Sunday, June 23, 2019

"Deal des Jahrhunderts" ist ein Groß-Israel – Teil 1

"Deal des Jahrhunderts" ist ein Groß-Israel – Teil 1
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu beim 37. Zionistischen Kongress 20. Oktober 2015 in Jerusalem. Der angekündigte "Deal des Jahrhunderts" hat dafür gesorgt, dass er die Zweistaatenlösung endgültig begraben hat. 
Seit über 20 Jahren wird der US-Regierung vorgeworfen, keine wirkliche Strategie im Nahen Osten zu verfolgen und lediglich Lippenbekenntnisse zur Zweistaatenlösung abgegeben zu haben. Die Trump-Administration hat aber eine klare Vorstellung davon, wie der jahrhundertelange Konflikt beendet werden soll. 
von Zlatko Percinic
Mit einer Eroberung fallen den neuen Herrschern nicht nur die entsprechenden Gebiete in den Schoß, sondern auch die Menschen, die in diesem Land leben. Während in früheren Zeiten diese Menschen zu neuen Untertanen und oft auch versklavt wurden, änderte sich die Beziehung zwischen Besatzer und Bevölkerung der besetzten Gebiete nach dem Zweiten Weltkrieg grundlegend. Die Genfer Konventionen – die zum festen und anerkannten Bestandteil des internationalen Völkerrechts wurden – legten fest, dass die Bevölkerung nicht ihre alte Staatsbürgerschaft verlieren darf, also das eroberte Gebiet nicht annektiert werden darf. Zudem muss die Besatzungsmacht für Ordnung, für das Wohlergehen der Zivilbevölkerung, aber auch dafür sorgen, dass keine Besiedlung mit der eigenen Bevölkerung stattfindet.
Shimon Peres gehörte zur Generation jener Politiker, die bereits vor der offiziellen Gründung Israels zu dessen prägenden Kräften zählten.
Als Israel in nur wenigen Tagen im Juni 1967 das eigene Territorium nahezu verdreifacht hatte, herrschte das Land über Millionen von Menschen, für die Tel Aviv die Verantwortung übernehmen musste. Nach Rückgabe der Sinai-Halbinsel an Ägypten im Jahr 1979 blieben noch der Gaza-Streifen, die syrischen Golanhöhen und das Westjordanland übrig. Die spärlich besiedelten Golanhöhen wurden 1982 annektiert und zu israelischem Staatsgebiet erklärt, während in den palästinensischen Gebieten weiterhin per Militärherrschaft regiert wurde.
Erst mit den "Friedensverhandlungen" in Oslo – die nach der Ersten Intifada initiiert wurden – und der gegenseitigen Anerkennung zwischen Israel und der palästinensischen Befreiungsorganisation PLO von Jassir Arafat im Jahr 1993 konnte die PLO-Führung aus dem tunesischen Exil in die alte Heimat zurückkehren. Als Palästinensische Autonomiebehörde (PA) sollte sie die Verwaltung von Teilen der besetzten Gebiete übernehmen, die in drei Teile (Area A, B, C) aufgeteilt wurde. Die PA sollte die volle Verwaltung von 18 Prozent des Westjordanlandes (Area A) erhalten, wo etwa 55 Prozent der Palästinenser lebten. Area B, das 20 Prozent des Gebietes mit 41 Prozent der Bevölkerung ausmachte, sollte von der PA und Israel gemeinsam verwaltet werden, während Area C, 62 Prozent, weiterhin unter voller Kontrolle von Israel bleiben sollte.
Im Zuge dieser Entwicklung entstand der Eindruck bei den Palästinensern und auch in der internationalen Gemeinschaft, dass die beiden Oslo-Abkommen am Ende zu einem Staat Palästina führen würden. Das war allerdings ein gefährlicher Trugschluss, dessen Auswirkungen bis heute spürbar sind.
Die größten Profiteure davon waren Israel und die Führung rund um Arafat in der PA. Israel entledigte sich der Verantwortung und vor allem der Kosten für das Besatzungsregime, während die PA sich als Quasi-Regierung mit allen Annehmlichkeiten aufspielen konnte.
Die harte Realität holte aber beide Seiten schneller ein, als ihnen lieb war. Der massive Ausbau von jüdischen Siedlungen im Westjordanland unter Benjamin Netanjahu und dessen systematische Untergrabung der Oslo-Abkommen brachte das Unvermögen der PA ans Tageslicht, irgendetwas dagegen unternehmen zu können. Der aufgestaute Frust über diese Entwicklung und die Erkenntnis, dass die korrupte PA zu einem Handlanger Israels wurde, brauchte nur eine Provokation des als "Schlächter von Sabra und Schatila" berüchtigten Ariel Sharon, um sich in der Zweiten Intifada zu entladen. Dieser Volksaufstand sollte allerdings viel brutaler und im Gegensatz zur Intifada von 1987 bis 1993 auch mit Waffengewalt geführt werden.
Ungeklärte Gebietsstreitigkeiten und die stetige Gefahr militärischer Eskalationen zwischen Israel und den Palästinensergruppen lähmen die Wirtschaft und schädigen vor allem die palästinensische Zivilbevölkerung.
