Keine Lust auf Putinologie: Akademiker möchten normale Beziehungen zu Russland
7.12.2017 • 06:30 Uhr
Quelle: RT
"Russland und seine Geschichte, wie sie ist". Lenin-Statue im Deutsch-Historischen Museum in Berlin. Das Denkmal wurde im Jahr 1926 bei Leningrad errichtet, fiel aber während des Krieges in die Hände der Wehrmacht. Zum Einschmelzen war aber die Statue zu groß.
Ob russophob oder russophil – von medialen Russlandbild halten Wissenschaftler nicht viel. Das zeigte jüngst ein Historiker-Podium in Berlin-Mitte. Die Moderatorin hielt sich allerdings streng die Grenzen des Sagbaren: Der russlandkritische Diskurs sollte bleiben.
von Wladislaw Sankin
Als eine von wenigen deutschen Journalisten bereist Gesine Dornblüth, Slawistin und Deutschlandfunkjournalistin, einmal im Jahr die – in ihrem Duktus – von Russland annektierte Krim. Natürlich nicht ohne einen klar umrissenen Klassenauftrag, heute "Haltung" genannt, mitzunehmen. Sie ist dort, um z. B. die Aktivitäten eines ehemaligen ukrainischen Politikers krimtatarischer Abstammung auf ein ganzes Volk zu projizieren. Ihre jüngste Reportage über dessen Schicksal strahlte Dornblüth unter dem Titel "Tataren kämpfen gegen Annexion" am 30. November aus.
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Oder sie spekuliert nach der Tragödie über dem Sinai am 31. Oktober 2015, als eine Terrorbombe ein Passagierflugzeug nach St. Petersburg mit 224 Menschen an Bord zerschellen ließ, über die Strategien der russischen Führung, wieder einmal in die Nähe der europäischen Nationen - "Allianz der Opfer" - zu rücken und spielte auf den Terroranschlag im Pariser Club Balaclan an. Sie sah ihre Aufgabe darin, diese zu enträtseln, denn "die russische Führung hat die Weltöffentlichkeit so oft hinters Licht geführt".
Es ist zynisch, […] aber die Frage nach den Interessen des Kremls muss selbst in so einem Moment gestellt werden.
In ihrem Kommentar warnte Gesine Dornblüth die Europäer vor Russland, "vor diesem Nachbarn". Ihr Beitrag vom 17. November löste damals bei dem Medienkritiker Völker Bräutigam regelrechte Entrüstung aus.
Die Dornblüth-Doktrin als Richtschnur des deutschen Haltungsjournalismus
Ihr Chef, der damalige DLR-Intendant Willi Steul, hat die Journalistin in Schutz genommen. Was ihren Erfolg anscheinend ausmacht: Die preisgekrönte Autorin Dr. Gesine Dornblüth übernimmt unhinterfragt alle gängigsten russophoben Stereotypen und bringt sie in ein gut betünchtes akademisches Gewand. Damit steht sie stellvertretend für große Teile der deutschen journalistischen Eliten. Am 30. November moderierte die Journalistin, die in ihren Beiträgen vor Russland warnt, die Podiumsdiskussion "Russland in Europa. Europa in Russland" im Schlüterhof des Deutschen Historischen Museums. Das Podium war als Teil der Veranstaltungsreihe zur Russischen Revolution 1917 konzipiert.
Quelle: RT
Die Teilnehmer des Podims "Russland in Europa. Europa in Russland" im Deutsch-Historischen Museum.
Mit ihrem vorgeschlagenen Ansatz, Russland einerseits als einen aggressiven Staat und andererseits als ein zu enträtselndes Mysterium zu betrachten, konnte sich jedoch fast keiner der geladenen Experten - ob Historiker und Politikwissenschaftler - richtig anfreunden. Nur Gwendolyn Sasse, die Leiterin von Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS), übernahm den "Annexions"-Duktus der Moderatorin.
Eine andere Perspektive bot jedoch bereits der Leiter der Max-Weber-Stiftung Hans van Ess in seiner Eröffnungsrede, als er davon erzählte, dass die Chinesen es sehr schätzten, dass die Russen im Unterschied zu den Briten keine langfristigen Handelsverträge gebrochen hätten. Der andere geladene Experte - Dr. Enrico Fels von der Universität Bonn plädierte dafür, den russischen Blick auf das politische Geschehen ernster zu nehmen. Putin sei realistisch, genauso wie die Chinesen auch. Er wies auf die russische Wahrnehmung der NATO hin und erinnerte an Putins Münchner Rede im Februar 2007. In Bezug auf die Krim sprach der Experte von einer Abspaltung und den schwelenden Krieg im Osten der Ukraine, den Medienmacher vom Schlage Dornblüth stets Russland anlasten, nannte der Experte für internationale Sicherheit lediglich "Waffenhandlungen".
