Politische Verschiebungen: Deutsche bewegen sich weg von den USA
7.12.2017 • 06:45 Uhr
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, der chinesische Präsident Xi Jinping und der Präsident der Russischen Föderation, Wladimir Putin, mit anderen Staats- und Regierungschefs auf einem Familienfoto beim G20-Gipfel in Hamburg am 7. Juli 2017.
Der Trump-Faktor ändert die Einstellung Deutscher zur internationalen Politik. Eine Mehrheit möchte, dass sich die deutsche Außenpolitik zukünftig eher auf Frankreich, Russland und China ausrichtet. Dies ergibt eine aktuelle Umfrage der Körber-Stiftung.
Seit dem Jahr 2014 beauftragt die Körber-Stiftung regelmäßig repräsentative Umfragen, um herauszufinden, welche Anforderungen die Bevölkerung an die Außenpolitik stellt. Kurz vor der ersten Untersuchung hatten der damalige Bundespräsident Joachim Gauck, Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen auf der Münchner Sicherheitskonferenz "mehr außenpolitisches Engagement Deutschlands" gefordert. Wie schon in den vergangenen Jahren zeigt sich auch in der aktuellen Befragung, dass die deutsche Bevölkerung sich mehrheitlich jedoch nicht in außenpolitische Abenteuer hineinziehen lassen will.
Eine massive Meinungsverschiebung hat sich hingegen bei der Frage abgespielt, welches Land der wichtigste Verbündete ist, und mit wem Deutschland in Zukunft stärker zusammenarbeiten sollte. Ganze 63 Prozent der Befragten sehen Frankreich inzwischen als wichtigsten Verbündeten, während die USA nur noch 42 von 100 auf die Waage bringen. An dritter Stelle folgt mit elf Prozent Russland. Noch deutlicher sind die USA bei der Frage abgehängt, mit welchen Ländern die deutsche Außenpolitik "zukünftig stärker kooperieren" soll.
Auch hier spielt Frankreich für die Deutschen die wichtigste Rolle (90 Prozent). Gleich darauf folgen Russland (78 Prozent) und China (69 Prozent). Deutlich dahinter rangieren die traditionellen transatlantischen Mächte Großbritannien (61 Prozent) und USA (56 Prozent). Betrachtet man diese Ergebnisse als eine Entscheidung zwischen kontinentaler Integration auf dem eurasischen Festland oder einer Integration in das transatlantische Bündnis, das die außenpolitische Realität der Nachkriegszeit dominierte, fällt das Ergebnis überraschend eindeutig aus.
Diese Ergebnisse sind um so bemerkenswerter, als insbesondere gegenüber Russland und China in den vergangenen Jahren eine negative und teilweise feindliche Medienberichterstattung dominiert hat. Da das Wissen über internationale Politik und globale Konflikte die meisten Befragten nur durch Medien vermittelt erreicht, zeigt sich hier eine interessante Lücke zwischen medialer Beschreibung und Einstellungen bei der Bevölkerung.
Obwohl etwa der steigende internationale Einfluss der Volksrepublik China in den Medien zumeist unter negativen Vorzeichen thematisiert wird, sehen ihn die allermeisten Befragten neutral oder positiv (64 Prozent). Die Beziehungen zu den USA beschreibt hingegen eine deutliche Mehrheit als schlecht oder sehr schlecht (56 Prozent). Eine leichte Mehrheit der Befragten hält außerdem die Beziehungen mit Russland für genauso wichtig oder sogar wichtiger für Deutschland. Nur noch 42 Prozent der Befragten gaben an, dass enge Beziehungen zu den USA wichtiger seien.
In der konkreten Frage der antirussischen Sanktionen hingegen sind die Deutschen genau gespalten: 46 Prozent wollen sie aufrecht erhalten, 45 Prozent möchten sie beenden. Ähnlich geteilt sind die Deutschen bei der Frage, ob Russland eine konstruktive oder eine destruktive Rolle in der internationalen Politik spielt. Eine positive Rolle sehen 35 Prozent, eine negative 48 Prozent.
Wie in den vergangenen Jahren bestätigt sich erneut, dass die Deutschen stark an Themen internationaler Politik interessiert sind. Im Rahmen der repräsentativen Befragungen gaben immerhin 69 Prozent an, dass sie "stark" oder "sehr stark" an deutscher Außenpolitik interessiert sind. Als hauptsächliche Herausforderung bezeichnen die größten Gruppen unter den Befragten die Flüchtlingsfrage (26 Prozent), die Beziehungen zur Trump-Regierung (19 Prozent) sowie die Türkei-Beziehungen (17 Prozent).
