Lassen Sie mich das Thema etwas ändern. Die Hizbullah, die Kuds-Brigaden, Irans und iranische trainierte schiitische Milizen spielen heute alle eine bedeutende Rolle im Kampf gegen die Rebellen hier in Syrien. Sind Sie angesichts dieser Beteiligung beunruhigt, was den Einfluss Irans auf das Land angeht? Schliesslich zeigen der Irak oder auch Libanon, dass es sehr schwierig sein kann, eine fremde Militärmacht, ist sie erst einmal etabliert, wieder zum Abziehen zu bringen.
Iran ist ein wichtiges Land in dieser Region, und es war schon vor der Krise einflussreich. Sein Einfluss hat nichts mit der Krise zu tun, er hängt mit seiner Rolle, seiner politischen Position im allgemeinen, zusammen. Wenn man über Einfluss spricht, so sind es verschiedene Faktoren, die ein bestimmtes Land einflussreich machen. Im Nahen Osten, in unserer Region, haben Sie die gleiche Gesellschaft, die gleiche Ideologie, viele ähnliche Dinge, die gleichen Stämme, die über die Grenzen hinweg bestehen. Wenn man Einfluss auf einen Faktor hat, so ist der Einfluss grenzüberschreitend. Das ist Teil unserer Wesensart. Das hängt nicht mit dem Konflikt zusammen. Wenn in Ihrem Land Konflikt und Anarchie herrschen, hat ein anderes Land natürlich mehr Einfluss in Ihrem Land. Wenn man den Willen nicht hat, ein souveränes Land zu sein, wird man diesen Einfluss haben. Nun, die Antwort auf Ihre Frage lautet, dass Iran keinerlei Ambitionen hat in Syrien; und als Land, als Syrien, würden wir einem anderen Land nie erlauben, unsere Souveränität zu beeinflussen. Wir würden das nicht akzeptieren, und die Iraner wollen das auch nicht. Wir erlauben Kooperation. Aber wenn man irgendeinem Land erlauben würde, Einfluss zu haben, warum nicht den Amerikanern erlauben, in Syrien Einfluss zu haben? Das ist das Problem mit den Amerikanern und mit dem Westen: Sie wollen Einfluss haben ohne Kooperation.
Erlauben Sie, dass ich Sie einfach etwas weiter vorandränge. Letzte Woche sagte ein Kommandant des Luftwaffenkommandos der Iranischen Revolutionsgarden, Hajizadeh, in einem Interview im «Spiegel», dass der oberste Führer Irans seine Streitkräfte angewiesen hat, in Syrien Raketenanlagen aufzubauen und zu betreiben. Das legt nahe, dass Iran eine grössere Rolle spielt und das für sich allein tut.
Nein, nein. Es ist etwas anderes, ob man eine Rolle spielt durch Kooperation oder durch Hegemonie.
Das heisst, alles was Iran tut …?
Erfolgt natürlich in voller Kooperation mit der syrischen Regierung, und das ist immer der Fall.
Nun, mit Iran zurechtkommen, ist eine Sache, denn das ist ein Land. Aber Sie haben auch Milizen, die regionale Akteure unterhalb der Staatsebene und daher komplizierter sind. Ein Problem beim Zusammenarbeiten mit diesen Gruppen ist, dass sie, anders als eine Regierung, vielleicht nicht bereit sind zu kooperieren, und es ist nicht immer klar, mit wem man sprechen soll. Sind Sie in Sorge bezüglich Ihrer Fähigkeit, diese Kräfte zu kontrollieren und sie in Schranken zu halten, wenn Sie das tun müssen? Und eine Frage, die damit zusammenhängt: Diese Woche hat Israel Streitkräfte der Hizbullah auf den Golanhöhen angegriffen, und die Israeli behaupten, sie hätten sie angegriffen, weil die Hizbullah einen Angriff auf Israel von syrischem Territorium plante. Wirft das nicht auch ein Schlaglicht auf die Gefahr, wenn man Milizen mit jeweils eigenen Absichten, die nicht notwendigerweise die Ihren sind, erlaubt, sich am Krieg zu beteiligen?
Meinen Sie syrische oder irgendwelche anderen Milizen im allgemeinen?
Ich meine vor allem die Hizbullah und die irakischen Schiiten-Milizen.
