Ungeheuerlich und empörend
von
Noam Chomsky
1.
August 2014
Zweierlei Maß
Fast jeder Tag bringt neue Nachrichten
von fürchterlichen Verbrechen, aber einige sind derartig
abscheulich, grauenhaft und bösartig, dass sie alles andere in den
Schatten stellen. Einer dieser seltenen Vorfälle ereignete sich am
17. Juli, als Malaysian Airlines MH17 im Osten der Ukraine
abgeschossen und 298 Menschen getötet wurden.
Der Tugendwächter im Weißen Haus
brandmarkte dies als eine „Gräueltat unvorstellbaren Ausmaßes“,
die er „russischer Unterstützung“ zuschrieb. Seine
UN-Botschafterin donnerte: „Wenn 298 Zivilisten beim entsetzlichen
Abschuß eines Verkehrsflugzeugs getötet werden, dürfen wir uns bei
der Suche nach dem Verantwortlichen durch nichts aufhalten lassen und
ihn seiner gerechten Strafe zuführen“. Darüber hinaus forderte
sie Putin auf, die schamlosen Bemühungen zu beenden, seine
eindeutige Verantwortung von sich zu weisen.
Wahr ist, dass „der irritierende
kleine Mann“ mit dem „rattenhaften Gesicht“ (Timothy Garton
Ash, britischer Historiker) eine unabhängige Untersuchung gefordert
hatte, aber dies natürlich nur wegen der Sanktionen, die die USA
verhängt hatten - das einzige Land, das dazu den Mut gehabt hatte,
während die Europäer sich ängstlich wegduckten.
Auf CNN versicherte der frühere
Botschafter in der Ukraine, William Taylor, der Welt, dass der
irritierende kleine Mann „eindeutig verantwortlich für den Abschuß
dieses Fluzeugs“ sei. Wochenlang wurde in Titelgeschichten über
den Kummer der Familien berichtet, das Leben der ermordeten Opfer,
die internationalen Bemühungen, an die Leichen heranzukommen, die
Wut über das entsetzliche Verbrechen, das „die Welt schockiert“,
wie die Medien in grausigen Details berichteten.
Jedem informierten Menschen, und ganz
gewiß jedem Redakteur und Kommentator, fiel sofort jenes andere
Ereignis ein, als ein Flugzeug mit einem vergleichbaren Verlust an
Leben abgeschossen wurde: Iran Air 655 mit 290 Toten, darunter
66 Kinder, die in iranischem Luftraum auf einer eindeutig
identifizierten kommerziellen Flugroute zum Absturz gebracht wurde.
Dieses Verbrechen wurde weder mit „amerikanischer Unterstützung“
begangen, noch war sein Urheber je ungewiß. Es war der
Lenkwaffenkreuzer USS Vincennes, der im Persischen Golf in
iranischen Gewässern operierte.
Der Kapitän eines in der Nähe
kreuzenden US-Schiffs, David Carlson, schrieb in „U.S. Naval
Proceedings“, dass er „es kaum glauben konnte“, als „die
Vincennes ihre Absicht bekundete“, ein eindeutig ziviles Flugzeug
anzugreifen. Er vermutete, dass der Lenkwaffenkreuzer - „Robo
Cruiser“, wie die Vincennes wegen ihres aggressiven Verhaltens
genannt wurde -, „das Bedürfnis hatte, die Funktionstüchtigkeit
von Aegis (dem hochentwickelten Flugabwehr-system des Kreuzers) im
Persischen Golf zu beweisen und dass sie sich nach einer Gelegenheit
sehnten, ihr Zeug zu demonstrieren“.
Zwei Jahre
später wurde dem Kapitän der Vincennes und dem für die Luftabwehr
verantwortlichen Offizier ein Orden [Legion of Merit award]
verliehen für „die außerordentlich verdienstvolle
Ausführung eines hervorragenden Dienstes“ [in the performance of
outstanding service] und
für die „besonnene und professionelle Atmosphäre“ bei der
Zerstörung des iranischen Airbus, der in der Auszeichnung nicht
erwähnt wurde.
Präsident
Ronald Reagan beschuldigte die Iraner und verteidigte
die Aktion des Kriegsschiffs, das „bestehende Anordnungen und breit
veröffentlichte Verfahrensweisen“ befolgt habe. Sein Nachfolger,
Bush I., erklärte: „Ich werde mich niemals für die Vereinigten
Staaten ent-schuldigen – die Fakten sind mir egal....Ich bin kein
Entschuldigt-bitte-Amerika-Typ“.
