Offener Brief des Frauennetzwerk für Frieden e. V. Bonn
April 2014
April 2014
Sehr geehrter Herr Bundespräsident!
Auch mehrere Wochen nach der Münchner
Sicherheitskonferenz möchten auch wir vom Frauennetzwerk für
Frieden e. V. Bonn unsere Bedenken gegenüber Ihrer Rede zur
Eröffnung der MSK zum Ausdruck bringen.
Wie Sie aus den vielen Reaktionen auf
Ihre Rede entnehmen konnten, fand diese nicht ungeteilte Zustimmung.
Für viele aufmerksame Bürgerinnen und
Bürger beunruhigend, ist die mittlerweile bekannt gewordene
Tatsache, dass nicht nur Ihre Rede sondern auch die von Außenminister
Herrn Frank Walter Steinmeier und die der Verteidigungsministerin
Frau Ursula von der Leyen auf dem vom Planungsstab des Auswärtigen
Amtes geförderten und vom German Marshall Fund of the United
States, der Stiftung Wissenschaft und Politik und anderen
Thinktanks herausgegebenen Papier „Neue Macht – Neue
Verantwortung – Elemente einer außenpolitischen Strategie für
Deutschland“, fußen.
So teilen wir mit großer Sorger die
Auffassung all derer, die unter „verstärkter Wahrnehmung von
Verantwortung Europas und Deutschlands“ diese auf keinen Fall
in Form militärischer Einsätze - auch nicht „im äußersten Fall“
– verstehen.
Daher schließen wir uns der
„Kooperation für den Frieden“ an, die in einer
Pressemitteilung vom 4. 2. 2014 in einem „Dekalog aus der
deutschen Friedensbewegung“ realistische politische
Forderungen an unsere Regierung stellt, die sehr viel eher der viel
beschworenen und geforderten deutschen Verantwortung gerecht werden
als jegliche militärischen Optionen.
Ergänzend zu dem Dekalog möchten wir
Folgendes bemerken.
Auch Sie erwähnen die in Reden vieler
Politiker_innen strapazierten Werte, mit denen Deutschland in
der gegenwärtigen Weltordnung seine Interessen verbinden
könne! In den „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ von
2011 ist festgeschrieben, welches die von der deutschen
Sicherheitspolitik zu garantierenden Interessen sind: „einen
freien und ungehinderten Welthandel sowie den freien Zugang zur Hohen
See und zu natürlichen Ressourcen (zu) ermöglichen“. Was klar
auszusprechen man einem Ihrer Vorgänger verübelte!
Doch Ihre gewandte Rhetorik vertuscht
das Grunddilemma: widerspricht nicht die Durchsetzung rein
ökonomischer Interessen mit militärischen Mitteln der Einhaltung
der Werte, die in unserer Verfassung und in den
internationalen Verträgen als Schutz des Menschen- und Völkerrechts
festgelegt werden: die individuellen, wie Menschenwürde, Recht auf
körperliche Unversehrtheit, die staats- bzw. völkerrechtlichen,
wie Souveränität, Selbstbestimmung, Nichteinmischung etc.?
In der Friedens- und Konfliktforschung
weisen Analysen der derzeitigen Krisen und Kriege, der zerfallende
Staaten, des Terrorismus, der Piraterie in aller Welt auf deren
eigentlichen Ursprünge hin: die weltweite Kolonialisierung großer
an Bodenschätzen reicher oder strategisch günstig gelegener
Gebiete, sowie nach der Entkolonialisierung die Fortsetzung dieser
menschen- und naturfeindlichen Eroberungspolitik durch das global
verordnete neoliberale Wirtschaftssystem mit seinen ständig von
einschränkenden Bestimmungen immer „freier“ werdenden Märkten!
Das geplante TTIP ist das aktuelle Beispiel für diesen Werte
missachtenden Trend der die Politik bestimmenden Wirtschafts- und
Finanzorganisationen. Und welche Mächte haben diese zerstörerischen
Maßnahmen vorgenommen? Genau die Staaten, die sich der Zugehörigkeit
der westlichen, christlichen (!) Wertegemeinschaft rühmen!