Natürlich sagt man, dass nur die Institutionen der Regierung, des Staates, sagen wir die Garantie für Stabilität sind und dafür, die Dinge in Ordnung zu bringen. Jeder andere Faktor, der parallel zur Regierung eine Rolle spielen würde, könnte positiv sein, könnte unter gewissen Umständen gut sein, aber das wird immer Begleiterscheinungen haben, negative Nebenwirkungen. Das ist eine natürliche Angelegenheit. Und dass man Milizen hat, welche die Regierung unterstützen, ist eine Begleiterscheinung des Krieges. Man hat sie, aber man wird versuchen, diese Nebenwirkung unter Kontrolle zu halten. Am wohlsten fühlen sich die Leute, wenn sie mit den staatlichen Institutionen, auch mit der Armee und der Polizei und so weiter, zu tun haben. Aber darüber sprechen, was in Quneitra geschah, ist etwas vollkommen anderes. Nie ist seit dem Waffenstillstand im Jahre 1974 eine Operation gegen Israel von den Golanhöhen ausgegangen. Das ist nie vorgekommen. Wenn also Israel unterstellt, es habe einen Plan für eine Operation gegeben – das ist weit entfernt von der Realität, eine Ausrede halt, weil sie jemanden von der Hizbullah umbringen wollten.
Aber die Israeli waren sehr vorsichtig seit Beginn des Krieges, um nicht hineingezogen zu werden, ausser wenn sie ihre Interessen direkt bedroht sahen.
Das ist nicht wahr, denn sie haben Syrien jetzt während nahezu zwei Jahren angegriffen ohne jeden Grund.
Aber in jedem der Fälle sagen sie, es sei, weil die Hizbullah von Iran Waffen durch Syrien erhalten hat.
Sie haben Stellungen der Armee angegriffen. Was ist die Beziehung zwischen Hizbullah und der Armee?
Das waren Fälle, bei denen die Armee versehentlich mit Granaten schoss …
Das sind falsche Behauptungen.
Was denken Sie, ist die Absicht Israels?
Sie unterstützen die Rebellen in Syrien. Das ist sehr deutlich. Denn wann immer wir an einem bestimmten Ort Fortschritte machen, führen sie einen Angriff, um die Armee zu untergraben. Das ist ganz eindeutig. Daher scherzen einige in Syrien: «Wie könnt ihr sagen, al-Kaida habe keine Luftwaffe? Sie haben die israelische Luftwaffe.»
Um auf meine Frage über die Milizen zurückzukommen: Sind Sie sich sicher, dass Sie in der Lage sein werden, sie zu kontrollieren, wenn der Krieg zu Ende geht? Denn schliesslich muss jede Regierung zur Ausübung effektiver Staatsgewalt das haben, was man das Gewaltmonopol nennt, und das ist sehr schwierig, wenn man diese unabhängigen bewaffneten Gruppen hat, die herumlaufen.
Das ist selbstverständlich: Der Staat kann seine Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft nicht erfüllen, wenn er nicht der alleinige Meister der Ordnung ist.
Aber man sieht im Irak, wie schwer das ist. Es ist heute für die Regierung sehr schwierig, alle die schiitischen Milizen zu kontrollieren, die während des Krieges entsprechend ermächtigt wurden.
Dafür gibt es im Irak einen sehr wichtigen Grund: Das ist so, weil Paul Bremer keine Verfassung für den Staat schuf, er schuf eine für Splittergruppen. Warum hat in Syrien hingegen die Armee während vier Jahren nicht aufgeben wollen, trotz dieses Embargos, dieses Krieges, Dutzender von Ländern rund um die Welt, die Syrien angreifen und die Rebellen unterstützen? Weil es eine echte Verfassung hat, eine wirkliche, säkulare Verfassung. Das ist der Grund. Im Irak ist das sektiererisch. Wenn man von einer sektiererischen Verfassung spricht, ist das keine Verfassung.
Aber was werden Sie mit diesen Milizen tun, wenn der Krieg zu Ende ist?
Die Dinge sollten sich normalisieren, so wie es vor dem Krieg war.
Und Sie sind zuversichtlich …?
Ja. Wir haben keine andere Option. Das ist die Rolle der Regierung. Das ist selbstverständlich.