Kein Abstreiten
der Verantwortung hier, wie bei den Barbaren im Osten.
Es gab
seinerzeit kaum Reaktionen: keine Empörung, keine verzweifelte Suche
nach den Opfern, keine leidenschaftliche Anprangerung der
Verantwortlichen, keine eloquenten Klagen des US-Botschafters bei der
UNO über den „unermeßlichen und herzzerreißenden Verlust“, als
das Flugzeug abgeschossen wurde. Iranische Verurteilungen wurden
gelegentlich registriert, aber als „die üblichen Angriffe auf die
Vereinigten Staaten“ (Philip Shenon, New York Times) abgetan.
Kein Wunder also, dass dieses
unbedeutende frühere Ereignis den amerikanischen Medien jetzt nur
hie und da eine Erwähnung wert war während des gewaltigen Aufruhrs
wegen eines wirklichen Verbrechens, in das der teuflische Feind
möglicherweise indirekt verwickelt war.
Eine Ausnahme gab es in der Londoner
Daily Mail, wo Dominick Lawson schrieb, daß - obwohl “Putins
Apologeten” den Angriff auf das iranische Flugzeug anführen
könnten -, der Vergleich eher unsere hohen moralischen Werte zeige
im Gegensatz zu den erbärmlichen Russen, die ihre Verantwortung für
MH 17 zu leugnen versuchen, während Washington sofort erklärt habe,
dass das US-Kriegsschiff das iranische Flugzeug – zu Recht -
abgeschossen habe. Kann es einen überzeugenderen Beweis für unseren
Edelmut und ihre Verworfenheit geben?
Wir wissen, warum Ukrainer und Russen
sich in ihren Ländern befinden, aber man könnte sich die Frage
stellen, was genau die Vincennes in iranischen Gewässern verloren
hatte. Die Antwort ist ganz einfach. Sie verteidigte Washingtons
engen Freund Saddam Hussain bei seiner mörderischen
Aggression gegen Iran. Für die Opfer war der Abschuß durchaus keine
kleine Angelegenheit. Er war ein wesentlicher Anstoß zur Einsicht
der Iraner, dass man nicht länger kämpfen könne, so der Historiker
Dilip Hiro.
Es lohnt sich, an das Ausmaß von
Washingtons Zuneigung für Freund Saddam zu erinnern.
Reagan strich ihn von der Terrorliste,
so dass ihm Hilfe zuteil werden konnte, um seinen Angriff auf Iran zu
intensivieren, und später leugnete er, Reagan, dessen fürchterliche
Verbrechen an den Kurden, einschließlich des Einsatzes von
chemischen Waffen, und blockierte die Verurteilung durch den Kongreß.
Er gewährte Saddam auch ein Privileg, das ansonsten nur Israel
zugestanden wurde: es gab keine ernsthafte Reaktion, als Irak die USS
Stark mit Raketen angriff, wobei 37 Besatzungsmitglieder umkamen,
ganz ähnlich wie im Fall der USS Liberty, die 1967 wiederholt
von israelischen Kampfjets angegriffen wurde, was 34 Opfer zur Folge
hatte.
Reagans Nachfolger, George
Bush I., setzte die Hilfe für Saddam fort, die dieser
nach dem Krieg gegen Iran, den er angezettelt hatte, dringend
benötigte. Bush lud auch irakische Atom-Ingenieure in die USA ein
zur Fortbildung in der Waffenproduktion. Im April 1990 entsandte Bush
eine hochrangige Senatsdelegation, die vom späteren republikanischen
Präsidentschafts-kandidaten Bob Dole geleitet wurde, um seinem
Freund Saddam die wärmsten Grüße zu übermitteln und ihm zu
versichern, dass er die unverantwortliche Kritik in der „arroganten
und verwöhnten amerikanischen Presse“ ignorieren solle und dass
derartige Übeltäter bei Voice of America entlassen worden
seien. Die Schmeicheleien gegenüber Saddam gingen weiter, bis er
sich einige Monate später in Hitler verwandelte, weil er Befehle
missachtete, oder sie vielleicht missverstand, und in Kuweit
einmarschierte – mit aufschlussreichen Konsequenzen, die nochmals
zu bedenken sich lohnt, auf die ich allerdings hier nicht eingehen
kann.
