»Mutter aller Schlachten« - »Neue Weltordnung« in Nahost: Mit dem Bombardement im Irak begann eine ganze Reihe US-geführter Kriege und Interventionen von Joachim Guilliard
In der Nacht auf den 17. Januar 1991 begann mit dem massivsten Bombardement der Geschichte der erste US-geführte Krieg gegen den Irak. Um 2.30 Uhr schlugen die ersten Bomben in Bagdad ein. Das Fernsehen war live dabei. Während der 42 Tage dauernden »Operation Wüstensturm«, für die Washington in den Monaten davor 580.000 eigene Soldaten und 80.000 von verbündeten Ländern am Persischen Golf in Stellung gebracht hatte, flogen die USA und ihre NATO-Partner im Durchschnitt 2.000 Angriffe pro Tag.
Offiziell war der Feldzug eine Reaktion auf die Besetzung Kuwaits durch irakische Truppen am 2. August 1990. Der Krieg war jedoch von den USA schon zuvor geplant worden. Bereits 1989 hatte das Pentagon dafür den Kriegsplan 1002-90 erstellt und ihn im Juni 1990 in der Militärübung »Internal Look« durchgespielt. Die gute Vorbereitung zahlte sich aus: Am 3. August, also nur einen Tag nach dem irakischen Einmarsch im kleinen Nachbarland, drückte Washington die erste UN-Resolution durch, drei Tage später die zweite, die die umfassendsten Sanktionen enthielt, die je einem Land auferlegt wurden.
Alles deutet darauf hin, dass die irakische Führung in eine Falle gelaufen war. Die US-Regierung hatte Kuwait nach dem Ende des Irak-Iran-Krieges zu einer provozierenden Politik gegen das Nachbarland ermuntert, die Bagdad als regelrechten »Wirtschaftskrieg« anprangerte, während sie gleichzeitig Präsident Saddam Hussein bis unmittelbar vor dem Einmarsch signalisierte, dass sie sich nicht in »innerarabische Konflikte« einmischen werde (siehe junge Welt vom 31. Juli 2010).
Konsequent sabotierte sie alle Ansätze für eine Verhandlungslösung und beendete den Feldzug erst nach der bedingungslosen Kapitulation Iraks am 5. März 1991. Obwohl Bagdad alle Forderungen und Auflagen akzeptierte, wurde der Krieg fortgesetzt. Es folgten ein zwölf Jahre andauerndes mörderisches Embargo, regelmäßige Luftangriffe auf Stellungen der irakischen Armee und schließlich im März 2003 die Invasion in das sturmreife Land. Der Krieg im Land dauert bis heute an.
Mit dem ersten Feldzug gegen den Irak – von Saddam Hussein als »Mutter aller Schlachten« bezeichnet – läutete Washington nach den Worten des damaligen US-Präsidenten, George Bush sen., eine »neue Weltordnung« ein. Es folgten weitere Kriege und Interventionen der USA und der NATO, die neben dem Irak u.a. auch Somalia, Jugoslawien, Afghanistan, Libyen und Syrien verwüsteten und eine gesamte Region destabilisierten.
Im Unterschied zu den folgenden Kriegen hatten die USA und ihre Verbündeten 1991 zumindest formell das Völkerrecht hinter sich. Auch wenn Kuwait historisch zur irakischen Provinz Basra gehörte und erst von der britischen Kolonialmacht zum selbständigen Scheichtum gemacht wurde, war dessen eigenmächtige Annexion ein eindeutiger Verstoß gegen internationales Recht. Allerdings gab es keine ernsthaften Versuche, den Konflikt friedlich beizulegen – und es hatte zuvor in vergleichbaren Fällen, wie dem Einmarsch der Türkei im Norden Zyperns oder israelischer Truppen im Libanon, keine nennenswerte Reaktion des Westens oder der UNO gegeben. Dementsprechend stark war die weltweite Opposition gegen den Krieg.
Die 1990 einsetzende Desinformationskampagne gegen den Irak beinhaltete daher bereits alle Mechanismen der folgenden Kriege: die Dämonisierung der Führer der angegriffenen Staaten (»Bestie« bzw. »Hitler von Bagdad« etc.) durch westliche Politiker und Medien, die Instrumentalisierung von Menschenrechtsfragen bis hin zur gezielten Propaganda mit gefakten Greueltaten, sowie den Missbrauch der UNO für imperialistische Politik. Wurde zur Einstimmung in den Irak-Feldzug vor 25 Jahren mit Hilfe der Tochter des kuwaitischen Botschafters in der Rolle einer erschütterten Krankenschwester die Greuelstory konstruiert, irakische Truppen hätten in Kuwait Babys aus Brutkästen gerissen, so war es in Jugoslawien 1999 das »Racak-Massaker«, das den Weg in den Krieg ebnete.