Welchen Einfluss haben die fallenden Ölpreise auf den Krieg in Syrien? Immerhin sind Ihre beiden engsten Verbündeten und Unterstützer, Iran und Russland, sehr abhängig von den Ölpreisen, und sie haben in den vergangenen Monaten durch den Fall des Ölpreises gewaltigen Schaden an ihren Budgets erlitten. Sind Sie in Sorge, was deren Fähigkeit betrifft, Sie weiterhin zu unterstützen?
Nein, denn sie geben uns kein Geld, das wirkt sich daher nicht auf Syrien aus. Selbst wenn sie uns [mit Geld] helfen würden, wäre das in Form von Krediten. Wir sind da wie jedes andere Land: Wir haben Kredite. Manchmal zahlen wir Kredite, manchmal nehmen wir Kredite auf.
Aber deren militärische Unterstützung kostet sie [Iran und Russland] Geld, und wenn sie weniger Geld zur Zahlung ihres eigenen Militärs haben – wird das nicht zu einem Problem werden?
Nein, denn wenn man für Waffen zahlt oder für irgendwelche anderen Güter, hat man kein Problem.
Wollen Sie damit sagen, dass Sie alles, was Sie von den Russen und den Iranern bekommen …?
Bisher haben wir keine Veränderungen festgestellt, wie weit das Auswirkungen auf sie hat, kann ich daher nicht sagen.
In früheren Interviews haben Sie gesagt, dass Sie und Ihre Regierung im Verlaufe des Krieges Fehler begangen haben. Was sind das für Fehler? Gibt es irgend etwas, was Sie bedauern?
Jede Regierung, jeder Mensch macht Fehler, das ist wiederum selbstverständlich, das ist unbestreitbar. Aber wenn man über politische Fehler sprechen will, muss man sich fragen, welches die hauptsächlichsten Entscheidungen sind, die man seit Beginn der Krise getroffen hat? Wir haben drei wichtige Entscheidungen gefällt: In erster Linie offen sein für jeden Dialog. Zweitens haben wir die Verfassung und das Gesetz in Übereinstimmung mit dem geändert, was viele in der Opposition als angeblichen Grund für die Krise nannten. Drittens haben wir die Entscheidung getroffen, unser Land zu verteidigen, uns selber zu verteidigen, Terroristen zu bekämpfen. Ich denke nicht, dass diese drei Entscheidungen als falsch oder als Fehler bezeichnet werden können. Wenn Sie über die Praxis sprechen wollen: Jeder Beamte an irgendeinem Ort kann Fehler machen, aber es besteht ein Unterschied zwischen Fehlern bei der Anwendung und Fehlern bei den politischen Grundsätzen.
Können Sie einige der Fehler in der Praxis beschreiben?
Ich müsste auf Beamte vor Ort zurückgreifen, ich habe keine in Erinnerung. Ich würde eher über Grundsätze sprechen.
Haben Sie das Gefühl, dass es einige politische Fehler gegeben hat, für die Sie verantwortlich sind?
Ich habe die hauptsächlichsten Entscheidungen erwähnt.
Aber Sie sagten, das seien keine Fehler gewesen.
Das Land gegen den Terrorismus zu verteidigen? Wenn ich sagen wollte, dass das ein Fehler ist, dann würde man richtig handeln, wenn man die Terroristen unterstützt.
Ich mache mir einfach Gedanken, ob es irgend etwas gibt, von dem Sie im Rückblick wünschen, Sie hätten es anders getan.
Was diese drei Hauptentscheidungen betrifft, so waren sie richtig, und ich bin überzeugt davon.
Bezogen auf praktische Fehler auf unteren Ebenen – werden Leute zur Verantwortung gezogen, sagen wir für Menschenrechtsverletzungen, für exzessiven Einsatz von Gewalt oder für das wahllose Zielen auf Zivilpersonen, für solche Dinge?
Ja. Einige Leute sind festgenommen worden, weil sie diesbezüglich das Gesetz gebrochen haben, und das geschieht natürlich in solchen Fällen.
Bezogen auf deren Behandlung von Zivilisten oder Protestierenden – ist es das, wovon Sie sprechen?
Ja, während der Proteste ganz am Anfang, ja.