Andere Fälle waren schon längst als
bedeutungslos dem Gedächtnis entschwunden. Ein Beispiel ist das
libysche Verkehrsflugzeug, das 1973 in einem Sandsturm
verschwand, nachdem es von israelischen Kampfflugzeugen aus
amerikanischer Produktion abgeschossen worden war, zwei Flugminuten
von Kairo entfernt, wohin es unterwegs war. Es waren in diesem Fall
nur 110 Opfer zu verzeichnen. Israel beschuldigte den französischen
Piloten und wurde von der New York Times unterstützt, die
hinzufügte, die israelische Tat sei „im schlimmsten Fall...eine
Rücksichtslosigkeit, die noch nicht einmal mit der Barbarei
vorheriger arabischer Untaten gerechtfertigt werden kann“. Der
Zwischenfall wurde in den Vereinigten Staaten ohne sonderliche Kritik
rasch in Schweigen gehüllt. Als die israelische Minister-
präsidentin Golda Meir vier Tage später in den USA empfangen wurde,
hatte sie nur wenige peinliche Fragen zu gewärtigen und kehrte mit
dem Geschenk zusätzlicher Militärflugzeuge nach Hause zurück.
Die Reaktion war weitgehend die
gleiche, als - neben anderen Beispielen - Washingtons bevorzugte
angolanische Terrororganisation UNITA etwa zur gleichen Zeit
den Abschuß zweier Zivilflugzeuge meldete.
Wenden wir uns wieder dem eigentlichen
und wahrhaftig horrenden Verbrechen zu. Die New York Times
berichtete, daß die amerikanische UN-Botschafterin Samantha
Power „aus der Fassung geriet, als sie von den Kindern sprach, die
beim Absturz des malaysischen Flugzeugs in der Ukraine umkamen, [und]
der holländische Außenminister, Frans Timmermans, kaum seinen Ärger
unterdrücken konnte, als er die Bilder von ‚Strolchen’ in
Erinnerung rief, die Opfern die Eheringe von den Fingern zogen“.
Bei derselben Sitzung [des
Sicherheitsrats], fährt der Bericht fort, habe es „eine lange
Auf-zählung von Namen und Alter palästinensischer Kinder gegeben,
die bei der jüngsten israe-lischen Gaza-Offensive getötet wurden“.
Die einzige Reaktion, die erwähnt wurde, war die des
palästinensischen Gesandten Riyad Mansour, der während der
Aufzählung „ganz still wurde“.
Der israelische Angriff auf Gaza
im Juli
rief jedoch Empörung in Washington
hervor. Präsident Obama „wiederholte seine ‚scharfe
Verurteilung’ von Raketen- und Tunnelangriffen der militanten
Gruppe der Hamas auf Israel“, wie das Weiße Haus verkündete.
Obama „brachte auch seine >wachsende
Sorge< zum Ausdruck wegen der steigenden Zahl ziviler
palästinensischer Opfer in Gaza“, aber nicht , dass er sie
verurteilte. Der Senat füllte diese Lücke, indem er das israelische
Vorgehen in Gaza einstimmig unterstützte, und zugleich „die
unprovozierten Raketenangriffe [von Hamas] auf Israel“ verurteilte
und „den Präsidenten der palästinensischen Autonomiebehörde,
Mahmoud Abbas,“ aufrief, „die Einheitsregierung mit der Hamas
aufzulösen und die Angriffe auf Israel zu verurteilen“.
Was den Kongress betrifft, sollten wir
uns vielleicht den 80 Prozent der [amerikanischen] Bevölkerung
anschließen, die sein Verhalten missbilligen, obwohl das Wort
„missbilligen“ in diesem Fall eher zu schwach ist. Aber zu Obamas
Verteidigung: möglicherweise hat er keine Ahnung, was Israel in Gaza
treibt mit den Waffen, die er ihm freundlicherweise liefert.
Schließlich muß er sich auf den amerikanischen Geheimdienst
verlassen, der möglicherweise zu beschäftigt ist mit dem Sammeln
von Telefonaten und E-Mail-Nachrichten der Bürger, als dass er sich
groß mit derartigen Marginalien abgibt.
