Überlegungen zum Anti-Kriegstag 1. Sept. 2016
von Irene Eckert
77 Jahre nach Hitlers Überfall auf
Polen am 1. September 1939 ist die Welt wieder mit Kriegsgeschrei und
Morden angefüllt. Wie in den Hochzeiten des Kalten Krieges muss
Russland für die bedrohliche Zuspitzung herhalten. Die Obrigkeit
fordert uns gar auf zu proviantieren, als könne man sich auf diese
Weise gegen einen Atom- oder Terrorangriff schützen. Beides rückt
aber in den Bereich des Denkbaren. Unablässige Drohgebärden der
NATO entlang der russischen Westgrenzen, die Stationierung von
nuklear bestückbaren 'Abwehr'-raketen in Polen und Rumänien, die
Chaos stiftende Destabilisierung des Nahen und Mittleren Ostens sowie
insbesondere die versuchte Schwächung des wichtigen russischen
Verbündeten Syrien erhöhen die Gefahrenschwelle. Ähnliches gilt
für die schärfer werdenden Provokationen der NATO-Führungsmacht
gegen China auf den handelswichtigen Seewegen. Friedenspolitisch
Beunruhigendes ist in diesen Tagen auch vom lateinamerikanischen
Kontinent zu vernehmen. Die Amtsenthebung der tapferen Dilma
Roussef kommt ebenso einem Staatsstreich gleich wie der nun neuerlich
drohende Coup gegen Venezuelas Maduro. Lateinamerika erleidet
derzeit gewaltige Rückschläge in seinem langanhaltenden Kampf gegen
imperialistische Übergriffe aus dem Norden.
Das dem Frieden dienliche BRICS-Gebäude
wird so erheblich geschwächt. In die gleiche Richtung zielen die
Angriffe auf Südafrikas Päsidenten Zuma.
In umgekehrt proportionalem Verhältnis
zur um sich greifenden Gewalthaltigkeit aller Orten, zum
verstörenden Anstieg der Terrorgefahr und dem kriegerischen
Säbelrasseln taumeln die weißen Menschen in saumseligem
Schlafwandel durch den äußerst launischen Sommer. Eine spürbare
friedensbewegte Kraft ist weiterhin nicht sichtbar am Horizont. Nur
ganz leise meldet sich in Anbetracht der nahenden Wahlen im Lande die
eine oder andere maßgebliche divergente Stimme: Sigmar Gabriel
erklärte die TTIP Verhandlungen für gescheitert1
und sein Kollege Steinmeier warnt vor dem Säbelrasseln und verlangte
jüngst neue Rüstungskontrollverhandlungen mit Russland. Keine
politische Kraft aber im Lande, die sich eventuelle Risse im
herrschenden Lager zu Nutzen machen würde.
Der stets gut informierte irische
Analyst Finian Cunningham diagnostiziert dieser Tage: John Kerry und
andere westliche Regierungsmitglieder müssten endlich ihre
Abwehrklappen öffnen und der Wahrheit ins Auge sehen: Sie sind ein
Teil des (syrischen) Problems und nicht ein Teil der Lösung. Die
Probleme, die die Welt umtreiben sind ihrer kriminellen
Unterstützertätigkeit für die Terror-Stellvertreter und ihrer
ebenfalls kriminellen Intrigen für einen Regimewechsel in Syrien
geschuldet. Woran es aber genauso mangelt, ist der Aufschrei der
westlichen Massen und die Forderung, die ja von ihren Regierungen
noch immer unterstützten und geduldeten Kriegsverbrecher dingfest
zu machen und zur Rechenschaft zu ziehen.2
Das zugrundeliegende Defizit ist einem
Mangel an Bewusstheit geschuldet, das Resultat stetiger Gehirnwäsche
durch konzerngesteuerte Medien. Was fehlt ist eine
anti-imperialistische Denk-Haltung. Freund und Feind werden nicht
erkannt, Opfer und Täter werden bestenfalls immer noch in einen Topf
geworfen, wenn nicht gar verwechselt. Dabei ist doch sonnenklar, dass
man dem Kriege nicht mittels einer dem Kriege dienlich Propaganda
beikommen kann. Solange auch nur ein Fünkchen der Begründung für
die angeblich aus humanitärer Notwendigkeit geführten Kriege
geschluckt wird, hilft man den Kriegsprofiteuren. Ähnliches gilt für
das noch immer vorhandene Vertrauen in den angeblichen „Krieg gegen
den Terror“, der seit 2001 geführt, immer neue Terrorbanden
hervorgebracht hat. Kein geringerer als John F. Kennedys Neffe,
Robert F. Kennedy junior, hat jüngst auf die hier angerissenen
Zusammenhänge hingewiesen.3
Auch der kanadische Wirtschaftswissenschaftler Michel Chossudovsky4
hat kürzlich auf einer Konferenz in Malaysia die Anprangerung der
verlogenen, humanitär begründeten US-NATO geführten Feldzüge
gefordert. Eine einst friedensbewegte Öffentlichkeit hinkt solchen
Einsichten allerdings hinterher.
Das Kernproblem der schwächelnden "Friedensbewegung", die Chossudovsky sogar als "abgestorben" bezeichnet, liegt in ihrer analytischen Schwäche, in ihrer
Zahnlosigkeit gegenüber einer immer übergriffiger werdenden
NATO-Politik und darin, dass sie die wirklichen Friedenskräfte nicht
zu orten vermag.