Seit die Vereinigten Staaten ihre Luftangriffe gegen den Islamischen Staat begonnen haben, sind Syrien und die Vereinigten Staaten eine seltsame Art von Partnern geworden und kooperieren effektiv in diesem Aspekt des Kampfes. Sehen Sie das Potential für vermehrte Kooperation mit den Vereinigten Staaten?
Ja, das Potential ist bestimmt immer gegeben, denn seit 30 Jahren sprechen wir über oder ersuchen wir um internationale Zusammenarbeit gegen den Terrorismus. Aber dieses Potential bedarf des Willens. Die Frage, die wir haben, ist: Wieviel Willen besteht bei den Vereinigten Staaten, den Terrorismus vor Ort wirklich zu bekämpfen? Bisher haben wir nichts Konkretes gesehen, trotz der Angriffe des ISIS im nördlichen Syrien. Da gibt es nichts Konkretes. Was wir bisher gesehen haben, ist, sagen wir, Augenwischerei, nichts Reales. Seit dem Beginn dieser Angriffe hat der ISIS weitere Gebiete in Syrien und im Irak gewonnen.
Was ist mit den Luftangriffen in Kobane? Sie haben den ISIS wirksam abgebremst.
Kobane ist eine kleine Stadt mit etwa 50 000 Einwohnern. Es ist nun mehr als drei Monate her, seit die Angriffe [der USA] begannen, und sie sind nicht beendet. Die gleichen Gebiete werden von denselben al-Kaida-Fraktionen besetzt gehalten – die syrische Armee befreite sie in weniger als drei Wochen. Das heisst, dass sie den Terrorismus nicht ernsthaft bekämpfen.
Wollen Sie damit sagen, dass Sie eine grössere US-Beteiligung am Krieg gegen den ISIS wollen?
Es geht nicht um eine stärkere Beteiligung des Militärs, weil es nicht nur um Militär geht, es geht um Politik. Es geht darum, wie weit die Vereinigten Staaten die Türken beeinflussen wollen. Denn wenn die Terroristen den Luftangriffen über diese Periode standhalten können, bedeutet das, dass die Türken ihnen weiterhin Waffen und Geld liefern. Haben die Vereinigten Staaten irgendwelchen Druck auf die Türkei ausgeübt, um die Unterstützung von al-Kaida zu stoppen? Das haben sie nicht, das taten sie nicht. Es geht daher nicht nur um militärisches Engagement. Das ist das erste. Zweitens – wenn Sie über militärische Beteiligung sprechen wollen – haben amerikanische Beamte öffentlich eingeräumt, dass man ohne Bodentruppen nichts Konkretes erreichen kann. Von welchen Truppen vor Ort hängen Sie ab?
Schlagen Sie damit vor, dass US-Truppen vor Ort sein sollten?
Nicht US-Truppen. Ich spreche vom Prinzip, dem militärischen Prinzip. Ich sage nicht amerikanische Truppen. Wenn man sagt, man wolle Krieg gegen den Terrorismus führen, muss man Truppen vor Ort haben. Die Frage, die man den Amerikanern stellen muss, ist: Von welchen Truppen werden sie abhängig sein? Das müssen definitiv syrische Truppen sein. Das ist unser Land, das ist unser Staat. Wir sind verantwortlich. Wir bitten überhaupt nicht um amerikanische Truppen.
Was also möchten Sie von den Vereinigten Staaten sehen? Sie erwähnten mehr Druck auf die Türkei …
Druck auf die Türkei, Druck auf Saudi-Arabien, Druck auf Katar, dass sie die Unterstützung der Rebellen beenden. Zweitens auf rechtlicher Ebene mit Syrien zu kooperieren und das damit beginnen, dass sie bei unserer Regierung um Erlaubnis anfragen, solche Angriffe zu machen. Das taten sie nicht, daher sind sie illegal.
Entschuldigung, ich verstehe den Punkt nicht. Sie wollen, dass sie legale …
Natürlich, wenn man in irgendeinem anderen Land eine Aktion durchführen will, dann fragt man es um Erlaubnis.
Ich verstehe. Ein formales Abkommen also zwischen Washington und Damaskus, um Luftschläge zu erlauben?
Die Form können wir später besprechen, aber man beginnt mit der Genehmigung. Ist es ein Abkommen? Ist es ein Vertrag? Das ist eine andere Angelegenheit.