Öl, Krieg und Sanktionen
1920: Großbritannien erhält vom Völkerbund das Mandat über den Irak – damit wird der Irak faktisch britische Kolonie.
1921: Das britische Kolonialamt trennt Kuwait von der irakischen Provinz Basra ab. Irak verliert seinen Zugang zum Persischen Golf.
1925: Der britische Konzern »Irakische Erdölgesellschaft« bekommt die erste Förderkonzession in den Gebieten um Bagdad und Mossul.
1931/32: Die »Irakische Erdölgesellschaft« erhält das alleinige Nutzungsrecht des irakischen Öls.
1958: Sturz der Monarchie. Der Irak wird eine unabhängige Republik.
1968: Die Baath-Partei übernimmt die Macht.
1972: Die Ölindustrie wird verstaatlicht. Die USA setzen die irakische Führung auf ihre Liste proterroristischer Regierungen und unterstützen die kurdische Opposition.
1979: Saddam Hussein wird Nachfolger des Präsidenten Hassan Al-Bakr.
1979: Die Schah-Regierung im Iran wird gestürzt.
1980: US-Präsident James Carter kündigt an, die USA werden jeder Bedrohung ihrer Vormachtstellung im Nahen Osten mit »allen notwendigen Mitteln, inklusive militärischer Gewalt« entgegentreten (Carter-Doktrin).
1980: Am 22. August beginnt der Krieg zwischen Irak und Iran (»Erster Golfkrieg«), die USA, Deutschland und andere NATO-Staaten rüsten in der Folge den Irak auf. Dass auch Teheran westliche Rüstungsgüter erhält, führt zum »Iran-Contra-Affäre« in den USA. Der Krieg endet am 2. August 1988.
1989: Der US-Plan 1002-90 für einen Krieg gegen den Irak wird entwickelt.
1990: Im Centcom-Planspiel »Internal Look« übt das US-Militär die Reaktion auf einen Angriff Iraks auf Saudi Arabien.
1990: Der Irak beschuldigt Kuwait der wirtschaftlichen Kriegführung und verlegt Truppen an die Grenze. Am 2. August besetzen irakische Truppen das Ölemirat. Tags darauf verabschiedet der UN-Sicherheitsrat Resolution 660, die den unverzüglichen und bedingungslosen Rückzug der irakischen Streitkräfte fordert. Bereits am 6. August wird mit Resolution 661 ein Wirtschafts- und Handelsembargo gegen den Irak verhängt.
1991: Am 17. Januar beginnt die US-Luftwaffe mit der Bombardierung des Irak. Am 27. Februar unterwirft sich der Irak Resolution 660 und allen anderen, den Konflikt mit Kuwait betreffenden Resolutionen die Sanktionen bleiben jedoch bis 2003 in Kraft. An den Folgen sind allein bis 1996 eine halbe Million Kinder gestorben. Die spätere US-Außenministerin Madeleine Albright sagt, darauf angesprochen, dies »sei den Preis wert«
»Truthahnschießen« – US-Kriegsverbrechen am Golf von Joachim Guilliard
Das Bombardement der alliierten Kräfte im Irak war der erste mediengerecht inszenierte »Hightech«-Krieg. Der westlichen Bevölkerung wurden die »chirurgischen Schläge« allabendlich im Fernsehen vorgeführt, und durch den Anschein »sauberer«, unblutiger Angriffe wurde deren Akzeptanz beträchtlich gesteigert. Tatsächlich wurden die meisten Angriffe mit konventionellen Bomben durchgeführt, die ungelenkt, aber flächendeckend mit ungeheurer Zerstörungskraft auf die irakischen Städte niedergingen. Am Ende waren bei 110.000 Luftangriffen 88.500 Tonnen Bomben auf das Zweistromland, die einstige Wiege der Zivilisation, abgeworfen worden. Die Kosten trug zu einem guten Teil Deutschland, das 15 Milliarden DM beisteuerte.
