Siehe zu den einstigen ernsthaften Friedenskräften auch den Vortrag von Rechtsanwalt Heinrich Hannover mit Bezug zum Friedenskomitee der Bundesrepublik.
Vereinigung der Verfolgten des
Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen
und Antifaschisten
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VVN-BdA - 60. Jahrestag der Gründung der VVN Bremen
Vortrag von Rechtsanwalt Heinrich
Hannover am 23.08.2007 im Bambergerhaus
"Die vergessenen Widerstandskämpfer"
....
Es hat nach dem Zusammenbruch des
Hitler-Reichs 1945 in den Westzonen nur eine kurze Zeit der
politischen Windstille gegeben, in der die überwältigende Mehrheit
der Deutschen, die ihrem Führer zugejubelt hatten, nicht recht
wussten, in welchen Wind sie ihr Fähnchen nun hängen sollten. Es
war die Zeit, in der Menschen, die den Nazi-Terror in Zuchthäusern
und Konzentrationslagern überlebt hatten, auch in Westdeutschland in
verantwortungsvolle politische Positionen berufen wurden und am
Wiederaufbau demokratischer Strukturen mitgewirkt haben. Es war die
Zeit, in der man gern darauf verwies, daß es auch während der
Nazi-Herrschaft ein anderes Deutschland gegeben hatte, Menschen, die
sich dem staatlichen Unrecht widersetzt und dafür tausendfach mit
Verlust ihrer Freiheit oder Verlust ihres Lebens bezahlt haben.
...
Mit Adenauer und seinem Anhang hatten die Westdeutschen
wieder eine konservativ und national gesinnte Obrigkeit, die dafür
sorgte, daß die von den Siegermächten aus ihren Ämtern entfernten
Beamten und Richter zurückkehren konnten, daß die als
Kriegsverbrecher verurteilten Hitler-Generäle begnadigt und zum
Aufbau der Bundeswehr herangezogen wurden. Adenauer machte auch die
antikapitalistischen Aussagen des CDU-Programms von 1947 vergessen,
das dem kapitalistischen Gewinn- und Machtstreben eine klare Absage
erteilt hatte. Und so konnten auch die Wirtschaftsbosse der großen
Konzerne ihre Chefsessel wieder einnehmen, die sie wegen ihrer
Unterstützung von Hitlers Kriegswirtschaft, wegen der Lieferung von
Giftgas für den Judenmord und wegen der Ausbeutung von
Zwangsarbeitern vorübergehend hatten räumen müssen. Damit waren
die alten Machtverhältnisse wiederhergestellt, gegen die Kommunisten
und andere Antifaschisten vergeblich gekämpft hatten, und das
Personal wieder beisammen, das in den Jahren der Naziherrschaft
Widerstandskämpfer verfolgt, eingesperrt und ermordet hatte.
Die unter dem Namen Restauration in die
Geschichte eingegangene Rückwärtsentwicklung der bundesdeutschen
Geschichte unter der Regierung Adenauer war verbunden mit einer
unglaublichen Regression des kollektiven Bewußtseins der
westdeutschen Bevölkerungsmehrheit. Adenauer war mit seinem
militanten Antikommunismus und durch die Berufung des Herrn Globke
und anderer Naziverbrecher mit schlechtem Beispiel vorangegangen. Und
so traute man sich wieder, an alte Denkinhalte anzuknüpfen, die
vorübergehend in Verruf geraten waren. Und binnen weniger Jahre
hatten Millionen Bürger der BRD vergessen, daß sie 1945, als der
fürchterlichste aller bisherigen Kriege noch in frischer Erinnerung
war, mehrheitlich in dem Bekenntnis „Nie wieder Krieg! Nie wieder
Faschismus!“ einig gewesen waren.
Diese kollektive Gehirnwäsche gelang
mit Hilfe einer Medienkampagne, die Adenauers Kommunistenhaß und die
Angst vor einem militärischen Überfall der Sowjet-Union in die
Köpfe der Westdeutschen hämmerte. Nur wenige haben sich damals
daran erinnert, daß die Methode dieser Haßpropaganda schon in
Hitlers „Mein Kampf“ nachzulesen war, der dort über die „Kunst
der Propaganda“ doziert hat, daß sie sich auf das Niveau des
Beschränktesten einzustellen und einfachste Schlagworte tausendfach
zu wiederholen habe,. Heute ist kaum noch vorstellbar, daß man in
der Adenauer-Zeit den immer wiederholten absurden antikommunistischen
Parolen wie „Die Russen kommen!“ oder „Lieber tot als rot“
kaum widersprechen konnte, ohne sofort als Sympathisant oder
„nützlicher Idiot“ der Kommunisten abgestempelt zu sein.