Nach viereinhalb Jahren Krieg einigten sich am 8. Februar 2005 im ägyptischen Scharm El-Scheich der israelische Ministerpräsident Sharon und sein "Amtskollege" Mahmud Abbas – in der PLO als Abu Mazen bekannt – auf ein Ende der Auseinandersetzungen. Auf beiden Seiten wurden über 4.600 Menschen (1.036 Israelis und 3.592 Palästinenser) getötet und über 37.000 Menschen verletzt (7.054 Israelis und 29.757 Palästinenser).
Am Ende mussten die Palästinenser einsehen, dass sie gegen einen hochmilitarisierten Staat wie Israel keine Chance haben. Die Strategie der kollektiven Bestrafung und die hocheffiziente Maschinerie der gezielten Tötungen – in mehreren israelischen Dokumentation eindrucksvoll dargestellt –, hatte den Willen zum Kampf gebrochen.
Gegen die Ausweitung der jüdischen Siedlungen und der steigenden Zahl der Siedler, auch in der Zeit der beiden Intifadas, waren sie machtlos. Die Fragmentierung der palästinensischen Gebiete nahm solche Dimensionen an, dass ein überlebensfähiger Staat gar nicht mehr möglich wäre. Professor Hillel Cohen, Direktor des Bernard-Cherrick-Zentrums zur Erforschung des Zionismus an der Hebräischen Universität in Jerusalem, sagte dazu gegenüber der israelischen Zeitung Haaretz:
Es war Regierungspolitik, die Anzahl von Juden in den Gebieten zu erhöhen. Sie machten Fünfjahrespläne, Zehnjahrespläne, sprachen darüber, wie man 100.000 (Siedler) und 300.000 und eine halbe Million erreichen könnte
Cohen bestätigte auch, dass Ariel Sharon eine zentrale Rolle bei der Expansion von jüdischen Siedlungen im Westjordanland spielte, auch während seiner Zeit als Ministerpräsident von 2001 bis 2006. "Für ihn lag der Grund für die Ausbreitung der Siedlungen darin, die Möglichkeit einer Gründung eines palästinensischen Staates zu verhindern", so der Professor weiter.
"Deal des Jahrhunderts" ist ein Groß-Israel – Teil 1
Jüdische Siedlungen im Westjordanland 1968. 
"Deal des Jahrhunderts" ist ein Groß-Israel – Teil 1
Jüdische Siedlungen im Westjordanland 2015.
Dennoch hielt die internationale Gemeinschaft weiterhin an der Illusion fest, dass eine Zweistaatenlösung die einzige Möglichkeit wäre, den seit über 100 Jahren andauernden Konflikt zu lösen. Dabei schauten vor allem die USA und die europäischen Regierungen tatenlos zu, wie auf dem Boden ganz andere Fakten geschaffen und die Grundlage für einen palästinensischen Staat zunichtegemacht wurden.
Benjamin Netanjahu segelte derweil geschickt im jeweiligen politischen Wind. Als erster israelischer Ministerpräsident bekannte er sich 2009 bei einer damals als historisch bezeichnenden Rede vor der Bar-Ilan-Universität in Tel Aviv für eine Zweistaatenlösung, nachdem der damalige US-Präsident Barack Obama seine ebenfalls "historische" Rede in Kairo gehalten hatte. Obama bezeichnete die israelische Besatzung als "unerträglich" und nannte die palästinensische Forderung nach einem eigenen Staat "legitim". Die New York Timesbeschrieb diese politische Wendung von Netanjahu damals folgendermaßen:
In der langerwarteten Rede, die teilweise als Antwort auf die Rede von Präsident Obama in Kairo am 4. Juni gedacht ist, hat Herr Netanjahu seinen langjährigen Widerstand gegen einen palästinensischen Staat aufgehoben, ein Schritt, der als Zugeständnis aufgrund des amerikanischen Drucks betrachtet wird.
Das war vor genau zehn Jahren. Seitdem ist Netanjahu wieder von dieser Position abgerückt, nachdem ein anderer Mann ins Weiße Haus in Washington eingezogen ist. Stattdessen ist er wieder an dem Punkt angelangt, den er bereits in einem Meinungsartikel im Jahr 1993 dargelegt hat. Es könne lediglich eine "Arrangement" mit den Palästinensern geben, wobei "Israel die strategischen Gebiete der West Bank kontrolliert, während die Araber ihren eigenen Angelegenheiten wie Gesundheit, Erziehung und Handel in ihren Städten und Dörfern nachgehen können."
Unterstützung dafür findet Netanjahu bei der Regierung von US-Präsident Donald Trump. Obwohl fast alle Regierungen in Washington eine betont pro-israelische Politik verfolgt haben, hatten sie wenigstens versucht, den Anschein einer gewissen Objektivität zu wahren, um in den zahlreichen "Friedensbemühungen" als unparteiischer Vermittler aufzutreten. Mit der Ankunft von Trump und dessen Beraterstab sowie Kabinett hat Washington diese Farce aufgegeben.
Das hat nicht so viel damit zu tun, dass Trump unter dem Einfluss von jüdischen und zionistischen Beratern steht, sondern damit, dass man der Realität auf dem Boden in Israel und den besetzten Gebieten Rechnung trägt. Man kann noch die nächsten zehn oder 20 Jahre über eine Zweistaatenlösung diskutieren, wie es etwa die EU vorzieht zu tun, während unter Netanjahus Regierungen (1996–1999, ab 2009 bis heute) die Anzahl der Siedler massiv zugenommen hat.
