Spirale der Gewalt durchbrechen von Rudolf Hänsel
Am
Ostersonntag begann für Christen die 50 Tage währende österliche
Freudenzeit. Auch der Frühling hat sich eingestellt und erfreut mit
seiner Farbenpracht Tag für Tag unser Auge und Gemüt. Jedoch nicht
überall in der Welt können die Menschen dies erleben. Nicht in den
unzähligen Kriegsgebieten im Nahen und Mittleren Osten und in Afrika,
nicht in den vielen Flüchtlingslagern der Nachbarländer dieser vom Krieg
geplagten Völker.
Das
Ausmaß an Gewalt und menschlichem Leid weltweit ist erschreckend. Doch
die Spirale der Gewalt und Gegengewalt, sie dreht sich unaufhörlich
weiter. Inzwischen ist unser Überleben in Frage gestellt. Unsere Kultur
hat sich zu einer Gewaltkultur entwickelt und es scheint, als haben wir
Menschen den Verstand verloren. Gewaltandrohung, Gewalt und Kriege, wo
man hinsieht. Und die Menschheit scheint keinen Ausweg aus dieser
Gewaltspirale zu finden. Auch in unserem Land spielen sich
bürgerkriegsähnliche Straßenkämpfe ab und ereignen sich scheußliche
Gewalttaten zwischen Menschen.
Noch
nie in der Geschichte hat Gewalt ein Problem gelöst. Sie schafft nur
neue, größere Probleme. Die Kriege der letzten eineinhalb Jahrzehnte
bieten uns genug Anschauungsmaterial, angefangen vom Kosovokrieg 1999
bis zu den heutigen Kriegen in Syrien, Nordafrika oder der Ukraine. Sie
hinterließen und hinterlassen weiterhin nur Tod und Verderben, in ihrer
Würde tief verletzte Menschen, zerstörte Länder und Kulturen und
hoffnungslos zurückbleibende, zum Teil traumatisierte Jugendliche, von
denen sich viele in ihrer ausweglosen Situation für „heilige Kriege“
anwerben und abschlachten lassen. Nach einer wissenschaftlichen Studie
der Vereinigung der Internationalen Ärzte für die Verhütung des
Atomkrieges (IPPNW) hat der US-geführte „Krieg gegen den Terror“ allein
in Irak, Afghanistan und Pakistan bereits weit über eine Million
Todesopfer gefordert und damit mehr als zehn mal so viele wie bisher
vermutet.
Ist
das die Welt, die wir unseren Kindern hinterlassen wollen? Wird sich
unsere Jugend in dieser Gewaltkultur zurechtfinden, Vorbilder finden,
etwas Neues aufbauen können, die Welt einmal in eine andere Bahn lenken?
Ich denke nein!
Dabei
wissen wir heute oder sollten es als aufgeklärte Bürger wissen, dass
die Gewalt nicht dem Wesen Mensch entspricht. Die Forschungsergebnisse
der Humanwissenschaften haben uns gezeigt, dass der Mensch von Natur aus
sozial und kooperativ und weder biologisch noch geschichtlich-kulturell
zu Gewalt und Krieg verurteilt ist. Wir Menschen sind zu Hingabe,
Empathie, Nächstenliebe und Selbstaufopferung fähig.
Auch
der Krieg ist kein Naturgesetz, die Menschheit will in Frieden leben.
Es ist das Machtstreben in Wirtschaft und Politik, das uns immer wieder
in Katastrophen hineintreibt, in denen der Reichtum unserer Kultur
verschleudert und die Ernten unserer Zivilisation zerstört werden.
Mächtige Interessengruppen und Kriegsgewinnler wie der
militärisch-industriell-geheimdienstliche Komplex, die Wallstreet und
viele andere steuern die Regierungen. Und diese rüsten auf, setzen neue
Feindbilder in die Welt und betreiben Kriegspropaganda. Die von ihnen
abhängigen Massenmedien unterstützen sie dabei nach Kräften. Von ihnen
werden wir nur belogen, desinformiert, abgelenkt und mit
Informations-Müll voll gestopft.
