Friday, August 24, 2018

Nachruf auf Uri Avnery


Von: "Clemens Ronnefeldt" C.Ronnefeldt@t-online.de
Mittwoch, 22. August 2018 um 11:16 Uhr

Nachruf auf Uri Avnery


Nachdem ich bereits viele Jahre Texte von ihm gelesen hatte, lernte
ich im Oktober 2006 Uri Avnery bei einer gewaltfreien Demonstration
gegen die Sperranlage nahe dem Dorf Bilin, unweit von Ramallah,
persönlich kennen. Uri, bereits damals im hohen Alter von 82 Jahren,
war zusammen mit seiner Frau Rachel gekommen, um als israelischer
Staatsbürger solidarisch mit anderen israelischen, palästinensischen
und internationalen Friedensbewegten gegen den Landraub an der
palästinensischen Dorfgemeinschaft Bilin zu protestieren, die durch
die Sperranlage rund die Hälfte ihrer landwirtschaftlichen Fläche
verloren hatte. Uri stand an der Nahtstelle der Gewalt, dort, wo die
israelischen Soldaten von ihren Militärfahrzeugen herunter Tränengas
verschossen auf die andere Seite der Sperranlage, wo Uri zusammen mit
den Demonstrierenden stand. Er reichte mir eine Zwiebel und empfahl
mir, kräftig daran zu riechen - damit durch den Tränenfluss das
Tränengas schneller aus den Augen entweichen könne.*
Einige Monate vor unserer Begegnung hatte im März 2006 der
rechtsextreme Aktivist Baruch Marsel die israelische Armee zur
"gezielten Tötung" von Uri Avnery aufgerufen.
1923 wurde Uri Avnery in Hannover als Helmut Ostermann geboren. Mit
Beginn der Nazi-Diktatur 1933 begaben sich seine Eltern mit ihrem
zehnjährigen Sohn auf die Flucht nach Palästina. Schon mit 15 Jahren,
im Jahr 1938, schloss er sich der Untergrundbewegung "Irgun" an, die
mit Terroranschlägen die britische Besatzungsmandat abschütteln
wollte. Er genoss als Jugendlicher, wie er später schrieb, das
Verbotene: Mit einer Waffe unter seiner Kleidung an britischen
Soldaten unentdeckt vorbeizugehen. Erst mit 19 Jahren nahm er den
Namen Uri Avnery an.
Während des israelisch-arabischen Krieges nach dem UN-Teilungsplan
1947 und der Staatsgründung Israels 1948 wurde Uri schwer verwundet.
Er schrieb das Kriegstagebuch "Auf den Feldern der Philister", das zum
Bestseller wurde und seine persönliche Wandlung vom gewaltsamen
Krieger zum Kämpfer für den Frieden einleitete.
Von 1950 bis 1990 war Uri 40 Jahre lang ununterbrochen Herausgeber und
Chefredakteur des Nachrichtenmagazins "Haolam Haseh" ("Diese Welt").
1975 überlebte er einen Mordanschlag, bei dem er mit einem Messer
schwer verletzt wurde. Auch durch Bombenanschläge auf die
Redaktionsräume ließ er sich nicht von seiner Überzeugung eines
gerechten Nahostfriedens abbringen und bezeichnete sich selbst als
„Optimisten von Natur" aus. In den Jahren 1965 bis 1981 saß Uri in drei
Legislaturperioden als Parlamentarier in der Knesset für kleinere
linke Parteien, die es heute nicht mehr gibt.
Als erster israelischer Staatsbürger überhaupt traf er sich während
des Libanonkrieges 1982 in Beirut zum ersten Mal mit Jassir Arafat,
damals Chef der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO. Uri
riskierte eine Anklage wegen Hochverrats, weil damals Kontakte mit der
PLO noch verboten waren. Im Jahre 2003, während der blutigen zweiten
Intifada, ging Uri als menschliches Schutzschild nach Ramallah, um den
im palästinensischen Regierungsgebäude unter israelischem Beschuss
stehenden Jassir Arafat mit seiner Präsenz zu unterstützen.
Im Jahre 1992 gründete Uri den "Friedensblock" (Gush Schalom), um den
Friedensprozess zwischen Israelis und Palästinensern, der 1991 durch
eine Konferenz in Madrid sowie die darauf folgenden Oslo-Verhandlungen
Fahrt aufgenommen hatte, Unterstützung zu geben.
Wie bei fast allen größeren historischen Ereignissen in Israel war Uri
persönlich anwesend: Beim Prozess gegen den SS-Obersturmbannführer
Adolf Eichmann in Jerusalem 1961 ebenso wie bei der Ermordung Jitzchak
Rabin 1995 in Tel Aviv durch einen israelischen Extremisten - was zum
"Sargnagel" der in Oslo anvisierten Zweistaatenlösung wurde, für die
Uri sein langes Leben lang eintrat.
Im Jahr 2001 erhielt er - zusammen mit seiner 2011 verstorbenen Frau
Rachel, mit der er 58 Jahre verheiratet war - den Alternativen
Nobelpreis. 
Jede Woche verfasste Uri einen Essay, den er an unzählige Personen
weltweit verschickte, mit denen er in Kontakt stand und von
Freundinnen und Freunden in verschiedenen Ländern übersetzt wurde. Er
griff darin aktuelle friedenspolitische Themen auf, die er in
unnachahmlicher Weise mit historischen Ereignissen verknüpfte.
Am 7. August 2018 schrieb er seinen letzten Artikel für die
Tageszeitung "Haaretz" und kritisierte darin das neue
Nationalstaatsgesetz, das nur jüdischen Menschen in Israel
Selbstbestimmung gewährt. Kurz danach erlitt er einen Schlaganfall und
fiel ins Koma. Am 20. August 2018 starb er in einem Krankenhaus in Tel
Aviv.

Die Friedensbewegung - nicht nur in Israel, sondern weltweit -
verliert mit seinem Tod einen Menschen, der trotz aller Widerstände
nie aufgegeben hat, für den Frieden einzutreten und dadurch Vorbild
bleiben wird.
*Bei dieser Demo war ich (zusammen mit "Pax Christi" ) ebenfalls. Dort wurde direkt rechts neben mir eine "Krachbombe" plaziert, so dass ich dachte "jetzt bist Du  komplett taub! 
Ganz so schlimm war es dann doch nicht - aber meine rechtes Ohr war fast taub...   3 Tage später war ich zu Hause beim HNO... Dieser riet mir Israel zu verklagen... Ích sagte ihm: " Israel würde darüber nur lachen... die können morden nach belieben und kein Hahn kräht danach..." -  Das ist bis heute so. Und die Merkel'sche "Staatsraison" unterstützt das alles....
Grüße Annette Klepzig
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Eine ausführliche Würdigung des Lebenswerkes von Uri Avnery hat Roland
Kaufhold geschrieben - zu lesen unter: 



Clemens Ronnefeldt
Referent für Friedensfragen beim deutschen  Zweig des internationalen Versöhnungsbundes
A.-v.-Humboldt-Weg 8a, 85354 Freising



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