Und was nicht außer Acht gelassen werden darf: Netanjahu wird über die Pläne des "Deals des Jahrhunderts" informiert gehalten, den Trumps Schwiegersohn Jared Kushner, der US-Botschafter in Israel, David Friedman, sowie Trumps Sonderbeauftragter für internationale Verhandlungen, Jason Greenblatt, ausarbeiten.  
RT Deutsch bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Siegfried Dienel, Initiator der Russlandtage, legte am 22. Juni 2019 Blumen am Sowjetischen Ehrenmal in Stralsund nieder

Erinnerung an Überfall auf Sowjetunion: Wer damals Krieg wollte und auch heute will

© Sputnik / Tilo Gräser
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Tilo Gräser
101015
„Meinst Du, die Russen wollen Krieg?“ Diese Frage hat der Dichter Jewgeni Jewtuschenko vor fast 60 Jahren gestellt. Eine Antwort darauf haben die Stralsunder Russlandtag am Samstag und Sonntag gegeben. Neben einem Historiker, einem Politiker und einer Politikberaterin hat eine Sängerin klar gemacht: Die Menschen wollen Frieden – auch mit Russland.
Die Sonne scheint, einige Wolken ziehen am blauen Himmel dahin. Menschen laufen am Strand, genießen das Rauschen und den Duft der Ostsee. Sie tauchen in sie ein und kehren schwimmend an den hellen Strand zurück. Das ist ein Friedenstag an der Ostseeküste. Es ist der Sonntag, der 23. Juni 2019.
Zur gleichen Zeit erinnert die Sängerin Gina Pietsch, am Klavier begleitet von ihrer Tochter Frauke, in einem Hotel in Stralsund an einen großen Krieg: an den am Vortag vor 78 Jahren begonnenen Überfall der faschistischen deutschen Wehrmacht und ihrer Verbündeten auf die Sowjetunion, an den Vernichtungskrieg und seine Millionen Opfer. Erst nach rund fünf Jahren war der Frieden zurückgewonnen und die faschistischen Mörder von der Roten Armee und ihre Alliierten besiegt.
  • Der Historiker Stefan Bollinger
  • Der Bundestagsabgeordnete Dr. Alexander Neu  (Die Linke)
  • Die Politikberaterin Petra Erler (SPD), neben ihr Siegfried Dienel
  • Kinder der Tanzgruppe „Viva“ gestalteten das Kulturprogramm mit
  • Die Sängerin und Brecht-Interpretin Gina Pietsch, begleitet am Klavier von ihrer Tochter Frauke, bekam Standing Ovations
  • Ein Chor von Frauen aus verschiedenen Ex-Sowjetrepubliken sang russische und ukrainische Volkslieder
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© SPUTNIK / TILO GRÄSER
Der Historiker Stefan Bollinger
Warnung vor Krieg
Es waren nicht viele Menschen, die der Sängerin mit der angerauhten Stimme zuhörten. Vielleicht lag es einfach an dem schönen Wetter und dass sie am Meer diesen Tag des Friedens genoßen. Sie dachten nicht daran, dass dieser Frieden wieder bedroht ist, auch in Europa.
Davor warnt an dem Sonntag nicht nur Gina Pietsch gemeinsam mit ihrer Tochter. Das taten bereits am Vortag die Politikberaterin Petra Erler, der Historiker Stefan Bollinger und der Bundestagsabgeordnete Alexander Neu von der Partei Die Linke. Sie alle beschäftigte an beiden Tage die Frage „Meinst Du, die Russen wollen Krieg?“, die der sowjetische Dichter Jewgeni Jewtuschenko bereits 1960 gestellt hatte. Sie taten das während der Stralsunder Russlandtage, zu denen der Stadtverband der Partei Die Linke eingeladen hatte, allen voran Siegfried Dienel, ein ehemaliger Offizier.
Politikberaterin Erler, die unter anderem Mitarbeiterin des ehemaligen EU-Kommissars Günter Verheugen war, berichtete von einer Nato-Expertenberatung in Aachen im Oktober 2018. Dort sei es um die Frage gegangen „Wie gehen wir um mit dem Nebel des Tages 0?“ Das sei die militärische Umschreibung für die Frage: „Sind wir schon im echten, dem heißen Krieg oder sind wir noch im kalten, dem Informationskrieg?“ Zugleich hätten die Nato-Experten darüber diskutiert, wie die Bevölkerung dazu gebracht werden könne, dass sie diesen Vorkriegszustand auch akzeptiert.
Doch Erler machte klar, dass das nicht zu akzeptieren sei.
Deutsche Verantwortung
Sie stellte klar, dass tatsächlich ein Informationskrieg geführt wird – gegen Russland. Das geschehe, obwohl eine Mehrheit der Bevölkerung in der Europäischen Union dagegen und für ein besseres Verhältnis zu Russland sei. Gegen alle, die sich genau für Letzteres aussprechen und einsetzen, werde gleichzeitig auch in den meinungsführenden Medien gehetzt. Wer sich dafür ausspreche, den Frieden zu sichern, werde gar als unwillig zum Krieg diffamiert, so Erler mit Verweis auf die inzwischen von der Bildfläche verschwundene antirussische „Integrity Initiative“.
