China ist die zweitstärkste Volkswirtschaft der Welt. Nun macht die Volksrepublik sich auf, die globale Wirtschaftsmacht zu werden. Peking will seine Seidenstraßen wiederbeleben, die China einst mit Zentral- und Südostasien, den Golfstaaten, Afrika bis nach Europa verbanden.
In vielen der 65 Ländern, durch die die neuen Seidenstraßen führen werden, sollen chinesische Unternehmer und Ingenieure in großem Umfang Häfen, Airports, Autos, Eisenbahnen, Telekommunikation bis hin zu Atomkraftwerken bauen, mithin die gesamte fehlende Infrastruktur.
Staatschef Xi Jinping stellte seine ehrgeizigen Pläne dazu auf der Boao-Wirtschaftskonferenz auf Chinas Südseeinsel Hainan vor. "Das sind keine leeren Slogans, sondern ganz praktische Unternehmungen, die jeder anfassen und sich ansehen kann. Sie werden den beteiligten Staaten echte Vorteile bringen. Mehr als 60 Länder entlang der Seidenstraßen und internationale Organisationen haben schon ihr Interesse daran bekundet."
Foto: picture-alliance/ dpaWoran denkt man, wenn man "Seidenstraße" hört? Richtig. Aber was Xi Jinping gerade vorgestellt hat, handelt von Auto- und Eisenbahnen, nicht von Kamelkarawanen
30 Minuten brauchte der Präsident, um am Wochenende in Boao vor 16 internationalen Staats- oder Regierungschefs und Hunderten Ministern den Startschuss für seine Seidenstraßenoffensive zu geben. Die 65 Länder stehen zusammen für 4,4 Milliarden Menschen, oder 63 Prozent der Weltbevölkerung und 29 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung. China will sie durch bilaterale Vorfinanzierung, Erschließung der Infrastruktur und Verkehrsbauten an sich binden. Xi sprach von einer neuartigen "Schicksalgemeinschaft" zum gegenseitigen Nutzen.
Ein riesiges Puzzle von Asien bis Europa
"Straße und Korridor" nennt Peking das geostrategische Konzept, das seinen Namen von den Seidenstraßen entlehnt. Peking betrachtet die jeweiligen Länder entlang dieser Routen als Bausteine in einem chinazentrierten Netzwerk von Wirtschaftskorridoren und Freihandelszonen.
"Stellen Sie sich ein riesiges Puzzle vor, zu dem sich China und Eurasien zusammenfügen und ein zweites mit den Küstenregionen Chinas, Südostasiens, Arabiens, Afrikas bis nach Europa", sagte Österreichs Botschafterin in Peking, Irene Giner-Reichl.
Die Diplomatin begleitete ihren Präsidenten Heinz Fischer nach Boao. Um das Puzzle zusammenzusetzen, gebe es keinen multilateralen Spielplan. Jede Region setze ihr Puzzle-Teil mithilfe Chinas. In Peking werde in bilateraler Absprache über die Finanzierung, Koordinierung und die benötige Infrastruktur entschieden.
Foto: Achill MoserIn Chinas modernen Plänen für eine Seidenstraßen-Wirtschaftszone sind die Überbleibsel der alten Seidenstraße, dem Handelsweg zwischen Asien und Europa, nur noch Folklore. Aber bei europäischen Touristen weckt allein der Klang des Namens schon die Reiselust – so wie beschrieben in dem Buch "Sehnsuchtsorte" von Achill Moser und Matthias Politycki. Der abgebildete Beduine wird allerdings Kenntnisse in IT oder Logistik haben müssen, wenn er von der neuen Seidenstraße profitieren will.
Am Ende sollen die Einzelteile zur integrierten dynamischen Wirtschaftsregion zusammenwachsen, die wirtschaftlich sowohl mit China als auch untereinander kompatibel verbunden sein sollen. Xi sagte Unternehmern in Boao, Peking erwarte dadurch, sein Handelsvolumen mit den Ländern der Seidenstraße innerhalb von zehn Jahren auf 2,5 Billionen US-Dollar mehr als zu verdoppeln. 2014 waren es 1,1 Billionen US-Dollar.
