Friday, February 13, 2015

"Der Gipfel von Minsk" german foreign policy.com

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Kurznachrichten
Krieg in Europa?
24.09.2014
Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt warnt vor einem neuen Krieg in Europa.

Verletzte ausgeflogen
03.09.2014
Die Bundeswehr hat 20 verwundete Kämpfer aus der Ukraine zur Behandlung nach Deutschland ausgeflogen.

Außen und innen
26.08.2014
Der deutsche Außenminister moniert eine mangelnde Zustimmung in der Bevölkerung für eine offensive deutsche Weltpolitik.


Die Verantwortung Berlins
20.05.2014
Der ehemalige EU-Kommissar Günter Verheugen erhebt im Konflikt um die Ukraine schwere Vorwürfe gegen Berlin.


"Ein gutes Deutschland"
30.04.2014
Das deutsche Staatsoberhaupt schwingt sich zum Lehrmeister der Türkei auf.


Die Dynamik des "Pravy Sektor"
11.03.2014
Der Jugendverband der NPD kündigt einen "Europakongress" unter Beteiligung des "Pravy Sektor" ("Rechter Sektor") aus der Ukraine an.

Der Mann der Deutschen
18.02.2014
Die deutsche Kanzlerin hat am gestrigen Montag zwei Anführer der Proteste in der Ukraine empfangen.

Die Herero als Terroristen
17.02.2014
Die Wochenzeitung der staatlich geförderten "Landsmannschaft Ostpreußen" erklärt die Herero zu "Terroristen" und den deutschen Genozid an ihnen zum "Krieg gegen den Terror".

Zukunftspläne für die Ukraine
07.12.2013
Eine führende deutsche EU-Politikerin hat in Kiew mit dem Anführer der extrem rechten Partei Swoboda verhandelt.

Strafanzeige
15.10.2013
Gegen die scheidende Staatsministerin im Auswärtigen Amt Cornelia Pieper ist Strafanzeige wegen öffentlicher Leugnung von NS-Massenmorden erstattet worden.



