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Der Zug der Erinnerung
Weil eine kleine Bürgerinitiative an die Massendeportationen der Reichsbahn erinnern will, fährt das größte deutsche Staatsunternehmen schweres Geschütz auf: Stationen und Gleise werden gesperrt, um den "Zug der Erinnerung" zu stoppen. Aber Hunderttausende kommen auf die Bahnhöfe und stellen sich den Verboten entgegen. Die Fahrt des Zuges rührt an ein verschwiegenes Erbe und führt in das Zentrum einer anhaltenden Schuldabwehr.
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Der Gipfel von Minsk
12.02.2015
Good cop
Kurz vor dem Gipfel waren unterschiedliche Vorstöße westlicher Staaten bekannt geworden, die zunächst widersprüchlich erscheinen, die sich jedoch als zwei Teile einer arbeitsteilig realisierten Doppelstrategie verstehen lassen, wie sie bereits im Kalten Krieg gegen die realsozialistischen Staaten angewandt wurde. Im Sinne einer solchen Doppelstrategie haben sich in den vergangenen Tagen Kanzlerin Angela Merkel und der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, geäußert (german-foreign-policy.com berichtete [1]). Dabei übernimmt Berlin den Part, Moskau zu "Friedensgesprächen" zu bewegen, wie sie gestern in Minsk begannen. Die Bundesregierung ist seit dem vergangenen Sommer, als sich abzeichnete, dass sich der Konflikt im Osten der Ukraine militärisch nicht gewinnen lässt, mehrmals in diese Richtung aktiv geworden. Über entsprechende Verhandlungen wurde etwa im September berichtet, als das "Protokoll von Minsk" unterzeichnet wurde, das einen Waffenstillstand bewirken sollte. Im Hintergrund hatte man vereinbart, das EU-Assoziierungsabkommen erst dann in Kraft treten zu lassen, wenn man strittige Bestimmungen des Abkommens einvernehmlich mit Russland modifiziert habe; zudem sollte die Ostukraine eine umfangreichere Autonomie bekommen (german-foreign-policy.com berichtete [2]). In diesem Sinne hat die deutsche Kanzlerin jüngst auch eine Kooperation der EU mit der von Moskau geführten Eurasischen Wirtschaftsunion (EEU) in Aussicht gestellt. Zuletzt hieß es auch, zusätzlich zu einer Föderalisierung der Ukraine schlage Berlin die Fixierung einer ukrainischen Neutralität vor.[3] Das wäre gleichbedeutend mit der Verhinderung eines ukrainischen NATO-Beitritts, die Berlin bereits 2008 mit seinem Veto durchgesetzt hat.
Bad cop
Im Rahmen der westlichen Doppelstrategie hat umgekehrt Washington den Part des militärischen Drohens übernommen und wird dabei von Großbritannien sowie von mehreren Staaten Osteuropas unterstützt - vom Baltikum über Polen bis Rumänien. In den Vereinigten Staaten nimmt der Druck, der Ukraine Waffen zu liefern, zu. Transatlantische Fraktionen im Berliner Polit-Establishment öffnen sich für die Forderung; so hat jetzt die Grünen-Politikerin Marieluise Beck erklärt, Opfer müssten "das Recht haben ..., sich zu schützen und geschützt zu werden".[4] Aus ihren Äußerungen geht hervor, dass sie den Status zu schützender Opfer im ukrainischen Bürgerkrieg für die Kiewer Seite reserviert; die Ostukraine kann sich demnach nicht darauf berufen. Auch der Grünen-Außenpolitiker Omid Nouripour lässt sich mit der Aussage zitieren, man könne Waffenlieferungen an Kiew "nicht auf ewig ausschließen".[5] Unabhängig davon kündigt Washington an, ab dem nächsten Monat die ukrainische Armee auszubilden. Demnach werde ein Bataillon US-Soldaten drei Bataillone der Ukraine trainieren, Medienberichten zufolge im ukrainischen Lwiw. Damit würden US-Soldaten offiziell in dem Bürgerkriegsland stationiert, und das in Bataillonsstärke. Angeblich sollten die ukrainischen Militärs lediglich lernen, sich gegen Artillerieangriffe zu verteidigen, heißt es.[6]
Reale Interessengegensätze
