Wednesday, January 28, 2015

Frieden statt Nato von Oskar Lafontaine



Die Nato war für die grosse Mehrheit der Bevölkerung in der alten Bundesrepublik lange Zeit die Garantin für Frieden und Freiheit. Der Antikommunismus, geschürt durch die Angst vor der von der UdSSR betriebenen Weltrevolution, die Berlin-Blockade und der Bau der Berliner Mauer liessen wenig Raum, um über Alternativen zur Nato überhaupt nachzudenken. Doch spätestens als US-Präsident Lyndon B. Johnson 1965 Nordvietnam bombardierte und immer mehr Bodentruppen nach Südvietnam entsandte, begann vor allem an den Universitäten die Diskussion über die Politik und die Ziele der westlichen Führungsmacht. Die militärische Infrastruktur der Nato, die im Kern immer eine US-Militärstruktur war, führte dazu, dass Deutschland ebenso wie die anderen Staaten, die in diese integriert waren, an jedem US-Krieg beteiligt waren. Daran hat sich bis heute nichts geändert. In seinem Buch «Die einzige Weltmacht» kommentiert der ehemalige Sicherheitsberater Jimmy Carters, Zbigniew Brzezinski, diese Abhängigkeit wie folgt: «Tatsache ist schlicht und einfach, dass Westeuropa und zunehmend auch Mitteleu­ropa weitgehend ein amerikanisches Protektorat bleiben, dessen alliierte Staaten an Vasallen und Tributpflichtige von einst erinnern.»
Die vorherrschende Meinung, nach der sich Gerhard Schröder nicht am Irak-Krieg des George W. Bush beteiligt hat, ist nicht die ganze Wahrheit. Auch von den US-Einrich- tungen in Deutschland wurde dieser Krieg geführt. Hätte Saddam Hussein über weiterreichende Raketen verfügt, dann wäre er berechtigt gewesen, US-Einrichtungen wie die Air Base Ramstein anzugreifen.
Als in den 80er Jahren die Friedensbewegung sich gegen die Aufstellung weiterer Atomraketen in Ost und West zur Wehr setzte, wurden Forderungen nach einem Austritt aus der militärischen Infrastruktur der Nato populär. Die Beteiligung Deutschlands am Afghanistan-Krieg und die Nato-Ost-Erweiterung als wesentliche Ursache der Ukraine-Krise lassen mittlerweile auch bei Politikern des konservativen Spektrums die Frage aufkommen, ob ein längeres Verbleiben Deutschlands in der Nato die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland nicht zunehmend gefährdet. Der sogenannte Antiterrorkrieg der USA ist, wie der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Jürgen Todenhöfer richtig analysiert, ein Terrorzuchtprogramm und erhöht die Terroranschlagsgefahr in Deutschland.
Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt befand schon 2007: «Für den Frieden der Welt geht von Russland heute viel weniger Gefahr aus als etwa von Amerika. (!) Auch wenn die Hegemonie Amerikas für längere Zukunft Bestand haben wird, müssen die europäischen Nationen gleichwohl ihre Würde bewahren. (!) Die Würde beruht auf unserem Festhalten an unserer Verantwortung vor dem eigenen Gewissen.»
Am 13. Dezember 2014 auf der Demonstration des «Friedenswinters» in Berlin vor dem Bundespräsidialamt sagte der Theologe Eugen Drewermann: «Die Nato ist das aggressivste Bündnis aller Zeiten.»
Also: Frieden statt Nato!
Wenn aber die Nato genauso aufgelöst ist wie der Warschauer Pakt, was dann? Die Linke weiss, dass die Veränderung von Militärbündnissen keine hinreichende Bedingung ist, um den Frieden zu bewahren. Aussen­politik war und ist Kampf um Rohstoffe und Absatzmärkte. Daran können alle beschönigenden Reden über Menschenrechte, Demo- kratie und freie Marktwirtschaft nichts ändern. Der berühmte Satz des Jean Jaurès «Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich wie die Wolke den Regen» ist in den letzten Jahrzehnten immer wieder bestätigt worden. Da der Kampf um Rohstoffe und Absatzmärkte auch militärisch ausgetragen wird, wie die Kriege im Irak, in Afghanistan und Libyen gezeigt haben, kommt Papst Franziskus zu dem Urteil: «Wir stecken mitten im dritten Weltkrieg, allerdings in einem Krieg in Raten. Es gibt Wirtschaftssysteme, die, um überleben zu können, Krieg führen müssen. Also produzieren und verkaufen sie Waffen.»
Da auch für die Linke Kapitalismus und Demokratie miteinander unvereinbar sind, weiss sie, dass zum Aufbau einer demokratischen Gesellschaft eine andere Wirtschaftsordnung eine unabdingbare Voraussetzung ist. Eine andere, demokratische Wirtschafts- ordnung würde auch die jetzige Machtstruktur der Welt verändern, in der die globale Vorherrschaft der USA ein noch nie dagewesenes Ausmass erreicht hat.
Interessanterweise wird dieser grundsätzliche Politikansatz der Linken zur Friedenssi- cherung auch von Hardlinern der US-Politik bestätigt. Brzezinski schreibt in seinem bereits erwähnten Buch «Die einzige Weltmacht»: «Nie zuvor hat eine wirklich im Volk verankerte Demokratie die internationale Politik dominiert. Machtstreben verträgt sich im Grunde ebensowenig mit demokratischer Gesinnung wie die zu seiner Aus- übung notwendigen wirtschaftlichen Kosten und menschlichen Opfer. Eine demokratische Gesellschaft lässt sich nicht so leicht für imperialistische Zwecke einspannen.»
