen entspringt letztlich der
US-amerikanischen „Political Science“ und ist zum Scheitern
verurteilt. Das Konzept „ die Masse Mensch ist träge“ entspringt
solchen abgehobenen Denkfiguren, es ist außerdem oxymoronisch, ein
Widerspruch in sich. Der Mensch ist keine Masse, sondern ein
Individuum. Die Masse ist ein Plurale Tantum, es sind immer viele
und wo viel sind, da gibt zwangsläufig auch Bewegung. Die
bürgerliche Soziologie ist ebenso wie die bürgerliche
Politikwissenschaft mit ihrer Begrifflichkeit und ihrer Methodik
eine unhistorische und statische Wissenschaft, sie vermag Bewegung,
Widersprüche, Dialektik nicht zu erfassen. Die bürgerliche
Soziologie untersucht Systeme auf ihre Steuerbarkeit hin, erfasst
nicht ihre innere Dynamik. Die von mir oben erwähnten Einzelnen
haben sich nicht eingefügt, sie sind lebendig oder tot Motoren für
tatkräftige Veränderungen, die sie angestoßen, die sie
mitgetragen, zu deren Erfolg sie beigetragen haben. Große
Veränderungen im menschheitlichen Maßstab brauchen Zeit. Wir sind
mitten drin in epochalen Veränderungsprozessen, China ist mit seiner
Jahrtausende alten Kultur derzeit weltführend in Sachen rapider
Veränderungen.
Zurück
nach Deutschland. Du erwähnst die bürgerlich „Grüne
Parteienbildung“ als Beispiel für eine gescheiterte Trendwende.
Das Bürgertum ist 170 Jahre nach seiner gescheiterten Revolution,
nach zwei Weltkriegen und Faschismus, in der Phase seines Niedergangs
also, natürlich nicht zu einer Trendwende aus eigener Kraft fähig.
Interessant im Zusammenhang mit der aktuellen bürgerlichen
Pseudo-Erneuerungsbewegung AFD ist übrigens, welche
Persönlichkeiten an der Wiege der „Grünen“ gestanden haben:
Der ehemalige CDU-Mann Herbert Gruhl, Petra
Kelly ,
die Ziehtochter eines US-amerikanischen Offiziers, die in Washington
D.C. Politikwissenschaft studiert hat, danach 10 Jahre lang bei der
Brüsseler Kommission tätig war und ihr späterer Lebensgefährte,
General Gert Bastian.
Was
die Whistleblower betrifft, so sind diese aus ganz anderem Holz
geschnitzt als die Grüne Mischpoke, sie sind auch keineswegs außen
vor und vergessen, wie sehr die Herrschenden auch darum bemüht sind.
Ihr warnendes, mahnendes Vorbild ist im Bewusstsein der Menschheit
gespeist.
In meinen Augen war Jesus Christus ein früher Whistleblower, er
wurde gekreuzigt! Seine Anhänger schrecklich verfolgt, seine
Botschaft missdeutet und in ihr krasses Gegenteil verkehrt. Dennoch
ist die Botschaft des Urchristentums keineswegs eine vergessene
Angelegenheit. Fidel Castro, Henri Barbusse und und Josef
Dugaschwili waren geschult an der christlichen Lehre zum Kommunismus
gelangt, ihr Wirken hat Weltgeschichte geschrieben. Dem Kommunismus
gehört die Zukunft. Da hilft kein noch so ausgefeiltes
Kontrollsystem, da helfen auch nicht die feindbildverhafteten
Staatstheorien eines Kriegsbefürworters Carlo Schmitt und seiner
Kollegenschar.
Irene Eckert