Und so dauerte es nicht lange, bis die
im Geiste des Hitler-Faschismus bewährte Mehrheit und deren
Erziehungsprodukte wieder die Herrschaft über die Köpfe übernahmen
und die Widerständler der deutschen Linken nach den alten Mustern
der Goebbels-Propaganda diffamiert, kriminalisiert und aus dem
politischen Meinungsbildungsprozeß ausgeschlossen wurden. Spätestens
mit dem Adenauer-Erlaß vom September 1950, der die Vereinigung der
Verfolgten des Nazi-Regimes zur kommunistischen Tarnorganisation und
eine Mitgliedschaft für unvereinbar mit den Dienstpflichten eines
Beamten erklärte, war die Rückkehr zu den alten Machtverhältnissen
im Staatsapparat eingeleitet. Eine Entwicklung, die mit dem
sogenannten 131er-Gesetz fortgesetzt wurde, das den wegen ihrer
Nazi-Belastung aus dem Dienst entfernten Beamten einen Rechtsanspruch
auf Wiedereinstellung verlieh.
Da kamen sie alle wieder, die als
Gefolgsleute Hitlers den Massenmord an den Juden, Kommunisten, linken
Sozialdemokraten, Zeugen Jehovas, Zigeunern und anderen mißliebigen
Bevölkerungsgruppen zu verantworten hatten, die als Staatsanwälte
und Richter einem Unrechtsregime gedient und Todesurteile gegen
Widerstandskämpfer beantragt und gefällt hatten. Und sie nutzten
ihre Positionen im Staatsapparat, insbesondere in der Justiz, um
ihren alten Kameraden zu bescheinigen, daß deren Verbrechen
verzeihlich und keineswegs karrierehindernd waren. Die restaurierte
herrschende Klasse und ihre Medien sorgten dafür, daß ihre
Verbrechen aus dem öffentlichen Bewußtsein so weit wie möglich
getilgt und die Verdienste der ermordeten und der überlebenden
Widerstandskämpfer, mit Ausnahme der Militäropposition, in
Vergessenheit gerieten.
Die Verfolgten des Naziregimes sahen
sich erneut ihren alten Verfolgern in den Machtpositionen des nunmehr
als „freiheitlich-demokratisch“ firmierenden Staates gegenüber.
Und die Verfolgten von einst wurden wiederum zu Verfolgten.
Es begann mit dem Verbot von
Organisationen, die als „kommunistische Tarnorgansationen“
diffamiert wurden. Das betraf auch die Vereinigung der Verfolgten des
Naziregimes (VVN), in der Kommunisten, wie es nicht anders sein
konnte, die Mehrheit bildeten. Das Verbot der VVN auf Bundesebene
scheiterte allerdings beim Bundesverwaltungsgericht, das die Sache
vertagte, ohne einen neuen Termin anzuberaumen, nachdem sich
herausgestellt hatte, daß der Vorsitzende des zuständigen
Senats ein ehemaliges Mitglied der SA und der NSDAP war.
Das änderte aber nichts daran, daß
die VVN in der Verwaltungspraxis als verfassungsfeindliche
Organisation behandelt wurde. Als ich im September 1950 meine
Einstellung als Gerichtsreferendar in den Bremer Justizdienst
beantragte, um die Voraussetzung für die spätere Zulassung als
Rechtsanwalt zu erfüllen, mußte ich die von der Adenauer-Regierung
verfügte schwarze Liste unterschreiben, in der alle „kommunistischen
Tarnorganisationen“ aufgeführt waren, in der Mitglied zu sein mit
den Pflichten eines bundesdeutschen Beamten unvereinbar war. Zu
meinem Glück war ich nicht Mitglied der VVN, sonst hätte ich nie
Rechtsanwalt werden können. Der Begriff Berufsverbot war noch nicht
erfunden, aber es wurde schon praktiziert.
