Monday, August 20, 2012

Vom See Genezareth zu den Golanhöhen


allgegenwart christlicher symbolik in israel/palästina, foto: unbekannt


"Der Abgrund  meiner Väter schreit in mir.
Man ist geschaffen, um etwas zu verrichten das recht ist.
Man ist geschaffen, um zu vernichten, was unrecht ist."

Diese 'Worte Jesu' aus dem gleichnamigen Poem von Henri Barbusse, dem  französischen Schriftsteller, der aus dem Ersten Großen Völkermorden als Pazifist heimkehrte, Worte eines großen  Dichters,  gehen mir durch Kopf, während wir uns der Brotvermehrungskirche in Tabgha in der Provinz Kapernaum nähern.
Zur Zeit Jesu war dies ein Quellgebiet und Tabgha ein einsamer Ort am See. Vom Berg der Seligpreisung, dem Ort der  biblischen Bergpredigt also, soll man  einen sehr  schönen Blick auf das Gewässer haben,  wo der Legende nach 'die Speisung der Fünftausend' vonstatten ging. Die  Basilika  liegt direkt am See, aber ein  Blick auf das Wasser ist  von hier aus leider nicht  möglich. Mit der Stille ist es natürlich auch  nicht mehr weit her, wenn  Busladungen von Touristen herbei strömen, die  das Kirchenheiligtum und das Gelände ringsum heimsuchen. Der ganze Komplex befindet sich übrigens  im Besitz des Deutschen Vereins vom Heiligen Land. Eine vor Ort vertriebene Flugschrift belehrt uns auch  in deutscher Sprache darüber, dass Mönche  der Benediktiner Abtei Dormitio in Jerusalem die Kirche, das Pilgerlager und ein zum Komplex gehörendes  Ferienheim für Behinderte  betreuen.  Das Sanktuarium wurde  1982  von Kardinal Höffner persönlich eröffnet  und war über den  byzantinischen Fundamenten  neu erbaut worden. Schon 1932 hatten deutsche Archäologen das  Fußbodenmosaik freigelegt, das während der 1300 Jahre langen islamisch geprägten Epoche im Verborgenen geruht hatte.
Ich flüchte für einen Moment lang an einen stilleren, kühlen Ort im Grünen, der wohl Teil des zur Zeit verwaisten Ferien-Ensembles bildet. Die Brotvermehrungslegende als Sinnbild einer gerechten Ordnung der Dinge beschäftigt meinen Sinn. Gandhis berühmter Gedanke geht mir durch den Kopf:
"Die Erde hat genug für alle, aber nicht genug für die Gier einiger weniger".  Henri Barbusse legt seinem Jesu diesen Satz in den Mund: "Man suche zuerst Gerechtigkeit und alle Dinge werden in ihr gegeben  sein." Eines erscheint hierzulande noch offenkundiger: Ohne ein Minimum an Gerechtigkeit wird es keinen Frieden geben, nicht im Nahen Osten  und auch nicht anderswo.
Diese meine Betrachtung bleibt den Tag über  höchst virulent.
Ich greife aber vor:
Am Abend werden wir "Petri-Fisch" essen in der "Perle des Sees Genezareth" im Kibbutz-Restaurant "Eijn Gev". Völlig erschöpft von den Anstrengungen des Tages  werden wir uns dem Sonnenuntergang hingeben und die gute Bewirtung genießen. Wir haben dann keine Kraft mehr für anspruchsvolle Betrachtungen über den Menschen, dem auch die Tourismusindustrie in Israel ihre Schekel verdankt.  In der morgendlichen Frühe aber, sozusagen auf deutschem Grund und Boden im Heiligen Land überlege ich doch, was Jesus Christus in seiner Ansprache am See thematisiert hätte, würde er heute zu uns sprechen. Würde er etwa die syrischen Ansprüche auf Teile des nordöstlichen Seeufers für "gerecht" gelten lassen oder würde der 'Rabbi' es mit der israelischen Diplomatie halten, die meint :

 "Sollte Israel der syrischen Forderung nach einem Rückzug zu der Linie vom 4. Juni 1967 zustimmen, würde es die syrische 'Aggression' der fünfziger Jahre belohnen."  und weiter heißt es dort: "Eine israelische Zustimmung zu einer Grenze auf Basis der Linie vom 4. Juni 1967 würde die Kontrolle von Israels größtem Süßwasser-Reservoir gefährden."

Auf dem Wege zum Drusendorf Majdal Shams würden wir  gleich 'Degania', das älteste Kibbuz  Israels besuchen. Dort  dürften wir aber keine Fragen stellen über Palästinenser  oder unser Interesse an deren Schicksal.  Vor kurzem stimmten die Kibbuzim für die Privatisierung der 1909 gegründet Kommune.  "Im Unabhängigkeitskrieg 1948" konnte die syrische Armee vor dem Ort gestoppt werden." weiß Wikipedia.

Was würde der Begründer des Christentums zu den Kibbuzim sagen, die zwar ursprünglich einen "kommunistischen Modellcharakter" anstrebten, aber zum  großen Teil  auf widerrechtlich enteignetem Territorium errichtet worden waren. Würde der HERR, zu dessen Ansprachen Tausende zusammenströmten, der zionistischen Argumentation folgen, nach der das ganze biblische Land einschließlich Syriens von Gott den Hebräern für immer übereignet wurde? Würde er es mit seinem Anliegen vereinbar finden, dass seine Gefolgsleute die Entrechtung und Demütigung des Brudervolkes schamvoll schweigend hinnehmen.  
Ich folge wieder dem Jesuspfad, den der Kenner Barbusse mir weist: "Der Geist wird euch  in die Wahrheit führen und nur durch die Wahrheit ist Erlösung".