Der Ausbau der "neuen Seidenstraßen" beschäftigt die chinesische Führung schon länger. Im vergangenen November stellte sie rund 40 Milliarden US-Dollar bereit, um Märkte verkehrstechnisch besser miteinander zu verbinden. Es geht um ein regional übergreifenden Infrastrukturnetz, für das Eisenbahnen, Straßen, Pipelines oder Tiefseehäfen gebaut werden sollen. Zu dem Seidenstraßenprojekt gehört auch der Güterzug, der über mehr als 10.000 Kilometer heute schon von China nach Duisburg fährt.
Alte Routen für neue Kooperationen
Wie bei der antiken Seidenstraße gibt es einen Land- und einen Seeweg. Die Route über Land führt von der alten Kaiserstadt Xi'an in China über die Region Xinjiang nach Zentralasien bis in die Türkei. Über Osteuropa geht es weiter nach Deutschland und Rotterdam und südlich nach Venedig. Die "maritime Seidenstraße" reicht von Venedig über das Mittelmeer, durch den Suezkanal und um das Horn von Afrika nach Nairobi. Von dort geht es durch den Indischen Ozean in indische Häfen und weiter durch die Straße von Malakka nach Südchina.
Für den Staatschef war es der dritte Auftritt in Boao seit Amtsantritt. 2013 verkündete er, dass China eine wirtschaftliche Vorreiterrolle in Asien spielen wolle. 2014 stellte er dazu die Seidenstraßen-Strategie vor. Nun soll sie unter chinesischer Federführung umgesetzt werden. Xi versicherte, dass Peking "niemanden von einer Beteiligung und Mitsprache ausschließen wird." Er wolle "einen wirklichen Chor, aber kein chinesisches Solo".
Doch Peking hat es spürbar eilig. Die Wirtschaft steht unter einem
Abwärtsdruckmit fallenden Wachstumsraten auf sieben Prozent. China braucht dringend neue Absatzmärkte für seine Überkapazitäten in allen Branchen der Schwer- und Bauindustrie oder beim Bahn- und Schienenbau. Asiens riesiger Infrastrukturbedarf kommt nun wie gerufen.
Am Wochenende veröffentlichten die Staatswirtschaftsplaner der chinesischen Reformkommission (NDRC) zusammen mit dem Außen- und Handelsministerium einen programmatischen Acht-Punkte-Aktionsplan zum Seidenstraßen-Ausbau. Er definiert die Länder und Gebiete, durch welche die Seidenstraßen- und Wirtschaftsgürtel führen, bis zum Indischen Ozean.
Nicht auf Kosten anderer
Der Aktionsplan nennt weder Zeitpläne noch konkrete Investitionsprojekte. Am Sonntag traf sich dazu die neue zentrale chinesische Leitungsgruppe Seidenstraße, die dem NDRC untersteht. Sie soll die Initiative mit den jeweiligen Partnerländern absprechen und erläutern und deren Entwicklungsprogramme in die regionalen Kooperationen einpassen sowie bilaterale Rahmen-, Projekt- und Zeitpläne entwerfen.
In Boao versicherte Xi, dass die Seidenstraßenstrategie nicht auf Kosten bestehender Wirtschaftspartnerschaften gehen würde. Auch stehe die Neugründung der
Asiatischen Infrastruktur Investitionsbank (AIIB), welche die künftigen Projekte von Eisenbahnen bis Atomkraftwerke finanzieren wird, bis zum offiziellen Antragsschluss am 31. März allen Staaten offen, die ein Mitspracherecht bei künftigen Finanzierungen durch die AIIB ausüben wollen.
