Vor 17 Jahren: Beginn des völkerrechtswidrigen Krieges zur Zerstörung Jugoslawien am 24. März 1999 endend am 10. Juni 1999
Irene Eckert schrieb aus Berlin am 25. 09. 09 über 10 Jahre nach dem völkerrechtswidrigen Türöffnerkrieg zur Zerstörung Jugoslawiens:
Die Anti-Kriegs-Bewegung muss im
Sinne Carl von Ossietzkys politisch werden.
Als Beitrag zum Gedenken an den unprovozierten Kriegsbeginn gegen die Sozialistische Republik Jugoslawien 1999 veröffentlichen wir leicht redigiert und mit Überschriften versehen, ergänzt ihre immer noch aktuellen Überlegungen über die mangelnde Courage der Friedensbewegung anlässlich der Reaktionen auf ihren Artikel in der Zeitschrift offen-siv 04/09
Als Beitrag zum Gedenken an den unprovozierten Kriegsbeginn gegen die Sozialistische Republik Jugoslawien 1999 veröffentlichen wir leicht redigiert und mit Überschriften versehen, ergänzt ihre immer noch aktuellen Überlegungen über die mangelnde Courage der Friedensbewegung anlässlich der Reaktionen auf ihren Artikel in der Zeitschrift offen-siv 04/09
Debatte
um richtigen friedenspolitischen Weg überfällig
Die
Auseinandersetzung um den richtigen Kurs in der Friedensarbeit muss
dringend geführt werden und auf eine neue Ebene gehoben werden. Die
zum Teil scharfen, wenngleich nicht immer sachbezogenen Reaktionen
auf den Beitrag zur Tagung der Berliner Friedenskoordination im
Karl-Renner Haus im Juli des Jahres 2009 lassen den schon damals
vorhandenen, heftigen Dissens in Sachfragen neu aufscheinen.
Die
darüber notwendige Diskussion muss inhaltlich werden – an
Aktualität hat sie nichts verloren.
Die
fast gänzlich versackte Opposition gegen Krieg und Militarisierung
bedarf dringend neuer Impulse. Einiges weist daraufhin , dass die
Friedensarbeit in der Hauptstadt Berlin, wenn sie weiter wie bisher
koordiniert und verwaltet wird, keinen Schritt voran führen wird,
das heißt keine mobilisierende Kraft gegen kommende Kriege entfalten
kann.
Der
Grund dafür, dass die Friedensarbeit bei der großen Maße in
unserem Lande insgesamt so wenig Resonanz findet, liegt m.E. nicht
daran, dass die Menschen sich nicht gegen kriegerische Politik
mobilisieren lassen würden. Schon gar nicht trifft das zu, wenn die
Aufrüstungspolitik und das deutsche kriegerische Vorgehen in anderen
Ländern endlich in einen Zusammenhang mit dem Sozialabbau gestellt
würde. Dieser Sozialabbau wird ja nicht nur hierzulande, sondern
Europa- bzw. weltweit betrieben und zwar zugunsten der
Rüstungshaushalte. Das Dilemma der darniederliegenden Friedenskräfte
ist außerdem darin begründet, dass inhaltlich unzweideutige
Stellungnahmen fehlen. Insbesondere vor den Wahlen werden
Klaraussagen durch parteipolitisch-taktische Erwägungen
beeinträchtigt.
Hemmschuh:
parteipolitisch motiviertes Lavieren
Das
Lavieren der Friedensszene in entscheidenden Fragen wie etwa in Bezug
auf den zu fordernden Truppenabzug aus Afghanistan ('sofort oder
mittels Exit-Strategie') ist in engem Zusammenhang zu sehen mit der
politischen Positionierung der Partei "Die Linke", von der
sich leider die Haltung der übrigen organisierten Linken nur
punktuell unterscheidet, ganz zu schweigen von den übrigen Parteien.
Weiter
damit verbundene Probleme: Zurückhaltung gegenüber dem Widerstand
im Irak bei gleichzeitiger Diffamierung des widerständigen Iran und
der Bejubelung der dortigen "Opposition" im Zusammenhang
mit den Wahlen im Juni 2009, dagegen uneingeschränkte
'Solidarität' mit Israels Haltung in Nahost bei gleichzeitiger
Verweigerung einer wirklich solidarischen Haltung gegenüber dem
palästinensischen Volk, Aufrechterhaltung von Negativmythen über
Hamas und Hisbollah, Zurückhaltung gegenüber der
Aufrüstungsverpflichtung im EU- Lissabon-Vertrag, mangelnde
Bereitschaft sich in Sachen Militarisierung der EU zu engagieren.
