Eckart Spoo Ansprache vor dem
ARD-Hauptstadtbüro, 31. 5. 14
Mein
Name ist Eckart Spoo, ich bin Journalist, Mitherausgeber der
Zweiwochenschrift Ossietzky.
Wir
befinden uns vor dem Hauptstadt-Büro der ARD, der
Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten.
Ich wende mich an die hier tätigen Journalistinnen und Journalisten
und an die Verantwortlichen dieser Anstalten, namentlich an Kai
Gniffke, den Chefredakteur. Jeden Abend, Herr Gniffke, möchten Sie
uns in unseren Wohnzimmern mit Ihren Sendungen Tagesschau
und
Tagesthemen
besuchen. Heute machen wir es umgekehrt: Wir besuchen Sie,
um uns zu beschweren. Wir sind nämlich mit Ihren
Nachrichtensendungen überhaupt nicht zufrieden. Was uns schon seit
Wochen und Monaten besonders ärgert, ist Ihre Berichterstattung über
die Ukraine.
Die
öffentlich-rechtlichen Anstalten erhalten von uns Milliardenbeträge
(siebeneinhalb Milliarden im Jahr), damit sie uns zutreffend und
umfassend informieren. Aber die Informationen, die Sie uns aus der
Ukraine liefern, sind einseitig, parteiisch, unwahr oder halbwahr,
was noch gefährlicher ist.
Wir
haben solche Erfahrungen schon in früheren Kriegen gemacht, zum
Beispiel vor 15 Jahren im Bombenkrieg der NATO gegen Jugoslawien und
später im Irak und in Afghanistan. Erst anderthalb Jahre nach dem
sogenannten Kosovo-Krieg brachte die ARD eine Sendung des
Westdeutschen Rundfunks mit dem Titel „Es begann mit einer Lüge“.
Da wurde dann nicht nur eine
Lüge
eingestanden, sondern ein dickes Bündel von Lügen. Es wurde klar,
daß wir Zuhörer und Zuschauerinnen während des ganzen Krieges und
schon vorher und noch lange nachher belogen und betrogen worden
waren. Die ARD und andere Medien hatten kritiklos die
Kriegspropaganda der Bundesregierung und der NATO übernommen und
verbreitet. Herr Gniffke, wir möchten bitteschön nicht wieder
anderthalb Jahre auf die Wahrheit warten müssen.
Wir
sind auf zutreffende, umfassende Berichterstattung der Medien
angewiesen, wir müssen zuverlässig informiert sein, wenn wir
demokratisch mitreden, mitentscheiden wollen. Wenn aber neben der
geifernden Springer-Presse auch die öffentlich-rechtlichen Anstalten
uns irreführen, kann Demokratie nicht gedeihen.
Ein besonders übles Beispiel haben Sie uns Anfang
Mai geliefert beim Mord an mehr als 40 Menschen im Gewerkschaftshaus
in Odessa. Es gab eindeutiges Bildmaterial. Es war klar, wie das
Gebäude mit sog. Molotow-Cocktails in Brand gesetzt worden war, wie
die brennenden und erstickenden Menschen gehindert worden waren, sich
zu retten, und wer das getan hatte. Sie aber verschleierten das
Verbrechen mit den Worten, da sei ein Gebäude „in Brand geraten“
– als hätte jemand vergessen, vor dem Einschlafen seine Zigarette
auszudrücken oder als wäre eine Sicherung durchgebrannt. „In
Brand geraten“ – solche Verschleierung ist publizistische
Beihilfe zum Massaker.
In
den Medien setzte sich dann die Sprachregelung durch, der Fall sei
noch
nicht geklärt.
Aber wenn da wirklich noch Klärungsbedarf bestanden hätte, wäre
das kein Grund gewesen, auf weitere Berichterstattung zu verzichten –
im Gegenteil, dann hätten Sie eben zur Klärung beitragen müssen.
