Die führenden politischen Kräfte des Westens haben Angst vor dem Treffen von Donald Trump und Wladimir Putin in Helsinki. Dafür sorgt der eigene Untergang, der längst begonnen hat, wie der Wiener Publizist Hannes Hofbauer feststellt. Aus seiner Sicht dient das Feindbild Russland dazu, von den eigenen Problemen und der eigenen Rolle abzulenken.
In der Bundesrepublik zittern die altgedienten Transatlantiker vor dem Gipfeltreffen von US-Präsident Donald Trump mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin am Montag. Sie befürchten, dass die ihnen gewohnte Ordnung in der Welt durcheinandergerät. Mit Stefan Kornelius zeigte einer von ihnen
am Samstag in der „Süddeutschen Zeitung“, wie weit diese Angst geht und welche Blüten sie treibt. Der schreibende Transatlantiker behauptete dort unter anderem: „Donald Trump und Wladimir Putin, zwei zutiefst nationalistische Populisten, wollen den liberalen Westen zerstören – und verpassen der Demokratie den schlimmsten Rückschlag seit den faschistischen 30er Jahren.“
Es wäre zu belächeln und zu vergessen, wäre Kornelius ohne Einfluss und seine Worte ohne Wirkung. Sein aktives Wirken
in transatlantischen Netzwerken deutet daraufhin, dass er mit seinem Denken nicht allein ist. Sein Status als Leiter des Außenpolitik-Ressorts der „Süddeutschen“, die immer noch als seriöses Medium gilt, sorgt dafür, dass seine Worte gelesen werden und entsprechend nachwirken. So weit so schlecht. Doch was steckt hinter dieser Manie, Russland mit seinen Verbündeten stets zum Sündenbock und zum Hort allen Übels zu erklären?
„Der böse Russe“ ist wieder da
Der eigene reale Abstieg des Westens und der Verlust seiner vermeintlichen Vorbildfunktion sorgen dafür, dass das alte Feindbild Russland wieder hervorgeholt und aufpoliert wird. Das meint der österreichische Publizist und Verleger Hannes Hofbauer in der aktuellen Ausgabe (2/2018) der Zeitschrift
„Hintergrund“. Er beschreibt darin, warum heute wieder „der böse Russe“ für alle Probleme in der westlichen Welt herhalten muss.
Hofbauer stellt fest: „Der transatlantische Raum befindet sich seit mehr als zwei Jahrzehnten im wirtschaftlichen Abstieg, den er – angeführt von den USA – militärisch aufhalten will.“ Dabei stürze er seit dem ersten Golfkrieg 1991 gegen den Irak ganze „Weltregionen ins Verderben“. Hinzu kommen laut dem Autor innere Risse und Fliehkräfte, siehe Brexit und Trump als US-Präsident. „Nicht zuletzt der chinesische Erfolg und die gelungene Konsolidierung Russlands haben gezeigt, dass der liberale Konstitutionalismus als Modell für die Welt ausgedient hat.“
Tunnelblick und lauter Feinde
Die Europäische Union (EU) „und ihre führende Kraft Deutschland“ würden darauf mit Feindbildern reagieren, so Hofbauer. Er ergänzt: „Die meinungsbildenden Medien helfen bei der Feindortung, sie tun es mit dem Holzhammer.“ Russland-Bashing sei an der Tagesordnung, ebenso wie verbale Angriffe auf die Türkei und China sowie auf Trump. „Rundum Feinde. Tunnelblick. So sieht es historisch betrachtet üblicherweise aus, wenn ein überdehntes politisches System vor dem Zusammenbruch steht.“
Hofbauer erinnert daran, dass die untergegangene Sowjetunion unter Michail Gorbatschow ab Mitte der 1980er Jahre und das nachfolgende Russland unter Boris Jelzin im Westen und vor allem der Bundesrepublik beliebt waren. Da sei Jelzin auch verziehen worden, dass er im Oktober 1993 das demokratische gewählte russische Parlament, den Obersten Sowjet, von Panzern und Artillerie zusammenschießen ließ. Die Mehrheit der Abgeordneten hatte sich der vom Internationalen Währungsfonds (IWF) geforderten Radikalprivatisierung widersetzt, wie der Autor schreibt. Zu den Ergebnissen zählten offiziell 187 Tote und 427 Verletzte. Das habe bei den westlichen Eliten nichts am positiven Jelzin-Image geändert, so Hofbauer.
Warum Putin an allem schuld ist
Er beschreibt, wann und warum sich das änderte: „Mit dem Amtsantritt Wladimir Putins am 1. Januar 2000 änderte sich die russische Politik. Der neue starke Mann im Kreml sorgte binnen eines halben Jahres für eine innere Konsolidierung und setzte mittelfristig auf außenpolitische Selbständigkeit. Mit dem Ende der wirtschaftlichen und geopolitischen Willfährigkeit, für die Jelzin gestanden hatte, verflog auch die Russlandeuphorie in Berlin schnell.“
Nicht nur der Stopp des Ausverkaufs der russischen Wirtschaft durch Oligarchen wie Michail Chodorkowski und das Beschneiden von deren Macht habe das Feindbild verstärkt. Hinzu sei die Unterstützung für die abtrünnigen georgischen Provinzen Abchasien und Südossetien 2008 gekommen, ebenso die Auseinandersetzung um die Ukraine, die zu den Ereignissen ab 2014 einschließlich der Rückkehr der Krim zu Russland führte. Letztere werden als Anlass für ein immer wieder erneuertes Sanktionsregime der USA und der EU genommen.