Und wären Sie bereit, Schritte zu unternehmen, um die Kooperation mit Washington zu erleichtern?
Mit jedem Land, das den Terrorismus ernsthaft bekämpft, sind wir bereit zu kooperieren, wenn es ernst gemeint ist.
Welche Schritte wären Sie bereit zu tun, um Washington zu zeigen, dass Sie gewillt sind zu kooperieren?
Ich denke, sie sind diejenigen, die den Willen zeigen müssen. Wir kämpfen schon vor Ort, wir müssen das nicht zeigen.
Die Vereinigten Staaten trainieren zurzeit 5000 syrische Kämpfer, die im Mai nach Syrien kommen sollen. Nun war US-General John Allen sehr bedacht zu sagen, dass diese Truppen nicht gegen die syrische Regierung gerichtet sein werden, sondern sich einzig auf den ISIS konzentrieren. Was werden Sie tun, wenn diese Truppen das Land betreten? Werden Sie ihnen erlauben, einzureisen? Werden Sie sie angreifen?
Jegliche Truppen, die nicht in Zusammenarbeit mit der syrischen Armee arbeiten, sind illegal und sollten bekämpft werden. Das ist völlig klar.
Selbst wenn Sie das in Konflikt mit den Vereinigten Staaten bringt?
Ohne Kooperation mit syrischen Truppen sind sie illegal und sind Marionetten eines anderen Staates, daher werden sie bekämpft werden wie jede andere illegale Miliz, die gegen die syrische Armee kämpft. Aber das wirft eine andere Frage auf: über jene Truppen. Obama sagte, sie seien eine Phantasie. Wie ist Phantasie zu Realität geworden?
Ich denke, mit dieser Art Trainingsprogramm.
Aber Sie können Extremismus nicht gemässigt machen.
Es gibt immer noch einige gemässigte Mitglieder der Opposition. Sie werden ständig schwächer und schwächer, aber ich denke, dass die US-Regierung sehr gewissenhaft versucht, sicherzustellen, dass die Kämpfer, die sie trainiert, keine Radikalen sind.
Aber die Frage ist, warum die gemässigte Opposition – wenn Sie sie Opposition nennen, wir nennen sie Rebellen – schwächer und schwächer werden? Sie sind doch schwächer auf Grund von Entwicklungen in der syrischen Krise. Bringt man 5000 davon von aussen herein, wird das die meisten dazu bringen, überzulaufen und sich dem ISIS und anderen Gruppen anzuschliessen; das ist es, was im Laufe des letzten Jahres geschah. Deshalb habe ich gesagt, es sei noch immer illusorisch. Es sind nicht die 5000, die illusorisch sind, aber die Idee als solche ist illusorisch.
Ein Teil dessen, was Washington so zurückhaltend macht, mit Ihnen offizieller zusammenzuarbeiten, sind die Vorwürfe schwerer Menschenrechtsverletzungen durch Ihre Regierung. Diese Vorwürfe stammen nicht bloss von der US-Regierung, sie kommen auch von der Uno-Menschenrechtskommission, der unabhängigen Sonderermittlungskommission der Uno. Ich bin sicher, dass Sie diese Vorwürfe kennen. Dazu gehören das Verweigern des Zutritts von Hilfsprogrammen in Flüchtlingslager, das unterschiedslose Bombardieren von zivilen Zielen, Beweisfotos, welche der Überläufer mit dem Codenamen Caesar lieferte, der vor dem US-Kongress eine Präsentation machte und schreckliche Folterungen und Misshandlungen in syrischen Gefängnissen zeigte. Sind Sie bereit, in diesen Angelegenheiten etwas zu unternehmen, um die Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten zu erleichtern?
Das Komische an dieser Administration ist, dass sie die erste ist in der Geschichte, welche ihre Einschätzungen und späteren Entscheidungen auf soziale Medien abstützt. Wir nennen sie eine Social Media Administration, was mit Politik nichts zu tun hat. Keiner der von Ihnen genannten Vorwürfe ist konkret; alle von ihnen sind Behauptungen. Sie können Fotos von irgend jemandem bringen und sagen, das sei Folter. Wer hat die Fotos gemacht? Wer ist derjenige? Niemand weiss es. Es gibt keine Überprüfung von irgendeinem dieser Beweise, daher sind das alles Behauptungen ohne Beweis.