Die Politikberaterin kritisierte deutlich die westliche Politik gegenüber Russland. „Diejenigen, die sich zumindest einer Partnerschaft mit Russland – nicht einer Freundschaft – aussprechen, haben sofort ein immenses Problem.“ Immer wieder werde von Politikern und Medien erklärt, dass die Bundesregierung keine eigenständige Politik gegenüber Russland geben und dass das nur im Rahmen der EU geschehen sollte.
„Das ist natürlich eine Mogelpackung“, kommentierte das Erler und verwies darauf, dass niemand dagegen die eigenständige deutsche Außenpolitik im Fall Israels bestreite. Diese werde mit der besonderen deutschen Verantwortung gegenüber Israel aufgrund der faschistischen Judenvernichtung im 2. Weltkrieg begründet. Das sei nicht zu bestreiten, so Erler, aber: „Natürlich haben wir eine historische Verantwortung gegenüber den Völkern der einstigen Sowjetunion aufgrund des Vernichtungskrieg im Osten mit seinen 27 Millionen Toten.“
Verdrängte Geschichte
Die Vernichtung der europäischen Juden habe zudem mit dem Überfall auf die Sowjetunion vor 78 Jahren begonnen, erinnerte sie. Und es seien zuerst Juden aus Deutschland umgebracht worden, nachdem sie in die besetzten osteuropäischen Gebiete deportiert wurden – „zuallererst jüdische Kommunisten“. Die Politikberaterin und ehemalige EU-Kommission-Mitarbeitern warnte vor dem Vergessen und Verdrängen der Geschichte. Das beobachte sie zunehmend und mit wachsender Sorge.
Diese Sorge treibt auch den Historiker Stefan Bollinger um, der in Stralsund an die Vorgeschichte des faschistischen Überfalls auf die Sowjetunion und den Weg in den 1939 begonnenen 2. Weltkrieg erinnerte. Gegenwärtig verändere sich die Darstellung der geschichtlichen Ereignisse. So sei kürzlich an die Landung der westlichen Alliierten in der Normandie vor 75 Jahren erinnert worden. Bollinger dazu: „Es wird eine Geschichtsschreibung betrieben, in der offenbar dieser Krieg durch die drei alliierten Westmächte USA, Großbritannien und Frankreich geführt und gewonnen worden ist. Geringfügig übersehen wird, dass die Hauptauseinandersetzung und der Haupteinsatz der deutschen Truppen im Osten gegen die Sowjetunion stattgefunden hat.“
Der Historiker beklagte ebenso, dass am 27. Januar zwar offiziell der Opfer des Faschismus und der Befreiung des KZ Auschwitz gedacht werde, während dabei übersehen werde, dass das durch sowjetische Truppen erfolgte. Zugleich werde so der Eindruck erweckt, „dass dieser 2. Weltkrieg nur ein Weltkrieg war, den Hitler ausgelöst hat, um die Juden zu vernichten“. Dabei würden „großzügig“ die anderen Ziele dieses faschistischen Krieges übersehen: Die Vernichtung des Weltkommunismus, die Vernichtung nicht nur der Juden, sondern auch der Sinti und Roma und auch der Slawen. „Auch das sollte man etwas stärker ins Gedächtnis rücken“, forderte der Historiker, „weil das zur Wahrheit der Geschichte gehört“.
Klares Kriegsziel
Zudem werde ausgeblendet werde, dass eine Anti-Hitler-Koalition den Krieg gewann, zu der neben den Alliierten aus dem Westen und der Sowjetunion auch der Widerstand in den besetzten Ländern gehörte. Dessen Aktive hätten oft verschiedene politische und weltanschauliche Ausrichtung gehabt. Zu ihnen hätten bürgerliche und christliche Antifaschisten ebenso wie Kommunisten gehört.
Die deutschen Faschisten wollten nicht nur erobern, sondern auch vernichten, hob Bollinger hervor und erinnerte daran, dass nicht Hitler allein den Krieg wollte. So erscheint es in manchen Darstellungen und Publikationen der letzten Jahre. Es sei nicht allein der Krieg Hitlers und der Faschisten oder der deutschen Generäle gewesen.
„Es war das gemeinsame Eliten-Projekt von Konzernherren, Militärs und von rechten Intellektuellen, die eigentlich 1918 vermeintlich entmachtet worden sind.“ Doch letzteres sei nicht geschehen, stattdessen hätten diese Eliten sich auf den nächsten Krieg als Revanche für den verlorenen 1. Weltkrieg vorbereitet.
„Dieser Krieg gegen die Sowjetunion war vom ersten Tag an ein Vernichtungskrieg gegen Kommunisten, gegen als ‚rassisch minderwertig‘ angesehene Juden und auch gegen Slawen, denen man bestenfalls einen Platz als Sklaven der neuen Ordnung zugestanden hatte.“
Linke Unklarheit
Es sei für linke Kräfte gegenwärtig nicht leicht, an die Geschichte und ihre Zusammenhänge zu erinnern. Das gelte ebenso für die Antworten auf die Fragen, wie heute Kriege gemacht werden, wem sie nutzen und wer hinter den Aggressoren steht. Mit Blick auf die heranwachsenden jüngeren Generationen bezeichnete Bollinger Aufklärung über die Geschichte als notwendiger denn je.