Doch
wir alle sind Teil dieser unheilvollen Entwicklung, weil wir aus
Trägheit des Herzens, aus Hilflosigkeit oder Lethargie das Unrecht
geschehen lassen und nicht gegen die Gewalttätigkeit kämpfen. Wir
billigen sie, weil wir hoffen, dass sie uns verschonen werde. Wenn sie
dann auch über uns hereinbricht, ist es gewöhnlich zu spät, sie
einzudämmen. Da die Welt so ist, wie wir sie eingerichtet oder bisher
geduldet haben, kann sich keiner der Verantwortung entziehen. Wir sind
immer mitschuldig. Deshalb ist es an der Zeit, uns zu besinnen.
Eine
große Anzahl verantwortungsbewusster Mitbürger ist von dem
beunruhigenden und schmerzlichen Zustand unserer Welt betroffen und
engagiert sich. Die deutsche Friedensbewegung zum Beispiel organisiert
alljährlich Ostermärsche, die heuer unter dem Motto stehen: „Kriege und
Kriegspropaganda stoppen – Konflikte friedlich lösen“. Auch Papst
Franziskus verurteilte in der Ostersonntags-Messe das sinnlose
Blutvergießen, forderte das Ende von Krieg und Gewalt und beklagte
unsere Trägheit und Gleichgültigkeit, die uns daran hindern würde, aus
uns herauszugehen und den Weg der Wahrheit und der Liebe zu suchen.
Der
weltberühmte englische Atomphysiker Stephen Hawking warnte vor kurzem
in den „Cambridge News“ vor der Aggression als dem „größten Fehler der
Menschheit“, wie er sagte. Sie sei eine größere Gefahr als
Umweltkatastrophen. Für Höhlenmenschen hätte die Angriffslust noch
Überlebensvorteile gehabt, wird er zitiert, doch jetzt sei dieses
Verhalten eine Bedrohung für die Menschheit, schließlich könne ein
Nuklearkrieg zum Ende der Zivilisation führen. Die Menschen müssten
Aggression durch Empathie ersetzen, was „uns zusammenbringen und in
einen friedlichen Zustand versetzen würde“. (Focus online v. 26.2.15)
Und
was könnte unser aller Beitrag als Bürger sein, um die Spirale der
Gewalt zu stoppen? Wir sollten in unserem persönlichen Wirkungsbereich
jeder Gewalt entsagen und im Wissen um die wirklichen Ursachen und
Auswirkungen von Kriegen uns weigern, die Vorbereitung und Durchführung
von Kriegen gedanklich oder sonst wie mitzutragen. Jeder Krieg ist
abwendbar, wenn wir es inständig, mutig und anhaltend wollen. Jeder
Mensch besitzt einen mehr oder weniger großen Einflussbereich. Wir
könnten unsere junge Generation, unsere Freunde, Kollegen und zehn bis
dreißig weitere Mitmenschen davon überzeugen, dass man jedem Krieg
Einhalt gebieten kann. Diese zehn oder dreißig Menschen werden es zehn
anderen weitersagen, die es ihrerseits wieder weiterverbreiten. Jeden
Tag könnten wir uns dafür entscheiden, dies zu tun.
Eine
große Verantwortung, aber auch Chance haben Eltern, Erzieherinnen und
Lehrkräfte. Das Kind kann durch Erziehung und Bildung zu Verantwortung,
Mitgefühl, Solidarität, Kooperation und Friedensliebe geführt werden.
Und unsere Jugend? Angesichts des nicht gelösten Gewaltproblems in der
Welt müssen wir uns fragen, was wir in ihrem Gemüt verankern müssen,
damit sie eine innere Abwehr gegen Gewalt und Krieg entwickelt und
friedensfähig wird.
Dipl.-Psych. Dr. Rudolf Hänsel (www.psychologische-menschenkenntnis.de)
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