Die Fotos von Caesar sind von unabhängigen europäischen Ermittlern durchgesehen worden.
Nein, nein. Das wird von Katar finanziert, und die sagen, es sei eine anonyme Quelle. Damit ist nichts klar oder bewiesen. Auf den Bildern ist nicht klar, welche Person sie zeigen. Es sind Bilder von einem Kopf, zum Beispiel, einige mit Schädeln. Wer sagt, dass das von der Regierung gemacht wurde und nicht von den Rebellen? Wer sagt, dass das ein syrisches Opfer ist und nicht jemand anderer? Fotos zum Beispiel, die zu Beginn der Krise publiziert wurden, waren aus dem Irak oder aus dem Jemen. Zweitens sind weder die Vereinigten Staaten im besonderen noch der Westen im allgemeinen in der Lage, über Menschenrechte zu sprechen. Sie sind für die meisten Tötungen in der Region verantwortlich, vor allem die Vereinigten Staaten, nachdem sie in den Irak eingedrungen waren, und das Vereinigte Königreich nach der Invasion in Libyen, oder die Situation im Jemen – und was durch die Unterstützung der Muslimbruderschaft in Ägypten und den Terrorismus in Tunesien geschah. Alle diese Probleme entstanden wegen der Vereinigten Staaten. Sie waren die ersten, welche das Völkerrecht und die Resolutionen des Sicherheitsrates mit Füssen getreten haben, nicht wir.
Das mag wahr sein oder nicht, aber das sind davon getrennte Themen, und das entlässt Ihre Regierung nicht aus der Verantwortung.
Nein, nein. Die Vereinigten Staaten klagen an, somit haben wir diesen Teil zu beantworten. Ich sage nicht, die Regierung habe keine Verantwortung, wenn es irgendeinen Verstoss oder eine Verletzung der Menschenrechte gibt. Das ist ein anderes Thema. Beim zweiten Teil Ihrer Frage handelt es sich um Behauptungen. Es sind immer noch Behauptungen. Wenn Sie wollen, dass ich antworte, muss ich auf etwas antworten, das konkret ist, bewiesen und verifiziert.
Sind Sie bereit kategorisch zu dementieren, dass es in Syrien Folter und Misshandlung von Gefangenen gibt?
Natürlich sind wir bereit, wenn es irgendeine unvoreingenommene und faire Art gibt, all diese Behauptungen zu verifizieren. Das wäre in unserem Interesse.
Welche Auswirkungen hätte ein amerikanisch-iranisches Nuklearabkommen auf Syrien?
Keine, denn die Krise hier war nie Teil der Verhandlungen, und Iran lehnte es ab, sie dazu zu machen. Und das ist korrekt, denn es besteht keine Verbindung zwischen den beiden.
Aber viele in den Vereinigten Staaten erwarten, dass es die Kooperation zwischen den beiden Ländern sehr erleichtern würde, wenn Iran und die Vereinigten Staaten eine Vereinbarung treffen. Die Leute fragen sich daher, ob Iran als Gefälligkeit gegenüber der US-Regierung sich vielleicht entschliessen könnte, seine Unterstützung für Syrien zu reduzieren.
Wir haben nie eine Information erhalten, die so etwas bestätigen würde, nie. Ich kann nicht über etwas diskutieren, über das ich keinerlei Informationen habe.
Schildern Sie, ob Sie denken, dass der Krieg aus der Perspektive der Regierung gut verläuft. Unabhängige Analysten haben gemeint, dass Ihre Regierung derzeit 45 bis 50 Prozent des Territoriums von Syrien kontrolliert.
