Friday, October 16, 2015

"Russland wird die Vormacht des Völkerrechts" Willy Wimmer

«Man hält sich in Moskau an die Regeln»

von Willy Wimmer
«Präsident Putin füllt das Vakuum, das insbesondere das halbherzige Vorgehen der Vereinigten Staaten im Syrien-Konflikt geschaffen hat. Washington greift zwar auch Stellungen der Dschihadisten an, allerdings mit einer Intensität, die Zweifel an der Ernsthaftigkeit weckt.»
Klaus-Dieter Frankenberger in einem Kommentar für die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» vom 8.10.2015
Eigentlich ist der Super-Gipfel in New York bei den Vereinten Nationen zu schnell verflogen. Kein Wunder, wenn die «willkommenskulturellen Exzesse» jeden Abend über die Bildschirme ausgestrahlt werden. Da kann es schon mal geschehen, dass sich bestimmte Bilder nicht so einprägen, wie sie es verdient hätten. Denn solche Bilder hat es in New York gegeben, und sie müssen festgehalten werden. Sie betrafen den russischen Präsidenten Putin, und sie wurden umso deutlicher, je mehr der amerikanische Präsident ebenfalls auf den Bildschirmen präsent war. Der Unterschied hätte nicht deutlicher ausfallen können, und selbst bei einer mehr und mehr gelenkten deutschen Presse war nicht zu verbergen, wie zerknirscht Präsident Obama auftrat. Sein russischer Kollege war das genaue Gegenteil. Putin scheint es gut bekommen zu sein, dass die G 8 gleichsam in einem Anfall von Selbstisolation den russischen Präsidenten vor die Türe gesetzt hatten. Bilder sagen auch in der heutigen Medienlandschaft immer noch mehr als tausend Worte. Putin scheint diese Freizeit von amerikanischer Gängelei genutzt zu haben. Er war entspannt und hatte nichts dagegen, es weltweit zu vermitteln.

Russland ist wieder auf der Bühne

Der Kontrast zum westlichen Verhalten gegenüber Russland nach dem westlichen Putsch in der Ukraine hätte nicht deutlicher ausfallen können. Vor allem, wenn man die Rolle des russischen Präsidenten anläss­lich der Ukraine-Konferenz in Paris, wenige Tage nach dem Super-Gipfel in New York, in Rechnung stellt. Die Dinge sind seit dem G7-Treffen in Bayern offenbar neu sortiert worden. Die G7/8 waren neben der Nato der sichtbarste Ausdruck für die Schlepptau-Funktion dieser Runden im amerikanischen Interesse als der «einzig verbliebenen Supermacht» und der «unverzichtbaren Nation». Durch den Rauswurf der Russischen Föderation hat der Westen diesen widernatürlichen Spuk selbst beendet. Die Welt wurde seither sichtbar eine andere.

Der Gegenentwurf für Mord und Totschlag nimmt Konturen an: Russland wird die Vormacht des Völkerrechts

