Thursday, April 24, 2014

Frauennetz trägt Einwände gegen Bundespräsidenten-Rede auf Münchener SIKO vor

 Offener Brief des Frauennetzwerk für Frieden e. V. Bonn
April 2014


Sehr geehrter Herr Bundespräsident!

Auch mehrere Wochen nach der Münchner Sicherheitskonferenz möchten auch wir vom Frauennetzwerk für Frieden e. V. Bonn unsere Bedenken gegenüber Ihrer Rede zur Eröffnung der MSK zum Ausdruck bringen.
Wie Sie aus den vielen Reaktionen auf Ihre Rede entnehmen konnten, fand diese nicht ungeteilte Zustimmung.
Für viele aufmerksame Bürgerinnen und Bürger beunruhigend, ist die mittlerweile bekannt gewordene Tatsache, dass nicht nur Ihre Rede sondern auch die von Außenminister Herrn Frank Walter Steinmeier und die der Verteidigungsministerin Frau Ursula von der Leyen auf dem vom Planungsstab des Auswärtigen Amtes geförderten und vom German Marshall Fund of the United States, der Stiftung Wissenschaft und Politik und anderen Thinktanks herausgegebenen Papier „Neue Macht – Neue Verantwortung – Elemente einer außenpolitischen Strategie für Deutschland“, fußen.

So teilen wir mit großer Sorger die Auffassung all derer, die unter „verstärkter Wahrnehmung von Verantwortung Europas und Deutschlands“ diese auf keinen Fall in Form militärischer Einsätze - auch nicht „im äußersten Fall“ – verstehen.
Daher schließen wir uns der „Kooperation für den Frieden“ an, die in einer Pressemitteilung vom 4. 2. 2014 in einem „Dekalog aus der deutschen Friedensbewegung“ realistische politische Forderungen an unsere Regierung stellt, die sehr viel eher der viel beschworenen und geforderten deutschen Verantwortung gerecht werden als jegliche militärischen Optionen.

Ergänzend zu dem Dekalog möchten wir Folgendes bemerken.
Auch Sie erwähnen die in Reden vieler Politiker_innen strapazierten Werte, mit denen Deutschland in der gegenwärtigen Weltordnung seine Interessen verbinden könne! In den „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ von 2011 ist festgeschrieben, welches die von der deutschen Sicherheitspolitik zu garantierenden Interessen sind: „einen freien und ungehinderten Welthandel sowie den freien Zugang zur Hohen See und zu natürlichen Ressourcen (zu) ermöglichen“. Was klar auszusprechen man einem Ihrer Vorgänger verübelte!
Doch Ihre gewandte Rhetorik vertuscht das Grunddilemma: widerspricht nicht die Durchsetzung rein ökonomischer Interessen mit militärischen Mitteln der Einhaltung der Werte, die in unserer Verfassung und in den internationalen Verträgen als Schutz des Menschen- und Völkerrechts festgelegt werden: die individuellen, wie Menschenwürde, Recht auf körperliche Unversehrtheit, die staats- bzw. völkerrechtlichen, wie Souveränität, Selbstbestimmung, Nichteinmischung etc.?

In der Friedens- und Konfliktforschung weisen Analysen der derzeitigen Krisen und Kriege, der zerfallende Staaten, des Terrorismus, der Piraterie in aller Welt auf deren eigentlichen Ursprünge hin: die weltweite Kolonialisierung großer an Bodenschätzen reicher oder strategisch günstig gelegener Gebiete, sowie nach der Entkolonialisierung die Fortsetzung dieser menschen- und naturfeindlichen Eroberungspolitik durch das global verordnete neoliberale Wirtschaftssystem mit seinen ständig von einschränkenden Bestimmungen immer „freier“ werdenden Märkten! Das geplante TTIP ist das aktuelle Beispiel für diesen Werte missachtenden Trend der die Politik bestimmenden Wirtschafts- und Finanzorganisationen. Und welche Mächte haben diese zerstörerischen Maßnahmen vorgenommen? Genau die Staaten, die sich der Zugehörigkeit der westlichen, christlichen (!) Wertegemeinschaft rühmen!
Die „diffusen Sicherheitsrisiken wie der Privatisierung von Macht durch Terroristen“ sind doch genau dieser Verknüpfung unserer auf kultureller, struktureller und schließlich seit Jahrtausenden patriarchal militärischer Gewalt gegründeten Staats- und Bündnissysteme mit dem auf Wachstum beruhenden kapitalistischen Wirtschaftsordnung geschuldet.
Leider konnten Sie nicht Zeuge der Rede der ehemaligen Kulturministerin Dr. Aminata Traoré aus Mali sein, die auf der „Internationalen Friedenskonferenz“ genau diese Zusammenhänge für ihr Land Mali in Trauer und Leidenschaft vortrug.

