Ein Bericht von Irene Eckert
vom 14. 12. 2013
„Wenn Israel nicht nach Helsinki
geht, so holen wir Helsinki nach Haifa.“ Auf
diese griffige Formel brachte Issam Makkhoul das Anliegen besorgter
israelischer Bürger. Mit dem Boykott der UN-Konferenz in Helsinki
für einen ABC-waffenfreien Nahen Osten im Dezember 2012 waren
nicht alle Israelis einverstanden. Die Idee einer
zivilgesellschaftlichen Zusammenkunft im Lande Israel wurde in
Helsinki geboren.
Das
Sicherheitsinteresse des Staates und der ganzen Region gebiete es,
das Thema Nuklearwaffen endlich auf die Agenda des israelischen
Parlaments zu setzen, so hatte Makkhoul schon 2010, damals noch als
Knessetabgeordenter, gefordert. Einig war er sich darin mit
„seinem Freund“, dem
Ko-Organisator der heutigen Zusammenkunft, Avraham
Burg, vormaliger Knessetsprecher und geschätzter Torahkommentator.
Konferenzveranstalter waren vom 5. - 6.
12. das Emil Touma Institut für israelisch-palestinensische Studien,
die Vereinigung der atomwaffenfreien Städte weltweit, die
israelische Abrüstungsbewegung sowie als Ko-Sponsor die
Rosa-Luxemburg Stiftung. Aus Deutschland waren Wolfgang Gercke und
sein parlamentarischer Mitabeiter Harry Grünberg von der Partei Die
Linke angreist. Die 'israelische Friedensaktivistin' 1Prof.
Fanny-Michaela Reisin war für die IPPNW und die „Interationale
Liga für Menschenrechte“ aus Berlin gekommen. Vertreten war
außerdem der „Arbeitskreis für Friedenspolitik-atomwaffenfreies
Europa e.V.“
Im Anschluss an die gepflegten
Debattentage im NOF-Hotel und im Japanischen Museum in Haifas bester
Lage war man zu Gast beim Palästinensischen Roten Halbmond in
Ramallah, wo der Vorsitzende der IPPNW Palästinas, Dr. Mahmoud
Saadeh, über die Gefahren der Atommülllagerung in bewohnten
Gebieten referierte. Die dortige Begrüßung übernahm der
Erzbischof der griechisch-orthodoxen Kirche. Das Anliegen der
Konferenteilnehmer ist ihm Herzensache, wie er sagte. Die
palästinensische Gemeinde habe schließlich neben dem Übel der
Besatzung auch bereits unter dem mehrfachen Einsatz von
Massenvernichtungswaffen gelitten. Die spürbaren Folgen der
Ablagerung von Atommüll in von Palästinensern oder Beduinen
besiedelten Gebieten etwa im Negev oder südlich von Hebron sollte
der Arzt und Vorsitzende der IPPNW Palästinas noch näher
beleuchten.
In Haifa hatte die ehemalige
Knessetabgeordnete Frau Professor Naomi Chazan die erstmalige
günstige Gelegenheit für Israel begrüßt, die Nuklearfrage zu
thematisieren und von gegenseitiger Abschreckung weg hin zu einer
gemeinsamen Sicherheitspolitik zu gelangen. Ein erster Schritt dazu wäre Israels Beitritt zum Atomwaffensperrvertrag und die Anerkennung einer nuklearwaffenfreien Nahost-Region. Avraham Burg
unterstrich die Nowendigkeit dieses Anliegen einem breiteren Publikum
vorzutragen und das Parlament als Forum für Öffentlichkeitsarbeit
zu nutzen, worin sein vornehmster Auftrag bestünde.
Parlamentsabgeordnete müssten ihre Immunität nutzen, um Dinge
anzusprechen, die in der Gesellschaft als Tabu gelten. Es müse
anerkannt werden, dass auch andere Völker ihre Traumata haben. Jetzt
sei der Moment, die Grenzen einer überholten Sicherheits-Strategie
zu überschreiten, einer Strategie, die auf dem Faktor Furcht
gründet. Es gelte zu lernen, dass eine Alternative zur Politik der
Abschreckung greifbar sei, nämlich das Mittel der Diplomatie.
Wer sich für eine gerechte Sache
einsetze, so glaubt der Abgeordnete Masud Ghnaim, müsse
vorher um den Preis dafür wissen und bereit sein ihn zu
bezahlen.
Der Mathematikprofessor Akiba,
ehemaliger Bürgermeister von Hiroshima, betonte ganz in diesem
Sinne, die Möglichkeit, aber auch die Notwendigkeit durch eine
anschwellende Bürgerbewegung von unten her Regierungspolititk
positiv zu beeinflussen. Die Zivilgesellschaft kann ihre Regierung
zu einem Ausstieg aus der Nuklearpolitik bewegen. Positive Beispiele
sind für ihn die wachsende Bewegung der Bürgermeister für
Nuklearfreiheit, die über ein weltumspannendes Netzwerk verfügt und
der Ausstieg Südafrikas aus dem Kreis der Atommächte.