Zuallererst, wenn Sie den Schauplatz beschreiben wollen – das ist kein Krieg zwischen zwei Ländern, zwischen zwei Armeen, bei dem man einen feindlichen Einfall hatte und man einiges Gelände verlor, das man zurückgewinnen will. Es ist nichts Derartiges. Wir sprechen über Rebellen, die Gebiete infiltrieren, die von Zivilisten bewohnt sind. Sie haben syrische Terroristen, die ausländische Terroristen dabei unterstützen, zu kommen und sich unter Zivilisten zu verstecken. Sie starten das, was man einen Guerillaangriff nennt. Das ist die Form dieses Krieges, man kann ihn daher nicht so betrachten, als ginge es um Territorium. Zweitens, wo immer die syrische Armee hingehen wollte, ist es ihr gelungen. Aber die syrische Armee kann nicht auf jedem Kilometer des syrischen Territoriums präsent sein. Das ist unmöglich. Wir haben in den vergangenen zwei Jahren einige Fortschritte gemacht. Aber wenn Sie mich fragen wollen: «Geht es gut?» sage ich, dass jeder Krieg schlecht ist, denn man verliert immer, man hat immer Zerstörung in einem Krieg. Die Hauptfrage ist: Was haben wir in diesem Krieg gewonnen? Was wir in diesem Krieg gewonnen haben ist, dass das syrische Volk die Terroristen abgewiesen hat. Das syrische Volk unterstützt seine Regierung mehr, das syrische Volk unterstützt seine Armee stärker. Bevor man über Gebietsgewinn spricht, sollte man über das Gewinnen der Herzen und den Verstand und die Unterstützung des syrischen Volkes sprechen. Das ist es, was wir gewonnen haben. Was übrigbleibt, ist logistisch, das ist technisch. Das ist eine Frage der Zeit. Der Krieg verläuft auf positive Weise. Aber das heisst nicht, dass man auf nationaler Ebene nicht verliert. Denn man verliert Menschenleben, man verliert Infrastruktur, der Krieg selber hat sehr schlechte soziale Auswirkungen.
Denken Sie, dass Sie die Rebellen letztendlich militärisch schlagen?
Wenn sie keine externe Unterstützung erhalten und keinen, sagen wir Nachschub und keine Rekrutierung von neuen Terroristen innerhalb Syriens, wird es kein Problem sein, sie zu besiegen. Selbst heute haben wir kein militärisches Problem. Das Problem ist, dass sie noch immer diese kontinuierliche Versorgung haben, vor allem aus der Türkei.
Somit scheint die Türkei der Nachbar zu sein, über den Sie am meisten besorgt sind?
Genau. Logistisch; und über die Finanzierung der Terroristen aus Saudi-Arabien und Katar, aber über die Türkei.
Machen Sie Erdogan persönlich verantwortlich? Das ist ein Mann, zu dem Sie einst eine recht gute Beziehung hatten.
Ja. Weil er der Ideologie der Muslimbruderschaft angehört, welche die Basis ist von al-Kaida. Sie war die erste politische islamische Organisation, die im frühen zwanzigsten Jahrhundert einen gewaltsamen politischen Islam vorantrieb. Er gehört ihr stark an und ist ein entschiedener Glaubensanhänger dieser Werte. Er ist sehr fanatisch, und deshalb unterstützt er den ISIS noch immer. Er ist persönlich für das verantwortlich, was geschah.
Sehen Sie irgendwelche anderen möglichen Partner in der Region? Zum Beispiel General al-Sisi in Ägypten?
Ich würde nicht über ihn persönlich sprechen, aber so lange Ägypten und die ägyptische Armee und die Regierung dieselbe Art von Terroristen wie im Irak bekämpft, können wir diese Länder natürlich geeignet dafür erachten, bei der Bekämpfung desselben Feindes mit ihnen zu kooperieren.
Zwei abschliessende Fragen, wenn ich darf. Können Sie sich ein Szenario vorstellen, bei dem Syrien zu dem Status quo zurückkehrt, so wie er war, bevor die Kämpfe vor nahezu vier Jahren begannen?
In welchem Sinn?
In dem Sinne, dass Syrien wieder ein Ganzes ist, dass es nicht geteilt ist, seine Grenzen kontrolliert, es den Wiederaufbau beginnt, dass es Frieden hat und ein überwiegend säkulares Land ist.
