Sunday, December 16, 2012

Die Stationierung der Patriot-Raketen an der Grenze zu Syrien ist falsch:



GastbeitragPatriot-Raketen sind nur eine leere Drohgebärde der Nato

 06.12.2012 00:00 Uhr
Von Markus Kaim
Die Stationierung der Patriot-Raketen an der Grenze zu Syrien ist falsch: Es gibt deutlich wirksamere Wege, dem Nato-Partner Türkei angesichts des Bürgerkrieges im Nachbarland beizustehen.
Der Einsatz deutscher Flugabwehrraketen des Typs "Patriot" im türkischen Grenzgebiet zu Syrien rückt näher. Foto: dpa
Der Einsatz deutscher Flugabwehrraketen des Typs "Patriot" im türkischen Grenzgebiet zu Syrien rückt näher. - FOTO: DPA
Am Donnerstag hat das Kabinett die Stationierung deutscher Patriot-Raketen in der Türkei beschlossen, nachdem die Nato-Außenminister bereits einen entsprechenden Beschluss gefasst haben. Bald wird dann der Bundestag vor der Frage stehen, ob er die Regierung zu diesem Bundeswehreinsatz ermächtigt.
Es zeichnet sich eine große Mehrheit für die Stationierung ab. Die vorgelegte Begründung und der zu erwartende Nutzen sind jedoch fraglich.
Erstens ist die dem Einsatz zugrunde liegende Bedrohungsanalyse zweifelhaft. DasPatriot-Raketenabwehrsystem ist zur Abwehr von Luftangriffen und von Beschuss durch ballistische Raketen konzipiert. Bisher hat Syrien die Türkei aber weder mit diesen Waffensystemen angegriffen noch seine Bereitschaft erkennen lassen, das zu tun. Es ist auch nicht erkennbar, welchen strategischen Nutzen Präsident Assad daraus ziehen sollte: Er wäre direkt mit einer der bestausgebildeten und –ausgerüsteten Armeen des Nahen Ostens konfrontiert. Zudem hätte die syrische Führung in diesem Fall mit der Ausrufung des Bündnisfalls und der massiven Vergeltung der Nato zu rechnen. Eine militärische Niederlage Syriens und das Ende des Regimes Assad wären die nahezu zwangsläufige Folge. Vor diesem Hintergrund liegen den Aussagen deutscher Politiker, dass die Patriot-Stationierung notwendig sei, um Assad von einem Angriff auf die Türkei abzuhalten, der diese in den syrischen Bürgerkrieg hineinzöge, fragwürdige Annahmen zugrunde.
Eine Bedrohung der Türkei, die das Handeln der Nato nahelegte, ist aus dem bisherigen Konfliktverlauf auch gar nicht abzuleiten. Zwar hat Syrien unter nicht vollständig geklärten Umständen im Juni ein türkisches Militärflugzeug abgeschossen und immer wieder kam es zu Einschlägen einzelner syrischer Granaten auf türkisches Territorium. Die Vorfälle und die entsprechenden Opfer sind bedauerlich. Richtigerweise haben die Nato-Länder dies bisher jedoch nicht als eine Bedrohung der territorialen Integrität Türkei aufgefasst und entsprechend auch die Beistandsklausel des Nato-Vertrages nicht aktiviert.
Markus Kaim, Leiter der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Foto: privat
Markus Kaim, Leiter der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). - FOTO: PRIVAT
Schließlich muss man kein Anhänger regionaler Eskalationsszenarien sein, um zu fragen, wie sich aus deutscher Sicht denn nach einem denkbaren Abschuss eines syrischen Flugzeugs durch die Bundeswehr die Lage weiterentwickeln könnte. Denn die Stationierung der deutschen Patriot-Raketen kann ihre abschreckende Wirkung auf die syrische Führung nur dann entfalten, wenn die Nato und damit auch die Bundesregierung zu ihrem möglichen Einsatz fest entschlossen sind. Wer dazu nicht bereit ist, sollte entsprechende Drohgebärden unterlassen.
Es geht bei der von Ankara erbetenen Patriot-Stationierung wohl weniger um praktische Solidarität mit der Türkei und den Schutz ihres Territoriums. Dieses Argument spielt auch in türkischen Debatten nur eine nachrangige Rolle. Aus Sicht der Nato geht es vor allem darum, die Türkei davon abzuhalten, sich ohne Absprache mit ihren Verbündeten in Syrien militärisch zu engagieren. Dies ist angesichts der internationalen Ratlosigkeit, wie der Bürgerkrieg in Syrien eingehegt werden kann, nachvollziehbar, hilft aber weder der Türkei noch den Menschen in Syrien wirklich.
Solidarität ist ein hohes Gut, auch wenn die Idee durch den inflationären Gebrauch des Wortes im politischen Alltag an Glanz verloren hat. Die deutsche Politik sollte sie nicht durch eine lediglich symbolische Politik aushöhlen. Es gibt deutlich wirksamere Wege, dem Nato-Partner Türkei angesichts des Bürgerkrieges im Nachbarland beizustehen als Abwehrraketen zu stationieren. Ankara dabei zu helfen, den Strom syrischer Flüchtlinge zu bewältigen – mindestens 120 000 sind bereits über die Grenze geflüchtet –, ist einer davon. Ein anderer, so unbequem das sein mag, ist die Vorbereitung eines militärischen Engagements der internationalen Gemeinschaft in Syrien selbst. Denn vor allem die syrische Bevölkerung, die unter den Angriffen der Sicherheitskräfte leidet, bedarf der Solidarität.
Der Autor ist Leiter der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.

