Friday, March 27, 2015

 „Ein Bier wartet“  Leserbrief  von Jürgen Jung zu SZ-Beitrag von Caroline Ehmke vom 21. 3. 2015, S. 5:


Wieder einmal ein Artikel in der SZ, der deutlich macht, wie „Ausgewogenheit“ im Grunde den zur Debatte stehenden Sachverhalt geradezu vernebelt und damit - insbesondere im Falle Israels - unversehens die herrschende Einäugigkeit bekräftigt. „Das deutsche Schweigen zu Israel“ - so der deutsch-israelische Philosoph Omri Böhm -, dem sich, mit ganz wenigen Ausnahmen, die deutschen Intellektuellen und Vordenker unterworfen haben, reproduziert sich hier als der sattsam bekannte Versuch, über unbezweifelbare Tatsachen hinwegzusehen. Eine der dabei praktizierten Methoden ist die empörte Zurückweisung des Popanzes der nicht erlaubten Israelkritik. Selbstverständlich dürfe Israel kritisiert werden, und die SZ - v. a. in Gestalt ihres Nah-Ost-Korrespondenten Peter Münch - tut dies durchaus, aber letztendlich wird diese Kritik stets relativiert durch den Verweis auf die kräftig dämonisierten „Feinde“ Israels, gegen die es sich ja schließlich zur Wehr setzen müsse.


So bedient auch Carolin Emcke dieses Ideologem, indem sie den letzten „Krieg“ (vom Sommer vergangenen Jahres) als „Reaktion auf den nicht nachlassenden Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen“ erklärt , wo „unter der radikal-islamischen Hamas Alkohol.....strikt verboten (ist)“, und ausreisen darf man aus diesem Gefängnis auch nicht.


An dieser Darstellung ist so ziemlich alles problematisch, wenn nicht falsch:


Dem Raketenbeschuss gingen drei Wochen voraus, in denen sich die israelische Armee im Westjordanland – so auch Peter Münch in der SZ – „ausgetobt“ hatte bei der angeblichen Suche nach den Entführern der drei Religionsschüler.
Resultat:
Tausende von Häusern verwüstet, Hunderte Palästinenser (v. a. Hamasmitglieder) verhaftet, mindestens 5 getötet und über 80 Luftangriffe auf Gaza geflogen. [http://tinyuri.com/reuters290614]. Daraufhin erst feuerte auch die Hamas Raketen auf Israel.
Im Übrigen ist es mittlerweile zweifelsfrei erwiesen, dass die Hamas-Führung – anders als Israel sofort behauptete - keineswegs verantwortlich war für die Entführung und Ermordung der illegal im Westjordanland siedelnden Religionsschüler.


Daß Alkohol im Gaza-Streifen verboten ist, scheint für die Autorin Bestätigung des „radikal-islamischen“ Charakters der Hamas zu sein. Dabei ist Alkohol in muslimischen Ländern, auch bei engen Verbündeten des Westens, generell verpönt, was man als mitnichten abwegigen Ausdruck einer religiös-bestimmten Kultur ja auch respektieren könnte.


Und während die Autorin insinuiert, dass es die Hamas sei, die die Ausreise der Palästinenser im Gazastreifen verhindere, blendet sie den eigentlichen Entscheider, die israelische Besatzungsmacht, die willkürlich über Ein- und Ausreise bestimmt, erstaunlicherweise aus.
Es war ja eine der zentralen Waffenstillstandsbedingungen der palästinensischen Seite, dass genau diese Blockade aufgehoben werden muß. „Lieber gleich (im Krieg) sterben als langsam vom Besatzer erdrosselt zu werden“ – das war die erschütternd-resignative Stimmung im Gazastreifen während des Massakers.


Was die israelische Wahl angeht, so scheint die Autorin nicht recht glücklich zu sein mit der „Enttäuschung der internationalen Kommentatoren über diese demokratische Entscheidung“. Erinnert sei daran, dass der Respekt, den die Autorin hier offenbar vermisst, den Palästinensern 2006 nach ihrer „demokratischen Entscheidung“ für die Hamas gänzlich verweigert wurde. Sie wurden und werden immer noch, ganz im Gegenteil, für ihre Wahl der „Falschen“ sogar brutal bestraft mit einer unmenschlichen, nahezu vollständigen - und krass völkerrechtswidrigen - Blockade.


