F. William Engdahl
Irgendetwas stinkt
am griechischen Finanzminister und dem ganzen
Griechenland-Schlamassel, der sich seit der Wahl der nominell
pro-griechischen Syriza-Partei im Januar
entwickelt hat. Ich komme zögerlich zu dem Schluss, dass Varoufakis
keinesfalls der Champion der unglücklichen Griechen, sondern
vielmehr Teil eines viel größeren und sehr schmutzigen Spiels ist.
Der brillante
Psychologe Eric Berne, Autor des einflussreichen Buchs Games
People Play [deutscher Titel: »Spiele
der Erwachsenen«], würde das Spiel, das
Varoufakis und die Troika treiben, vermutlich als »Rapo«
bezeichnen, wie bei der Vergewaltigung der Griechen und letztendlich
der gesamten EU, Deutschland eingeschlossen. Wie komme ich zu diesem
überraschenden Schluss?
Als die
Links-rechts-Koalition von griechischen Bürgern gewählt wurde, die
genug hatten von jahrelanger drastischer Sparpolitik, den
Rentenkürzungen sowie Kürzungen im Gesundheits- und Bildungssektor,
die vom IWF verlangt werden, damit die Gläubiger Griechenlands ihr
Pfund Fleisch zurückbekommen, hegte auch ich die Hoffnung, in Athen
sei nun endlich eine Regierung im Amt, die sich für die Interessen
ihres Volkes einsetzte.
Das, was wir seither
erleben, kann man jedoch nur als Clown-Show auf Kosten der Griechen
und der gesamten EU bezeichnen. Die Lachenden sind, wie so oft, die
Megabanken und die Troika aus EZB, IWF und EU.
Hinter der Troika
stehen, gut versteckt, die griechischen Oligarchen, die der
Staatskasse im Laufe der Jahre mehrere Hundert Milliarden geraubt und
auf Nummernkonten in der Schweiz und in Luxemburg transferiert haben,
um keinen Pfennig Steuern für ihr Land zahlen zu müssen. Und es
sieht mehr und mehr danach aus, dass der »linke«
Wirtschaftswissenschaftler Varoufakis bei der Zerstörung der
gesamten Euro-Zone durch Banker und die erwähnten griechischen
Oligarchen die Rolle eines trojanischen Pferdes spielt. Alles deutet
darauf hin, dass Italien nach Griechenland das nächste Opfer sein
wird – was die gesamte Euro-Zone in eine unvorstellbare Krise
stürzen wird.
Verdächtige
Freunde
Einen Mann erkennt man
an der Gesellschaft, mit der er sich umgibt, sagt das Sprichwort. So
gesehen umgibt sich Varoufakis für einen Finanzminister, der
behauptet, den Lebensstandard seiner Bürger zu verteidigen, mit
schlechter Gesellschaft. Bevor er im Januar Finanzminister in der
Koalitionsregierung von Alexis Tsipras wurde, lebte Varoufakis eine
Zeit lang in den USA, wo er für den Videospiele-Entwickler Valve
Corporation in Bellevue, Washington, arbeitete. Die Gründer der
Firma kamen von Bill Gates‘ Microsoft. Ende der 1980er Jahre
studierte Varoufakis Wirtschaftswissenschaften und Spieltheorie an
den englischen Universitäten Essex und East Anglia und lehrte
in Cambridge. Die folgenden elf Jahre verbrachte er in Australien, wo
er die australische Staatsbürgerschaft annahm.
Als australischer
Staatsbürger kehrte er im Jahr 2000 nach Griechenland zurück und
lehrte als Professor an der Universität Athen. Von
Januar 2013 bis zu seiner Ernennung zum Finanzminister
unterrichtete er an der University of Texas, wo er sich mit
James K. Galbraith, dem Sohn des verstorbenen
Harvard-Wirtschaftswissenschaftlers John Kenneth Galbraith,
anfreundete und auch Verbindungen zur Brookings Institution,
der Denkfabrik des Washingtoner Establishments, aufbaute. Kurz
zusammengefasst: Varoufakis ist ein australischer Staatsbürger, der
in den vergangenen 30 Jahren überwiegend in England, den USA und
Australien und nur wenig in seiner griechischen Heimat gelebt hat.
An sich genommen heißt
das natürlich nicht, dass er kein ehrlicher und effektiver
Finanzminister seines Heimatlandes sein könnte. Aber bislang hat er
in gerade einmal sechs Monaten mehr als andere dafür getan, die
Misere für die Griechen zu verschlimmern – sogar mehr als Wolfgang
Schäuble oder IWF-Chefin Christine Lagarde.