Es könnte daher sinnvoll sein, sich
dessen zu vergewissern, was wir alle wissen sollten.
Israels Ziel war lange ein ganz
einfaches: „Ruhe für Ruhe“, eine Rückkehr zur Normalität
(obwohl es jetzt möglicherweise noch mehr verlangt). Was aber ist
die Normalität?
Die Normalität im Westjordanland
besteht darin, dass Israel seinen
illegalen Bau von Siedlungen und Infrastruktur fortsetzt, um sich,
was immer ihm wertvoll erscheint, einzuverleiben, während es den
Palästinensern nicht lebensfähige Kantone zuweist und sie einer
intensiven Unterdrückung und Gewalt unterwirft.
Seit 14 Jahren ist es Normalität, dass
Israel jede Woche zwei palästinensische Kinder tötet. Der jüngste
israelische Amoklauf wurde durch den brutalen Mord an drei
israelischen Jungen aus einer Siedlergemeinde im Westjordanland
ausgelöst. Einen Monat zuvor waren zwei palästinensische Jungen im
Westjordanland erschossen worden. Dies rief keine Aufmerk-samkeit
hervor, was verständlich ist, weil es [Besatzungs-]Alltag ist. „Die
institutionalisierte Missachtung des palästinensischen Lebens im
Westen hilft, nicht nur den Rückgriff der Palästinenser auf Gewalt
zu begreifen“, berichtet der geachtete Nahost-Analytiker Mouin
Rabbani, „sondern auch Israels jüngsten Angriff auf den
Gazastreifen“.
„Ruhe für Ruhe“ hat Israel auch
ermöglicht, sein Programm der Trennung Gazas vom Westjordanland
umzusetzen. Dieses Programm ist rigoros vorangetrieben worden, immer
mit amerikanischer Hilfe, seit die USA und Israel die
Oslo-Vereinbarungen akzeptierten, in denen die zwei Landesteile zu
einer untrennbaren territorialen Einheit erklärt wurden.
Ein Blick auf die Karte erklärt das
Grundprinzip. Gaza stellt Palästinas einzigen Zugang zur Außenwelt
dar. Sind die zwei Teile also getrennt, würde jede Form der
Autonomie, die Israel den Palästinensern im Westjordanland
zugestehen könnte, sie effektiv einsperren zwischen feindlichen
Staaten: Israel und Jordanien. Die Einsperrung wird umso schlimmer,
als Israel sein Programm der systematischen Vertreibung der
Palästinenser aus dem Jordan-Tal und des Baus von israelischen
Siedlungen dort fortsetzt, während es sich der „Ruhe für Ruhe“
erfreut.
Die Normalität in Gaza
wurde detailliert vom heroischen
norwegischen Unfallchirurgen Mads Gilbert beschrieben,
der [in früheren Jahren] während Israels grausamster Verbrechen in
Gazas Haupt-Kranken-haus gearbeitet hatte und anlässlich des
gegenwärtigen Gemetzels zurückkehrte. Im Juni 2014 übermittelte er
einen Bericht über den Gaza-Gesundheitssektor an UNWRA, die
UNO-Organisation, die sich ohne nennenswerte Finanzmittel verzweifelt
um die Flüchtlinge kümmert.
„Mindestens 57% der Haushalte in Gaza
verfügen nicht über ausreichend Lebensmittel und etwa 80% sind von
Hilfslieferungen abhängig“, so Gilbert. „Nahrungsmittelmangel
und zunehmende Armut bedeuten auch, dass die meisten Menschen nicht
ihren täglichen Kalorienbedarf decken können. Gleichzeitig wird
über 90% des Wassers als ungeeignet für den menschlichen Konsum
eingestuft“, eine Situation, die sich noch verschlimmert, weil
Israel wieder die Wasser- und Abwassersysteme angreift, was für über
eine Million Menschen noch gravierendere Störungen der grundlegenden
Lebensvoraussetzungen zur Folge hat.
Gilbert berichtet, dass
„palästinensische Kinder fürchterlich leiden. Ein großer Teil
von ihnen ist von menschengemachter Mangelernährung betroffen, die
durch Israels Blockade verur-sacht wird. Die Verbreitung von Anämie
bei Kindern unter 2 Jahren beträgt 72,8 Prozent, während die
Verbreitung von Schwindsucht, Unterentwicklung, Untergewicht bei
34,3, 31,4 und 31,45 Prozent liegt.“ Und der Bericht wird
fortschreitend immer schlimmer.