Friedensmacht Deutschland
Weiterhin lehnen die meisten Deutschen es ab, sich "stärker in internationalen Krisen zu engagieren". Hinter diesem Begriff verstecken sich in der Praxis zumeist militärische Maßnahmen. Knapp mehr als die Hälfte der Befragten fordert eine größere außenpolitische Zurückhaltung. Als wichtig betrachten die meisten Befragten (71 Prozent) anscheinend den Kampf gegen den Terrorismus, wobei die Körber-Stiftung mit Blick auf diesen zwei Sachverhalte gemeinsam zur Wahl stellt:
Gewährleistung der Sicherheit Deutschlands und seiner Verbündeten, und Kampf gegen den Terrorismus.
Problematisch könnte diese Fragestellung vor allem deshalb sein, weil sie ein eher defensives Motiv wie die Eigensicherung vermengt mit dem eher offensiven "Kampf gegen den Terrorismus", unter dessen Deckmantel in den vergangenen 15 Jahren zahllose offene und verdeckte Militärinterventionen stattfanden. Mit einem Blick auf die anderen Prioritäten der Deutschen bei internationalen Krisen liegt die Vermutung nahe, dass der Anti-Terrorkampf alleinstehend nicht mit der gleichen Dringlichkeit bewertet worden wäre.
So nennen die Befragten gleich an zweiter Stelle den Schutz der Umwelt und den Klimaschutz (67 Prozent) sowie den "Schutz der Menschenrechte in der ganzen Welt" (64 Prozent). Nur knapp ein Viertel will dies allerdings mit einem Regime-Change versehen ("Unterstützung anderer Staaten bei der Einführung demokratischer Regierungsformen"). Knapp die Hälfte der Befragten sehen es außerdem als Priorität, die Lebensbedingungen in sich entwickelnden Ländern zu verbessern.
Damit dominieren ganz eindeutig positive humanistische Werte die außenpolitischen Orientierungen der meisten Deutschen, während Verstöße gegen das Völkerrecht auch dann mehrheitlich kritisch gesehen werden, wenn sie in einem fortschrittlichen Gewand daherkommen. Auch eher interessengeleitete Anliegen wie den Schutz der deutschen Wirtschaftsinteressen im Ausland betrachtet nur eine starke Minderheit (41 Prozent) als wichtige außenpolitische Schlüsselaufgabe.
Unsicherheit gegenüber der Europäischen Union
Zwar räumt die deutsche Bevölkerung der Europäischen Union eine hohe Bedeutung ein, in konkreten Fragen zeigen sich die Befragten jedoch unsicher oder gespalten. Eindeutig lässt sich auch in diesem Bereich feststellen, dass die USA an Bedeutung verlieren. Auf die Frage, welche Partnerschaft zukünftig Priorität bei der deutschen Verteidigungspolitik haben sollte, entscheidet sich die ganz überwiegende Mehrheit für europäische Staaten (88 Prozent) im Gegensatz zu den USA (neun Prozent).
Gleichzeitig meinen ungefähr zwei Drittel der Deutschen, dass die Militärausgaben gleich bleiben oder sogar gesenkt werden sollen (64 Prozent). Nur eine Minderheit von 32 Prozent hält steigende Militäretats für nötig. Ähnlich gering ist der Anteil jener Befragten, die eine dominantere Rolle Deutschlands innerhalb der EU befürworten würden (31 Prozent). Innerhalb der EU sollte sich Deutschland eher breiter abstimmen.
Knapp 80 Prozent halten eine engere Zusammenarbeit mit allen EU-Staaten für wünschenswert, oder zumindest eine engere Kooperation zwischen den europäischen Gründerstaaten Italien, Deutschland, Frankreich und den Benelux-Staaten. Eine engere Achse, etwa das historische Weimarer Dreieck zwischen Paris, Berlin und Warschau, halten nur 16 Prozent für sinnvoll. Außerdem stehen die Deutschen jeder weiteren Erweiterung der EU, etwa in Richtung Türkei, oder einer Aufnahme der West-Balkan-Staaten aus dem ehemaligen Jugoslawien ganz überwiegend skeptisch gegenüber.
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