Er agiert, als sei er
gegen die drastische Sparpolitik, aber seine bisherige Tätigkeit
zeigt das Gegenteil: Varoufakis war Berater von Ministerpräsident
Giorgos Papandreou und der PASOK-Partei, als sich Papandreou
mit der EU auf die verheerenden Sparmaßnahmen einigte, damit
französischen und deutschen Banken aus der Patsche geholfen werden
konnte. Außerdem hat sich Varoufakis wiederholt lobend über Mario
Draghi und die EZB geäußert, wenn diese Lösungsvorschläge
unterbreiteten, wie Griechenland in der EU gehalten werden könnte –
ein Weg, der Griechenland für die Selbstzerstörung unter dem
gegenwärtigen Regime der Troika vorprogrammiert.
Varoufakis bat den
früheren französischen Premierminister Michel Rocard, ein Vorwort
für das Buch Bescheidener Vorschlag zur Lösung der Euro-Krise
zu schreiben, das er gemeinsam mit James Galbraith verfasste und in
dem er sich mit der Finanzkrise in der EU befasst. Rocard hat die EU
aufgefordert, einen europäischen »starken Mann« – sprich
Diktator – zu ernennen, der Mann seiner Wahl war Martin Schulz,
Präsident des Europaparlaments und derselbe, der die neue
Syriza-Regierung ermahnte, die Sparmaßnahmen einzuhalten, zu
der sich frühere PASOK- und konservative Regierungen
verpflichtet hatten.
1986 gehörte Rocard
zu den Verfassern der Einheitlichen Europäischen Akte, die den Weg
für die supranationale Europäische Zentralbank frei machte, jener
Institution, die mit Erfolg die nationale Souveränität in der
gesamten Europäischen Union zur Makulatur macht. Varoufakis hat
wiederholt erklärt, Griechenland müsse »in den sauren Apfel
beißen« und die Auflagen, die von den Bankern und der deutschen
Regierung als Mitglied der Euro-Zone auferlegt werden, erfüllen. Zum
Grexit werde es nicht kommen. Bei einer offiziellen Arbeitslosigkeit
von über 30 Prozent in Griechenland und wirtschaftlichen Einbußen
infolge der von der Troika auferlegten Haushaltskürzung sanken die
Steuereinnahmen allein im Januar um 23 Prozent unter das angestrebte
Ziel von 4,5 Milliarden Euro für den Monat. Die Regierung in Athen
hat der Mittelschicht schwere Steuerlasten aufgebürdet und Löhne
und Renten für Angestellte im öffentlichen Dienst sowie die
Leistungen im Gesundheitswesen gekürzt. Die Bürger leiden unter der
Sparpolitik, die Banken bleiben mindestens bis zum Referendum am 5.
Juli geschlossen. Griechenland ist eine menschliche Katastrophe.
Wäre Varoufakis der
Mann, als der er sich seinen griechischen Landsleuten präsentiert,
hätte er eine Strategie verfolgt, wie Griechenland aus dem Euro
austräte, außerdem eine Strategie wie Island, nämlich die
Schuldenrückzahlungen an die Troika aus IWF, EZB und EU auf Eis zu
legen. Dann hätte er in Griechenland eine eigene Währung
eingeführt, Kapitalkontrollen verhängt und starke
Wirtschaftsbeziehungen zu Russland, China und den BRICS-Staaten
aufgebaut.
Bei einem Gespräch
zwischen Griechenlands Ministerpräsident Tsipras und Russlands
Präsident Putin Mitte Juni in Petersburg gewährte Putin eine
großzügige Vorauszahlung von fünf Milliarden Dollar für die
griechische Beteiligung an der Gazprom-Pipeline Turkish
Stream.
Es hätte Griechenland
Luft für die Schuldenrückzahlung an den IWF verschafft. Natürlich
waren Brüssel und Washington nicht erfreut. Putin bot Griechenland
damals die Mitgliedschaft in der BRICS-Entwicklungsbank an, die es
dem Land ermöglicht hätte, Kredite aufzunehmen, um die Krise ohne
weitere brutale Kürzungen zu überwinden. Damit hätte sich
Griechenland auch Russland und China angenähert – etwas, dem sich
Washington und Brüssel mit aller Macht widersetzen. Griechenland und
Varoufakis wandten sich von einer Lösung ab, die die jetzt
aufziehende Katastrophe verhindert hätte.
Gegenwärtig sieht es
tatsächlich so aus, als sei Varoufakis‘ Rolle die eines
trojanischen Pferdes innerhalb der griechischen Regierung, um
Griechenland und die Griechen für die Schlachtbank vorzubereiten,
während er sich als ungebundener Kämpfer für griechische
Interessen darstellt.