Der Gipfel von Minsk

12.02.2015
KIEW/BERLIN

(Eigener Bericht) - 14 Stunden nach Beginn dauern die Minsker Verhandlungen über eine Lösung im Ukraine-Konflikt an. War am frühen Morgen noch aus der belarussischen Hauptstadt zu hören gewesen, eine Einigung stehe unmittelbar bevor, hieß es wenig später, der ukrainische Präsident Petro Poroschenko habe "inakzeptable Bedingungen" der russischen Seite ausgemacht. Um neun Uhr mitteleuropäische Zeit ist nun eine neue Verhandlungsrunde gestartet worden; ein Ergebnis zeichnet sich noch nicht ab. Bereits vor der Zusammenkunft hatten die Vereinigten Staaten angekündigt, ein Bataillon ihrer Streitkräfte in die Ukraine zu entsenden, um ukrainische Soldaten zu trainieren. Während Berlin sich um Gespräche mit Moskau bemüht, hält Washington damit den Druck auf Russland aufrecht. Die Bundesregierung lässt zugleich keinen Zweifel daran, dass im Falle einer Eskalation das westliche Bündnis für sie Vorrang hat: Nach der Übernahme der Führung bei der neuen NATO-"Speerspitze" kündigt die Bundeswehr für März die Beteiligung an einem NATO-Manöver im Schwarzen Meer an. Explizit ist von einem "politischen Signal" die Rede.
Good cop
Kurz vor dem Gipfel waren unterschiedliche Vorstöße westlicher Staaten bekannt geworden, die zunächst widersprüchlich erscheinen, die sich jedoch als zwei Teile einer arbeitsteilig realisierten Doppelstrategie verstehen lassen, wie sie bereits im Kalten Krieg gegen die realsozialistischen Staaten angewandt wurde. Im Sinne einer solchen Doppelstrategie haben sich in den vergangenen Tagen Kanzlerin Angela Merkel und der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, geäußert (german-foreign-policy.com berichtete [1]). Dabei übernimmt Berlin den Part, Moskau zu "Friedensgesprächen" zu bewegen, wie sie gestern in Minsk begannen. Die Bundesregierung ist seit dem vergangenen Sommer, als sich abzeichnete, dass sich der Konflikt im Osten der Ukraine militärisch nicht gewinnen lässt, mehrmals in diese Richtung aktiv geworden. Über entsprechende Verhandlungen wurde etwa im September berichtet, als das "Protokoll von Minsk" unterzeichnet wurde, das einen Waffenstillstand bewirken sollte. Im Hintergrund hatte man vereinbart, das EU-Assoziierungsabkommen erst dann in Kraft treten zu lassen, wenn man strittige Bestimmungen des Abkommens einvernehmlich mit Russland modifiziert habe; zudem sollte die Ostukraine eine umfangreichere Autonomie bekommen (german-foreign-policy.com berichtete [2]). In diesem Sinne hat die deutsche Kanzlerin jüngst auch eine Kooperation der EU mit der von Moskau geführten Eurasischen Wirtschaftsunion (EEU) in Aussicht gestellt. Zuletzt hieß es auch, zusätzlich zu einer Föderalisierung der Ukraine schlage Berlin die Fixierung einer ukrainischen Neutralität vor.[3] Das wäre gleichbedeutend mit der Verhinderung eines ukrainischen NATO-Beitritts, die Berlin bereits 2008 mit seinem Veto durchgesetzt hat.
Bad cop
Im Rahmen der westlichen Doppelstrategie hat umgekehrt Washington den Part des militärischen Drohens übernommen und wird dabei von Großbritannien sowie von mehreren Staaten Osteuropas unterstützt - vom Baltikum über Polen bis Rumänien. In den Vereinigten Staaten nimmt der Druck, der Ukraine Waffen zu liefern, zu. Transatlantische Fraktionen im Berliner Polit-Establishment öffnen sich für die Forderung; so hat jetzt die Grünen-Politikerin Marieluise Beck erklärt, Opfer müssten "das Recht haben ..., sich zu schützen und geschützt zu werden".[4] Aus ihren Äußerungen geht hervor, dass sie den Status zu schützender Opfer im ukrainischen Bürgerkrieg für die Kiewer Seite reserviert; die Ostukraine kann sich demnach nicht darauf berufen. Auch der Grünen-Außenpolitiker Omid Nouripour lässt sich mit der Aussage zitieren, man könne Waffenlieferungen an Kiew "nicht auf ewig ausschließen".[5] Unabhängig davon kündigt Washington an, ab dem nächsten Monat die ukrainische Armee auszubilden. Demnach werde ein Bataillon US-Soldaten drei Bataillone der Ukraine trainieren, Medienberichten zufolge im ukrainischen Lwiw. Damit würden US-Soldaten offiziell in dem Bürgerkriegsland stationiert, und das in Bataillonsstärke. Angeblich sollten die ukrainischen Militärs lediglich lernen, sich gegen Artillerieangriffe zu verteidigen, heißt es.[6]
Reale Interessengegensätze
Die beiden Teile der westlichen Doppelstrategie, die Berichten zufolge Gegenstand der Gespräche von Bundeskanzlerin Merkel mit US-Präsident Obama gewesen ist, basieren dabei durchaus auf realen Interessengegensätzen. Für Berlin ist die Vermeidung einer unkontrollierten Eskalation zur Zeit günstiger. Es hat zum einen aus einer gewissen Zusammenarbeit mit Moskau stets erheblichen ökonomischen wie auch politischen Nutzen gezogen [7], den es nicht kampflos preisgibt. Zum anderen findet sich die Bundesrepublik in militärischen Konflikten - noch - stets in der zweiten Reihe hinter den USA wieder. Für Deutschland günstig ist dabei, dass die aktuellen Gespräche ohne US-Beteiligung stattfinden. Washington hingegen nützt es, wenn es wegen eskalierender Auseinandersetzungen nicht zu einer deutsch-russischen Achsenbildung kommen kann und Berlin damit die Chance zu seiner traditionellen Schaukelpolitik entgeht. Auch ist es für die Vereinigten Staaten hilfreich, wenn die EU-Staaten untereinander so uneins sind wie etwa Deutschland und Frankreich auf der einen, Großbritannien und Polen auf der anderen Seite in puncto Ukraine; das erschwert es der Bundesrepublik, mit der von ihr dominierten EU zur mit den USA rivalisierenden Weltmacht aufzusteigen. Der innerwestliche Machtkampf um die Austarierung der antirussischen Doppelstrategie entspricht den jeweiligen nationalen Interessen.
Ein politisches Signal
Gleichzeitig lässt Berlin allerdings keinerlei Zweifel daran, dass im Ernstfall das transatlantische Bündnis Priorität vor der Kooperation mit Russland haben muss. Entsprechend hat Deutschland vergangene Woche die Führung über die NATO-"Speerspitze" für Osteuropa übernommen (german-foreign-policy.com berichtete [8]). Zudem wird sich die deutsche Kriegsmarine in Kürze an einer Kriegsübung im Schwarzen Meer beteiligen. Der Marinetanker "Spessart" aus Kiel ist seit Ende Januar im Rahmen der "Standing NATO Maritime Group 2" unterwegs und operiert zur Zeit im Rahmen eines Manövers vor der Küste Siziliens. Danach wird er in Richtung Schwarzes Meer aufbrechen; dort führt die NATO eine Kriegsübung durch. Wie es heißt, seien Besuche in der Ukraine zwar nicht geplant; doch sei das Manöver auch als "politisches Signal" zu verstehen.[9]
Der erste Bruch
Unabhängig vom Ergebnis der aktuellen Minsker Verhandlungen hat Russland erstmals echte Konsequenzen aus der westlichen Aggressionspolitik in Aussicht gestellt. USA und EU hätten gemeinsam immer wieder "Schritte unternommen, um den Konflikt" in der Ukraine "zu eskalieren", stellte Außenminister Sergej Lawrow auf der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz fest.[10] Dabei bezog er die EU - sachlich zutreffend [11] - ausdrücklich ein. Über die Kooperationsbestrebungen Berlins und Brüssels mit Moskau erklärte Lawrow: "Leider ist die strategische Partnerschaft zwischen der EU und Russland so gestaltet gewesen, dass sie diesen Test nicht bestanden hat, sich nicht bewährt hat."[12] Moskau hat den Worten bereits Taten vorausgeschickt: Im Zusammenhang mit dem Stopp des Pipeline-Projekts "South Stream" hat Gazprom erstmals einen strategischen Tauschhandel mit Wintershall storniert und ausdrücklich seine Konzernstrategie für gescheitert erklärt, die dem deutschen Konzern gegen Einflussgewinne für Gazprom in Deutschland Zugriff auf die riesigen sibirischen Erdgasvorräte gewährte.[13] Die in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommene Entscheidung ist Moskaus erster harter Bruch mit Berlin gewesen. Die weitere Entwicklung ist offen.
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