Lion Feuchtwanger: Neuentdeckung eines großen Münchener Romancier der 20er Jahre
von Irene Eckert 18. 02. 15
Thomas Mann nannte ihn den "kleinen Meister". Der kleine Mann und große Sohn Münchens war der Entdecker Bert Brechts und sein Förderer. Mit dem "Stückeschreiber" verband ihn schließlich eine enge, lebenslange Freundschaft. Alle drei Autoren so unterschiedlicher Provenienz kamen sich durch Faschismus und Krieg in Amerika sehr nahe. Nicht die Stadt München, die ihnen einst
gemeinsame Heimat war, brachte sie zusammen, sondern Los Angeles , wohin das "moderne", das faschistische, das kriegerische Europa der 30er Jahre sie vertrieben hatte. Auch Heinrich Mann, Franz Werfel, Marlene Dietrich, Erich-Maria Remarque, Alfred Döblin, Emil Ludwig, Charlie Chaplin und viele andere lebten dort, die geistige Creme, die der alte Kontinent ausgestoßen hatte, bildete das "neue Weimar am Pazifik".*
Feuchtwangers gesamtes Werk ist ganz anders als das des Nobelpreisliteraten Thomas Mann aus der jüdischen Tradition, aus der Orthodoxie, aus der Tradition antiker Bildung, aus der Tradition der Gerechtigkeit und der Befähigung zur Dialektik geschöpft. Es ist daher eine Ode an die Vernunft, sowie der Held seines großen Amerika Romans "Füchse im Weinberg"** (1948) der Fortschritt ist, der Fortschritt der menschlichen Vernunft, der in seinen Augen letztlich siegen wird.
Lion Feuchtwangers Bücher verkauften sich trotz ihrer Tiefe und ihres enormen Umfangs ungleich besser als die seines älteren Zeitgenossen aus Lübeck. Feuchtwanger war im wahrsten Sinne ein Erfolgsautor, fast jedes seiner Bücher war ein Bestseller vor allem in der englischsprachigen und russischen Welt. Der Autor konnte gut und gerne leben vom Verkauf seiner Schrifterzeugnisse, von denen zahlreiche verfilmt wurden, so etwa "Jüd Süß", "Erfolg", "Exil" und vor allem der große "GOYA" Roman. Er konnte sich auch im Berliner, französischen und US-amerikanischen Exil besser behaupten als sämtliche seiner Kollegen.
Feuchtwangers Historien-Romane zielen auf die Gegenwart und darüber hinaus auf eine bessere Zukunft. Sie lesen sich daher auch heute, weil wir noch immer in der Vergangenheit leben, als brandaktuelle Lektüre.
"Die künstlerische Darstellung der Geschichte ist wissenschaftlicher als die exakte Geschichtsschreibung. Dichtkunst geht nämlich auf Kern und Wesen, während der exakte Bericht nur Einzelheiten aneinanderreiht." ARISTOTELES
Den griechischen Klassiker zitiert Feuchtwanger zum Auftakt seines Revolutionsromans "Waffen für Amerika"**. Erzählte Zeit dieses 1948 erschienen Romans ist das vorrevolutionäre Paris der Jahre 1776 - 1779. In seinem Nachwort ergänzt der Autor "KLIO IST EINE MUSE, ist eine Muse".
Ganz in diesem Sinne wurde sein "französischer Amerika"-Roman verfasst, niedergeschrieben zwischen 1944 und 1947. Im Nachwort der Aufbau-Verlag -Ausgabe von 1952 lässt uns der Autor wissen:
"Als das Amerika Roosevelts in den Krieg gegen den europäischen Faschismus eingriff und den Kampf der Sowjetunion gegen Hitler unterstützte,da wurden mir die Geschehnisse im Frankreich des ausgehenden achtzehnten Jahrhunderts leuchtend klar und sie erleuchteten mir die politischen Ereignisse der eigenen Zeit."