AF-Presseerklärung: Alfred Grosser zieht Unterschrift unter Drohbrief an Assad zurück

Erfolg im Kampf gegen Missbrauch der Friedensbewegung

Alfred Grosser zieht Unterschrift unter offenen Brief an den syrischen Präsidenten zurück
AF, 16.12.2012 -- Nach Konstantin Wecker hat eine zweite bekannte Persönlichkeit ihre Unterschrift unter einen zweifelhaften Syrien-Aufruf zurückgezogen. Nachdem Konstantin Wecker sich von dem von "Adopt a Revolution" und "medico international" initiierten Appell "Freiheit braucht Beistand", den er zunächst als Erstunterzeichner mitgetragen hatte, distanziert hat, hat jetzt Alfred Grosser, Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels von 1975, am Sonnabend die Unterschrift unter einen offenen Brief an den Präsidenten der Arabischen Republik Syrien Baschar Al-Assad zurückgezogen, den er zunächst zusammen mit fünf weiteren Trägern des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, David Grossman, Claudio Magris, Orhan Pamuk, Boualem Sansal und Martin Walser, unterzeichnet hatte.

Der offene Brief, der im Namen einer „Vereinigung der Schriftsteller für den Frieden“ mit Kontaktadresse beim Europarat in Straßburg verfasst und vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels organisiert ist, und der mit dem Satz „Voll Sorge ist die Menschheit angesichts des Martyriums des syrischen Volkes“ beginnt, um dann – als Lösung – den syrischen Präsidenten zum Rücktritt aufzufordern und ihm das Verlassen des Landes nahe zu legen, endet mit den Worten: „Abgesehen von dieser Lösung, gibt es nur eine andere für Sie, auch wenn das für Ihre Familie bedauerlich wäre: entweder getötet zu werden, wie Saddam Hussein oder Muammar al-Gaddafi, oder ein Leben im Gefängnis in einer sterilen Zelle in Den Haag.“ Diese "Drohungen" seien für ihn nicht akzeptabel, teilt Alfred Grosser nach genauerem Studium des Brieftextes mit und löst damit in seinem Freundeskreis und in Teilen der Friedensbewegung große Erleichterung aus.

Am gleichen Tag hat sich das Istanbuler Nazim-Hikmet-Kultur-Zentrum zu Wort gemeldet und eine Erklärung verfasst, die den türkischen Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk wegen dessen Unterschrift unter den offenen Brief kritisiert. Er und die anderen Unterzeichner hätten sich zu einem Werkzeug der Nato machen lassen. Ein Autor, der mit Hilfe eines Stiftes zur Speerspitze einer Besatzung werden wolle, werde sich von den Menschen und den Intellektuellen seines Landes isolieren.

Monika Krotter-Hartmann, Mitglied des Freidenker-Verbandes, kommentiert: „Diese 'Künstler' glauben, dass mit dem Rücktritt Assads das Syrische Volk gerettet werde? Was denken sie sich dabei? Denken sie darüber nach, was nach Assad kommen könnte? Welche Regierung unter den derzeitigen Bedingungen realistischerweise installiert werden würde? Offen fordere ich die namhaften Unterzeichner dieses Briefes auf, als Künstler zurückzutreten. Nur dieser Schritt kann das Volk ‘aus dem Martyrium’ befreien, solche Künstler zu haben.“

Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann, Mitglieder des Vereins Aachener Friedenspreis und des Bundesverbands Arbeiterfotografie, hatten sich u.a. wie folgt an die Unterzeichner des offenen Briefes gewandt: „Die Planungen der imperialistischen Machthaber der westlichen Welt liegen offen zutage. Der ehemalige NATO-Oberbefehlshaber und US-General Wesley Clark hat es 2007 in aller Klarheit ausgesprochen. Bereits wenige Wochen nach dem 11. September 2001 sei der US-Generalstab angewiesen worden, in sieben Staaten einen Regime-Change herbeizuführen: Irak, Libanon, Libyen, Somalia, Sudan, Syrien, Iran. Es ist bekannt, was bereits geschehen ist. Ein Schritt war Libyen im vergangenen Jahr. Zurzeit steht Syrien auf der Tagesordnung. Deshalb denken wir, ist es notwendig, einen offenen Brief an US-Präsident Obama zu richten und zu sagen: Stopp! Der so genannte Krieg gegen den Terror hat bereits den Tod von mehr als 1,7 Millionen Menschen verursacht (in Afghanistan, Pakistan und Irak). Das ist mehr als genug. Dieses gigantische Verbrechen muss ein Ende haben. Was halten Sie von der Idee, den offenen Brief an den syrischen Präsidenten zurückzuziehen und anstatt dessen an Präsident Obama (und die anderen Köpfe der westlichen Welt) zu schreiben – mit der Forderung, das Verbrechen zu beenden und mit dem abschließenden Satz: Abgesehen von dieser Lösung, gibt es nur eine andere für Sie, auch wenn das für Ihre Familie bedauerlich wäre: entweder getötet zu werden, wie Saddam Hussein oder Muammar al-Gaddafi, oder ein Leben im Gefängnis in einer sterilen Zelle in Den Haag.“


  Arbeiterfotografie - Forum für Engagierte Fotografie
  Anneliese Fikentscher
  Andreas Neumann
  Merheimer Str. 107
  D-50733 Köln
  Tel: 0221/727 999
  Fax: 0221/732 55 88
  eMail: arbeiterfotografie@t-online.de
  Web: www.arbeiterfotografie.com