Wie schwierig das im Zusammenhang mit dem aktuellen Konflikt zwischen dem Westen und Russland selbst unter den linken Kräften ist, machte der Bundestagsabgeordnete Alexander Neu deutlich. Seine eigene Partei und deren Fraktion im Bundestag seien gespalten in Kräfte, die für ein besseres und vernünftiges Verhältnis zu Russland eintreten, und jenen, die russlandfeindlich auftreten. Neu belegte das mit verschiedenen Aktionen auf Parteitage der Partei Die Linke, auf denen unter anderem russlandfreundliche Anträge abgebogen und verhindert wurden, so zuletzt im Februar dieses Jahres in Bonn.
Während selbst ostdeutsche Politiker der Linkspartei sich russophob verhalten, würden gerade ostdeutsche Politiker der „Alternative für Deutschland“ (AfD) für eine russlandfreundlichere Politik einsetzen, berichtete der Abgeordnete. Er widersprach aber dem Bild von einer AfD, die insgesamt Russland gegenüber positiv eingestellt sei. Deren westdeutsche Politiker seien nicht weniger transatlantisch und Pro-Nato eingestellt wie jen e aus der Union und der SPD, bei den Grünen und der FDP.
Deutliche Warnung
Die Außenpolitiker in der Linksfraktion, zu denen er selbst gehört, seien für ein besseres Verhältnis zu Russland, so Neu und würden sich dafür aktiv einsetzen. Er befürchtet, dass die Friedensfrage“ aber „unter die Räder“ kommt, wenn die Menschen sich zwar für Umwelt und gegen den Klimawandel engagieren, aber die zunehmende Kriegsgefahr ignorieren. Der Frieden spiele in der gegenwärtigen gesellschaftliche Debatten kaum eine Rolle.
Das macht auch Politikberaterin Erler zunehmend Sorgen. Sie warnte vor den Folgen der anhaltenden Konfrontationspolitik gegenüber Russland. Dabei betonte sie sogar, sie könne nachweisen, dass es sich bei der „Skripal-Affäre“, einem der jüngsten Elemente in dieser Konfrontation gegen Russland, um eine Lüge handele. Ebenso äußerte sie Zweifel an den offiziellen Darstellungen zu dem Abschuss des malaysischen Passagierflugzeuges MH 17 im Juli 2014 über der Ostukraine.
Erler hofft nach ihren Worten auf die Macht der öffentlichen Meinung, um die Politik wieder zur Vernunft zu bringen. Die Menschen müssten erkennen, „dass man gemeinsame Interessen hat, auch wenn es ihnen heute am allerschwierigsten fällt“. „Das ist möglicherweise bewusst gemacht“, fügte sie hinzu.
Notwendige Gemeinsamkeit
„Gegen alle, die uns auseinanderbringen wollen“, sollten all jene zusammen stehen, die den Frieden bewahren und auch wieder ein besseres Verhältnis zu Russland erreichen wollen. Das sagte Sängerin Gina Pietsch am Ende ihres beeindruckenden Konzertes mit Liedern und texten zum Thema von Bertolt Brecht, Kurt Tucholsky Alexander Solobjow, Sting, Franz Josef Degenhardt, Volker Braun, Wladimir Wyssozki und anderen.
Sie gab mit den Liedern eine klare Antwort auf die Frage von Jewtuschenko „Meinst Du, die Russen wollen Krieg?“ Mit einer beeindruckenden Stimme und ihrer sich in die Texte einfühlenden Art zeigte sie, dass Kunst auch heute politisch sein kann, dass sie Partei ergreifen kann – nicht für eine Partei, sondern für den Frieden und gegen jene, die Krieg wollen und führen.
Pietsch sang auch das Lied „Der heilige Krieg“ von Wassili Lebedjew-Kumatsch und Alexander Alexandrow, das ab September 1941 täglich über „Radio Moskau“ die sowjetischen Soldaten begleitete, die in den Krieg gegen die Faschisten zogen. Sie trug auch Jewtuschenkos Text als Lied vor, darunter die Zeile: „Nicht nur fürs eigene Land, fiel der Soldat im Weltenbrand, nein, damit auf Erden jeder Mensch in Ruhe schlafen gehen kann ...“
Alter Irrtum
Und so genoßen die Menschen am Sonntag im sommerlichen Stralsund den friedlichen Tag, während die Sängerin an den Krieg erinnerte, der vor 78 Jahren begann und den die Menschen der Sowjetunion mit unfassbaren Opfer bezahlen mussten, darunter 27 Millionen Tote. Nur wenige kamen am Samstag an das sowjetische Ehrenmal in Stralsund und gedachten des Überfalls. Veranstaltungsorganisator Dienel legte dort Blumen nieder, ohne Begleitung von Funktionären seiner Partei. Die berieten in Schwerin über die Folgen der jüngste EU-Wahl.
Unterdessen wird Russland durch immer neue Nato-Manöver und -Truppenaufmärsche sowie einem angeblichen „Raketenabwehrsystem“ mit einem möglichen Krieg bedroht, wider alle Vernunft. Das geschieht einschließlich bundesdeutscher Soldaten und Waffen, so nahe an Sankt Petersburg, wie seit dem faschistischen Überfall vor 78 Jahren nicht mehr. Es scheint, als solle Russland wieder zu Kreuze kriechen, auch zum Balkenkreuz, und kuschen. Diesen Irrtum müssen aber alle bezahlen, hier wie dort, wie auf den Stralsunder Russlandtagen deutlich gemacht wurde.