Öffentlich
ausgetragener politischer Streit ist gut und nicht schlecht
Der
durch die Zeitschrift offen-siv öffentlich gemachte "Streit"
in der Friedensbewegung bringt diese Problematik auf den Punkt.
Spätestens
nach dem Abflauen des politischen Widerstands gegen den
völkerrechtswidrigen Krieg gegen Belgrad im Jahr 1999 aber schwelt
der innere, nicht ausdiskutierte Konflikt. Als der Krieg gegen
Afghanistan im Herbst 2001 begann, standen die meisten noch unter dem
Schock des Angriffs auf das World Trade Centre. Nur wenige begriffen,
dass die Ausrufung des 'Bündisfalls' durch die NATO auch unser Land
in den Krieg hineinziehen würde. Die flammenden Appelle von
Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) und Joschka Fischer (GRÜNE) vor dem
Deutschen Bundestag, mit Hilfe derer der Kriegseinsatz gegen Afghanistan 2001
gerechtfertigt wurde, zielten darauf, dort die Rechte der Frauen zu
verteidigen und taten das übrige. Längst vergessen war die
Vorgeschichte deutscher und anderer Kolonialmächte, die 'GEOPOLITIK'
in der Region. Der Widerstand gegen den drohenden Krieg mit dem
der Irak 2003 erst richtig überzogen werden sollte, brachte zwar
noch einmal Massen auf die Straße. Das war möglich geworden durch
die Positionierung der damals von Schröder geführten
Bundesregierung - angesichts der bevorstehenden Wahlen - gegen
diesen Krieg. Er wurde angeführt vor allem durch das neue
von Hans Peter Richter verantwortete Internetportal "Achse des
Friedens" und vom damals aktiven Wirken der
"Attac-Arbeitsgruppe gegen Globalisierung und Krieg".
Hemmschuh:
Feindbildkonstrukte unhinterfragt
Allerdings
lag auch schon im Februar 2003 eine erhebliche Schwäche der
Bewegung, die entsprechend rasch kollabierte, darin begründet, dass
sie das Feindbildkonstrukt „Saddam Hussein“ nicht
hinterfragte, es vielmehr noch übernahm. Die Friedensszene und die
politischen Kräfte, aus denen sie – nach wie vor - gespeist wird,
nahmen niemals Stellung gegen die kriegsfördernden
Feindbildprojektionen. Man übernahm das Wort vom "neuen
Hitler Saddam". Dem war schon ein Schwanken zur Zeit der
Kriegsführung gegen den "Schlächter" Milosevic
vorangegangen. (Später ging es im selben Geiste gegen das libysche
Staatsoberhaupt Ghadaffi und ab 2011 gegen den syrischen Präsidenten
Assad)
Nach
dem Terrorangriff 9/11 im Jahre 2001 gegen das Welthandelszentrum in
New York sah man gemeinsam mit dem politischen Gegner (oder sind die
USA etwa 'Verbündete' derFriedenskräfte?) die große
Gefahr aus der Welt des Islam herauswachsen. In den vom Islam
beherrschten Regionen - außer in Saudi Arabien und den
Golfmonarchien - sah man jetzt Seite an Seite mit der NATO die Frauenrechte bedroht. Es galt dort für demokratische
Verhältnisse zu sorgen. Die 'Friedenskräfte teilten die NATO-Denkrichtung, wenngleich sie nicht mit Bomben dafür eintreten
wollten.
Hemmschuh:
herablassende Ignoranz gegenüber anderen Kulturen
Eine
solche herablassend arrogante und vor allem ignorante Haltung, die
den Balken im eigenen Auge nicht wahrzunehmen vermag, wurde noch am
08.09.09 vor dem Brandenburger Tor von Oskar Lafontaine demonstriert,
als er zwar gegen den von der deutschen Luftwaffe befohlenen
Bomben-Angriff auf einen entführten Tanklaster in Afghanistan
Stellung bezog. Der Angriff hatte schließlich, einmal mehr, über
hundert Zivilisten das Leben gekostet. Aber er sprach von der
dortigen Gesellschaft, als einer Kultur, in der noch die Blutrache
regiere, die man selbstredend nicht mit Bomben verändern könne.