Dann kam das
1.Strafrechtsänderungsgesetz von 1951...
Von November 1959 bis April 1960 fand
vor dem Landgericht Düsseldorf das Strafverfahren gegen führende
Persönlichkeiten des Friedenskomitees der Bundesrepublik Deutschland
statt. Zu den Angeklagten gehörte ein Kommunist, der schon im
Nazi-Reich als Widerstandskämpfer wegen „Vorbereitung zum
Hochverrat“ verurteilt wurde, der ehemalige Pfarrer Erwin Eckert,
Jahrgang 1893, SPD-Mitglied von 1911 bis 1931, danach Mitglied der
KPD. Als Kriegsgegner aus dem 1. Weltkrieg zurückgekehrt wurde er
1919 Stadtvikar in Pforzheim, später Pfarrer in Meersburg und ab
1927 in Mannheim. Wegen seines Eintritts in die KPD wurde er von
seiner Kirche aus dem Pfarramt entlassen. Er hielt Vorträge, in
denen er gegen die Gefahr des Hitler-Faschismus und des Militarismus
Stellung bezog. Er sprach zum Thema „Wer Hitler wählt, wählt den
Krieg“. Nach dem Reichstagsbrand im Februar 1933 wird er zum ersten
Mal verhaftet und sechs Monate eingesperrt. Im Juni 1936 folgt die
zweite Verhaftung, Anklage und Verurteilung zu langjähriger
Zuchthausstrafe. Nach dem Ende des Nazi-Reichs wird er Vorsitzender
der KPD in Südbaden und Staatsrat in der Regierung Südbadens. Von
1947 bis 1952 Abgeordneter im ersten badischen Landtag, dann bis 1956
Angeordneter im baden-württembergischen Landtag. 1949 kandidiert
Eckert als Kommunist für das Amt des Oberbürgermeisters in
Mannheim, der Stätte seines einstigen Wirkens als Pfarrer, und
erhält, obwohl der Gegenkandidat von SPD, CDU und FPD unterstützt
wird, 35 % aller abgegebenen Stimmen.
Seine Arbeit im Friedenskomitee
verstand Eckert als logische Fortsetzung seiner aus dem Erleben des
1. Weltkriegs resultierenden Friedensarbeit in der Vor-Hitler-Zeit.
Für den Staatsanwalt war Eckerts Friedensarbeit nur eine Tarnung für
seine eigentliche Absicht, die Diktatur des Proletariats und die
kommunistische Weltrevolution herbeizuführen. Er warf Eckert vor, er
benutze „seine Gabe, brillant zu formulieren und die in der
Öffentlichkeit bekannte Tatsache, daß er früher Pfarrer gewesen
ist, verbunden mit seinen dialektischen Fähigkeiten, um viele
Personen dem kämpferischen Kommunismus zuzuführen, die diesen Weg
nicht gegangen wären, wenn er von dem Angeklagten nicht so
hervorragend getarnt worden wäre.“ Das Gericht, bestehend aus drei
Berufsrichtern und zwei Schöffen, war der gleichen Ansicht und
weigerte sich, die von der Verteidigung vorgelegten Beweismittel über
die Friedensarbeit der Angeklagten überhaupt zur Kenntnis zu nehmen
und lehnte unsere Beweisanträge ab. Auf dem Hintergrund des im
CDU-Staat herrschenden antikommunistischen Zeitgeistes konnten sie
die Friedensarbeit von Kommunisten nur als Tarnung ihres wahren
Zieles verstehen, die BRD gegenüber dem drohenden Überfall der
Sowjets wehrlos zu machen. Daß in Düsseldorf nicht nur Kommunisten,
sondern auch Nichtkommunisten auf der Anklagebank saßen und daß die
Verteidigung etwa 50 Zeugen aus der Weltfriedensbewegung präsent
gestellt hatte, die der angeblichen Verfassungsfeindlichkeit des
Friedenskomitees widersprachen, beeindruckte die Richter und Schöffen
in keiner Weise. In ihren Augen waren das eben alles „nützliche
Idioten“, die sich von den Kommunisten über deren wahre Absichten
hatten täuschen lassen. Das Urteil gegen Eckert lautete auf neun
Monate Gefängnis – zur Bewährung ausgesetzt – wegen
Rädelsführerschaft in einer verfassungsfeindlichen Vereinigung
(damaliger § 90 a).