Siegfried Dienel, Initiator der Russlandtage, legte am 22. Juni 2019 Blumen am Sowjetischen Ehrenmal in Stralsund niederErinnerung an Überfall auf Sowjetunion: Wer damals Krieg wollte und auch heute will © Sputnik / Tilo Gräser KOMMENTARE 20:11 23.06.2019(aktualisiert 20:18 23.06.2019) Zum Kurzlink Tilo Gräser 101015 „Meinst Du, die Russen wollen Krieg?“ Diese Frage hat der Dichter Jewgeni Jewtuschenko vor fast 60 Jahren gestellt. Eine Antwort darauf haben die Stralsunder Russlandtag am Samstag und Sonntag gegeben. Neben einem Historiker, einem Politiker und einer Politikberaterin hat eine Sängerin klar gemacht: Die Menschen wollen Frieden – auch mit Russland. Die Sonne scheint, einige Wolken ziehen am blauen Himmel dahin. Menschen laufen am Strand, genießen das Rauschen und den Duft der Ostsee. Sie tauchen in sie ein und kehren schwimmend an den hellen Strand zurück. Das ist ein Friedenstag an der Ostseeküste. Es ist der Sonntag, der 23. Juni 2019. Zur gleichen Zeit erinnert die Sängerin Gina Pietsch, am Klavier begleitet von ihrer Tochter Frauke, in einem Hotel in Stralsund an einen großen Krieg: an den am Vortag vor 78 Jahren begonnenen Überfall der faschistischen deutschen Wehrmacht und ihrer Verbündeten auf die Sowjetunion, an den Vernichtungskrieg und seine Millionen Opfer. Erst nach rund fünf Jahren war der Frieden zurückgewonnen und die faschistischen Mörder von der Roten Armee und ihre Alliierten besiegt. Der Historiker Stefan BollingerDer Bundestagsabgeordnete Dr. Alexander Neu (Die Linke)Die Politikberaterin Petra Erler (SPD), neben ihr Siegfried DienelKinder der Tanzgruppe „Viva“ gestalteten das Kulturprogramm mitDie Sängerin und Brecht-Interpretin Gina Pietsch, begleitet am Klavier von ihrer Tochter Frauke, bekam Standing OvationsEin Chor von Frauen aus verschiedenen Ex-Sowjetrepubliken sang russische und ukrainische Volkslieder 1 / 6 © SPUTNIK / TILO GRÄSER Der Historiker Stefan Bollinger Warnung vor Krieg Es waren nicht viele Menschen, die der Sängerin mit der angerauhten Stimme zuhörten. Vielleicht lag es einfach an dem schönen Wetter und dass sie am Meer diesen Tag des Friedens genoßen. Sie dachten nicht daran, dass dieser Frieden wieder bedroht ist, auch in Europa. Davor warnt an dem Sonntag nicht nur Gina Pietsch gemeinsam mit ihrer Tochter. Das taten bereits am Vortag die Politikberaterin Petra Erler, der Historiker Stefan Bollinger und der Bundestagsabgeordnete Alexander Neu von der Partei Die Linke. Sie alle beschäftigte an beiden Tage die Frage „Meinst Du, die Russen wollen Krieg?“, die der sowjetische Dichter Jewgeni Jewtuschenko bereits 1960 gestellt hatte. Sie taten das während der Stralsunder Russlandtage, zu denen der Stadtverband der Partei Die Linke eingeladen hatte, allen voran Siegfried Dienel, ein ehemaliger Offizier. Politikberaterin Erler, die unter anderem Mitarbeiterin des ehemaligen EU-Kommissars Günter Verheugen war, berichtete von einer Nato-Expertenberatung in Aachen im Oktober 2018. Dort sei es um die Frage gegangen „Wie gehen wir um mit dem Nebel des Tages 0?“ Das sei die militärische Umschreibung für die Frage: „Sind wir schon im echten, dem heißen Krieg oder sind wir noch im kalten, dem Informationskrieg?“ Zugleich hätten die Nato-Experten darüber diskutiert, wie die Bevölkerung dazu gebracht werden könne, dass sie diesen Vorkriegszustand auch akzeptiert. Doch Erler machte klar, dass das nicht zu akzeptieren sei. Deutsche Verantwortung Sie stellte klar, dass tatsächlich ein Informationskrieg geführt wird – gegen Russland. Das geschehe, obwohl eine Mehrheit der Bevölkerung in der Europäischen Union dagegen und für ein besseres Verhältnis zu Russland sei. Gegen alle, die sich genau für Letzteres aussprechen und einsetzen, werde gleichzeitig auch in den meinungsführenden Medien gehetzt. Wer sich dafür ausspreche, den Frieden zu sichern, werde gar als unwillig zum Krieg diffamiert, so Erler mit Verweis auf die inzwischen von der Bildfläche verschwundene antirussische „Integrity Initiative“. Die Politikberaterin kritisierte deutlich die westliche Politik gegenüber Russland. „Diejenigen, die sich zumindest einer Partnerschaft mit Russland – nicht einer Freundschaft – aussprechen, haben sofort ein immenses Problem.