Von Norman Paech
Mafiotische Beziehung
Nach dem neuerlichen Aufbringen einer »Free-Gaza-Flottille« : Israel hält an der Entrechtung der Palästinenser fest – und Deutschland reicht der Besatzungsmacht die Hand
Von Norman Paech
Blockadebruch wieder vereitelt: Fischer in Gaza protestieren gegen das Aufbringen der Hilfsflotte durch Israel (29. Juni 2015)
Foto: AP Photo/Adel Hana
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Auch die dritte »Free-Gaza-Flottille« hat ihr Ziel, Hilfslieferungen über den Seeweg zu den Palästinensern im abgeriegelten Gazastreifen zu bringen, nicht erreicht. Das war vorherzusehen. Die israelische Armee hat die Schiffe Ende Juni aufgebracht und in den Hafen von Ashdod entführt. Auch dieser Akt der Piraterie war brutal und rücksichtslos, wie die frühere spanische Europaabgeordnete Ana Miranda Paz (Fraktion der Grünen/Freie Europäische Allianz) berichtete, die mit an Bord war. Zum Glück wurde niemand schwer verletzt oder getötet wie noch im Mai 2010. Aber er geschah wie vor fünf Jahren auf offener See, in internationalen Gewässern. Besatzung und Passagiere der Schiffe waren auch dieses Mal unbewaffnet und hatten es strikt vermieden, in israelische Territorialgewässer zu fahren.
Israel hatte nach dem tödlichen Angriff auf die Flottille vor fünf Jahren beteuert, das internationale Seerecht zu achten. Aber was kann man schon von einem Regime erwarten, welches sich bisher über alle Regeln des internationalen Rechts hinweggesetzt hat? Es hat weder die völkerrechtswidrige Blockade des Gazastreifens aufgehoben, noch die Kriegsverbrechen im jüngsten Krieg gegen Gaza eingestanden, die vielfältig dokumentiert und jetzt von einer Kommission des UN-Menschenrechtsausschusses mit Beweisen belegt werden. Es hat jede Zusammenarbeit mit dem Menschenrechtsausschuss wie mit dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zur Aufklärung der Verbrechen abgelehnt. Während es die seit 2006 in demokratischen Wahlen legitimierte Hamas als Terrororganisation nun schon zum zweiten Mal mit einem blutigen Krieg zu vernichten versuchte, pflegt es verwundete Kämpfer einer wirklichen Terrororganisation, des »Islamischen Staats« (IS), in seinen Krankenhäusern gesund, damit sie ihren Terror im Nachbarstaat Syrien weiterführen können.
Man fragt sich immer wieder, in welche Niederungen Politik und Rechtsbewusstsein abgesunken sein müssen, um eine derart perverse Kriegsmoral auch noch öffentlich der internationalen Kritik entgegenhalten zu können. Man wird vielleicht noch über die stereotype Behauptung von Regierungschef Benjamin Netanjahu, dass die israelische Armee die moralischste Armee der Welt sei, lächeln. Aber es stockt einem der Atem, wenn der Kriegsminister Moshe Yaalon droht: »In gewissen Fällen, wenn chirurgische Operationen nicht ausreichen, könnte Israel Maßnahmen ergreifen, wie sie die Amerikaner in Nagasaki und Hiroshima unternommen hatten.« Ist er von Sinnen oder schlicht ein internationales Sicherheitsrisiko, dem man die gleiche klinische Aufmerksamkeit zuwenden sollte wie Flugpiloten? Auf jeden Fall vermag seine deutsche Kollegin Ursula von der Leyen nicht zu beruhigen, wenn sie ein Gespräch mit ihm anlässlich der Feierlichkeiten zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen vor 50 Jahren in angenehmstem Einverständnis und voller Übereinstimmung geführt haben will. Auch scheint sie den Abstieg in die Abwässer des Geschmacks nicht zu scheuen, wenn sie Yaalon versichert, dass sie die Übernahme eines Teils der Kosten für die vier zugesagten Kriegsschiffe als eine Art Wiedergutmachung für die Verbrechen des Holocausts betrachte. Sie wird ihren Fehlgriff nicht einmal bemerkt haben, da die Instrumentalisierung des Holocausts offensichtlich der Strategie Israels entspricht. Dies hatte die Sprecherin der israelischen Botschaft in Berlin, Adi Farjon, dieser Tage einigen Journalisten in Berlin zu verstehen gegeben, als sie erklärte, dass es im Interesse Israels liege, die deutschen Holocaust-Schuldgefühle aufrechtzuerhalten und dass deswegen Israel keine völlige Normalisierung der Beziehungen mit Deutschland anstrebe.
