Friday, March 27, 2015

Netanyahu verdient das israelische Volk, und dieses ihn

Wenn nach allem, was wir erlebt haben, der israelische Phönix erfolgreich aus der Asche steigt, dann ist etwas wahrhaftig zerbrochen, möglicherweise ein für alle Mal.

Von Gideon Levy  (Gideon Levys Aufschrei (in Ha'aretz) zur israelischen Wahl . Er benötigt übrigens seit dem Massaker vom letzten Sommer, das er entschieden zu kritisieren gewagt hat, Personenschutz, weil er Morddrohungen erhält. bloggerin)

Die erste Schlußfolgerung, die sich nur Minuten nach der Verkündung des Ergebnisses der Wählerbefragung ergab, war besonders entmutigend: die Nation muß ausgetauscht werden. Keine neuerliche Wahl der Führung des Landes, sondern allgemeine Wahlen, um ein neues israelisches Volk zu wählen – und zwar sofort. Das Land braucht dies dringend. Es wird nicht in der Lage sein, eine weitere Amtszeit Benjamin Netanyahus durchzustehen, der gestern Nacht auftauchte, als der Mann, der die nächste Regierung bilden wird.
Wenn nach sechs Jahren des Stillstands, nach sechs Jahren des Schürens von Angst und Besorgnis, Haß und Verzweiflung dies die Wahl der Nation ist, dann muß diese in der Tat sehr krank sein. Wenn nach allem, was in den letzten Monaten aufgedeckt wurde, nach allem, was geschrieben und geredet wurde, wenn nach all dem der israelische Phönix erfolgreich aus der Asche stieg und wiedergewählt wurde, wenn nach all dem das israelische Volk ihn auserwählt hat, um es weitere vier Jahre zu führen, dann ist wirklich etwas zerbrochen, möglicherweise ein für alle Mal.
Netanyahu verdient das israelische Volk und dieses verdient ihn. Die Ergebnisse sind bezeichnend für die Richtung, die das Land eingeschlagen hat: ein signifikanter Teil der Israelis hat sich letzten Endes von der Realität gelöst. Dies ist das Ergebnis von Jahren der Gehirnwäsche und der Verhetzung. Diese Israelis haben für den Mann gestimmt, der die USA dazu bringen wird, harsche Maßnahmen gegen Israel zu ergreifen, für den Mann, dessen die Welt schon vor langer Zeit überdrüssig wurde. Sie stimmten für den Mann, der zugab, daß er die halbe Welt mit seiner Bar-Ilan-Rede an der Nase herumgeführt hat. Jetzt hat er die Maske fallen lassen und seine Worte ein für alle Mal Lügen gestraft. Israel hat „Ja“ zu dem Mann gesagt, der „Nein“ zu einem palästinensischen Staat gesagt hat. Liebe Likud-Wähler, wozu, zum Teufel, sagt ihr „Ja“? Zu noch einmal 50 Jahren Besatzung und Ächtung? Glaubt ihr wirklich daran?
Am letzten Dienstag [der Wahl, am 17. 3. 2015] wurden die Grundlagen für den Apartheid-Staat geschaffen, der kommen wird. Wenn es Netanyahu gelingt, die nächste Regierung in seinem Geiste, nach seiner Vorstellung zu bilden, wird die Zwei-Staaten-Lösung zu guter Letzt begraben werden und der Kampf um den Charakter eines binationalen Staates beginnen. Wenn Netanyahu der nächste Ministerpräsident ist, dann hat sich Israel nicht nur vom Friedensprozeß verabschiedet, sondern von der Welt. Verpiß dich, liebe Welt, wir sind uns selbst genug. Stör uns bitte nicht, wir schlafen gerade, das Volk ist eins mit Netanyahu. Die Palästinenser sollen ruhig die Bänke des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Hague drücken, die Israel-Boykotteure auf Hochtouren kommen, und Gaza kann sich auf den nächsten grausamen Angriff der israelischen Armee gefaßt machen.
Die Schlacht um all dies muß noch offiziell entschieden werden. Der nächste Minister-präsident wird von Moshe Kahlon und den Führern anderer kleiner Parteien gekrönt werden. Während dies geschrieben wird, muß Kahlon erst noch sagen, was er will. Der Ball befindet sich im Feld dieser Parteien. Sie werden darüber entscheiden, ob Netanyahu weitermachen kann. Die meisten von ihnen verachten ihn, aber es ist zweifelhaft, ob sie den Mut aufbringen werden, sich der Öffentlichkeit zu widersetzen. Das wird ihr Test sein. Das wird der Test für ihren Mut und ihre Integrität sein.
Moshe Kahlon und Aryeh Dery, glaubt ihr wirklich, Netanyahu ist für die Gesellschaft und das öffentliche Wohl, das euch angeblich so am Herzen liegt, besser als Isaac Herzog?
Glaubt der integre und mutige Staatspräsident, Reuven Rivlin, dass Netanyahu ein besserer Ministerpräsident als Herzog sein wird? Auf seinen Schultern ruht jetzt eine schwere Last – aber die Tatsache, dass es einer Figur wie Netanyahu und einer Partei wie dem Likud gelang, die Macht als die führende Fraktion des Landes zu behalten, sagt eine Menge.
Netanyahu droht David Ben-Gurion als Israels am längsten regierenden Führer zu überholen. Er befindet sich schon an zweiter Stelle, und dennoch fällt es schwer, sich auch nur an eine bedeutsame Errungenschaft zu erinnern, für die er steht. Die Liste der Schäden, die er angerichtet hat, ist lang. Aber er ist der Auserwählte der Nation, zumindest eines Großteils der Nation. Diese Wahl muß respektiert werden, selbst wenn sie es schwer macht, auf ein gutes Ende zu hoffen. Der einzige Trost liegt darin, dass eine weitere Amtszeit Netanyahus die Welt zum Handeln nötigen wird. Diese Möglichkeit ist unsere einzige Rettung.
Gideon Levy tweets at @levy_haaretz
Übersetzung: Jürgen Jung
Redaktion: Eckhard Lenner



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