Rettet Berlin die Transatlantiker?
Die Regierung in Berlin folge dabei den Vorgaben aus Washington, stellt Hofbauer fest. Er sieht die deutsche Haltung, die auch in verschiedenen Parteien zu finden ist, begründet im „Glaubwürdigkeitsverlust der eigenen Politik und ihrer Mainstream-medialen Begleitung“. Der Wiener Publizist schreibt den bundesdeutschen Politikern verschiedener Couleur ins Stammbuch:
„Wer seit Jahren den Kreml für alles Böse in der Welt verantwortlich macht, wer die eigenen Partner gewähren lässt oder bei den Kriegen in Afghanistan über den Nahen Osten, Libyen und bis nach Mali mitmacht, wer reflexartig auf einen Giftanschlag in England mit der Ausweisung russischer Diplomaten antwortet, wer zum Schaden der eigenen Wirtschaft Sanktionen gegen Russland mitträgt, der darf sich nicht wundern, wenn diese ‚Wahrheit‘ von vielen Menschen nicht mehr als solche angenommen wird. Wer dann noch davon spricht, russische Medien würden diese ‚Wahrheit‘ torpedieren, manövriert sich selbst ins Aus.“
© SPUTNIK / NIKOLAJ CHISCHNYAK
Hofbauer erinnert an die historischen Wurzeln des Feindbildes Russland, das er ausführlich in seinem
jüngsten Buch beschreibt. Das heutige Russlandbild der Deutschen sei geteilt: Die Transatlantiker in Politik und Medien würden Russland als „Gegenpol, der ihre geopolitischen und ökonomischen Expansionspläne ausbremst“, sehen. Die Selbstfindung und Suche des Landes nach eigenen Werten unabhängig vom westlichen Individualismus sei ihnen „ein Dorn im Auge“.
Bevölkerungsmehrheit hat andere Sicht
„Der feindliche Russlanddiskurs der Eliten bildet sich im Volk indes nicht ab“, stellt Hofbauer fest. Laut Umfragen würde eine Mehrheit der bundesdeutschen Bevölkerung ein gutes Verhältnis zu Russland wünschen und den Konfrontationskurs gegenüber Moskau als unsinnig ansehen. Das würde die politische Rechte ausnutzen, so der Publizist, „umso mehr, als russlandfreundliche Stimmen in der traditionellen Parteienlandschaft, mit Ausnahme der Linken, rar sind“.
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Für Hofbauer ist es nicht verwunderlich, dass der Kreml versuche, „aus machtpolitischem und strategischem Kalkül heraus jede Bruchlinie in den westlichen Gesellschaften zu vertiefen“. Dabei würden die Ideologien der politischen Lager keine Rolle spielen. Für Linke, „die aus friedenspolitischen Überlegungen der russischen Außenpolitik den Vorzug vor bellizistischen Tönen aus US- und Nato-Kreisen geben“, sei das eine „schwere Bürde“.
Allerdings sind sie selbst dafür mitverantwortlich, wenn sie so handeln wie die Linkspartei. Die hatte auf ihrem jüngsten Parteitag in Leipzig mehrheitlich einen
Antrag abgelehnt, der für eine „gute Nachbarschaft“ mit Russland und Frieden in Europa plädierte. Er habe Moskau zu wenig kritisiert, wurde das begründet. Die Transatlantiker dürften sich darüber gefreut haben, wie selbst Linke ihrer Linie und ihrem Feindbild folgen.
Hilft ein anderes Mediensystem?
Der Skripal-Fall als Beispiel für antirussische Hysterie in Politik und Medien beschäftigt den Wissenschaftler Gunar Jeschke im aktuellen „Hintergrund“-Heft. Er setzt sich mit den verschiedenen Aussagen dazu auseinander und meint, dass die Regierung in London „eine Reihe unwahrer Behauptungen“ verbreitet habe. Ähnliches gilt in der medialen und propagandistischen Schlacht gegen die syrische Regierung.
Mit den wiederholten Vorwürfen gegen Damaskus, Giftgas gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt zu haben, beschäftigt sich die Politologin Wiebke Diehl in der Zeitschrift. Es gebe keine Beweise dafür, stattdessen viele offene Fragen.
Über „Information statt Propaganda“ diskutiert die „Hintergrund“-Redaktion mit dem Kommunikationswissenschaftler Michael Meyen. Dieser spricht sich für ein anderes Mediensystem aus, das nicht wie das derzeitige aus öffentlich-rechtlichen und privaten Medien zusammengesetzt und kommerzgetrieben sein dürfe.