Kenner der Geschichte bevorzugen den Realismus
Der Historiker Prof. Nikolaus Katzer, der das Deutsche Historische Museum in Moskau leitet, betonte, dass ein solches Museum in so unruhigen Zeiten zu haben ein großes Privileg sei. Als Beispiel einer erfolgreichen Kooperation mit seinen russischen Kollegen nannte er das gemeinsame Buch zu strittigen Themen der deutsch-russischen Geschichte im 20. Jahrhundert. Von 20 Themenblöcken hätten nur sechs je einen russischen und einen deutschen Verfasser, der Rest wurde in Mitautorenschaft von Russen und Deutschen geschrieben. Im Hinblick auf "Demokratisierungsprozesse" in Russland sagte Katzer, dass dort zwar "kein Parteiensystem entstanden ist, wie wir es kennen", es gebe in Russland aber historisch gesehen "andere Formen der Demokratie":
Gerade im Hinblick auf die Revolution hat Russland andere historische Erfahrungen, die wir nicht wegdiskutieren können.
Seine deutsche Kollegin Kristiane Jenecke, die Kuratorin der DHM-Ausstellung "1917. Revolution. Russland und Europa" betonte, dass dieser Event, der in Berlin-Mitte auf sehr breiter Ebene ausgetragen wird, nur dank zahlreicher Leihgaben vonseiten Russlands möglich sei. In dieser Form wäre so eine Ausstellung auch in Moskau möglich gewesen – so ähnlich ist inzwischen der deutsche und russischer Blick auf dieses Ereignis. Angesichts solcher erfolgreicher Beispiele der Kooperation mit Russland bedauerte sie das frostige Klima in den deutsch-russischen Beziehungen. Als eine Art Appell an die Politik könnte man ihren Vorschlag verstehen, zumindest die Bevölkerung beispielsweise in Belarus nicht vor der Wahl zu stellen, an wen sie sich anschließen möchten - an Russland oder an den Westen. Die Menschen gehören niemanden, sie seien "hiesige", sagte die Historikerin. Sie fügte hinzu:
Wir müssen auf Russland schauen und sehen, was ist. Ohne zu bewerten.
Dissens zwischen wissenschaftlichem Erkenntnisdrang und medialem Erziehungsauftrag
Die Spezialistin für deutsche und russische Erinnerungskultur von der Universität Bonn, Ekaterina Makhotina, schlug in dieselbe Kerbe und warnte nicht nur von "Phobien", sondern auch von "Philien". Faszinationen gehen oft in Orientalismus über, den man seit den Zeiten des Kolonialismus kennt. Ähnlich wie in diesem Fall sei die ständige Fixierung der Medien beispielweise auf die KGB-Vergangenheit von Wladimir Putin sei nichts anderes als die Suche nach Unheimlichem, das immer mehr an Affekt mit sich bringe. Demnach sei Russland unberechenbar und könne nicht als Partner betrachtet werden.
Andersartigkeiten muss man aushalten können. Wir müssen mehr auf Ähnlichkeiten schauen", schlussfolgerte sie.
Das Podium zeigte, dass es in Bezug auf Russland einen großen Dissens zwischen der Fachwelt und den Medien gibt. Profis wollen Russland nicht durch das Prisma "affektiver" Zuschreibungen sehen, sondern einfach kooperieren – mit Respekt vor den Erfahrungen, die Russland im Lauf seiner komplizierten Geschichte gemacht hat. Die Parallelwelt der Medien bleibt jedoch gegenüber solchen Einflüssen undurchlässig: Die Regeln des politisch Korrekten, die Grenzen des Sagbaren halten sie im strengen Korsett. Gespräche "nicht für die Presse" am Rande dieser Veranstaltung haben dies aufs Neue belegt. Aber auch das, was aus der Sicht der moderierenden DLF-Journalistin auf dem Podium für einige Überraschungen sorgte, könnte diese Grenzen um ein kleines Deut verschieben.
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