Interview mit Willy Wimmer* zur bevorstehenden Friedenskonferenz in Berlin
Zeit-Fragen: Das deutsche Magazin «Compact» veranstaltet am 22. November eine international besetzte Konferenz zum Thema «Frieden mit Russland». Sie, Herr Wimmer, sind ein langjähriger Sicherheitsexperte und -politiker mit sehr viel internationaler Erfahrung. Warum braucht es heute, fast 25 Jahre nach Ende des Kalten Krieges, eine Konferenz mit einem solchen Thema?
Willy Wimmer: Schon die Umstände, unter denen diese bedeutende Konferenz durchgeführt werden soll, sind verheerend. Wir denken, dass wir in einem freien Land leben, wo jeder nach seiner Façon selig werden und seine Meinung frei und ungehindert sagen kann. Die Konferenz, zu der fast 1000 Teilnehmer erwartet werden, hat fast «Samisdat-Charakter», weil nach den Erfahrungen aus dem Vorjahr in Leipzig damit gerechnet werden muss, dass «Meinungs-Terroristen» versuchen werden, diese Konferenz zu verhindern.
Genauso verheerend ist der Anlass für diese Konferenz. Das deutsche Volk will in Frieden und in Freiheit mit allen Staaten und Völkern an seinen Grenzen, in Europa und in der Welt leben. Wir wollen Handel und Wandel im wohlverstandenen Sinne. Die Russische Föderation und das russische Volk sehen das nicht anders. In Moskau lag der Schlüssel für die deutsche Wiedervereinigung, und Moskau hat uns diesen Schlüssel zu treuen Händen ausgehändigt. Seit der Rede des Herrn Bundespräsidenten Joachim Gauck auf der Münchner Sicherheitskonferenz weiss jeder in Deutschland, dass die Führung unseres Landes im Konzert mit der Nato und ihrer Führungsmacht, den USA, gegen Russland, seinen gewählten Präsidenten und die Russen ganz allgemein «blank ziehen» will. Wir stehen nicht nur vor den Scherben unserer
Politik, sondern sollen in einen neuen europäischen Grosskonflikt hineingetrieben werden.
Wie beurteilen Sie die heutige russische Politik im Hinblick auf die USA, die Nato und die EU?
Russland hat nach der deutschen Wiedervereinigung und dem temporären Ende der Teilung Europas sehen müssen, dass weder von einem «gemeinsamen Haus Europa» noch von einer angemessenen Berücksichtigung des räumlich grössten Landes der Erde die Rede sein kann. Es gibt bis heute einen «roten Faden» für die westliche Politik gegenüber Russland: entweder ausplündern lassen oder völlige Unterwerfung. Im Weigerungsfall wird Russland aus Europa hinausgeschmissen. Im Mai 2000 hat die berühmte Konferenz von Bratislava das in brutaler Weise deutlich gemacht. Die Vereinigten Staaten betrachten uns als «Europäer-Gebiet» und halten uns mit Hilfe der baltischen Staaten, Polens und der Ukraine unter Kontrolle, indem sie den ungehinderten Austausch mit der Russischen Föderation kappen. Washington macht keinen Hehl daraus, dass es bei den jüngst gegenüber Moskau beschlossenen Sanktionen darauf angekommen ist, die EU an den Haken zu bekommen. Jetzt bestimmt man bei sinkenden Wachstumsraten über unsere Wirtschaftspolitik mit.
Welche tieferen Ursachen haben die Politik der USA, der Nato und der EU gegen Russland und insbesondere gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin?
