allgegenwart christlicher symbolik in israel/palästina, foto: unbekannt |
"Der
Abgrund meiner Väter schreit in mir.
Man
ist geschaffen, um etwas zu verrichten das recht ist.
Man
ist geschaffen, um zu vernichten, was unrecht ist."
Diese
'Worte Jesu' aus dem gleichnamigen Poem von Henri Barbusse, dem
französischen Schriftsteller, der aus dem Ersten Großen
Völkermorden als Pazifist heimkehrte, Worte eines großen Dichters,
gehen mir durch Kopf, während wir uns der
Brotvermehrungskirche in Tabgha in der Provinz Kapernaum nähern.
Zur
Zeit Jesu war dies ein Quellgebiet und Tabgha ein einsamer Ort am
See. Vom Berg der Seligpreisung, dem Ort der biblischen
Bergpredigt also, soll man einen sehr schönen Blick auf
das Gewässer haben, wo der Legende nach 'die Speisung der
Fünftausend' vonstatten ging. Die Basilika liegt direkt
am See, aber ein Blick auf das Wasser ist von hier aus
leider nicht möglich. Mit der Stille ist es natürlich auch
nicht mehr weit her, wenn Busladungen von Touristen
herbei strömen, die das Kirchenheiligtum und das Gelände
ringsum heimsuchen. Der ganze Komplex befindet sich übrigens im
Besitz des Deutschen Vereins vom Heiligen Land. Eine vor Ort
vertriebene Flugschrift belehrt uns auch in deutscher Sprache
darüber, dass Mönche der Benediktiner Abtei Dormitio in
Jerusalem die Kirche, das Pilgerlager und ein zum Komplex gehörendes
Ferienheim für Behinderte betreuen. Das
Sanktuarium wurde 1982 von Kardinal Höffner persönlich
eröffnet und war über den byzantinischen
Fundamenten neu erbaut worden. Schon 1932 hatten deutsche
Archäologen das Fußbodenmosaik freigelegt, das während der
1300 Jahre langen islamisch geprägten Epoche im Verborgenen geruht
hatte.
Ich
flüchte für einen Moment lang an einen stilleren, kühlen Ort im
Grünen, der wohl Teil des zur Zeit verwaisten Ferien-Ensembles
bildet. Die Brotvermehrungslegende als Sinnbild einer gerechten
Ordnung der Dinge beschäftigt meinen Sinn. Gandhis berühmter
Gedanke geht mir durch den Kopf:
"Die
Erde hat genug für alle, aber nicht genug für die Gier einiger
weniger". Henri Barbusse legt seinem Jesu diesen Satz in
den Mund: "Man suche zuerst Gerechtigkeit und alle Dinge werden
in ihr gegeben sein." Eines erscheint hierzulande noch
offenkundiger: Ohne ein Minimum an Gerechtigkeit wird es keinen
Frieden geben, nicht im Nahen Osten und auch nicht anderswo.
Diese
meine Betrachtung bleibt den Tag über höchst virulent.
Ich
greife aber vor:
Am
Abend werden wir "Petri-Fisch" essen in der "Perle des
Sees Genezareth" im Kibbutz-Restaurant "Eijn Gev".
Völlig erschöpft von den Anstrengungen des Tages werden wir
uns dem Sonnenuntergang hingeben und die gute Bewirtung genießen.
Wir haben dann keine Kraft mehr für anspruchsvolle Betrachtungen
über den Menschen, dem auch die Tourismusindustrie in Israel ihre
Schekel verdankt. In der morgendlichen Frühe aber, sozusagen
auf deutschem Grund und Boden im Heiligen Land überlege ich doch,
was Jesus Christus in seiner Ansprache am See thematisiert hätte,
würde er heute zu uns sprechen. Würde er etwa die syrischen
Ansprüche auf Teile des nordöstlichen Seeufers für "gerecht"
gelten lassen oder würde der 'Rabbi' es mit der israelischen
Diplomatie halten, die meint :
"Sollte
Israel der syrischen Forderung nach einem Rückzug zu der Linie vom
4. Juni 1967 zustimmen, würde es die syrische 'Aggression' der
fünfziger Jahre belohnen." und weiter heißt es dort: "Eine
israelische Zustimmung zu einer Grenze auf Basis der Linie vom 4.
Juni 1967 würde die Kontrolle von Israels größtem
Süßwasser-Reservoir gefährden."
Auf
dem Wege zum Drusendorf Majdal Shams würden wir gleich 'Degania', das älteste Kibbuz Israels besuchen. Dort dürften wir aber keine Fragen stellen über
Palästinenser oder unser Interesse an deren Schicksal. Vor kurzem stimmten die Kibbuzim für die Privatisierung der 1909 gegründet Kommune. "Im Unabhängigkeitskrieg 1948" konnte
die syrische Armee vor dem Ort gestoppt werden." weiß
Wikipedia.
Was
würde der Begründer des Christentums zu den Kibbuzim sagen,
die zwar ursprünglich einen "kommunistischen Modellcharakter" anstrebten, aber zum großen Teil auf widerrechtlich enteignetem
Territorium errichtet worden waren. Würde der HERR, zu dessen Ansprachen
Tausende zusammenströmten, der zionistischen Argumentation folgen,
nach der das ganze biblische Land einschließlich Syriens von Gott
den Hebräern für immer übereignet wurde? Würde er es mit seinem Anliegen
vereinbar finden, dass seine Gefolgsleute die Entrechtung und
Demütigung des Brudervolkes schamvoll schweigend hinnehmen.
Ich
folge wieder dem Jesuspfad, den der Kenner Barbusse mir weist: "Der
Geist wird euch in die Wahrheit führen und nur durch die
Wahrheit ist Erlösung".