„Süß dünkt der Krieg den Unerfahrenen, doch, wenn er
nahet, /Über die Maßen erschrickt das Herz/Des der ihn kennet...“
Pindar von Theben
Über die Aktualität der ersten europäischen Anti-Kriegs-Schrift 1
"Süß scheint der Krieg den
Unerfahrenen"2
diese antike Weisheit des Griechen Pindar übermittelt uns der
Humanist Erasmus von Rotterdam in der ersten europäischen
Anti-Kriegs-Schrift aus dem Jahre 1515. Über 100 Jahre vor dem
Deutschland verheerenden Dreißigjährigen Krieg kennzeichnet der
Weitgereiste die Geisel der Menschheit als „Reich der Hölle.“
Für den unabhängigen Denker, den Zeitgenossen von Luther, Thomas
Moore und Machiavell ist Krieg "die miserabelste und
verbrecherischste Sache von der Welt".
Leider sind seine höchst aktuellen
Gedanken wider den Krieg, sind die Schriften des modernen
Philosophen Erasmus von Rotterdam heute kaum mehr bekannt. Um wie
viel verbreiteter ist doch die Schrift 'El Principe' des
machtverherrlichenden Begründers einer zynischen „Staatsraison“
Machiavell. Doch Machiavell beiseite, wäre es in Umkehrung von
dessen Werten an der Zeit, sich die kriegsgegnerische Diktion von
Erasmus zu vergegenwärtigen. Für den Begründer der Essayistik war
„keine andere Sache gottloser, unheilvoller, weitreichender
verderblich, zäher festsitzend, abscheulicher und insgesamt für den
Menschen entwürdigender als der Krieg." „Sämtliche
Pest des Lebens bricht
für Erasmus aus dem Krieg hervor“.
„Die Vernachlässigung der Gesetze, die Bereitschaft,
jedes beliebige Verbrechen zu wagen" , all das geht Hand in
Hand mit der Kriegspolitik, die natürlich 2016 wohlweislich andere,
wohlklingendere Namen trägt. Weil alle Welt "einen Henker
verabscheut, der gegen Entgelt im Namen des Gesetzes verurteilte
Verbrecher hinrichtet“.
Bis
heute aber gilt
als rechtschaffener Bürger,
wer unter fragwürdig-humanitären Vorwänden in den Krieg zieht,
als Soldat dient und aus dem Krieg zurückkehrend viele Unschuldige
ausgeplündert hat.
Erasmus, als
uneheliches Kind in ein Kloster gesteckt, wo er immerhin einer
umfassenden Bildung teilhaftig wurde, wusste dagegen bereits vor 500
Jahren:
„Mit
Kriegsbeginn fällt sogleich der Oberbefehl über alle
Angelegenheiten der Willkür einer Minderheit zu ... Es wird beliebig
viel Geld eingetrieben … . Mitunter stecken die Führer unter einer
Decke“ … erschöpfen Wohlstand der Bürger, versetzen die
Familien in Trauer und füllen alles mit Wegelagerern, Dieben und
Schändern. Dies nämlich ist die Hinterlassenschaft des Krieges“.
Der
Weitsichtige erkennt früh:
„Wer sich aber
unter den Soldaten am umenschlichsten zeigt, wird für würdig
gehalten, im nächsten Krieg als Führer zu agieren“.
Über die
tonangebenden Christen und Propagandisten seiner Zeit urteilt er :
„Als ob quasi
Gefahr bestände, dass die Welt einmal von Kriegen zur Ruhe käme,
sichern wir den Krieg aus Christi Worten, … machen wir Christus
zum Gewährsmann für das Anhäufen von Besitz, seine Worte so
verdrehend …, als hätte er vorgeschrieben, was er daselbst
verboten hatte...“
Und natürlich weiß
er aus eigener Erfahrung: „Der Ketzerei verdächtigt wird, wer
gar ernstlich vom Kriege abrät.“
Erasmus von Rotterdam hatte immerhin
mehr Glück als etwa sein Freund Thomas Morus, den König Heinrich
VIII köpfen ließ, weil der dessen Trennung von Rom nicht guthieß.
Sprach- und schreibgewandt wie Erasmus
war, sicherten seine Schriften dem Baseler Buchdruckerfreund Johannes
Froben gutes Geld. Als fortschrittlicher Bürger war der dem
gelehrten Niederländer daher ein lebenslanger Gönner.
