Wider die postmoderne Demontage der sokratischen Weisheitslehre von Irene Eckert 12. Januar 2016
"Es
liebt die Welt das Strahlende zu schwärzen und das Erhabene in den
Staub zu ziehen …" (Schiller, Das Mädchen von Orleans)
„... the portrait of Socrates that
emerges from Mr. Stone's reasoning is far from flattering. In point
of fact Western civilization's first great philosopher stands accused
of snobbery, class prejudice, conceit, arrogance, negativism and
coldness to his wife. Behind the famous irony lay an insulting sneer
of contempt, or so Mr. Stone argues. The man's very philosophy stands
condemned.
„Even at its best,'' Mr. Stone
writes, ''the Socratic negative dialectic provided an irrelevant
standard by which to judge the competence of statesmen, tragic poets,
or shoemakers in their respective crafts. Above all, it was no way to
question the right of common men to participate in the government of
their own lives and city.''1
Das
schreibt Christopher Lehmann-Haupt in seiner
Besprechung von I.F. Stones „Sokrates Trial“ - „Der Prozess
des Sokrates“ am 18. Januar 1988 in der New York Times Book
Review.
Noch über 25 Jahre nach seinem Tod ist
dem „Investigativ-Journalisten“, dem „liberalen Aussenseiter“
und „Verteidiger der freien Rede“ I.F. Stone eine professionelle
Webseite2
gewidmet, auf der sich an prominenter Stelle alle maßgeblichen
US-Besprechungen über dessen Sokrates Buch finden. Die führende
Meinungsmacherin der Weltmacht USA feierte die Publikation als
nationalen Bestseller, der schon 1988 in 18 Sprachen übersetzt
worden sein soll. Die New York Times kennzeichnet den
„Sokrates-Prozess“ von „Izzy“, wie Isidor Finkelstein alias
Stone von der Times auch zitiert wird, als „intellektuellen
Thriller“. Auf deutsch ist die höchst problematische Publikation
erst 2015 neu aufgelegt worden.
Warum ist es nun berechtigt, diesen
von der US-Mainstream-Presse publizistisch gefeierten posthumen
Angriff auf den Begründer der Philosophie problematisch zu nennen
und der Persönlichkeit die solches unternahm, sowie seinen
Propagandisten auf den Zahn zu fühlen?
Um es vorwegzunehmen: Stones Buch zielt
auf die Weisheitslehre per se, auf die Möglichkeit zur
Wahrheitsfindung überhaupt, es zielt gegen den aufrechten Gang,
gegen das mutige Auftreten Einzelner, die sich heute wieder der
kriegerischen Politik einer entarteten Weltmacht-Demokratie-Farce
entgegenstellen. Es findet das Stonesche Pamphlet seine Paralelle in
anderen Wissenschaftszweigen, etwa in der Germanistik und auf
deutschen Bühnen und überall da, wo die Klassiker des
humanistisch-aufklärerischen Denkens demoniert und bis zur
Unkenntlichkeit zerpflückt werden. Es findet sich überall dort wo
der Geist der sogenannten Postmoderne keine gesicherten Wahrheiten
mehr gelten lässt. Dieser Geist lässt keinerlei Andacht mehr zu
gegenüber großer künstlerisch-gedanklicher Leistung. Er nennt so
etwas hohles Pathos. Pathos und Patriotismus der widerständigen Art
aber gelten als rechtslastig. Es findet sich der als 'liberal'
charakterisierte Stonesche Geist auch wieder in der Demontage der
UN-Charta und des humanitären Völkerrechts. Dieses hatte sich nach
dem 2. Großen Menscheitskrieg zur Aufgabe gemacht, die Erdbewohner
von der Geisel des Krieges zu befreien. Der anti-sokratische Geist
findet sich auch überall dort, wo in der Gegenwart der Machtrausch
des Kriegsbündnisses NATO und seiner führenden Protagonisten als
Wertegemeinschaft verkannt wird. I.F. Stone mag das noch nicht so
deutlich gesehen haben, aber sein Buch lädt zum Missbrauch geradezu
ein. Er verkennt nämlich vor allem, dass das Athen des Sokrates
nicht mehr als Demokratie richtig gekennzeichnet ist. Dies gilt
damals so wenig wie es heute die Vereinigten Staaten von Amerika für
sich beanspruchen können. I.F. Stones starb 1988 im Alter von 81
Jahren. Das Pamphlet für das der alte, kranke Mann noch Griechisch
gelernt haben soll, mag das kriegerische Auftreten seines Landes in
der zukünftigen Welt noch nicht in vollem Ausmaß erfasst haben,
trotz Korea, trotz Vietnam, trotz Grenada und all der bewusst
herbeigeführten Militär-Coups in Lateinamerika. Dennoch hat er
einen sehr gefährlichen Beitrag zur Förderung des weiteren
Demokratieabbaus geliefert.
