"Deal des Jahrhunderts" ist ein Groß-Israel – Teil 1
23.06.2019 • 07:30 Uhr
Quelle: AFP © Menahem Kahana
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu beim 37. Zionistischen Kongress 20. Oktober 2015 in Jerusalem. Der angekündigte "Deal des Jahrhunderts" hat dafür gesorgt, dass er die Zweistaatenlösung endgültig begraben hat.
Seit über 20 Jahren wird der US-Regierung vorgeworfen, keine wirkliche Strategie im Nahen Osten zu verfolgen und lediglich Lippenbekenntnisse zur Zweistaatenlösung abgegeben zu haben. Die Trump-Administration hat aber eine klare Vorstellung davon, wie der jahrhundertelange Konflikt beendet werden soll.
von Zlatko Percinic
Mit einer Eroberung fallen den neuen Herrschern nicht nur die entsprechenden Gebiete in den Schoß, sondern auch die Menschen, die in diesem Land leben. Während in früheren Zeiten diese Menschen zu neuen Untertanen und oft auch versklavt wurden, änderte sich die Beziehung zwischen Besatzer und Bevölkerung der besetzten Gebiete nach dem Zweiten Weltkrieg grundlegend. Die Genfer Konventionen – die zum festen und anerkannten Bestandteil des internationalen Völkerrechts wurden – legten fest, dass die Bevölkerung nicht ihre alte Staatsbürgerschaft verlieren darf, also das eroberte Gebiet nicht annektiert werden darf. Zudem muss die Besatzungsmacht für Ordnung, für das Wohlergehen der Zivilbevölkerung, aber auch dafür sorgen, dass keine Besiedlung mit der eigenen Bevölkerung stattfindet.
Als Israel in nur wenigen Tagen im Juni 1967 das eigene Territorium nahezu verdreifacht hatte, herrschte das Land über Millionen von Menschen, für die Tel Aviv die Verantwortung übernehmen musste. Nach Rückgabe der Sinai-Halbinsel an Ägypten im Jahr 1979 blieben noch der Gaza-Streifen, die syrischen Golanhöhen und das Westjordanland übrig. Die spärlich besiedelten Golanhöhen wurden 1982 annektiert und zu israelischem Staatsgebiet erklärt, während in den palästinensischen Gebieten weiterhin per Militärherrschaft regiert wurde.
Erst mit den "Friedensverhandlungen" in Oslo – die nach der Ersten Intifada initiiert wurden – und der gegenseitigen Anerkennung zwischen Israel und der palästinensischen Befreiungsorganisation PLO von Jassir Arafat im Jahr 1993 konnte die PLO-Führung aus dem tunesischen Exil in die alte Heimat zurückkehren. Als Palästinensische Autonomiebehörde (PA) sollte sie die Verwaltung von Teilen der besetzten Gebiete übernehmen, die in drei Teile (Area A, B, C) aufgeteilt wurde. Die PA sollte die volle Verwaltung von 18 Prozent des Westjordanlandes (Area A) erhalten, wo etwa 55 Prozent der Palästinenser lebten. Area B, das 20 Prozent des Gebietes mit 41 Prozent der Bevölkerung ausmachte, sollte von der PA und Israel gemeinsam verwaltet werden, während Area C, 62 Prozent, weiterhin unter voller Kontrolle von Israel bleiben sollte.
Im Zuge dieser Entwicklung entstand der Eindruck bei den Palästinensern und auch in der internationalen Gemeinschaft, dass die beiden Oslo-Abkommen am Ende zu einem Staat Palästina führen würden. Das war allerdings ein gefährlicher Trugschluss, dessen Auswirkungen bis heute spürbar sind.
Die größten Profiteure davon waren Israel und die Führung rund um Arafat in der PA. Israel entledigte sich der Verantwortung und vor allem der Kosten für das Besatzungsregime, während die PA sich als Quasi-Regierung mit allen Annehmlichkeiten aufspielen konnte.
Die harte Realität holte aber beide Seiten schneller ein, als ihnen lieb war. Der massive Ausbau von jüdischen Siedlungen im Westjordanland unter Benjamin Netanjahu und dessen systematische Untergrabung der Oslo-Abkommen brachte das Unvermögen der PA ans Tageslicht, irgendetwas dagegen unternehmen zu können. Der aufgestaute Frust über diese Entwicklung und die Erkenntnis, dass die korrupte PA zu einem Handlanger Israels wurde, brauchte nur eine Provokation des als "Schlächter von Sabra und Schatila" berüchtigten Ariel Sharon, um sich in der Zweiten Intifada zu entladen. Dieser Volksaufstand sollte allerdings viel brutaler und im Gegensatz zur Intifada von 1987 bis 1993 auch mit Waffengewalt geführt werden.
Nach viereinhalb Jahren Krieg einigten sich am 8. Februar 2005 im ägyptischen Scharm El-Scheich der israelische Ministerpräsident Sharon und sein "Amtskollege" Mahmud Abbas – in der PLO als Abu Mazen bekannt – auf ein Ende der Auseinandersetzungen. Auf beiden Seiten wurden über 4.600 Menschen (1.036 Israelis und 3.592 Palästinenser) getötet und über 37.000 Menschen verletzt (7.054 Israelis und 29.757 Palästinenser).