Die beiden Teile der westlichen Doppelstrategie, die Berichten zufolge Gegenstand der Gespräche von Bundeskanzlerin Merkel mit US-Präsident Obama gewesen ist, basieren dabei durchaus auf realen Interessengegensätzen. Für Berlin ist die Vermeidung einer unkontrollierten Eskalation zur Zeit günstiger. Es hat zum einen aus einer gewissen Zusammenarbeit mit Moskau stets erheblichen ökonomischen wie auch politischen Nutzen gezogen [7], den es nicht kampflos preisgibt. Zum anderen findet sich die Bundesrepublik in militärischen Konflikten - noch - stets in der zweiten Reihe hinter den USA wieder. Für Deutschland günstig ist dabei, dass die aktuellen Gespräche ohne US-Beteiligung stattfinden. Washington hingegen nützt es, wenn es wegen eskalierender Auseinandersetzungen nicht zu einer deutsch-russischen Achsenbildung kommen kann und Berlin damit die Chance zu seiner traditionellen Schaukelpolitik entgeht. Auch ist es für die Vereinigten Staaten hilfreich, wenn die EU-Staaten untereinander so uneins sind wie etwa Deutschland und Frankreich auf der einen, Großbritannien und Polen auf der anderen Seite in puncto Ukraine; das erschwert es der Bundesrepublik, mit der von ihr dominierten EU zur mit den USA rivalisierenden Weltmacht aufzusteigen. Der innerwestliche Machtkampf um die Austarierung der antirussischen Doppelstrategie entspricht den jeweiligen nationalen Interessen.
Ein politisches Signal
Gleichzeitig lässt Berlin allerdings keinerlei Zweifel daran, dass im Ernstfall das transatlantische Bündnis Priorität vor der Kooperation mit Russland haben muss. Entsprechend hat Deutschland vergangene Woche die Führung über die NATO-"Speerspitze" für Osteuropa übernommen (german-foreign-policy.com berichtete [8]). Zudem wird sich die deutsche Kriegsmarine in Kürze an einer Kriegsübung im Schwarzen Meer beteiligen. Der Marinetanker "Spessart" aus Kiel ist seit Ende Januar im Rahmen der "Standing NATO Maritime Group 2" unterwegs und operiert zur Zeit im Rahmen eines Manövers vor der Küste Siziliens. Danach wird er in Richtung Schwarzes Meer aufbrechen; dort führt die NATO eine Kriegsübung durch. Wie es heißt, seien Besuche in der Ukraine zwar nicht geplant; doch sei das Manöver auch als "politisches Signal" zu verstehen.[9]
Der erste Bruch
Unabhängig vom Ergebnis der aktuellen Minsker Verhandlungen hat Russland erstmals echte Konsequenzen aus der westlichen Aggressionspolitik in Aussicht gestellt. USA und EU hätten gemeinsam immer wieder "Schritte unternommen, um den Konflikt" in der Ukraine "zu eskalieren", stellte Außenminister Sergej Lawrow auf der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz fest.[10] Dabei bezog er die EU - sachlich zutreffend [11] - ausdrücklich ein. Über die Kooperationsbestrebungen Berlins und Brüssels mit Moskau erklärte Lawrow: "Leider ist die strategische Partnerschaft zwischen der EU und Russland so gestaltet gewesen, dass sie diesen Test nicht bestanden hat, sich nicht bewährt hat."[12] Moskau hat den Worten bereits Taten vorausgeschickt: Im Zusammenhang mit dem Stopp des Pipeline-Projekts "South Stream" hat Gazprom erstmals einen strategischen Tauschhandel mit Wintershall storniert und ausdrücklich seine Konzernstrategie für gescheitert erklärt, die dem deutschen Konzern gegen Einflussgewinne für Gazprom in Deutschland Zugriff auf die riesigen sibirischen Erdgasvorräte gewährte.[13] Die in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommene Entscheidung ist Moskaus erster harter Bruch mit Berlin gewesen. Die weitere Entwicklung ist offen.
Weitere Informationen zur aktuellen westlichen Aggressionspolitik gegen Russland finden Sie hier: Die Allianz der Bedrohten, Urteil ohne Gericht, Wie im 19. Jahrhundert, Ein Ring um Russland, "Moskaus Drang nach Westen", Eine Monroe-Doktrin für Osteuropa, Die neue nukleare Eskalationsdynamik, Umsturz per Krise, Krieg mit anderen Mitteln, Ein Ring um Russland (II) und Krieg mit anderen Mitteln (II).
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Friday, February 13, 2015
"Der Gipfel von Minsk" german foreign policy.com
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