Die „diffusen Sicherheitsrisiken wie
der Privatisierung von Macht durch Terroristen“ sind doch genau
dieser Verknüpfung unserer auf kultureller, struktureller und
schließlich seit Jahrtausenden patriarchal militärischer Gewalt
gegründeten Staats- und Bündnissysteme mit dem auf Wachstum
beruhenden kapitalistischen Wirtschaftsordnung geschuldet.
Leider konnten Sie nicht Zeuge der Rede
der ehemaligen Kulturministerin Dr. Aminata Traoré aus Mali
sein, die auf der „Internationalen Friedenskonferenz“
genau diese Zusammenhänge für ihr Land Mali in Trauer und
Leidenschaft vortrug.
Wir teilen Ihre Meinung: man kann in
Deutschland nicht einfach „weitermachen wie bisher“!
Aber mit welchen politischen Maßnahmen
könnte sich wahrgenommene Verantwortung manifestieren? Sicher nicht
in Waffenlieferungen an Diktaturen wie Saudi-Arabien, auch nicht an
fragwürdige Demokratien wie Israel, nicht im Wegschauen über dessen
Verstöße an den o. e. internationalen Verträgen, nicht in einer
Bundeswehr, die den Abwurf von in Deutschland gelagerten Atomwaffen
übt, nicht in der Teilnahme in irgend einer Form an
Militärinterventionen, die das schöne Attribut „humanitär“
erhalten oder unter dem Namen der „Schutzverantwortung“
legitimiert werden.
Deutschland als Garant internationaler
Ordnung und Sicherheit ist tatsächlich vorbildlich, was die
Ablehnung von Kriegen seitens der Bevölkerung betrifft, es ist
einmalig in der Integration des Zivilen Friedensdienstes in
sein außen- und entwicklungspolitisches Programm – dank der
hartnäckigen Arbeit engagierter Menschen aus der Friedensbewegung!
So heißt es im Aktionsplan „Zivile Krisenprävention,
Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ von 2004, den
auch die folgenden Regierungen unter der Bundeskanzlerin Angela
Merkel übernommen haben: „Das wichtigste friedenspolitische
Instrument zur Förderung von Friedenspotenzialen der
Zivilgesellschaft ist der Zivile Friedensdienst.“ (S. 69) Und:
„Vorbeugende und zivile Maßnahmen genießen Priorität vor der
militärischen Reaktion.“ (S. 21)
Hierzu muss Deutschland sowohl „aus
Prinzip“ als auch „reflexhaft“ „ja“ sagen! An
der Finanzierung und Förderung dieser Kräfte, an der
Weiterentwicklung der Konflikt- und Friedensforschung, ihrer
Umsetzung in die Praxis der „Sozialen Verteidigung“, der
Kriegsprävention und Nachsorge durch Wahrheitskommissionen, Justice
Transition, Mediation mit dem Ziel von Versöhnungsprozessen!
Das verstehen wir unter Übernahme
wahrhafter Verantwortung, die nicht „Ärger bedeutet“, sondern
nachhaltigem Frieden dienen würde.
„Weltabgewandtheit
oder Bequemlichkeit“, die Sie
manchen „Pazifisten“ unterstellen, treffen zumindest auf
die nicht zu, die sehr weltzugewandt sich der unbequemen Arbeit
unterziehen, in einer Welt der Lüge und der Euphemismen die wahren
Hintergründe der misslichen Weltlage zu finden und an der Wurzel
etwas zu verändern suchen.
Als Theologe sollte Ihnen die
Gewaltfreiheit des Jesus von Nazareth, der wusste, dass Gewalt immer
wieder Gewalt erzeugt, nicht fremd sein. Und seine Lehre gilt nicht
nur für den individuellen Umgang der Menschen miteinander, sondern
auch für den der Kulturen und politischen Gemeinschaften.
In diesem Sinne bitten wir Sie, Ihre
politische Haltung an den Prinzipien der Gewaltfreiheit auszurichten.
Freundliche Grüße
Frauen Netzwerk für Frieden
No comments:
Post a Comment