So traurig es ist, aber es bedurfte schon nicht mehr des mörderischen Angriffs amerikanischer Bomber auf ein international geschütztes Krankenhaus in der nordafghanischen Stadt Kundus. Es ist hinlänglich bekannt und weltpolitische Wirklichkeit seit fast zwei Jahrzehnten, dass die USA in unserem Umfeld für Mord und Totschlag stehen. Eine Garantiemacht des globalen Elends eben. Es war geradezu empörend, den amerikanischen Präsidenten über die Untaten von Assad vor den Vereinten Nationen reden zu hören. Die von ihm dort angelegten Massstäbe müsste er als Verantwortlicher für die Drohnenmorde bei sich selbst anlegen. Es würde auch nicht schaden, wenn er sich seine Amtsvorgänger vorknöpfen würde, um den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag mit Zukunftsaufgaben zu befassen. Die ständigen Anrufe aus Washington bei der deutschen Bundeskanzlerin wegen der Migrationsentwicklung erwecken zudem den Eindruck, dass in Berlin die Weisungen aus Washington eher vernommen werden als die Sorgen im eigenen Land darüber, dass hier regierungsamtlich ein rechtloser Zustand hervorgerufen worden ist.
Dagegen steht seit geraumer Zeit die erklärte Politik der Russischen Föderation.
Man kann es wenden und drehen, wie man will: von der mangelhaften Aufklärung der unter niederländischer Führung durchgeführten Untersuchungen wegen der Ermordung von Flugzeugpassagieren im Luftraum der Ukraine bis zum Vorgehen der russischen Streitkräfte in Syrien. Man hält sich in Moskau an die Regeln, die zuletzt nach einem mörderischen Weltkrieg Europa und der Welt aufgelegt worden waren, um einen erneuten Weltkrieg zu verhindern. Wenn man als europäischer Betrachter das dagegenstellt, was aus Washington zu vernehmen ist, kann einen schon das Grauen überfallen. In einem Land, dass nur noch auf die schreckliche Potenz seiner bewaffneten Kräfte starrt und davon abhängig ist, machen sich die republikanischen Präsidentschaftsbewerber daran, uns den dritten Weltkrieg zu avisieren. Wenn man deren Wortwahl in Rechnung stellt, muss das einst so stolze und verantwortlich handelnde Amerika am Ende sein. Mord und Totschlag heisst die aus Washington stammende Perspektive, wenn die Zöglinge der Bushs, Cheneys und McCains drankommen sollten. Jetzt ist es kein Trost, an demokratische Rivalen denken zu wollen. Mit Bill und Madelaine fing es vor sechzehn Jahren an. Davor stand allerdings durch Henry Kissinger der global unternommene Versuch, das Völkerrecht in seiner akzeptierten Form nicht nur zu beseitigen, sondern durch ein neues Völkerrecht im amerikanischen Interesse zu ersetzen.
Der klägliche Rest der ehemals stolzen Völkerrechtsabteilung des deutschen Auswärtigen Amtes spricht Bände für Deutschland.
Wenige Tage nach den Jubiläumsfeiern zur deutschen Einheit ist es nicht nur zweckmässig, an die Rolle des Völkerrechts als zentralen Pfeiler für die Wiederherstellung der Wiedervereinigung zu erinnern. Von der Helsinki-Konferenz des Jahres 1975 bis hin zur Charta von Paris aus dem November 1990: Es war der völkerrechtliche Rahmen, der das alles möglich gemacht hatte. Wir konnten auf vieles stolz sein. Dazu zählten aber auch die «Kronjuwelen» des deutschen Auswärtigen Amtes: die Völkerrechtsabteilung. Zusammen mit berühmten österreichischen Völkerrechtlern hat man in Bonn gezeigt, was man drauf hatte, und wurde erfolgreich. Heute weiss vermutlich kaum jemand, dass es diese Abteilung noch gibt. Die politische «Fehlanzeige», die sich da einstellt, steht aber synonym für das ganze Land. Hier herrscht inzwischen ein fast zarenhaftes Rechtsverständnis. Wie eine biblische Plage wird davon derzeit unser Land mittels einer Migrationsbewegung getroffen, die dem Grundsatz frönt: keine Grenzen, kein Staat. Es muss der Zusammenbruch Bayerns ins Haus stehen, um staatliches Handeln hervorzurufen, das diesen Begriff überhaupt rechtfertigt. Es gab Zeiten, in denen wir auf den «Rechtsstaat» stolz gewesen sind. Vermutlich haben wir es alle verschlafen, dass unsere Rechtsordnung von «willkommens-kulturellen Anwandlungen» abgelöst worden ist. Das bringt uns innenpolitisch noch um, aussenpolitisch wird es uns den staatlichen Verstand rauben.

Wie mit Moskau unter diesen Umständen mithalten?

Moskau steht mit seiner Politik auf einer weltpolitischen Bühne, die sich wieder nach berechenbaren Entwicklungen sehnt. Wa­shington steht für die Zerstörung der uns bekannten Welt und bedeutet «Elend für alle». Moskau gibt Hoffnung, die wir aus Washington so nicht mehr erwarten können. Auf diesen neuen Antagonismus in einer sensationellen Ausprägung müssen wir uns einrichten, wollen wir nicht unter die Räder geraten. Wir müssen innerstaatlich wieder wissen, was ein demokratischer Rechtsstaat ist, und uns von dem Wesen persönlicher Notverordnungen einer noch im Amt befindlichen Bundeskanzlerin lösen. Aussenpolitisch führt kein Weg daran vorbei, uns wieder völkerrechtlich satisfaktionsfähig zu machen und unsere Politik neu zu justieren. Derzeit regiert bei uns innen- und aussenpolitisch das Chaos. Damit werden wir der russischen Politik nichts entgegensetzen können. Wir waren es in der Vergangenheit, die sich auf unsere Rechtskultur etwas zugute halten konnten. Moskau hat – anders als wir – die Zeit nicht verschlafen.    •
Quelle:http://www.zeit-fragen.ch/index.php?id=2264

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