Die hochkarätigen Referenten der drei
Konferenztage waren ebenso wie die insgeamt etwa 50 Teilnehmer aus
Afrika, Asien, den USA und Europa motiviert von dem historischen
Augenblick für einen Paradigmenwechsel im Hier und Jetzt. Nach dem
Beitritt Syriens zum Chemiewaffenabkommen und der nachfolgend
überwachten Zerstörung von dessen Chemiewaffenarsenal sowie nach
Unterzeichnung des Interimabkommens mit dem Iran sind auch die
Koordinaten der israelischen Politik ins Wanken geraten. Ausdruck
dessen ist unter anderem die hysterische Reaktion Netanyahus auf die
positiven Ergebnisse diplomatischer Bemühungen in der Region. Auf höchster Ebene
wird unterdessen hinter den Kulissen versucht, die unabwendbare
Neubestimmung der Nahostpolitik umzudefinieren. Während noch die
Vertreter der Zivilgesellschaft in Haifa über die Lancierung eines
Appells für die Befreiung der Region von ABC-Waffen und für die
Aufhebung der Restriktionen gegenüber dem mutigen Whistleblower
Mordechai Vanunu nachdenken, sind gleichzeitig hektische
US-israelische Aktivitäten auf Regierungsebene im Gange. Der
US-Außenminister Kerry ist in Tel Aviv und scheint dieser Tage
mäßigend auf Netanyahus Tonlage eingewirkt zu haben. Die
Verknüpfung der Besatzungsthematik mit Israels nicht mehr
geheimzuhaltender Nuklearstrategie steht unterdessen unabweisbar im
Raum. Einige aktive israelische Parlamentsabgeordnete wie der Kommunist
Mohammad Barakeh sehen die Lösung der unhaltbaren,
menschenverachtenden, völkerrechtswidrigen Besatzungs- und
Siedlungspolitik als Schlüssel zu Israels Sicherheit und nicht in der etwa israelischerseits gar nicht geleugneten Anhäufung von immer mehr
Massenvernichtungswaffen.
Während der Bürgermeister von Haifa
,Yona Yahav, ein kurzes Grußwort an die Anwesenden richtet, erinnern
andere daran, worauf der anwesende Journalist Gideon Spiro 2
bereits 2010 hingewiesen hatte, nämlich, dass
der Techniker Mordechai Vanunu, der jahrelang im Nuklear-Reaktor in
Dimona gearbeitet hatte, 1986 publik machte: Israel war schon Mitte
der 80er-Jahre im Besitz von über 100 Atombomben. Jahrzehnte sind
seitdem vergangen. Auch müsse die Produktion von chemischen und
biologischen Waffen aus dem biologischen Institut Nes Ziona, nicht
weit von Tel Aviv, hinzugefügt werden.
Unter der Regierung
Menachem Begin habe Israel 1981 den im Bau befindlichen Reaktor im
Irak bombardiert. Obwohl es sich um einen französischen
Forschungsreaktor gehandelte habe, entschied die Regierung Israels
damals, dass selbst ein Forschungsreaktor ein unannehmbares Risiko
sei. Er wurde vollkommen zerstört.
2007 entschied die
israelische Regierung unter Ehud Olmert eine angebliche
Kernkraftanlage in Syrien zu bombardieren und dergleichen mehr.
Während Frauen als
Abrüstungsexperten wie Sharon Dolev, Ärztinnen wie Dr. Ruhama
Marton, Parlamentarierinnen wie Tamar Zandberg, Professorinnen wie
Naomi Chazan gut vertreten sind und klar Stellung beziehen für
einen ABC-waffenfreien Raum in Nahost, ist mit Frau Dr. Emily
Landau, der Direktorin des "Programms für Rüstungskontrolle und
Regionale Sicherheit" auch die Stimme des offiziellen Israel
vertreten, der gemäß Israel einer atomwaffenfreien Zone ohne
vorherige vertrauensbildende Maßnahmen nicht zustimmen kann.
Zwischenstaatliche Beziehungen haben Vorrang, so meint sie im Auftrag
ihrer Regierung.
Die Konferenz war möglich
geworden durch eine breite, aber noch fragile ad-hoc Koalition, die den,
von vielen sehr gewünschten Abschlussappell noch nicht ermöglicht
haben. Ein vorher ausgearbeiteter Vorschlag dafür hatte nicht vorgelegen. Der Appell wird aber kommen und in die Welt hinaus getragen
werden, so versicherten die Veranstalter. Die Zeichen der Zeit stehen dafür. Die Dringlichkeit der
Lage in den besetzten Gebieten erfordert es ebenso wie das Sicherheitsbedürfnis aller Bürger Israels. Der Geist von Helsinki
und Genf weist unabwendbar in die Zukunft. Erste Schritte sind getan,
weitere werden folgen, so die Zuversicht vieler Konferenzteilnehmer.
__________
1
Reisin, Fanny-Michaela - SWR2 :: Programm :: Sendungen A-Z ...
www.swr.de/swr2/programm/sendungen/.../archiv/-/.../index.html
2
Gideon Spiro ist Publizist. Er hat aus Protest gegen den Einmarsch
in den Libanon 1982 den Militärdienst quittiert und Yesh Gvul
gegründet, das Wehrdienstverweigerer berät und unterstützt. Er
ist Mitbegründer des Komitees
für
Mordechai
Vanunu und einen von ABC-Waffen
freien
Nahen
Osten.