“ Immer wieder werde von Politikern und Medien erklärt, dass die Bundesregierung keine eigenständige Politik gegenüber Russland geben und dass das nur im Rahmen der EU geschehen sollte. „Das ist natürlich eine Mogelpackung“, kommentierte das Erler und verwies darauf, dass niemand dagegen die eigenständige deutsche Außenpolitik im Fall Israels bestreite. Diese werde mit der besonderen deutschen Verantwortung gegenüber Israel aufgrund der faschistischen Judenvernichtung im 2. Weltkrieg begründet. Das sei nicht zu bestreiten, so Erler, aber: „Natürlich haben wir eine historische Verantwortung gegenüber den Völkern der einstigen Sowjetunion aufgrund des Vernichtungskrieg im Osten mit seinen 27 Millionen Toten.“ Verdrängte Geschichte Die Vernichtung der europäischen Juden habe zudem mit dem Überfall auf die Sowjetunion vor 78 Jahren begonnen, erinnerte sie. Und es seien zuerst Juden aus Deutschland umgebracht worden, nachdem sie in die besetzten osteuropäischen Gebiete deportiert wurden – „zuallererst jüdische Kommunisten“. Die Politikberaterin und ehemalige EU-Kommission-Mitarbeitern warnte vor dem Vergessen und Verdrängen der Geschichte. Das beobachte sie zunehmend und mit wachsender Sorge. Diese Sorge treibt auch den Historiker Stefan Bollinger um, der in Stralsund an die Vorgeschichte des faschistischen Überfalls auf die Sowjetunion und den Weg in den 1939 begonnenen 2. Weltkrieg erinnerte. Gegenwärtig verändere sich die Darstellung der geschichtlichen Ereignisse. So sei kürzlich an die Landung der westlichen Alliierten in der Normandie vor 75 Jahren erinnert worden. Bollinger dazu: „Es wird eine Geschichtsschreibung betrieben, in der offenbar dieser Krieg durch die drei alliierten Westmächte USA, Großbritannien und Frankreich geführt und gewonnen worden ist. Geringfügig übersehen wird, dass die Hauptauseinandersetzung und der Haupteinsatz der deutschen Truppen im Osten gegen die Sowjetunion stattgefunden hat.“ Der Historiker beklagte ebenso, dass am 27. Januar zwar offiziell der Opfer des Faschismus und der Befreiung des KZ Auschwitz gedacht werde, während dabei übersehen werde, dass das durch sowjetische Truppen erfolgte. Zugleich werde so der Eindruck erweckt, „dass dieser 2. Weltkrieg nur ein Weltkrieg war, den Hitler ausgelöst hat, um die Juden zu vernichten“. Dabei würden „großzügig“ die anderen Ziele dieses faschistischen Krieges übersehen: Die Vernichtung des Weltkommunismus, die Vernichtung nicht nur der Juden, sondern auch der Sinti und Roma und auch der Slawen. „Auch das sollte man etwas stärker ins Gedächtnis rücken“, forderte der Historiker, „weil das zur Wahrheit der Geschichte gehört“. Klares Kriegsziel Zudem werde ausgeblendet werde, dass eine Anti-Hitler-Koalition den Krieg gewann, zu der neben den Alliierten aus dem Westen und der Sowjetunion auch der Widerstand in den besetzten Ländern gehörte. Dessen Aktive hätten oft verschiedene politische und weltanschauliche Ausrichtung gehabt. Zu ihnen hätten bürgerliche und christliche Antifaschisten ebenso wie Kommunisten gehört. Die deutschen Faschisten wollten nicht nur erobern, sondern auch vernichten, hob Bollinger hervor und erinnerte daran, dass nicht Hitler allein den Krieg wollte. So erscheint es in manchen Darstellungen und Publikationen der letzten Jahre. Es sei nicht allein der Krieg Hitlers und der Faschisten oder der deutschen Generäle gewesen. „Es war das gemeinsame Eliten-Projekt von Konzernherren, Militärs und von rechten Intellektuellen, die eigentlich 1918 vermeintlich entmachtet worden sind.“ Doch letzteres sei nicht geschehen, stattdessen hätten diese Eliten sich auf den nächsten Krieg als Revanche für den verlorenen 1. Weltkrieg vorbereitet. „Dieser Krieg gegen die Sowjetunion war vom ersten Tag an ein Vernichtungskrieg gegen Kommunisten, gegen als ‚rassisch minderwertig‘ angesehene Juden und auch gegen Slawen, denen man bestenfalls einen Platz als Sklaven der neuen Ordnung zugestanden hatte.