Die USA standen vor Jahrzehnten für eine andere Politik. Wenn allerdings der ehemalige amerikanische Präsident Jimmy Carter vor einigen Wochen sagte, dass die USA keine funktionsfähige Demokratie wären, weiss man doch eigentlich in Europa genug. Die USA haben unsere Region und unsere Nachbarschaft mit einer Blutspur überzogen. Früher galt einmal der Satz, nach dem «Demokratien keinen Krieg führen». Entweder sind die USA mit ihrer Nato-Bagage keine demokratische Macht mehr und die «Wertegemeinschaft» der Nato ist längst abgeschrieben, oder sie führen seit 1999 den Nachweis, dass es nur Demokratien sind, die den Krieg führen. Von Russland verlangen sie die bedingungslose Kapitulation, und seit Wilhelm II. und die gegen ihn und damit das deutsche Kaiserreich gerichtete angelsächsische Propagandawalze wissen wir Deutschen, wie das geht. Es mag in der Russischen Föderation Kräfte geben, die der Ansicht sind, sich gegen den frei gewählten Präsidenten wenden zu können, weil sie jemand anderes wollen. Frau Nuland hat als amerikanische Staatssekretärin bei dem berühmten Telefonat in Kiew deutlich gemacht, wie das geht. Den Austausch von Führungspersonal in Moskau nach eigenen Vorstellungen kann man sich abschminken. In der heutigen Verfassung sind die USA weder friedensfähig noch friedenswillig. Man muss sich nur die Gruppen ansehen, die gegen Präsident Putin, die Russen oder Russland losschlagen wollen.
Was bedeuten diese Entwicklungen für Ihr Land, für Deutschland?
Das sieht man doch an einem Umstand besonders gut. Es ist gute diplomatische Praxis, wenn der deutsche Bundespräsident nach seinem Amtsantritt unsere Nachbarn besucht. Ein Besuch in Moskau gehört dazu und gehört sich so. Er wäre zudem nicht unser Bundespräsident, wenn es Michael Gorbatschow und Helmut Kohl nicht gegeben hätte. Das ist aber nicht sein Privatvergnügen, das ist seine Pflicht. Wir wollen in Frieden und Freiheit mit den Russen leben und verlangen es von ihm. Fehlanzeige. Gaucks Agenda ist nicht die Agenda des deutschen Volkes, vielleicht die Agenda von jemand anders. Dann weiss man, wie es um Deutschland steht. Wer von einem Konflikt mit Russland träumt, der hat nicht meine Erfahrung mit einem konventionellen und nuklearen Konflikt in Europa im Rahmen einer Nato-Grossübung 1989 gemacht. In der Rolle als Verteidigungsminister in dieser Übung habe ich den damaligen Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl gebeten, die Übung zu verlassen. Dem ist der Bundeskanzler umgehend nachgekommen. Es gab in der Übung weder von Deutschland noch Europa etwas, was man hätte verteidigen können. Zudem machen die Zusatzprotokolle zu den Genfer Rotkreuz-Abkommen immer noch deutlich, dass auf deutschem Boden in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht Nuklearwaffen eingesetzt werden können, während das jenseits der französischen Grenze schon nicht mehr gilt (vgl. Kasten).
Was ist Ihrer Meinung nach notwendig, um den neuen Ost-West-Konflikt zu deeskalieren? Was sollte und was könnte insbesondere Deutschland tun?
Wir müssen den Kriegstreibern – auch in den Medien – das Handwerk legen; Bürgersinn zeigen, um nicht in der Verkrustung und Ohnmacht zu enden. Mehr Demokratie wagen, wie Willy Brandt es dereinst postuliert hat.
a. Es muss politisch innegehalten werden, und das gemeinsame Haus Europa und der transatlantische Bogen müssen mit Leben erfüllt werden.
b. Wir haben noch die Erinnerung an die besten diplomatischen Werkzeuge, um mit allen offenen Fragen oder Krisen fertig werden zu können. Nutzen wir sie.
c. Jeden Rüstungswettlauf oder die Vergemeinschaftung unserer Streitkräfte verhindern, weil dann Fremde unsere Töchter und Söhne in den Tod schicken.
Herr Wimmer, vielen Dank für das Gespräch. •
(Interview Eva-Maria Föllmer-Müller und Karl Müller)
* Willy Wimmer war Bundestagsabgeordneter der CDU von 1976 bis 2009, verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Staatssekretär im deutschen Bundesverteidigungsministerium und Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der OSZE. 2014 erschien das von ihm gemeinsam mit Wolfgang Effenberger verfasste Buch «Wiederkehr der Hasardeure: Schattenstrategen, Kriegstreiber, stille Profiteure 1914 und heute»,
ISBN 978-3943007077.
Quelle:http://www.zeit-fragen.ch/index.php?id=1943
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