Der angesehene Menschenrechtsanwalt
Raji Sourani, der seit Jahren brutalen israelischen
Terrors in Gaza ausharrt, berichtet: „Der übliche Satz, den ich zu
hören bekam, wenn die Leute über eine Waffenruhe sprachen, lautet:
Es ist für uns alle besser zu sterben, als zu der Situation
zurückzukehren, die wir vor diesem Krieg hatten. Das wollen wir
nicht wieder. Wir haben keine Würde, keinen Stolz; wir sind bloß
„weiche Ziele“ und wertlos. Entweder verbessert sich diese
Situation wirklich, oder es ist besser, einfach zu sterben. Ich
spreche von Intellektuellen, Akademikern, von normalen Leuten: alle
sagen das.“
Dieser Gedanken ist in Gaza allgemein
zu hören: es ist besser, würdevoll zu sterben, als langsam vom
Folterer stranguliert zu werden.
Rückzug aus dem Gazastreifen 2005
Die Pläne für diese Normalität in
Gaza wurden unumwunden von Dov Weissglass, einem
Vertrauten von Ariel Sharon erläutert, der den Rückzug
israelischer Siedler aus dem Gaza-streifen 2005 verhandelte. Dieser
Rückzug, der in Israel und von seinen Anhängern und Irregeleiteten
anderswo als großzügige Geste bejubelt wurde, war in Wirklichkeit
ein sorg-fältig inszeniertes „nationales Trauma“, das von
informierten israelischen Kommentatoren entsprechend lächerlich
gemacht wurde, unter ihnen der führende, mittlerweile verstorbene
israelische Soziologe Baruch Kimmerling.
Tatsächlich erkannten israelische
Falken, angeführt von Sharon, dass es durchaus Sinn mach-te, die
völkerrechtswidrigen Siedler aus ihren subventionierten Gemeinden im
zugrunde ge-richteten Gazastreifen, wo sie zu ausufernden Kosten
ausgehalten wurden, in subventionierte Siedlungen in den anderen
besetzten Gebieten, die Israel zu behalten gedenkt, zu
transferie-ren. Aber anstatt sie einfach umzusiedeln, was leicht zu
bewältigen gewesen wäre, machte es ganz klar mehr Sinn, der Welt
Bilder von kleinen Kindern zu präsentieren, die Soldaten anflehten,
nicht ihre Häuser zu zerstören, inmitten von „Nie-wieder“-Rufen,
mit der unvermeidlichen [Holocaust-]Assoziation. Was diese Farce noch
durchschaubarer machte, war die Wiederholung des inszenierten Traumas
von 1982, als Israel den ägyptischen Sinai räumen musste. Aber sie
war sehr wirkungsvoll für das anvisierte Publikum zu Hause und im
Ausland.
Weissglass
lieferte seine eigene Sicht des Siedlertransfers: „Mit den
Amerikanern habe ich mich klipp und klar darauf geeinigt, dass über
die größeren Siedlungsblöcke des Westjordan-landes überhaupt
nicht verhandelt wird, und über den Rest wird verhandelt, wenn die
Palästinenser zu Finnen geworden sind“ – aber zu einer
speziellen Sorte von Finnen, die die Herrschaft einer fremden Macht
hinnehmen würde. „Die Bedeutung [dieser Vereinbarung] besteht im
Einfrieren des politischen Prozesses“, fuhr Weisglass fort. „Und
solange er eingefroren ist, kommt es nicht zur Bildung eines
palästinensischen Staates und auch nicht zu einer Diskussion über
die Flüchtlinge, die Grenzen und Jerusalem. Kurz, das ganze Paket
namens „Palästinensischer Staat“ - mit allem was dazugehört -
ist für unbegrenzte Zeit von der Tagesordnung. Und all dies mit der
Autorität und der Erlaubnis des amerikanischen Präsidenten [George
W. Bush] und der Absegnung durch beide Häuser des [amerikanischen]
Kongresses.“
Weissglass
erläuterte weiter, dass die Gaza-Bewohner „auf Diät“ bleiben
sollten, „aber so, dass sie nicht Hungers sterben müssen“ –
was Israels verblassender Reputation nicht helfen würde. Mit ihrer
vielgepriesenen technischen Effizienz bestimmten israelische Experten
ganz genau, wie viele Kalorien pro Tag die Menschen in Gaza zum
nackten Überleben benötigen.