Das ist der gleiche Gedanke, den Immanuel Kant bereits in seiner Schrift «Zum ewigen Frieden» formulierte. Er forderte für jeden Staat eine republikanische Verfassung, da dann die Bürger entscheiden müssten, ob Krieg sein soll oder nicht. Sie müssten «alle Drangsale des Krieges über sich selbst beschliessen». Auf die heutigen Verhältnisse übersetzt heisst das, dass wir nicht am Afghanistan-Krieg beteiligt wären, wenn die Bevölkerung abgestimmt hätte oder wenn die Interventionskriege befürwortenden Politiker und Journalisten selbst den Drangsalen des Afghanistan-Krieges ausgesetzt wären.
Die Entwicklung einer wirklich demokratischen Gesellschaft, will sagen, einer Wirtschaftsordnung, die eine aus grossem Vermögen resultierende Machtzusammenballung verhindert, weil sie das Vermögen denen lässt, die es durch ihre Arbeit schaffen, ist und bleibt die Voraussetzung einer strukturell friedlichen Welt.
Die Linke kann es aber nicht bei dieser Feststellung belassen. Auch in der heutigen Zeit, bei den gegebenen Gesellschafts- und Machtstrukturen, müssen Antworten gegeben werden. Hier rückt eine eventuelle Beteiligung der Linken an einer Bundesregierung ins Blickfeld. Die Mainstreammedien und die Systemparteien SPD und Grüne sehen in der Bereitschaft der Linken, sich an Interventionskriegen zu beteiligen, die Voraussetzung für eine gemeinsame Regierung. Sollte es bei dieser Bedingung bleiben, dann kann es Rot-Rot-Grün nicht geben.
Das jahrelange Trommelfeuer hat zur Verunsicherung einiger Mandatsträger der Linken geführt und sie zu Äusserungen veranlasst, die zu Irritationen geführt haben. Obwohl das Verbot von Waffenexporten ein zentrales Versprechen des letzten Bundestagswahlkampfes war, forderten einige Mitglieder der Linken Waffenlieferungen an die Kurden, um den IS zu bekämpfen. Wer ein zentrales Wahlkampfversprechen kassiert, verhält sich wie die Systemparteien und trägt dazu bei, dass die Wahlenthaltung der Bevöl- kerung immer weiter anwächst.
Der entscheidende politische Fehler dieses Vorschlags besteht jedoch darin, dass die Forderung nach Waffenlieferungen an die Kurden bedeutet, sich der Kriegslogik des US-Imperialismus zu unterwerfen. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die US-Politik die Ölquellen im Kurdengebiet im Auge hat und durch die Destabilisierung des Nahen Ostens auf politische Strukturen hinarbeitet, die eine Ausbeutung dieser Ölvorkommen durch westliche Konzerne garantieren.
Von ähnlicher Qualität war der von einigen Mitgliedern der Partei Die Linke gemachte Versuch, die Forderung nach dem Ausscheiden Deutschlands aus der militärischen Infrastruktur der Nato, sprich der USA, aus dem Europawahlprogramm der Linken zu streichen. Diejenigen, die diesen Vorschlag gemacht hatten, übersahen, dass sie damit für die Beibehaltung einer US-Infrastruktur auf deutschem Boden sind, von der auch der Drohnenkrieg der USA mit vielen tausend Toten gesteuert wird.
Die Linke darf in den nächsten Jahren keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass die Voraussetzung ihrer Beteiligung an einer Bundesregierung eine Aussenpolitik ist, die sich der vom US-Imperialismus zu verantwortenden militärischen Eskalation entzieht.
Im Grundsatzprogramm fordert die Linke, die Umwandlung der Nato in ein kollekti- ves Verteidigungsbündnis unter Beteiligung Russlands. Das ist eine Absage an die einseitige Ost-Erweiterung der Nato, die einen Wortbruch des Westens darstellt und zur gegenwärtigen Ukraine-Krise geführt hat. Aus diesem, die Strukturen des Kalten Krieges überwindenden Sicherheitskonzept, das lange Jahre auch von der SPD vertreten wurde, ergeben sich folgende Forderungen:
1.    Die Russland-Politik Merkels muss durch eine Ost- und Entspannungspolitik abgelöst werden, die sich an der erfolgreichen Aussenpolitik Willy Brandts orientiert.
2.    Einer Aufnahme der Ukraine oder eines anderen Anrainerstaates Russlands in die Nato wird eine Bundesregierung, an der die Linke beteiligt ist, nicht zustimmen.
3.    Die Stationierung von Nato-Truppenverbänden an der Westgrenze Russlands lehnt eine Bundesregierung, an der die Linke beteiligt ist, ab.
Darüber hinaus bleibt es bei unseren Bedingungen. Die Bundeswehr darf sich an Kriegs­einsätzen im Ausland nicht beteiligen, und Waffenexporte in Spannungsgebiete werden sofort gestoppt.
Dieser Forderungskatalog kann selbstverständlich ergänzt werden. So muss der Aufbau eines Willy-Brandt-Korps zur Katastrophenhilfe und Krankheitsbekämpfung in Angriff genommen werden. Entscheidend bleibt, dass eine Regierungsbeteiligung der Linken an einer Bundesregierung nur dann vertretbar ist, wenn die deutsche Aussenpolitik nach den Fehlschlägen in Afghanistan, in der Ukraine und in Europa eine grundsätzliche Neuorientierung erfährt.    •

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