Diese werden heute von den großen
Staaten und alternativen Machtzentren China, Russland und dem Iran
verkörpert und durch die Allianzen, um die diese Nationen seit
Jahren mit allmählichem Erfolg bemüht sind. Die Schanghai
Kooperation, der sich die Türkei nach dem gescheiterten
Putschversuch anzunähern versuchte, ist ein wesentlicher Teil einer
neuen multipolaren Weltordnung, die auf Handel und Wandel setzt,
nicht auf Krieg. Friedenskräfte an der Basis der Nato-Länder müssen
sich auf diese wahrhaft demokratischen Bestrebungen beziehen und sie
nach Maßgabe ihrer argumentativen Möglichkeiten stützen. Das
Beispiel Syrien zeigt bei aller Tragik, die diesem tapferen Volk
auferlegt ist, auf dessen einst fruchtbarem Boden bereits der
III.Weltkrieg eingeübt wird, dass Widerstand gegen das Imperium
durchaus möglich ist, wenn er durch starke Gegenkräfte unterstützt
wird. Ohne den beharrlichen und vereinten Widerstand Chinas und
Russlands wäre Syrien längst das Schicksal Libyens beschieden, das
Schicksal des Irak, Afghanistans, Jugoslawiens, des Sudan und des
Jemen. Aber Syrien hält durch und richtet sich wieder auf.
Das Beispiel Syrien macht es deutlich:
Anti-imperialistischer Widerstand ist auch heute möglich. Er
erfordert allerdings ein konsequentes Eintreten auf Seiten der vom
Machtzentrum NATO bedrohten Völker. Diese Völker sind deswegen im
Visier der ehemaligen und neuen Kolonialmächte USA/EUROPA weil sie
über Rohstoffe, Menschenmassen und geostrategische Positionen
verfügen, die der Westen in seine Gewalt bringen will. Das vom
Westen verkörperte unipolare Herrschaftsmodell einer
imperialistischen Weltordnung ist aber überholt und geht dem
verdienten Ende entgegen. Die Blutspur, die es zurücklässt und die
zerschundenen Seelen sind Legion. Die großen geostrategischen
Verschiebungen, die inzwischen auch Brzezinski5,
Chef-Stratege von „God's Own Country“ und Autor der „einzigen
Weltmacht“ in Rechnung stellt, sind nicht mehr aufzuhalten. Nötig
für einen konstruktiveren, weniger opferreichen Verlauf der schon im
Gang befindlichen geostrategischen Umschichtungen ist allerdings
eine Basisbewegung gegen die Kriege der Nato-Staaten, gegen die
Geburtshelfer und Förderer des Terrors in der Welt. Das politische
Personal des Westens ist haftbar zu machen, ist abzuwählen, ist zu
einer Abkehr vom alles verheerenden, menschheitsbedrohenden
Kriegskurs zu zwingen.
Das im Augenblick relativ isolierte
NATO-Mitglied Türkei ist nicht der Hauptbösewicht. Auch dann nicht,
wenn Erdogan wieder die Füße des Haupt-Aggressor küsst und in
Nordsyrien dessen dreckigen Plänen zuzuarbeiten scheint. Erdogan
schlingert zwischen Täter- und Opferrolle hin und her. Seine
mögliche Neuorientierung nach Asien hin und weg von der NATO ist
weiterhin auf der Agenda.* Der US-Historiker Eric Zuesse geht gar von
einem „Erbeben in den internationalen Beziehungen aus.6
Lassen wir uns also durch die aktuell
schwer zu durchschauenden Verwerfungen nicht beirren. Ein andere Welt
ist möglich! Es wird bereits an ihr gebaut. Die Türkei hat nur
eine Zukunft - wie auch wir -an der Seite der neuen
geschichtsbildenden Kräfte China, Russland, Iran. Auf unser Mittun
kommt es an und um unsere Köpfe wird gerungen. Setzen wir sie ein,
dann wird das Licht am Ende des Tunnels real.
_________
Fußnoten:
1
Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hatte dem ZDF gesagt, die
Verhandlungen zwischen der EU und den USA über das transatlantische
Freihandelsabkommen seien "de facto gescheitert, weil wir uns
den amerikanischen Forderungen natürlich als Europäer nicht
unterwerfen dürfen".
2
Finian Cunningham
https://www.rt.com/op-edge/357465-kerry-lavrov-syria-geneva/
3http://www.leveilleurdeninive.com/2016/07/pourquoi-les-arabes-ne-veulent-pas-de.html
4a
summary of Michel Chossudovsky‘s presentation at the Science
for Peace Conference, Academy of Sciences, Malaysia. Kuala Lumpur,
15-16 August 2016 Global
Research
und
http://pwlasowa.blogspot.de/2016/08/prof-michel-chossudovsky-how-to.html
5http://www.counterpunch.org/2016/08/25/the-broken-chessboard-brzezinski-gives-up-on-empire/http://www.strategic-culture.org/news/2016/08/31/broken-chessboard-brzezinski-gives-up-on-empire-hillary-will-follow-the-advice.html 31.08.16
*http://www.strategic-culture.org/news/2016/09/01/top-usa-national-security-officials-admit-turkey-coup.html
*http://www.strategic-culture.org/news/2016/09/01/top-usa-national-security-officials-admit-turkey-coup.html
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