Foto: picture-alliance / dpaAtemberaubend schöne Landschaft, karg und unwirtlich: Auch das Industal – mit Nanga Parbat als mächtiger Kulisse – am südlichen Abzweig der Seidenstraße nach Indien soll nach den Plänen der chinesischen Staatsführung Teil einer gewaltigen Wirtschaftszone werden. Handel und Wandel wie vor tausend Jahren, aber mit moderner Infrastruktur, ist das Ziel
Die Bank sei nicht als Konkurrenz für die unter US-Kontrolle stehende Weltbank oder die Asiatische Entwicklungsbank (ADB) gedacht. Natürlich ist sie es doch. Daher wunderten sich Chinas Planer in welchem Tempo nun in letzter Minute immer mehr Länder der Bank beitreten wollen.
Bis Montag waren es 44 Staaten, zuletzt Ägypten als erstes afrikanisches Land. In den vergangenen Tagen meldeten sich hintereinander auch die neun größten europäischen Länder an. "Wir hatten das nicht erwartet", sagt Vizeaußenminister Liu Jianzhao der "Welt". Die endgültige Bestätigung aller Mitglieder wird am 15. April bekannt gemacht.
Vermutlich im Juni soll die konstituierende Sitzung für die AIIB stattfinden, deren Sitz in Peking sein wird, erfuhr die "Welt" aus Bankkreisen, bevor zum Jahresende die Gründung der Bank erfolgt. Das Stammkapital von 100 Milliarden US-Dollar wird wohl erhöht. Die Aufteilung des Stimmrechts soll 75 zu 25 Prozent betragen zugunsten der asiatischen Gründungsmitglieder, allen voran China. Pekings Finanzminister Lou Jiwei versicherte aber vergangene Woche, dass China kein Vetorecht haben wird.
Ungeachtet dessen wuchert Peking mit dem Pfund der AIIB. Staatschef Xi versprach selbstherrlich dem Präsidenten Sri Lankas für künftige Projekte "erleichterte Finanzierungen durch den chinesischen Seidenstraßenfonds wie auch über die Asiatische Infrastruktur- und Investitionsbank", meldete "China Daily".
Sri Lanka wurde ruhiggestellt
Dabei ist die Bank noch nicht gegründet. Doch Sri Lanka hatte nach dem Regierungswechsel gedroht, ein von Chinas Unternehmen gebautes und für die Seidenstraßen-Strategie besonders wichtiges 1,4 Milliarden Dollar teures Hafenprojekt in Colombo wieder rückgängig zu machen. Sri Lanka nahm die Drohung inzwischen wieder zurück.
Foto: picture alliance / dpaChinas alte Seidenstraße: Außenansicht der Tausend-Buddha-Höhlen in der Murtuckschlucht nahe der Oasenstadt Turfan an der historischen Seidenstraße im autonomen uigurischen Gebiet Xinjian
Peking werde durch die Bankgründung zum
institutionalisierten Mitspieler in der Weltpolitik hieß es in Boao, nach der Seidenstraßeninitiative ein zweiter Triumph für den Staatschef Xi. Weder Washington noch Tokio wollen bisher der AIIB beitreten. Die USA hatten die Europäer zudem abhalten wollen, Mitglied zu werden. Nun sind sie brüskiert.
Das macht China schon zum zweiten Mal. Denn die Seidenstraßenstrategie hatte Peking ausgerechnet von den USA übernommen. US-Außenministerin Hillary Clinton prägte am 20. Juni 2011 erstmals das Wort von der "neuen Seidenstraßen-Strategie". In einer Rede im indischen Chennai warb sie mit dem Begriff für eine US-indische Partnerschaft durch den Aufbau eines internationalen Wirtschaftskorridor zwischen Süd- und Zentralasien.
Damit könnte Stabilität, Entwicklung und Wohlstand in der Region geschaffen werden. Zwei Jahre rang Clinton um die Umsetzung. Dann übernahm Xi den Begriff, drehte seine Achse von Nord–Süd auf Ost–West und machte wieder eine chinesische Marke daraus.
QUelle:
http://www.welt.de/wirtschaft/article138941273/Mit-einer-neuen-Seidenstrasse-endgueltig-zur-Weltmacht.html