Feuchtwanger will also ganz im Sinne des epischen Dramatikers Brecht "den Leser zwingen, die Gegenwart deutlicher zu sehen, indem er sich distanziert." Seine große "Wartesaal-Trilogie", bestehend aus "Erfolg" - " Die Geschwister Oppermann" und Exil", ist der einzige Teil seines umfangreichen Schaffen, der in der wirklichen Gegenwart , in der unmittelbaren Erzählzeit, angesiedelt ist. Dies gilt insbesondere für den stilistisch innovativen "ERFOLG"-s-Roman Dieser wesentliche Beitrag zur Literatur der Neuen Sachlichkeit ist angereichert mit Statistiken und Dokumenten und gerichtet auf den gegenwärtigen wie zukünftigen Leser. Er nimmt damit die Situation von uns heutigen vorweg, die wir fast hundert Jahre später auch dieses Feuchtwarmer-Werk wie seine übrigen als Geschichtsroman lesen werden. Der Erzähler-Geschichtsschreiber reflektiert in 'ERFOLG' also das von ihm dargebotene Zeit-Panorama Bayerns quasi projektiv-rückblickend. So entsteht ein visionäres Sittengemälde, das zu Beginn der 20er Jahre (1923 Hitlerputsch! in München) in die zunächst einmal verhängnisvolle Zukunft blickt. Der Roman ist Mitte der 20iger Jahre geschrieben und erscheint 1930. Noch faszinierender fast ist allerdings der 3. Teil des Zyklus, der den Titel "EXIL" trägt und im Paris der 30iger Jahre spielt. Der fiktive deutsche Exilant und Musikus, Trautwein verkörpert in diesem Künstler-Roman das aufklärerische, zukunftsweisende Gegenstück zu Thomas Manns Komponist Adrian Leverkühn im "Dr. Faustus". Während Thomas Mann tief in die Vergangenheit zurückblickend, die geistigen Wurzeln des Faschismus in Deutschland loslegt und dabei seine musikwissenschaftliche Expertise zeigt, so ist das Werk in seiner Großartigkeit doch eher einer geistigen Elite vorbehalten. Das novellistische Oeuvre Feuchtwangers ist demgegenüber einem Massenpublikum sehr viel zugänglicher als die anspruchsvolle Schreibe des älteren Mann. Vor allem aber ist der EXIL-Roman Feuchtwangers wie auf eine bessere Zukunft gerichtet. Der "Wartesaal", die titelgebende große musikalische Komposition Trautweins ist gleichzeitig eine Metapher für die "Übergangszeit, die Zeit der Verwirrnis, die Zeit des Exils" das ganz im Sinne der alten Jüdischen Tradition achtzehnhundertfünfundsechzig Jahre dauert und in Feuchtwangers Augen menschheitsgeschichtlich noch vorhält: Wir brauchen Geduld. Wir müssen warten können. Aber auch geduldig und mit Zuversicht ausgestattet, nach Maßgabe individueller Befähigung eingreifen in die historische Prozesse, die von Menschen vorangetrieben oder eben aufgehalten werden.
"Auch was in Nürnberg geschah, wurde ihm Stoff für den 'Wartesaal'. Er (Trautwein/der Autor) war sich klar geworden über die Aufgabe, die ihm im Kampf gegen die Barbarisierung zugewiesen war. Er hatte jetzt seine Symphonie zu schreiben und sonst nichts und wenn es ihm gelingt, das was er in seinem Inneren hört, die andere hören zu machen, dann wird er seinen Teil dazu beigetragen haben, die Barbaren zu bekämpfen."
Diese Gedanken legt der Romancier seinem durchaus problematischen 'Helden' in den Mund, der sich genau wie der Autor selbst auch durch politische Pamphlete an den Kämpfen der Zeit beteiligt.
Es gilt Lion Feuchtwanger für die Gegenwart und Zukunft neu zu entdecken und sich von ihm inspirieren zu lassen.
Video 3SAT Fernsehaufzeichnung:
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*Anfang der vierziger Jahre hatte sich in Los Angeles eine deutsche Emigrantenkolonie gegründet, die heute als -Weimar am Pazifik- legendär geworden ist. Thomas Mann fand hier für ein Jahrzehnt seine Wahlheimat, die Auflagenmillionäre Emil Ludwig, Erich Maria Remarque und Hans Habe ließen sich am Pazifik nieder. Es folgten Leonhard Frank, Curt Goetz, Alfred Döblin, Bertolt Brecht, Bruno Frank, Alfred Polgar, Walter Mehring. Auf abenteuerlich-gefährliche Weise gelangten Lion Feuchtwanger, Golo und Heinrich Mann, Franz Werfel über die Pyrenäen und Portugal in die Neue Welt
** Der Roman ist unter beiden Titeln erschienen
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