Der ehemalige
Vize-Finanzminister der USA und heutige Kritiker der
US-Außenwirtschaftspolitik Paul Craig Roberts beschrieb es kürzlich
so: »Griechenlands Gläubiger, die EU und die Europäische
Zentralbank … sind entschlossen, das Prinzip zu etablieren, einem
Land viel zu viel Kredit zu gewähren und es dann zu zwingen, durch
den Verkauf staatlicher Vermögenswerte und die Kürzung von Renten
und sozialen Dienstleistungen dafür zu bezahlen. Die Gläubigerbanken
profitieren von der Finanzierung der Privatisierung staatlicher
Vermögenswerte an Vorzugskunden.
Der Plan von EU und
Zentralbank besteht darin, die fiskalische Unabhängigkeit der
EU-Mitgliedsländer zu beenden, indem die Steuer- und
Haushaltspolitik der EU übertragen wird.« Weiter
erklärt Roberts, die griechische »Staatsschuldenkrise
wird genutzt, um einen Präzedenzfall zu schaffen, der für alle
Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten gelten würde. Die
Mitgliedsstaaten wären keine souveränen Staaten mehr. Die
Souveränität läge bei der EU. Die Maßnahmen, die Deutschland und
Frankreich unterstützen, werden am Ende ihrer eigenen
Souveränität ein Ende bereiten.«
Wie sind Griechenland
und die Euro-Zone in eine solche Krise geraten? Die Energie, die
Europa durchdringt, ist keine von Liebe für die Mitmenschen,
sondern von Hass. Unter Deutschen gibt es Hass gegen vermeintlich
faule griechische Bürger, die Steuern hinterziehen. Dieses Bild
haben ihnen Mainstream-Medien vermittelt, die unter der Kontrolle der
amerikanischen Oligarchen und ihrer Denkfabriken stehen. Es gibt Hass
vonseiten der EU-Kommission und der EU-Führung gegen Griechenland,
weil Griechenland ihrer Ansicht nach eine Existenzkrise für die EU
erzeugt. Vielleicht gibt es auch Hass bei Angela Merkel, weil ihr
politisches Erbe ruiniert wird.
Vor allem aber gibt es
Hass gegen die Griechen von den eigenen griechischen Oligarchen. Die
griechische Oligarchie – Reeder, Besitzer von Erdölraffinerien,
Besitzer von Telekomfirmen, Medienmagnaten und vielfache Milliardäre
– beherrscht die griechische Politik seit Anfang der 1990er Jahre.
Griechen nennen sie die »diaplekomenoi« – die Verstrickten. Dank
ihrer Kontrolle über die Medien und altmodischer
Begünstigungspolitik haben die Eliten ihre Position bewahrt, indem
sie sich Politiker wie Gianis Varoufakis gekauft haben.
Mit ihren
unversteuerten Milliarden, die sie auf ausländischen Bankkonten
verstecken, sind die griechischen Oligarchen bereit, der Zerstörung
ihres eigenen Landes zuzusehen, um ihre Milliarden zu bewahren. Das
ist echter Hass. Diese Oligarchen schämen sich, Griechen zu sein.
Diese Scham reicht 700 Jahre zurück zur Niederlage und Unterwerfung
Griechenlands durch das Osmanische Reich, angefangen in den 1360er
Jahren. Vielleicht ist es Zeit, solche kindischen Hassgefühle
endlich zu überwinden.
Varoufakis' programmatische Erklärung im britischen Guardian, in der er das eigentliche strategische Ziel seiner Partei beschreibt: "Ein griechischer oder ein portugiesischer oder ein italienischer Austritt aus der Euro-Zone würde bald zu einem Zerbrechen des europäischen Kapitalismus führen. Die Folge wäre eine ernsthaft rezessionsgefährdete Überschussregion östlich des Rheins und nördlich der Alpen, während das restliche Europa in einer brutalen Stagflation versänke. Wer würde wohl von dieser Entwicklung profitieren? Eine progressive Linke, die sich in den öffentlichen Institutionen Europas wie ein Phönix aus der Asche erhebt? Oder die Nazis der Goldenen Morgenröte, die diversen neofaschistischen Bewegungen, Fremdenfeinde und Ganoven? Ich habe nicht den geringsten Zweifel daran, wer von beiden am meisten von einem Zerfall der Euro-Zone profitieren würde. Ich für meinen Teil bin nicht bereit, frischen Wind in die Segel dieser postmodernen Version der 1930er Jahre zu bringen. Wenn das bedeutet, dass wir es sind, die angemessen unberechenbaren Marxisten, die versuchen müssen, den europäischen Kapitalismus vor sich selbst zu retten, dann sei's drum. Nicht aus Liebe zum europäischen Kapitalismus, zur Euro-Zone, zu Brüssel oder zur Europäischen Zentralbank, sondern allein deshalb, weil wir die unnötigen menschlichen Kosten dieser Krise minimieren wollen."
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