Die Angriffswellen der US-Bomber richteten sich keineswegs, wie zu erwarten gewesen wäre, gegen die irakischen Besatzungstruppen in Kuwait, um sie so zum Rückzug zu zwingen, sondern auf Kraftwerke, Wasserwerke, Staudämme, Bewässerungsanlagen, Fabriken und Brücken im Irak selbst. Ihr Ziel war offensichtlich, das Rückgrat der gesamten Gesellschaft zu brechen. Diese, maßgeblich vom US-Luftwaffenkommandanten John A. Warden entwickelte neue Form des Luftkrieges, prägt seither die Luftkriegsdoktrin der USA, der NATO und Israels. Sie kam bei den Bombardements gegen Jugoslawien 1999, Afghanistan 2001, Irak 2003 und Libyen 2011 ebenso zur Anwendung wie beim Überfall Israels auf den Libanon 2006.
In Wardens »Fünf-Ringe-Modell« werden Ziele nach ihrer Bedeutung für die Überlebensfähigkeit des angegriffenen Staates und ihrer Verwundbarkeit gegenüber Luftangriffen geordnet. Das gegnerische Militär wird zum nebensächlichen Ziel. Im Zentrum stehen Angriffe auf die politische Führung, die zivile Infrastruktur und die Zivilbevölkerung. Indem man ihre Lebensbasis zerstört, will man die Bevölkerung gegen die eigene politische Führung aufbringen und die staatlichen Strukturen unterminieren.
Auch nachdem die irakischen Truppen ihren Rückzug aus Kuwait angetreten hatten, ging der Krieg mit unverminderter Härte weiter. Zehntausende, gegen die überlegenen Angreifer nahezu wehrlose irakische Soldaten wurden auf dem Rückzug massakriert. Beteiligte US-Soldaten sprachen begeistert von einem »Truthahnschießen«. Zeugenaussagen von Veteranen und Recherchen von Journalisten belegen eine Vielzahl schwerster Kriegsverbrechen. Selbst Einheiten, die sich ergeben hatten, wurden niedergeschossen, von Bomben zerfetzt oder von Panzern mit Planierschildern in ihren Schützengräben lebendig begraben. Mit ihnen fanden auch Tausende Zivilisten, die sich ebenfalls auf dem Weg von der kuwaitischen Grenze nach Norden befanden, auf dem berüchtigten »Highway of Death« und anderen Schnellstraßen den Tod. Recherchen von Greenpeace zufolge wurden während des Krieges mindestens 150.000 Menschen getötet, darunter 76 US-Soldaten.
Die Folgen der klar gegen das Völkerrecht verstoßenden, flächendeckenden Bombardierung der irakischen Infrastruktur waren katastrophal. Schon nach wenigen Tagen flossen im gesamten Land kein Strom und kein Trinkwasser mehr, die Gesundheitsversorgung brach zusammen. »Nichts, was wir gesehen oder gelesen hatten, hatte uns auf diese außerordentliche Form von Verwüstung vorbereitet«, stellte eine UN-Mission aus Vertretern von WHO, UNICEF, UNDP, FAO und UNHCR bei ihrer Besichtigung der Kriegsschäden fest. »Der jüngste Konflikt hat nahezu apokalyptische Folgen für die ökonomische Infrastruktur dessen, was bis Januar 1991 eine hochurbanisierte und mechanisierte Gesellschaft war (…). Irak wurde, für eine lange Zeit, in ein vorindustrielles Zeitalter zurückgeworfen, jedoch mit all den Unfähigkeiten, die aus der postindustriellen Abhängigkeit von intensivem Gebrauch von Energie und Technologie resultieren.«
In dieser Situation war die auch nach Erfüllung aller Forderungen aufrechterhaltene Handels- und Wirtschaftsblockade mörderisch. Vor allem die Kindersterblichkeit nahm rapide zu. Damals vor Ort tätige Experten gehen davon aus, dass mindestens 1,2 Millionen an den Folgen der UN-Sanktion starben – »das stille Äquivalent zu zehn Hiroshima-Bomben«, so Dieter Hannusch, Leiter der Notfallversorgung des Welternährungsprogramms der UNO. Zusammen mit über einer Million Toten im Krieg und während der Besatzung ab 2003 fielen somit über 2,5 Millionen Menschen dem Bemühen der USA und ihrer NATO-Verbündeten, sich durch die Ausschaltung einer Regionalmacht die Vorherrschaft über die strategisch so bedeutende Region zu sichern, zum Opfer.