Wenn Sie heute eine militärische Karte betrachten, existiert die syrische Armee in jeder Ecke. Nicht an jedem Ort, an jeder Ecke: Ich meine im Norden, Süden, Osten, Westen und dazwischen. Wenn man nicht an ein vereintes Syrien glauben würde, daran, dass Syrien zu seiner früheren Position zurückkehren kann, würde man als Regierung die Armee nicht dorthin schicken. Wenn man nicht daran als ein Volk glaubt, hätten Sie in Syrien Menschen isoliert in unterschiedlichen Ghettos gesehen, die auf ethnischer oder konfessioneller oder religiöser Identität basierten. Solange das nicht die Situation ist, leben die Menschen miteinander, die Armee ist überall, die Armee besteht aus jeder Färbung der syrischen Gesellschaft oder dem syrischen Gewebe. Das bedeutet, dass wir alle glauben, Syrien sollte wieder so werden, wie es war. Wir haben keine andere Option, denn wenn es nicht zu seiner früheren Position zurückkehrt, wird das jedes umliegende Land beeinträchtigen. Das ist ein Gewebe – das ergibt einen Dominoeffekt, der Einfluss haben wird vom Atlantik bis zum Pazifik.
Wenn Sie Präsident Obama heute eine Nachricht übermitteln könnten, was wäre das?
Ich denke, das, was man von jedem Amtsträger in der Welt als normal verlangt, ist, für die Interessen seines Volkes zu arbeiten. Und die Frage, die ich jedem Amerikaner stellen würde, lautet: Was habt ihr davon, Terroristen in unserem Land, in unserer Region zu unterstützen? Was habt ihr davon gehabt, vor wenigen Jahren in Ägypten und in anderen Ländern die Muslimbruderschaft zu unterstützen? Was habt ihr für die Unterstützung von jemandem wie Erdogan erhalten? Einer der Vertreter Ihres Landes fragte mich vor sieben Jahren in Syrien am Ende eines Meetings: «Wie denken Sie, können wir das Problem in Afghanistan lösen?» Ich sagte ihm: «Sie müssen in der Lage sein, mit Regierungsvertretern zu verhandeln, die keine Marionetten sind, die zu Ihnen nein sagen können.» Was die Vereinigten Staaten betrifft, so kann es nicht die Art sein, wie Sie den Interessen Ihres Landes dienen, wenn Sie nur nach Marionetten von Beamten und Klientelstaaten suchen. Sie sind heute die grösste Macht der Welt, Sie haben zu viele Dinge, die Sie rund um die Welt verbreiten – Wissen, Innovation, IT, mit ihren positiven Rückwirkungen. Wie können Sie die Besten in diesen Bereichen sein, jedoch die Schlimmsten auf dem politischen Gebiet? Das ist ein Widerspruch. Das denke ich, sollte das amerikanische Volk analysieren und hinterfragen. Warum scheitern Sie in jedem Krieg? Ihr könnt Krieg erzeugen, Ihr könnt Probleme schaffen, aber Ihr könnt nicht ein Problem lösen. Zwanzig Jahre Friedensprozess in Palästina, aber Ihr könnt nichts damit bewirken, trotz der Tatsache, dass Ihr ein grossartiges Land seid.
Aber wie würde eine bessere Politik in Zusammenhang mit Syrien aussehen?
Es wäre eine, die Stabilität im Nahen Osten bewahrt. Syrien ist das Herz des Nahen Ostens. Jedermann weiss das. Wenn der Nahe Osten krank ist, ist die ganze Welt instabil. Als wir im Jahre 1991 den Friedensprozess begannen, hatten wir viel Hoffnung. Heute, nach mehr als zwanzig Jahren, stehen die Dinge nicht auf Feld eins, sie sind weit dahinter zurück. Die Politik sollte daher so sein, dass sie den Frieden in der Region fördert, den Terrorismus bekämpft, den Säkularismus begünstigt, diese Region wirtschaftlich unterstützt, hilft, Denkweise und Gesellschaft voranbringt, wie Sie das in Ihrem Land taten. Das ist die Mission, die man von den Vereinigten Staaten erwartet, nicht Kriege in Gang zu setzen. Kriege beginnen macht euch nicht zu einer grossartigen Macht. •
© 2015 Council on Foreign Relations, Herausgeber von Foreign Affairs. Zuerst veröffentlicht vom Council on Foreign Relations, Herausgeber von Foreign Affairs. Vertrieben von Tribune Content Agency, LLC, in gedruckter Version veröffentlicht in Foreign Affairs vom März/April 2015
(Übersetzung
Zeit-Fragen)
Englisch und Französisch unter
www.voltairenet.org/article186617.html