“ Linke Unklarheit Es sei für linke Kräfte gegenwärtig nicht leicht, an die Geschichte und ihre Zusammenhänge zu erinnern. Das gelte ebenso für die Antworten auf die Fragen, wie heute Kriege gemacht werden, wem sie nutzen und wer hinter den Aggressoren steht. Mit Blick auf die heranwachsenden jüngeren Generationen bezeichnete Bollinger Aufklärung über die Geschichte als notwendiger denn je. Wie schwierig das im Zusammenhang mit dem aktuellen Konflikt zwischen dem Westen und Russland selbst unter den linken Kräften ist, machte der Bundestagsabgeordnete Alexander Neu deutlich. Seine eigene Partei und deren Fraktion im Bundestag seien gespalten in Kräfte, die für ein besseres und vernünftiges Verhältnis zu Russland eintreten, und jenen, die russlandfeindlich auftreten. Neu belegte das mit verschiedenen Aktionen auf Parteitage der Partei Die Linke, auf denen unter anderem russlandfreundliche Anträge abgebogen und verhindert wurden, so zuletzt im Februar dieses Jahres in Bonn. Während selbst ostdeutsche Politiker der Linkspartei sich russophob verhalten, würden gerade ostdeutsche Politiker der „Alternative für Deutschland“ (AfD) für eine russlandfreundlichere Politik einsetzen, berichtete der Abgeordnete. Er widersprach aber dem Bild von einer AfD, die insgesamt Russland gegenüber positiv eingestellt sei. Deren westdeutsche Politiker seien nicht weniger transatlantisch und Pro-Nato eingestellt wie jen e aus der Union und der SPD, bei den Grünen und der FDP. Deutliche Warnung Die Außenpolitiker in der Linksfraktion, zu denen er selbst gehört, seien für ein besseres Verhältnis zu Russland, so Neu und würden sich dafür aktiv einsetzen. Er befürchtet, dass die Friedensfrage“ aber „unter die Räder“ kommt, wenn die Menschen sich zwar für Umwelt und gegen den Klimawandel engagieren, aber die zunehmende Kriegsgefahr ignorieren. Der Frieden spiele in der gegenwärtigen gesellschaftliche Debatten kaum eine Rolle. Das macht auch Politikberaterin Erler zunehmend Sorgen. Sie warnte vor den Folgen der anhaltenden Konfrontationspolitik gegenüber Russland. Dabei betonte sie sogar, sie könne nachweisen, dass es sich bei der „Skripal-Affäre“, einem der jüngsten Elemente in dieser Konfrontation gegen Russland, um eine Lüge handele. Ebenso äußerte sie Zweifel an den offiziellen Darstellungen zu dem Abschuss des malaysischen Passagierflugzeuges MH 17 im Juli 2014 über der Ostukraine. Erler hofft nach ihren Worten auf die Macht der öffentlichen Meinung, um die Politik wieder zur Vernunft zu bringen. Die Menschen müssten erkennen, „dass man gemeinsame Interessen hat, auch wenn es ihnen heute am allerschwierigsten fällt“. „Das ist möglicherweise bewusst gemacht“, fügte sie hinzu. Notwendige Gemeinsamkeit „Gegen alle, die uns auseinanderbringen wollen“, sollten all jene zusammen stehen, die den Frieden bewahren und auch wieder ein besseres Verhältnis zu Russland erreichen wollen. Das sagte Sängerin Gina Pietsch am Ende ihres beeindruckenden Konzertes mit Liedern und texten zum Thema von Bertolt Brecht, Kurt Tucholsky Alexander Solobjow, Sting, Franz Josef Degenhardt, Volker Braun, Wladimir Wyssozki und anderen. Sie gab mit den Liedern eine klare Antwort auf die Frage von Jewtuschenko „Meinst Du, die Russen wollen Krieg?“ Mit einer beeindruckenden Stimme und ihrer sich in die Texte einfühlenden Art zeigte sie, dass Kunst auch heute politisch sein kann, dass sie Partei ergreifen kann – nicht für eine Partei, sondern für den Frieden und gegen jene, die Krieg wollen und führen. Pietsch sang auch das Lied „Der heilige Krieg“ von Wassili Lebedjew-Kumatsch und Alexander Alexandrow, das ab September 1941 täglich über „Radio Moskau“ die sowjetischen Soldaten begleitete, die in den Krieg gegen die Faschisten zogen. Sie trug auch Jewtuschenkos Text als Lied vor, darunter die Zeile: „Nicht nur fürs eigene Land, fiel der Soldat im Weltenbrand, nein, damit auf Erden jeder Mensch in Ruhe schlafen gehen kann ...“ Alter Irrtum Und so genoßen die Menschen am Sonntag im sommerlichen Stralsund den friedlichen Tag, während die Sängerin an den Krieg erinnerte, der vor 78 Jahren begann und den die Menschen der Sowjetunion mit unfassbaren Opfer bezahlen mussten, darunter 27 Millionen Tote. Nur wenige kamen am Samstag an das sowjetische Ehrenmal in Stralsund und gedachten des Überfalls. Veranstaltungsorganisator Dienel legte dort Blumen nieder, ohne Begleitung von Funktionären seiner Partei. Die berieten in Schwerin über die Folgen der jüngste EU-Wahl. Unterdessen wird Russland durch immer neue Nato-Manöver und -Truppenaufmärsche sowie einem angeblichen „Raketenabwehrsystem“ mit einem möglichen Krieg bedroht, wider alle Vernunft. Das geschieht einschließlich bundesdeutscher Soldaten und Waffen, so nahe an Sankt Petersburg, wie seit dem faschistischen Überfall vor 78 Jahren nicht mehr. Es scheint, als solle Russland wieder zu Kreuze kriechen, auch zum Balkenkreuz, und kuschen. Diesen Irrtum müssen aber alle bezahlen, hier wie dort, wie auf den Stralsunder Russlandtagen deutlich gemacht wurde.