Sprachfertigkeit, Klugheit und hohe Bildung verhalfen dem
unfreiwilligen Mönch, Pädagogen und Weisheitslehrer aus Rotterdam
in Paris, London, Rom und in der Schweiz also zur nötigen
Unabhängigkeit auch gegenüber der widerwärtigen Inquisition.
Seinem Selbstverständnis vom Menschen
entspricht die „Benevolentia“, die naturgemäße
Bestimmung zum Füreinander, zum ergänzenden Ausgleich, zum
freundschaftlichen Miteinander, so in der „Klage des Friedens“
(1517). Er weiß mit Vergil „wir alle können nicht alles“
und dass „kein Sterblicher ist zu jeder Stunde weise“
ist. In seiner Sammlung von 3001 Sprichwörtern hat er die Weisheit
der alten Völker aufgezeichnet und kommentiert. Sein Schluss: An der
menschlichen Unvollkommenheit solle man nicht verzweifeln,
Zusammenarbeit ist der naheliegende Ausweg.
Zur gleichen Zeit, da der sterbende
Erasmus sein geistiges Vermächtnis in einem der entscheidendsten und
verwegensten Bücher der Weltgeschichte niederlegt, erscheint in
Florenz der berüchtigte, das Verbrechen aus "Staatsraison"
verteidigende »Principe« des Nicolo Machiavelli. In diesem Lehrbuch
rücksichtsloser Macht-und Erfolgspolitik ist das Gegenprinzip der
Erasmischen Tugend als Katechismus formuliert. Während Erasmus von
den Fürsten und Völkern fordert, sie sollten ihre persönlichen,
ihre egoistisch-imperialistischen Ansprüche freiwillig und friedlich
der brüderlichen Gemeinschaft der ganzen Menschheit unterordnen,
erhebt Machiavelli den Machtwillen, den Kraftwillen jedes Fürsten,
jeder Nation zum obersten und einzigen Ziel ihres Denkens und
Handelns. Staatsraison als Selbstzweck und Endzweck aller
historischen Entwicklung, die rücksichtslose Durchsetzung von
Machtansprüchen gelten als höchste Aufgabe. Macht und
Machtentfaltung sind der letzte Sinn herrscherlichen Handelns laut
Machiavell, für Erasmus aber ist es die Gerechtigkeit.3
Manch einer mag bis heute versucht
sein, Machiavelli gegen Machavelli zu verteidigen. Mit dem
„Fürsten" habe der ja mit 'seiner Widmung an Lorenzo di
Medici' nur um eine Festanstellung als Berater bei Hofe nachgesucht.
Demgegenüber seien seine "Discorsi" eine
freiheitsliebende und staatskritische Schrift. So penetriert und
verdreht der feige, folgenreiche Opportunismus unser Denken und Tun.
Wenden wir uns daher ab von
Machiavelli und seiner unheilbringenden Staatsraison4.
Haben wir mit dem immerhin nominell hochgehaltenen Europäer Erasmus
von Rotterdam im Rücken den Mut, die in seinen Schriften
enthaltene Macht- und vor allem Kriegskritik zu popularisieren.
Gez. Irene Eckert 24. 04. 2016
1
siehe auch: Blog-Beitrag des Freitag-Community-Mitglieds
Lukasz
Szopa HTTPS://WWW.FREITAG.DE/AUTOREN/LUKASZ-SZOPA/ERASMUS-VON-ROTTERDAM
2
„Süß scheint der Krieg den Unerfahrenen" Erasmus von
Rotterdam (1466/69 - 1536) herausgegeben und kommentiert von
Brigitte Hanneman , Kaiser Verlag München 1987
3
Siehe dazu: Triumph und Tragik
des Erasmus von Rotterdam/ Stefan Zweig
4Erinnern
wir etwa: Es gilt seit einer einmütig im November 2008
verabschiedeten Bundestagsnote die „Solidarität mit der
Staatspolitik Israels in Deutschland als Staatsraison“, mit Hilfe
derer jedes Verbrechen gut geheißen werden kann. Kurz darauf begann
am 2. Weihnatchstag mit der israelischen „Operation Gegossenes
Blei“ das Massaker an der einkasernierten Bevölkerung von Gaza