Wenn ich Erwin Eckert als Beispiel für
vergessene Widerstandskämpfer anführe, soll das nicht heißen, daß
niemand mehr wüßte, wer Erwin Eckert war. In dem von
Friedrich-Martin Balzer 1993 im Pahl-Rugenstein-Verlag
herausgegebenen Buch „Ärgernis und Zeichen“ mit dem Untertitel
„Erwin Eckert – Sozialistischer Revolutionär aus christlichem
Glauben“ haben 15 Autoren, darunter Theologen und Wissenschaftler
wie Hans-Werner Bartsch, Frank Deppe, Georg Fülberth, Hans Heinz
Holz und Helmut Ridder, dieser bedeutenden Persönlichkeit des
deutschen Widerstands gedacht. Und das ist nicht die einzige
Veröffentlichung über Eckert. Aber im kollektiven Bewußtsein der
Zeitgenossen kommt er ebensowenig vor, wie der sozialistische
Widerstand überhaupt.
Der Düsseldorfer Prozeß gegen die
deutschen Repräsentanten der Weltfriedensbewegung fand in der
internationalen Presse große Beachtung, während die westdeutsche
Öffentlichkeit so gut wie nichts von diesem fünf Monate dauernden
Prozeß erfuhr. Die Unterdrückung unerwünschter Informationen
funktionierte, ohne daß es dazu noch eines Propagandaministeriums
bedurfte. Und wer in offiziellen Archiven nach den Prozeßakten
forscht, wird vergeblich suchen, da die zuständige
Staatsanwaltschaft die Akten und die von uns vorgelegten etwa 600
Dokumente zur Geschichte der deutschen Wiederbewaffnung, zur
Vorbereitung des nächsten Krieges und zur Opposition gegen diese
Staatsaktionen als historisch uninteressant bewertet und die
Vernichtung veranlaßt hat.
Es wäre viel zu lernen gewesen, nicht
nur aus dem eindrucksvollen Lebenslauf des antifaschistischen
Widerstandskämpfers Erwin Eckert, sondern auch aus der im
Düsseldorfer Prozeß von 1959/60 dokumentierten Arbeit des
Friedenskomitees. Schon damals hätten die Deutschen aus den von der
Verteidigung vorgelegten Beweismitteln erfahren können, daß der
Weltfrieden nicht, wie es die Adenauer-Propaganda behauptete, von der
Sowjet-Union gefährdet wurde, sondern von den USA und deren
treuestem Vasallen, der deutschen Bundesregierung. Ein Thema, das ich
an anderer Stelle (Sonderdruck der Zeitschrift „Ossietzki“:
„Befreiung auf amerikanisch“) ausführlicher behandelt habe. Aber
wir leben noch immer in einer von den Volksverdummungsstrategien der
Adenauer-Zeit beeinflußten Medienumwelt, in der geschichtliche
Informationsdefizite von den Sprechern und Schreibern der
herrschenden Klasse geflissentlich aufrechterhalten werden.
Doch wir sollten die Hoffnung nicht
aufgeben, daß eine zukünftige Generation, die auf ihre von Adenauer
repräsentierten Groß- und Urgroßväter keine Rücksicht mehr zu
nehmen braucht und deren Ungeist überwunden hat, sich der
Widerständler erinnern wird, die schon vor Hitler und auch nach
Hitler mit dem Mut der freien Rede gegen den im kapitalistischen
System wurzelnden Faschismus und Militarismus gekämpft haben. Schon
Gustav Heinemann hat daran erinnert, daß deutsche Geschichte außer
Untertanengeist und Massenmord auch Widerstand, freiheitliche
Rebellion und Solidarität mit Unterdrückten kennzeichnet. In diesem
Geiste könnte deutsche Geschichte, beginnend mit den Revolutionären
von 1848/49 bis hin zu den antifaschistischen Widerstandskämpfern
des 20. Jahrhunderts, neu geschrieben werden, eine Geschichte, der
wir uns nicht zu schämen bräuchten.