Was nützt es dann, ein Regime auf die UN-Seerechtskonvention (United Nations Convention on the Law of the Sea – UNCLOS) hinzuweisen, dessen stellvertretende Außenministerin Tzipi Hotovely die vollständige Auslöschung Palästinas und der Palästinenser fordert und den Angriff auf die »Free Gaza Flottille« mit dem Schutz israelischer Territorialgewässer begründet? Diese erstrecken sich laut Seerechtskonvention auf 22 Kilometer von der Küste aus. Allerdings haben die Schiffe nie in diese Gewässer Israels eindringen wollen. Die Küstengewässer des Gazastreifens gehören nicht zum Territorium Israels. Die Behauptung der Regierung in Tel Aviv entbehrt bereits jeder tatsächlichen Grundlage bevor sie juristisch relevant werden könnte.
2008 hatte die Europäische Union Israel aufgefordert, die Blockade des Gazastreifens umgehend aufzuheben. Zwei Jahre später, am 30. Juni 2010, haben alle fünf Fraktionen des Bundestags gemeinsam die Bundesregierung aufgefordert, »die Forderung der Europäischen Union nach einer sofortigen Aufhebung der Gazablockade mit Nachdruck zu unterstützen«. Dabei ist es geblieben. Gaza wird nach wie vor wie ein Gefängnis von der Welt abgeschnitten und in seinen Trümmern nach dem letzten Überfall dem mühseligen Überlebenskampf überlassen.
Die Bundesregierung wird nicht müde, bei jeder Gelegenheit die hervorragenden und ungetrübten Beziehungen zu Israel zu rühmen. Sie erkauft sie mit der ungebremsten Lieferung von Kriegsmaterial und mag sich nicht eingestehen, dass diese Beziehungen vollkommen verkrampft, erzwungen und verlogen sind – geradezu von mafiotischer Struktur. Wie anders kann man Beziehungen werten, in denen der eine Partner mit dem Stiefel auf dem Nacken eines Volkes dessen Vertreibung aus seiner Heimat betreibt, ohne sich um die einfachsten Regeln des Völkerrechts zu kümmern – und der andere Staat ihm die Hand reicht und die angerichteten Schäden zu beheben sucht? Das sind keine normalen Beziehungen, die sich allein aus den Verbrechen der Vergangenheit rechtfertigen lassen. Sie nehmen die wachsende Kriminalität der Staatsführung und ihre Isolierung in der Staatenwelt in Kauf. Normal werden diese Beziehungen erst dann, wenn es Frieden mit dem palästinensischen Volk gibt, in dem es ungehindert und ohne Lebensgefahr auf dem Landweg, aus der Luft und über die See erreicht werden kann. Doch wird dies nach all den Jahrzehnten des Scheiterns nur mit dem Druck der Staaten und eines von der Zivilgesellschaft unterstützten Boykotts möglich sein.
Der Völkerrechtler Norman Paech war von 2005 bis 2009 Mitglied des Deutschen Bundestages und außenpolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke. Zusammen mit den Linke-Abgeordneten Annette Groth und Inge Höger beteiligte er sich im Mai 2010 am Versuch, die Seeblockade des Gazastreifens zu durchbrechen. Beim Entern der »Mavi Marmara« in internationalen Gewässern wurden von israelischen Marinesoldaten neun Menschen getötet.
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