11.06.2019 • 06:45 Uhr
Quelle: AFP © Thomas Watkins
US-Generäle sehen sich am 8. Februar 2018 Pläne zum Ausbau der Andersen Air Force Base auf der Pazifikinsel Guam an.
In einer neuen Analyse des dem Pentagon nahestehenden Think Tanks RAND Corporation werden alte Fragen wieder neu aufgewärmt und man kommt zum Schluss, dass das was bei der Sowjetunion funktioniert hat, bei Russland wieder klappen könnte.
Stolz verweist man in der aktuellen Analyse der RAND Corporation darauf, dass man in dem "bahnbrechenden" Bericht von 1972 bereits darauf hingewiesen habe, dass die USA eine neue Strategie im Umgang mit der Sowjetunion im Kalten Krieg brauchen. Washington müsse von der Vorstellung loskommen, in sämtlichen Bereichen besser und weiter als die Sowjetunion zu sein, sondern sich darauf konzentrieren, den Konkurrenzkampf zu "kontrollieren" und in jene Gebiete zu lenken, die für die USA von Vorteil sind.
Die Verfasser des Berichts gingen vor 47 Jahren davon aus, die Supermacht UdSSR von innen ausbluten lassen zu können, wenn es Washington nur gelänge, die Sowjets soweit zu manipulieren, dass sie ihre "limitierten Ressourcen" für Dinge aufwenden, die für die USA eine kleinere Bedrohung darstellen. Wie sich knapp zwanzig Jahre nach der Veröffentlichung jenes Berichts zeigen sollte, hatte die Strategie funktioniert.
In der neuen Analyse gibt man unumwunden zu, dass man dieses Konzept nun auch auf Russland übertragen möchte. Deshalb wurden jene Strategien an die gegenwärtige Realität mit dem Ziel angepasst, Russland dadurch zu "überdehnen" und aus der Balance zu bringen. Und das alles zu möglichst geringen Kosten für die USA.
Wie schon zu Zeiten der Sowjetunion, sehen die US-Planer in der russischen Wirtschaft eine Schwachstelle, die es auszunutzen gelte. Da die russischen Einnahmen stark vom Öl- und Gas-Export abhängen, sieht RAND hier eine Möglichkeit, die Daumenschrauben gegen Moskau weiter anzuziehen. Indem die USA eigene Exportkapazitäten für Flüssiggas – das jüngst erst in "Friedensgas" (sic!) umbenannt wurde – ausbauen, bietet man den bisherigen Abnehmern von russischem Gas eine Alternative. Neben den sinkenden Weltmarktpreisen für Gas würde dann der Verlust von bisherigen Marktanteilen dazu führen, dass die Belastung für den russischen Haushalt weiter steigen werde.
Diese Belastung könne man durch härtere Wirtschafts- und Finanzsanktionen noch weiter verschärfen, vor allem, wenn diese "umfänglich und multilateral" durchgesetzt werden. Deshalb hängt der Erfolg eines solchen Schrittes von der Bereitschaft anderer Staaten ab, sich diesem US-Sanktionsregime anzuschließen.
Eine weitere Möglichkeit, Russland "zu verletzen", ist das Absaugen von gut qualifiziertem Personal und gut ausgebildeter Jugend aus dem Land. Auch dieses altbekannte Konzept des Brain Drain zeigt angesichts der auch in Russland alternden Gesellschaft und dem zu erwartenden Bevölkerungsrückgang in den nächsten Jahren und Jahrzehnten, wie perfide solche Planungen in den USA vorangetrieben werden. Allerdings könne man erst über einen längeren Zeitraum feststellen, ob diese Strategie funktioniert oder nicht. Und die Wahrscheinlichkeit, dass das heutige Russland dadurch finanziell überdehnt wird, stuft man in Washington als eher gering ein.
Andere Möglichkeiten zur Destabilisierung des flächenmäßig größten Landes der Welt blieben natürlich nicht unausgesprochen. Vor allem die Einmischung in innere Angelegenheiten Russlands und Aufstachelung jeglicher Opposition gegen die Regierung werden als Möglichkeiten genannt. Die Unterstützung von Protesten und "anderen gewaltfreien Widerstandes" könnte dazu führen, dass sich Moskau mehr auf die inneren Probleme konzentrieren muss und somit seine "Verfolgung von aggressiven Handlungen im Ausland reduziert". Gleichzeitig aber wäre es für "westliche Regierungen schwierig", direkt in die Proteste einzugreifen und deren Intensität zu "erhöhen". Zudem wären die Kosten und Risiken für die USA hoch, was gerade nicht der vorangestellten Zielsetzung von maximalem Schaden (für Russland) zu geringstmöglichen Kosten (für die USA) entspräche.
Ganz anders sieht es dagegen mit dem gezielten Aufbau einer militärischen Drohkulisse in Europa und Asien aus. Durch eine Verlegung von Bomberstaffeln in "Reichweite wichtiger russischer strategischer Ziele" sei man sich der Aufmerksamkeit Moskaus gewiss und würde dadurch auch "russische Ängste wecken". Eine weitere kosteneffektive Möglichkeit, um in Russland Ängste zu schüren, sei die Verlegung von zusätzlichen taktischen Nuklearwaffen nach Europa und Asien. Als positiver Nebeneffekt wird hierbei die Aussicht auf teure Investitionen in den Ausbau und die Modernisierung von russischen Luftabwehrsystemen betrachtet. Allerdings birgt diese "Option" auch das Risiko, dass Moskaus Reaktionen darauf nicht den Interessen der USA und ihrer Alliierten entsprechen könnten.
Washington könnte Russland auch zu einem wiederum "kostspieligen Wettrüsten anstacheln", indem die Vereinigten Staaten von Amerika aus den Strategischen Abrüstungsabkommen für Atomwaffen aussteigen. Doch die Vorteile dieses Vorgehens würden "wahrscheinlich" die Kosten nicht ausgleichen. Die finanziellen Folgekosten könnten für die USA dabei sogar noch höher als für Russland ausfallen, jedoch wäre in dem Fall der größere Schaden politischer und strategischer Natur.
Die größte Aussicht auf Erfolg, um Russland finanziell in die Knie zu zwingen und damit von innen zu zerstören, sehen die Planer von RAND daher derzeit in der Ausweitung von Sanktionen und Erhöhung der US-Energieproduktion sowie eigener Energieträgerexporte nach Europa und Asien. Auch die Verlegung von Bomberstaffeln wird als günstige Möglichkeit betrachtet, um Moskau zu ungewollten Investitionen in die eigene Landesverteidigung zu verleiten.
Als etwas teuerere Maßnahme, aber mit einer hohen Erfolgsaussicht, gelten aktuell US-Investitionen in autonome und ferngesteuerte bewaffnete Drohnen, ebenso Investitionen in Langstreckenraketen und Kampfflugzeuge, mit denen der Versuch unternommen worden soll, den derzeitigen russischen A2AD-Schirm (Anti-Access Area Denial) zu durchbrechen. Würde Russland diesen strategischen Vorteil gegenüber den gegnerischen Streitkräften verlieren – so die Überlegung – wäre die russische Regierung gezwungen, zu reagieren und massiv in die Entwicklung von weiteren Verteidigungssystemen zu investieren.
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