Von: "Clemens Ronnefeldt"
C.Ronnefeldt@t-online.de
Mittwoch, 22. August 2018 um 11:16 Uhr
Nachruf auf Uri Avnery
Nachdem ich bereits viele Jahre Texte
von ihm gelesen hatte, lernte
ich im Oktober 2006 Uri Avnery bei
einer gewaltfreien Demonstration
gegen die Sperranlage nahe dem Dorf
Bilin, unweit von Ramallah,
persönlich kennen. Uri, bereits damals
im hohen Alter von 82 Jahren,
war zusammen mit seiner Frau Rachel
gekommen, um als israelischer
Staatsbürger solidarisch mit anderen
israelischen, palästinensischen
und internationalen Friedensbewegten
gegen den Landraub an der
palästinensischen Dorfgemeinschaft
Bilin zu protestieren, die durch
die Sperranlage rund die Hälfte ihrer
landwirtschaftlichen Fläche
verloren hatte. Uri stand an der
Nahtstelle der Gewalt, dort, wo die
israelischen Soldaten von ihren
Militärfahrzeugen herunter Tränengas
verschossen auf die andere Seite der
Sperranlage, wo Uri zusammen mit
den Demonstrierenden stand. Er reichte
mir eine Zwiebel und empfahl
mir, kräftig daran zu riechen - damit
durch den Tränenfluss das
Tränengas schneller aus den Augen
entweichen könne.*
Einige Monate vor unserer Begegnung
hatte im März 2006 der
rechtsextreme Aktivist Baruch Marsel
die israelische Armee zur
"gezielten Tötung" von Uri
Avnery aufgerufen.
1923 wurde Uri Avnery in Hannover als
Helmut Ostermann geboren. Mit
Beginn der Nazi-Diktatur 1933 begaben
sich seine Eltern mit ihrem
zehnjährigen Sohn auf die Flucht nach
Palästina. Schon mit 15 Jahren,
im Jahr 1938, schloss er sich der
Untergrundbewegung "Irgun" an, die
mit Terroranschlägen die britische
Besatzungsmandat abschütteln
wollte. Er genoss als Jugendlicher, wie
er später schrieb, das
Verbotene: Mit einer Waffe unter seiner
Kleidung an britischen
Soldaten unentdeckt vorbeizugehen. Erst
mit 19 Jahren nahm er den
Namen Uri Avnery an.
Während des israelisch-arabischen
Krieges nach dem UN-Teilungsplan
1947 und der Staatsgründung Israels
1948 wurde Uri schwer verwundet.
Er schrieb das Kriegstagebuch "Auf
den Feldern der Philister", das zum
Bestseller wurde und seine persönliche
Wandlung vom gewaltsamen
Krieger zum Kämpfer für den Frieden
einleitete.
Von 1950 bis 1990 war Uri 40 Jahre lang
ununterbrochen Herausgeber und
Chefredakteur des Nachrichtenmagazins
"Haolam Haseh" ("Diese Welt").
1975 überlebte er einen Mordanschlag,
bei dem er mit einem Messer
schwer verletzt wurde. Auch durch
Bombenanschläge auf die
Redaktionsräume ließ er sich nicht
von seiner Überzeugung eines
gerechten Nahostfriedens abbringen und
bezeichnete sich selbst als
„Optimisten von Natur" aus. In
den Jahren 1965 bis 1981 saß Uri in drei
Legislaturperioden als Parlamentarier
in der Knesset für kleinere
linke Parteien, die es heute nicht mehr
gibt.
Als erster israelischer Staatsbürger
überhaupt traf er sich während
des Libanonkrieges 1982 in Beirut zum
ersten Mal mit Jassir Arafat,
damals Chef der Palästinensischen
Befreiungsorganisation PLO. Uri
riskierte eine Anklage wegen
Hochverrats, weil damals Kontakte mit der
PLO noch verboten waren. Im Jahre 2003,
während der blutigen zweiten
Intifada, ging Uri als menschliches
Schutzschild nach Ramallah, um den
im palästinensischen Regierungsgebäude
unter israelischem Beschuss
stehenden Jassir Arafat mit seiner
Präsenz zu unterstützen.
Im Jahre 1992 gründete Uri den
"Friedensblock" (Gush Schalom), um den
Friedensprozess zwischen Israelis und
Palästinensern, der 1991 durch
eine Konferenz in Madrid sowie die
darauf folgenden Oslo-Verhandlungen
Fahrt aufgenommen hatte, Unterstützung
zu geben.
Wie bei fast allen größeren
historischen Ereignissen in Israel war Uri
persönlich anwesend: Beim Prozess
gegen den SS-Obersturmbannführer
Adolf Eichmann in Jerusalem 1961 ebenso
wie bei der Ermordung Jitzchak
Rabin 1995 in Tel Aviv durch einen
israelischen Extremisten - was zum
"Sargnagel" der in Oslo
anvisierten Zweistaatenlösung wurde, für die
Uri sein langes Leben lang eintrat.
Im Jahr 2001 erhielt er - zusammen mit
seiner 2011 verstorbenen Frau
Rachel, mit der er 58 Jahre verheiratet
war - den Alternativen
Nobelpreis.
Jede Woche verfasste Uri einen Essay,
den er an unzählige Personen
weltweit verschickte, mit denen er in
Kontakt stand und von
Freundinnen und Freunden in
verschiedenen Ländern übersetzt wurde. Er
griff darin aktuelle friedenspolitische
Themen auf, die er in
unnachahmlicher Weise mit historischen
Ereignissen verknüpfte.
Am 7. August 2018 schrieb er seinen
letzten Artikel für die
Tageszeitung "Haaretz" und
kritisierte darin das neue
Nationalstaatsgesetz, das nur jüdischen
Menschen in Israel
Selbstbestimmung gewährt. Kurz danach
erlitt er einen Schlaganfall und
fiel ins Koma. Am 20. August 2018 starb
er in einem Krankenhaus in Tel
Aviv.
Die Friedensbewegung - nicht nur in
Israel, sondern weltweit -
verliert mit seinem Tod einen Menschen,
der trotz aller Widerstände
nie aufgegeben hat, für den Frieden
einzutreten und dadurch Vorbild
bleiben wird.
*Bei
dieser Demo war ich (zusammen mit "Pax Christi" )
ebenfalls. Dort wurde direkt rechts neben mir eine "Krachbombe"
plaziert, so dass ich dachte "jetzt bist Du komplett
taub!
Ganz
so schlimm war es dann doch nicht - aber meine rechtes Ohr war fast
taub... 3 Tage später war ich zu Hause beim HNO...
Dieser riet mir Israel zu verklagen... Ích sagte ihm: " Israel
würde darüber nur lachen... die können morden nach belieben und
kein Hahn kräht danach..." - Das ist bis heute so. Und
die Merkel'sche "Staatsraison" unterstützt das alles....
Grüße
Annette Klepzig
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Eine ausführliche Würdigung des
Lebenswerkes von Uri Avnery hat Roland
Kaufhold geschrieben - zu lesen
unter:
Clemens
Ronnefeldt
Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig
des internationalen Versöhnungsbundes
A.-v.-Humboldt-Weg 8a,
85354 Freising