Recherche nennt man sowas, was man eigentlich von Journalisten
erwartet. Was taten Sie stattdessen? Ebenso wie die Bild-Zeitung,
dieses Spitzenprodukt des deutschen Journalismus, gaben auch Sie, die
ARD, ausgerechnet Arsenij Jasenjuk das Wort, dem Putschpremier. Bild
ließ
überhaupt niemand anderen zu Wort kommen als Jasenjuk, der prompt
Moskau
für das Massaker verantwortlich machte. Moskau muß
ja an allem schuld sein. Auf drei Sätze von Jasenjuk beschränkte
sich die gesamte Berichterstattung der Bild-Zeitung
am
5. Mai über das grauenvolle Geschehen in Odessa.
Herr
Gniffke, hat die ARD wirklich keine eigenen Recherchen unternommen?
Nein? Dann sollten Sie sich schämen!
Vielleicht
erschien Ihnen der Fall nicht so wichtig. Aber was erscheint Ihnen
überhaupt wichtig? Der Terror gegen linke Parteien und Abgeordnete
in Kiew – was haben Sie darüber berichtet? Die offen
faschistischen Kräfte, die sich auf dem Maidan mit Gewalt gegen
friedliche Demonstranten durchsetzten – offenbar kein Thema, das
Sie sonderlich interessiert hätte. Die Gründe, warum sich nach dem
Putsch in Kiew 90 Prozent der Menschen in der Ostukraine für
Autonomie entschieden – hätte man den Gründen nicht mal nachgehen
müssen? Sie verbreiteten allerlei Andeutungen über russische
Einmischung – aber als die zuständige Direktorin des
US-Außenministeriums, Victoria Nuland, offen ausplauderte, für den
Umsturz in der Ukraine seien aus
Washingon
fünf
Milliarden Dollar
geflossen, wäre es da nicht dringend notwendig gewesen, aufzuklären,
wofür diese immense Summe ausgegeben worden ist? Haben Sie sich
jemals dafür interessiert, wer hinter dem Ukrainian Crisis Media
Center (UCMC) steckt, das im Kiewer Hotel Ukraina die dort
untergebrachten Journalisten aus aller Welt mit Gesprächspartnern,
Informanten, Desinformanten versorgt? Was haben Sie sich eigentlich
dabei gedacht, wenn Sie im vergangenen Winter dem deutschen Publikum
Abend für Abend den Boxer Klitschko als Held und Erlöser der
Ukraine präsentierten? Und vorher jahrelang Julia Timoschenko als
die heilige Unschuld vom Lande? Wer oder was hat Sie zur Beteiligung
an solchen Kampagnen veranlaßt, die mit Aufklärung, mit kritischem
Journalismus nichts zu tun hatten?
Jetzt
beteiligen Sie sich am Gerede vom „runden Tisch“ – obwohl der
„runde Tisch“ gar nicht rund ist, denn die Putschisten in Kiew
verweigern den Vertretern der nach Autonomie strebenden Ost-Regionen
den Zutritt. In Nachrichtensendungen mehrerer ARD-Anstalten hörte
ich dann: Die Vertreter der Separatisten nehmen
nicht teil.
Das ist üble Irreführung der Öffentlichkeit, üble
Kriegspropaganda. Wenn eine der beiden Konfliktparteien nicht zu
Verhandlungen zugelassen wird, dann dienen diese Verhandlungen nicht
dem friedlichen Interessenausgleich, sondern der Vorbereitung einer
sog. militärischen Lösung, also zur Vorbereitung des Krieges, den
westukrainische Einheiten jetzt schon mit Panzern und
Kampfhubschraubern in der Ostukraine führen. Ähnlich parteiisch,
ebenso unwahr, Herr Gniffke, war Ihre Berichterstattung über die
Friedenskonferenz in Genf, die beiden Konfliktparteien auferlegte:
„Alle illegalen bewaffneten Gruppen müssen entwaffnet werden.“
Sie haben das verfälscht zu einer einseitigen Aufforderung an
ostukrainische Gruppen.
Herr
Gniffke, schämen Sie sich solcher Methoden!
Das
Bundesverfassungsgericht hat vor einigen Wochen festgestellt, daß
die Politiker der großen Parteien zu starken Einfluß auf die
öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben. Es wird höchste
Zeit, daß die Medien demokratisiert werden. Hören Sie auf mit der
Regierungspropaganda! Hören Sie sofort auf mit der Kriegspropaganda,
Herr Gniffke!
Und
jetzt gehen wir zum Kanzleramt.
Hier der Link zur Rede mit Bericht über die Demonstration von gestern.