Die Überschrift des Tagesspiel suggeriert den Erfolg der Interventionisten, die realiter in der Defensive sind.
"Woran Syrien wirklich zerbricht"01.07.2013 00:00 Uhr DER TAGESPIEGEL
Sechsmal war ich in den letzten zwei Jahren in Syrien, einem völlig verzweifelten Land. Vieles erinnerte mich an meine Reisen Anfang 2002 und 2003 durch den Vorkriegsirak. Auch damals war ich erschüttert über die Unwahrheiten, die westliche Politiker über das Land verbreiteten. Und über die Hoffnungslosigkeit der Menschen.
Den USA, Saudi-Arabien und Katar geht es im Syrienkonflikt primär nicht um Syrien, sondern um den Iran. Der ist ihnen durch den törichten Irakkrieg George W. Bushs zu stark geworden. Durch den Sturz des mit Teheran verbündeten Assad wollen sie Irans Vormachtstellung im Mittleren Osten schwächen.
An dieser Strategie zerbrechen Syrien und sein Gesellschaftsmodell, in dem die unterschiedlichsten Religionen und Ethnien in bewundernswerter Toleranz zusammenlebten.
Auch die Gefahr eines Flächenbrandes ist unübersehbar. Zehn Länder sind bereits in den Konflikt verwickelt. Wenn der Mittlere Osten brennt, könnten auch bei uns die Lichter ausgehen. Wie kann man diese Entwicklung stoppen? Als Erstes sollte man die Propagandalügen beiseiteschieben, die eine Analyse des Konflikts erschweren.
Erstens: Anders als in Tunesien, Ägypten und Libyen kämpft in Syrien nicht das „Volk“ gegen einen isolierten Diktator, sondern eine starke oppositionelle Minderheit gegen eine relativ stabile Regierungsmehrheit. Assad hat in der Bevölkerung mindestens so viel Rückhalt wie die Rebellen, wahrscheinlich sogar mehr. Ob uns das gefällt oder nicht.
Zweitens: Die fast 100 000 Opfer gehen nicht allein auf das Konto der staatlichen Sicherheitskräfte. Auch die Rebellen töten das eigene Volk. Grob geschätzt sind ein Drittel der Toten Soldaten und Polizisten, ein Drittel Rebellen, ein Drittel Zivilisten. Der christliche Patriarch von Syrien sagte mir, die Rebellen töteten sogar mehr Zivilisten als das Regime. Wann hat Al Qaida je Rücksicht auf Zivilisten genommen?
Drittens: Die überwältigende Mehrheit der Rebellen kämpft längst nicht mehr für Demokratie. Sie hat sich völlig radikalisiert. Selbst weite Teile der angeblich gemäßigten „Freien Syrischen Armee“ treten mittlerweile für ein „islamisches Kalifat“ ein. Für eine Diktatur religiöser Fanatiker.
In dieser Situation westliche Waffen an die Rebellen zu liefern, ist unverantwortlich. Es gibt gar keine nennenswerten „gemäßigten Rebellen“ mehr.
Außerdem ist die syrische Al Qaida inzwischen so stark, dass sie sich aus allen Lieferungen das Beste aussuchen kann. Wer Kampfgerät an Rebellen liefert, unterstützt immer Al Qaida. Das tun die USA heimlich seit langem. Die Lieferungen Saudi-Arabiens und Katars an Al Qaida geschahen stets mit ihrer Zustimmung, weil sie das Potenzial Al Qaidas in Syrien unterschätzten. Die USA als fünfte Kolonne Al Qaidas – eine Perversion jeder Antiterrorpolitik.
Der Konflikt lässt sich nur durch Verhandlungen lösen. Und zwar auch mit dem Iran. Die Wahl Hassan Rohanis zum iranischen Präsidenten ist eine historische Chance, die 33-jährige Sprachlosigkeit zwischen Teheran und Washington zu überwinden. Ich war in den letzten Monaten und Jahren mehrfach im Iran. Seit 2010 liegt dem Weißen Haus ein umfassender iranischer Vorschlag zur Überwindung des Konflikts vor. Ich war an seiner Überbringung nicht unbeteiligt.
Auch mit Assad müssen die USA verhandeln, wenn sie ihr Terrorzuchtprogramm in Syrien rückgängig machen wollen. Das Argument, Assad sei politisch für den Tod von hunderttausend Menschen verantwortlich, kann kein Verhandlungshindernis sein. Die USA sind im Irak und in Afghanistan für den Tod von viel mehr Menschen verantwortlich. Schätzungen der „Ärzte gegen den Atomtod“ kommen auf über 1,6 Millionen Kriegsopfer. ....