Daß Netanyahu den Jahrzehnte andauernden „Friedensverhandlungen“ mit seiner klaren Absage an die Zwei-Staatenlösung am Tag vor der Wahl auch offiziell jede Basis entzogen hat, kann den nicht düpieren, der Ben-Gurions Aussage vor dem Zionistenkongreß 1947 (also vor der Staatsgründung!) kennt: „Unser Ziel ist nicht ein jüdischer Staat in Palästina, sondern ganz Palästina als jüdischer Staat.“ Genau dies war Richtschnur aller israelischen Regierungen. Selbst für den weiterschauenden Rabin kam ein selbständiger palästinensischer Staat nicht in Frage. Netanyahu hat diese kolonialistische Maxime dankenswerterweise nur noch einmal nachdrücklich in Erinnerung gerufen.


All dies ist Frau Emcke keiner Erwähnung wert, die die internationale Kritik an dieser Politik eher zu bedauern scheint.


Den „Zynikern des Nahen Ostens“ – vermutlich sind das auch diejenigen, die auf diese Zusammenhänge verweisen - stellt die Autorin „all jene“ gegenüber, „die Israel lieben“ und „der Kämpfe müde“ seien. Diese Aussage steht zumindest im Widerspruch zu einem Ergebnis der jüngsten, gründlichsten und methodisch anspruchsvollsten „Studie zu Antisemitismus und Israelkritik“ der Universität Konstanz (Lehrstuhl Wilhelm Kempf) von 2012. Dieses eindeutige Ergebnis lautete: Es gibt wenige, die Partei für Israel ergreifen und den Konflikt friedlich lösen wollen. Wer für Israel eintritt, der befürwortet zumeist gewaltsame Mittel der Konfliktbewältigung.


Letztendlich macht Frau Emcke genau das, was sie den „Zynikern des Nahen Ostens“ vorwirft, sie geht in wohlklingender, vordergründig-empathischer Abstraktion über die „konkreten Menschen“ hinweg, indem sie es versäumt, diejenigen Umstände zu benennen, die seit Jahrzehnten den Palästinensern grundlegende Menschenrechte vorenthalten.


Vielleicht liest die Autorin einmal den kürzlich in der New York Times erschienenen Artikel des deutsch-israelischen Philosophen Omri Böhm, der in wohltuender Klarheit deutlich macht, dass „das deutsche Schweigen zu Israel“ – in dem hier erörterten Sinn – nicht nur ein Verrat an der Kant’schen Aufklärung ist, sondern „den Holocaust als politisch signifikante Vergangenheit .....untergräbt.“





Ein Bier wartet

In einem Kühlschrank in Berlin steht ein kleines Symbol gegen die Zyniker des Nahen Ostens. Was das über Angst und Hoffnung in Kriegszeiten aussagt

Von Carolin Emcke

In meinem Kühlschrank steht eine Flasche Bier, die niemand anrühren darf. Damit nicht aus Versehen irgendein Gast sich vergreift, trägt die Flasche ein Namensschild. Auf dem weißen Aufkleber ist handschriftlich „Majeda“ vermerkt. Majeda ist die Freundin, für die das Bier reserviert ist. Wann sie kommt, es zu trinken, ist ungewiss. Majeda lebt im Gazastreifen.

Das Bier steht da seit dem letzten Krieg, der „Operation Protective Edge“, die als Reaktion auf nicht nachlassenden Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen begonnen hatte und vom 8. Juli bis zum 26. August 2014 dauerte. Jede Nacht, jeden Tag erhielt ich E-Mails von Majeda, die versuchte, mir meine Sorge um sie und ihre Familie zu nehmen. Wenn es ihr gut ging, schrieb sie von den lustigen Geschichten, die sie sich ausgedacht hatte, um ihre Neffen abzu-lenken vom Sterben um sie herum. Wenn es ihr nicht gut ging, schrieb sie, wir sollten sie nicht vergessen. Wenn es ihr schlecht ging, schwieg sie.

Ein Bier ist für jemanden wie Majeda eine doppelte Utopie: Unter der radikal-islamischen Hamas ist Alkohol im Gazastreifen strikt verboten. Ein Bier trinken kann man nur im Ausland und ins Ausland kann nur, wer eine selten gewährte Ausreisegenehmigung erhält. Vor vielen Jahren, als Majeda einmal nach Europa durfte, hatte sie sich in einem Restaurant ein Bier be-stellt und ausgetrunken. Als die Kellnerin kam, das leere Glas abzuräumen, hatte Majeda da-rum gebeten, es auf dem Tisch stehen zu lassen. Die Tatsache, dass sie ein Bier in der Öffent-lichkeit trinken durfte, einfach so, dass sie nicht die Spuren des religiös Verbotenen beseiti-gen, die Flasche zertrümmern und die Scherben entsorgen musste, empfand sie als ungeheure Freiheit. So saß sie da, trank langsam vor sich hin und schaute voller Glück auf die leeren Gläser vor ihr.