Am Ende mussten die Palästinenser einsehen, dass sie gegen einen hochmilitarisierten Staat wie Israel keine Chance haben. Die Strategie der kollektiven Bestrafung und die hocheffiziente Maschinerie der gezielten Tötungen – in mehreren israelischen Dokumentation eindrucksvoll dargestellt –, hatte den Willen zum Kampf gebrochen.
Gegen die Ausweitung der jüdischen Siedlungen und der steigenden Zahl der Siedler, auch in der Zeit der beiden Intifadas, waren sie machtlos. Die Fragmentierung der palästinensischen Gebiete nahm solche Dimensionen an, dass ein überlebensfähiger Staat gar nicht mehr möglich wäre. Professor Hillel Cohen, Direktor des Bernard-Cherrick-Zentrums zur Erforschung des Zionismus an der Hebräischen Universität in Jerusalem, sagte dazu gegenüber der israelischen Zeitung Haaretz:
Es war Regierungspolitik, die Anzahl von Juden in den Gebieten zu erhöhen. Sie machten Fünfjahrespläne, Zehnjahrespläne, sprachen darüber, wie man 100.000 (Siedler) und 300.000 und eine halbe Million erreichen könnte.
Cohen bestätigte auch, dass Ariel Sharon eine zentrale Rolle bei der Expansion von jüdischen Siedlungen im Westjordanland spielte, auch während seiner Zeit als Ministerpräsident von 2001 bis 2006. "Für ihn lag der Grund für die Ausbreitung der Siedlungen darin, die Möglichkeit einer Gründung eines palästinensischen Staates zu verhindern", so der Professor weiter.
© Screenshot aus Haaretz-Artikel
Jüdische Siedlungen im Westjordanland 1968.
© Screenshot aus Haaretz-Artikel
Jüdische Siedlungen im Westjordanland 2015.
Dennoch hielt die internationale Gemeinschaft weiterhin an der Illusion fest, dass eine Zweistaatenlösung die einzige Möglichkeit wäre, den seit über 100 Jahren andauernden Konflikt zu lösen. Dabei schauten vor allem die USA und die europäischen Regierungen tatenlos zu, wie auf dem Boden ganz andere Fakten geschaffen und die Grundlage für einen palästinensischen Staat zunichtegemacht wurden.
Benjamin Netanjahu segelte derweil geschickt im jeweiligen politischen Wind. Als erster israelischer Ministerpräsident bekannte er sich 2009 bei einer damals als historisch bezeichnenden Rede vor der Bar-Ilan-Universität in Tel Aviv für eine Zweistaatenlösung, nachdem der damalige US-Präsident Barack Obama seine ebenfalls "historische" Rede in Kairo gehalten hatte. Obama bezeichnete die israelische Besatzung als "unerträglich" und nannte die palästinensische Forderung nach einem eigenen Staat "legitim". Die New York Timesbeschrieb diese politische Wendung von Netanjahu damals folgendermaßen:
In der langerwarteten Rede, die teilweise als Antwort auf die Rede von Präsident Obama in Kairo am 4. Juni gedacht ist, hat Herr Netanjahu seinen langjährigen Widerstand gegen einen palästinensischen Staat aufgehoben, ein Schritt, der als Zugeständnis aufgrund des amerikanischen Drucks betrachtet wird.
Das war vor genau zehn Jahren. Seitdem ist Netanjahu wieder von dieser Position abgerückt, nachdem ein anderer Mann ins Weiße Haus in Washington eingezogen ist. Stattdessen ist er wieder an dem Punkt angelangt, den er bereits in einem Meinungsartikel im Jahr 1993 dargelegt hat. Es könne lediglich eine "Arrangement" mit den Palästinensern geben, wobei "Israel die strategischen Gebiete der West Bank kontrolliert, während die Araber ihren eigenen Angelegenheiten wie Gesundheit, Erziehung und Handel in ihren Städten und Dörfern nachgehen können."
Unterstützung dafür findet Netanjahu bei der Regierung von US-Präsident Donald Trump. Obwohl fast alle Regierungen in Washington eine betont pro-israelische Politik verfolgt haben, hatten sie wenigstens versucht, den Anschein einer gewissen Objektivität zu wahren, um in den zahlreichen "Friedensbemühungen" als unparteiischer Vermittler aufzutreten. Mit der Ankunft von Trump und dessen Beraterstab sowie Kabinett hat Washington diese Farce aufgegeben.
Das hat nicht so viel damit zu tun, dass Trump unter dem Einfluss von jüdischen und zionistischen Beratern steht, sondern damit, dass man der Realität auf dem Boden in Israel und den besetzten Gebieten Rechnung trägt. Man kann noch die nächsten zehn oder 20 Jahre über eine Zweistaatenlösung diskutieren, wie es etwa die EU vorzieht zu tun, während unter Netanjahus Regierungen (1996–1999, ab 2009 bis heute) die Anzahl der Siedler massiv zugenommen hat.
Und was nicht außer Acht gelassen werden darf: Netanjahu wird über die Pläne des "Deals des Jahrhunderts" informiert gehalten, den Trumps Schwiegersohn Jared Kushner, der US-Botschafter in Israel, David Friedman, sowie Trumps Sonderbeauftragter für internationale Verhandlungen, Jason Greenblatt, ausarbeiten.
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