"Der Gegner“, so sagte Lafontaine, „ist keine Armee,
sondern eine Kultur". Dieses Motto wurde auch von seinen
Ko-Rednern Daniela Dahn, Christoph Hein und Gregor Gysi aufgenommen
und es findet sich in der FREITAG-Ausgabe vom 10.09.09 wieder, wo
sich deutsche Intellektuelle zwar endlich für einen Truppenabzug
aussprechen, aber mit was für einem Text! Dort heißt es wörtlich:
Das
arme Deutschland hat sich Krieg verwickeln lassen
"Deutschland
hat sich in einen Krieg verwickeln lassen" (ganz passiv und
unschuldig), "die deutschen Truppen können nicht unverzüglich
abgezogen werden .. . Im Laufe der nächsten zwei Jahre /soll/
Deutschland seine militärische Präsenz in Afghanistan beenden."
(ebenda S. 6/7) Diese fortwährend kompromisslerische Haltung,
hinter der sich eben parteipolitisches Kalkül verbirgt, mit Hilfe
dessen eben keine konsequente Antikriegspolitik möglich ist, muss
die Arbeit jedes Kreises lähmen, der Stellung beziehen müsste gegen
Krieg und Militarisierung. Ernsthafte, effektive Friedensarbeit
voranzutreiben wird durch die genannten Bremsklötze so gut wie
unmöglich gemacht.
Alte
Denkwerkzeuge reaktivieren tut Not
Dass
die Situation so verfahren ist, liegt nun nicht an der mangelnden
charakterlichen Eignung einzelner oder an ungeschicktem
kommunikativen auftreten von Friedensaktivisten, wie häufig
vorgetragen. Natürlich dient persönliches Versagen der Sache
niemals, aber die eigentliche, tiefer liegende Ursache für das
Versagen ist geschuldet einer falschen historischen und politischen
Analyse, ist geschuldet der Tatsache, dass man die alten Werkzeuge
des Denkens weggeworfen hat, weil sie vermeintlich Rost angesetzt
hatten, ohne noch über neue zu verfügen.
Anstatt
nun den Rost abzukratzen und die alten Waffen mangels eines besseren
Instrumentariums zu benutzen, liefert man sich dem hochgerüsteten
Gegner, der mit allen Raffinessen ausgestattet ist, schutzlos aus und
denunziert auch noch jene Individuen, die sich um Aufhellung der Lage
bemühen. Jene Individuen, die nützlich sein könnten, weil sie
alte Lagepläne noch zu lesen verstehen. Sie werden denunziert und
ausgegrenzt.
Die
Metapher von den' alten Lageplänen und Denkinstrumenten' meint den
Wissenschaftlichen Sozialismus und die Texte des
Marxismus-Leninismus, meint den dialektischen und historischen und
Materialismus. Mit seiner Hilfe lässt sich nämlich verorten, wo der
eigentliche Gegner aller friedliebenden Menschen zu finden ist. Es
ist kein einzelner Mensch, kein Land, keine Nation, die etwa das Urböse
beherbergt. Es ist die Quelle des Terrors auch keine Kultur oder Religion. Die Quelle des
Übels, des kriegerischen Terrorkrebsgeschwürs ist der militärisch-industrielle, mit dem Finanzkapital verfilzte, Komplex ,vor dem schon Ex-US-Präsident
und Ex-General Eisenhower eindringlich gewarnt hat, in seiner Abschiedsrede. Die Ursache des
Übels ist also letztlich systemischer Natur. Sie wird gespeist aus dem derzeit alles
beherrschenden Profitmotiv, der Triebkraft des Verbrechens. Der
Kapitalismus in seinem imperialistischen Stadium hat längst
ausgedient. Seine historische Mission ist überfüllt. Er muss durch
ein auf Planwirtschaft basierendes Arbeiten ersetzt werden. Die
Friedensarbeit muss demnach, um wieder wirkungsvoll zu werden, heute
anti-imperialistisch werden oder sie bleibt bedeutungslos.
In
der Hoffnung einen konstruktiven Beitrag zur Fortsetzung der
inhaltlich-argumentativ zu führen den Debatte zu leisten, verbleibe
ich mit solidarischen Grüßen Margarete Pfliegner
P.S. Margarete Pfliegner, der Geburtsname meiner Mutter, ist eines der vielen
Pseudonyme, unter denen ich damals für nötig fand zu publizieren.
Irene Eckert
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