Eines Tages in jenem Krieg letztes Jahr, als mir nichts Besseres einfiel, um sie aufzuheitern, habe ich die Flasche Bier beschriftet und im Kühlschrank deponiert. Das Bild von ihrem Bier schickte ich Majeda per E-Mail: „Waiting for you.“ Inzwischen sind Monate vergangen, meh-rere Einladungen zu Konferenzen im Dezember in Frankreich und den Niederlanden konnte Majeda nicht wahrnehmen, da sie nicht ausreisen durfte. Das Bier im Kühlschrank hat die Haltbarkeitsdauer längst überschritten, aber es steht noch da.

Die Wahlen in Israel sind ausgezählt und analysiert. Premier Benjamin Netanjahu hat mit sei-nem Likud den vierten Wahlsieg in Folge errungen und die internationalen Kommentatoren, ob in den USA, Großbritannien oder in Frankreich, scheinen ihre Enttäuschung über diese demokratische Entscheidung kaum mehr verbergen zu wollen. Das sind noch die besseren Reaktionen. Die anderen kommen von der wachsenden Zahl derer, die im Nahost-Konflikt ohnehin nur noch die Wiederholung des ewig Gleichen wahrnehmen.

Es gibt verschiedene Versionen dieses erstarrten Blicks. Manche sehen nur Parteien, die im Hass miteinander verwoben sind, angeblich ununterscheidbare Kollektive, ohne individuelle Nöte, ohne verschiedene Machtoptionen, ohne historische Besonderheiten. In einem Krieg sehen sie nicht mehr die Opfer, auf beiden Seiten, sondern nur eine Dynamik von Feinden, die als voneinander Abhängige gedacht werden und die sich mit jedem neuen Ausbruch von Gewalt nur ihrer eigenen politischen Basis versicherten. Das ist die gleichgültige Variante.

Manche sehen nur das, was sie projizieren, und so verorten sie den Ursprung der Gewalt oder der Stagnation des Konflikts immer nur bei der jeweils anderen Seite, „den“ Palästinensern oder „den“ Juden. Sie sehen nicht mehr konkrete Menschen, konkrete Erfahrungen, konkrete Handlungen beiderseits, sondern nur noch Spiegelungen der eigenen politischen Ressenti-ments. In jeder Äußerung, jedem Text entdecken die Hermeneutiker des Verdachts sodann nur noch „propalästinensische“ oder „prozionistische“ Positionen. Kritik kennt für sie stets nur einen Adressaten. Das ist die selbstgerechte Variante.

Und dann gibt es noch die, die nur in geopolitischen Dimensionen kalkulieren, für die nur die instrumentellen Konflikte zählen, nicht die Menschen, die darin verfangen sind, nicht das Licht in Jerusalem, nicht das Geräusch der brechenden Wellen am Strand von Gaza. Das ist die pseudostrategische Variante. Was ihnen allen gemein ist? Sie sind Zyniker des Nahen Ostens: Sie haben Hoffnung als Struktur aufgegeben, sie ignorieren Menschenrechte, solange unter Menschen mehr als die eigene Gruppe verstanden wird, und sie halten Individuen poten-ziell für vernachlässigenswerte Details der Weltgeschichte. Natürlich sind alle, die Israel lie-ben, der Kämpfe müde, der instabilen Grenzen, der ewigen Furcht,die jeden innerlich schrum-pfen lässt, der Demütigungen im Irrgarten der Landnahmen, des hysterisch-religiösen Diskur-ses, der immer neue Zonen des Tabus errichtet. Die Liste all dessen, was zu betrauern wäre, ist lang.

Der israelische Schriftsteller David Grossman hat einmal an die Parabel „Kleine Fabel“ von Franz Kafka erinnert. Darin sitzt eine kleine Maus mit einer lauernden Katze hinter sich und einer zuschnappenden Falle vor sich und sagt: „Ach, die Welt wird enger mit jedem Tag.“ Darum geht es nach diesen Wahlen, so perspektivlos sie auch wirken mögen: die Welt nicht noch enger werden zu lassen. Die Fantasien auf ein gerechtes, freies, beschütztes Leben im Nahen Osten nicht vorschnell als unmöglich denunzieren zu lassen.

Deswegen steht das Bier in meinem Kühlschrank nicht allein für Majeda da. Sondern für alle, die verwundbar sind, Juden und Araber, Sesshafte und Nomaden, Fromme und weniger From-me, Männer und Frauen, für diejenigen, die das Versprechen auf zwei sichere Staaten nicht aufgeben wollen, für die, die den Raum erweitern wollen. Damit ich eines Tages mit Majeda ein Bier trinken kann. In Gaza oder Berlin. Ich würde dafür sogar ein frisches organisieren.


SZ, 21. 3. 2015, S. 5

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