Wir teilen Ihre Meinung: man kann in Deutschland nicht einfach „weitermachen wie bisher“!
Aber mit welchen politischen Maßnahmen könnte sich wahrgenommene Verantwortung manifestieren? Sicher nicht in Waffenlieferungen an Diktaturen wie Saudi-Arabien, auch nicht an fragwürdige Demokratien wie Israel, nicht im Wegschauen über dessen Verstöße an den o. e. internationalen Verträgen, nicht in einer Bundeswehr, die den Abwurf von in Deutschland gelagerten Atomwaffen übt, nicht in der Teilnahme in irgend einer Form an Militärinterventionen, die das schöne Attribut „humanitär“ erhalten oder unter dem Namen der „Schutzverantwortung“ legitimiert werden.
Deutschland als Garant internationaler Ordnung und Sicherheit ist tatsächlich vorbildlich, was die Ablehnung von Kriegen seitens der Bevölkerung betrifft, es ist einmalig in der Integration des Zivilen Friedensdienstes in sein außen- und entwicklungspolitisches Programm – dank der hartnäckigen Arbeit engagierter Menschen aus der Friedensbewegung! So heißt es im Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ von 2004, den auch die folgenden Regierungen unter der Bundeskanzlerin Angela Merkel übernommen haben: „Das wichtigste friedenspolitische Instrument zur Förderung von Friedenspotenzialen der Zivilgesellschaft ist der Zivile Friedensdienst.“ (S. 69) Und: „Vorbeugende und zivile Maßnahmen genießen Priorität vor der militärischen Reaktion.“ (S. 21)
Hierzu muss Deutschland sowohl „aus Prinzip“ als auch „reflexhaft“ „ja“ sagen! An der Finanzierung und Förderung dieser Kräfte, an der Weiterentwicklung der Konflikt- und Friedensforschung, ihrer Umsetzung in die Praxis der „Sozialen Verteidigung“, der Kriegsprävention und Nachsorge durch Wahrheitskommissionen, Justice Transition, Mediation mit dem Ziel von Versöhnungsprozessen!
Das verstehen wir unter Übernahme wahrhafter Verantwortung, die nicht „Ärger bedeutet“, sondern nachhaltigem Frieden dienen würde.

Weltabgewandtheit oder Bequemlichkeit“, die Sie manchen „Pazifisten“ unterstellen, treffen zumindest auf die nicht zu, die sehr weltzugewandt sich der unbequemen Arbeit unterziehen, in einer Welt der Lüge und der Euphemismen die wahren Hintergründe der misslichen Weltlage zu finden und an der Wurzel etwas zu verändern suchen.

Als Theologe sollte Ihnen die Gewaltfreiheit des Jesus von Nazareth, der wusste, dass Gewalt immer wieder Gewalt erzeugt, nicht fremd sein. Und seine Lehre gilt nicht nur für den individuellen Umgang der Menschen miteinander, sondern auch für den der Kulturen und politischen Gemeinschaften.

In diesem Sinne bitten wir Sie, Ihre politische Haltung an den Prinzipien der Gewaltfreiheit auszurichten.

Freundliche Grüße

Frauen Netzwerk für Frieden

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