I.F. Stone macht aus der Jahrtausende
lang bewunderten Persönlichkeit des Sokrates, aus dem Begründer
der Weisheitslehre und des Gewissens eine geradezu
minderwertig-fragwürdige Figur, wobei sein Urteil auf
schwindsüchtigen Füßen ruht. Im Namen oder möglicherweise gar im
Auftrag einer „westlichen Wertegemeinschaft“, die ja inzwischen
weder den Anspruch erheben kann auf Werten zu gründen, noch den
Namen Gemeinschaft verdient, wird im 'Sokrates Prozess' ein Denker
denunziert, der seine kritische Haltung gegenüber der antiken
attischen Pseudo- Demokratie mit dem Leben zu zahlen bereit war.
Athen nämlich war 399, als es Sokrates zwang, den Schierlingsbecher
zu trinken, ein Staat, der seit Jahrzehnten – ähnlich wie die USA
heute - umliegende Länder brutal mit Krieg überzog. Sogar seine
einst freiwilligen Bündnisgenossen zwang es mit brutaler Gewalt zur
Gefügigkeit.
Die sokratische Methode des
hinterfragenden, dialektischen Denkens ist in Anbetracht solcher
Umstände als besondere Klugheit und als angemessen gegenüber
staatstragender Macht zu bewerten und nicht als feige Ausflucht zu
denunzieren. Der von seinen später berühmten Schülern gepriesene
Meister verstand sich nach deren Auskunft als einer der
Hebammendienste leisten wollte, ganz im Sinne seiner Mutter, die
diesem Kreis kluger Frauen zugehörte. Nicht belehrend wollte der
kritische Kritiker auftreten, nicht predigen wollte der einfache
Mann. Ihm war darum zu tun, seine Mitbürger zum Denken anzuregen. Er
verteidigte sich durchaus auch gegenüber der Anklage – anders als
Stone ihm untertstellt - , wobei er aber immer wieder tumultartig
unterbrochen wurde. Er trat auch vor seinem Prozess schon einmal vor
die Volksversammlung, der er ansonsten wenig
Gerechtigkeitsstiftendes zutraute, um andere zu verteidigen. Er trat
ein für zu unrecht angeklagte Marineoffziere, ohne sie jedoch vor
dem Todesurteil bewahren zu können.
Sokrates hatte erkannt, dass er als
Mitglied einer pseudodemokratischen Institution wenig ausrichten
konnte und blieb daher diesen Zusammenkünften fern, was Stone ihm
übel nimmt. Den historischen Kontext ignoriert der US-Amerikaner.
Der zeitgenössische Historiker Tukydides charakterisiert die Zeit
von 431- 404 in seinem unvollständigen Werk der 'Peleponesische
Krieg' als durch Militarismus und Krieg gekenzeichnet. Sokrates
berief sich vor solchem zeitgenössischen Hintergrund auf seinen
„daimon“, seine innere Stimme, sein Gewissen, wenn er sich an
die einfachen Menschen auf der Straße wandte und sie in Gespräche
verwickelte. Offenkundig hatte er damit sehr viel Erfolg. Seine
berühmten Schüler sollten Zeugnis davon ablegen. Platon verdanken
wir die Apologie des Sokrates, denn der Begründer der Philosophie
hat selbst keine Zeile aufgeschrieben. Nichts Ungewöhnliches für
jene Zeit vor 2500 Jahren. Gleiches gilt, wie wir wissen, für
Buddha, Jesu oder Mohammed. Wie Sokrates waren dies Menschen die
gleichwohl von Millionen Zeitgenossen bis heute als weise verehrt
werden.
Die Demontage aber der Wertebegründer
der Vergangenheit – wie betrieben von Isidor Stone - ist eine sehr
gefährliche Sache, besonders in Zeiten der um sich greifenden
Barbarei. Sie führt zu Orientierungslosigkeit unter den Menschen,
zu Kulturverlust, zu De-Humanisierung, zu Rechtsnihilismus und zur
Rechtfertigung einer Herrschaft, die sich nur noch auf nackte Gewalt
zu stützen vermag. Das ist objektiv der Fall, ganz unabhängigvon
den Motiven des Autors, der aber wohl aus gutem Grund von den
Mächtigen posthum protegiert wird.
Das tief empfundene Wissen darum, dass
dem Menschen Vernunftbegabung und Gewissen eignen, wie sie ihm in der
universalen Menschenrechtsserklärung von 1948 attestiert werden,
gebieten ihm, das Wort auch außerhalb der Parlamente zu erheben,
wenn der Kriegskurs ihrer wie auch immer demokratisch gewählten
Regierung ihnen solches abverlangt. Der Mensch braucht dafür Vorbilder,
braucht Orientierung. Wir dürfen es nicht zulassen, dass unsere
historischen Helden und Märtyrer, unsere Weisen posthum ein zweites Mal mit dem Schierlingsbecher zu Grunde gerichtet werden.
_______
2http://www.ifstone.org/trial_of_socrates.php_______
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