Gleichzeitig
wurden ihnen Arznei- und andere Mittel für ein anständiges Leben
vorenthalten. Das israelische Militär sperrte sie – so ganz
richtig der britische Premierminister David Cameron –
in ein Gefangenenlager, das von Land, Luft und See her verschlossen
ist. Der israelische Rückzug ließ Israel die totale Kontrolle über
Gaza, folglich bleibt Israel gemäß Völkerrecht Besatzungsmacht.
Und um die Gefängnismauern noch undurchdringlicher zu machen,
versperrte Israel den Palästinensern einen breiten Streifen längs
der Grenze, der ein Drittel des knappen nutzbaren Bodens umfasst. Die
Rechtfertigung dafür ist Israels Sicherheit, die genauso erreicht
werden könnte durch die Errichtung dieser Sicherheitszone auf der
israelischen Seite der Grenze, oder noch besser: durch die Beendigung
der barbarischen Besatzung und anderer Strafmaßnahmen.
Die offizielle
Version lautet, dass die Palästinenser, nachdem Israel ihnen
huldvoll Gaza über-geben habe, in der Hoffnung, dass sie ein
blühendes Gemeinwesen errichten würden, ihre wahre Natur zeigten,
indem sie Israel unaufhörlichen Raketenangriffen aussetzten und die
eingesperrte Bevölkerung zwangen, Märtyrer zu werden, nur um Israel
in ein schlechtes Licht zu rücken.
Die Wirklichkeit
sieht allerdings ziemlich anders aus.
Wahlsieg der Hamas in den besetzten Gebieten 2006
Wenige Wochen
nach dem Truppenrückzug, der – wie gesagt - die Besatzung
keineswegs beendete, begingen die Palästinenser ein schweres
Verbrechen. Im Januar 2006 wählten sie bei einer sorgfältig
überwachten Wahl „falsch“ und bescherten der Hamas die Mehrheit
im Parlament. Die Medien werden nicht müde zu betonen, dass die
Hamas sich zum Ziel gesetzt hat, Israel zu zerstören. In
Wirklichkeit haben ihre Führer wiederholt und explizit klargestellt,
dass Hamas eine Zwei-Staaten-Lösung gemäß dem internationalen
Konsens akzeptiert, der seit 40 Jahren von den USA und Israel
unterlaufen wird. Im Gegensatz dazu hat Israel – abge-sehen von
gelegentlichen bedeutungslosen Worten - sich zum Ziel gesetzt,
Palästina zu zerstören, und dieses Ziel verfolgt es beharrlich.
Es ist wahr,
Israel hat die von Präsident Bush initiierte Road Map akzeptiert,
die zur Zwei-Staaten-Lösung führen sollte. Sie wurde vom
[Nahost-]Quartett - USA, EU, UNO und Ruß-land – übernommen, das
die Aufsicht über ihre Realisierung übernahm. Aber bei der Annah-me
der Road Map fügte Premierminister Sharon ihr 14 Einschränkungen
hinzu, die sie prak-tisch aufhoben. Diese Fakten waren Aktivisten
bekannt, aber einer breiteren Öffentlichkeit wurden sie erst durch
Jimmy Carters Buch „Palästina: Frieden, nicht Apartheid“
enthüllt. In Medien-Bericht-erstattung und Kommentaren werden sie
weitgehend totgeschwiegen.
Das seit 1999
unveränderte Programm von Israels regierender Partei, Netanyahus
Likud, „lehnt die Errichtung eines palästinensischen
arabischen Staates westlich des Jordans entschieden ab“. Und für
diejenigen, die zwanghaft auf bedeutungslosen Chartas herumreiten:
der Kern des Likud, Menahem Begins Cherut-Partei, muß sich
immer noch von ihrer Gründungsdoktrin verabschieden, nämlich dass
das Territorium auf beiden Seiten [!] des Jordans Teil des Landes
Israel ist.
Das „Verbrechen“
der Palästinenser vom Januar 2006 wurde sofort bestraft. Die USA und
Israel, Europa schändlicherweise im Schlepptau, verhängten harte
Sanktionen gegen die irregeleitete Bevölkerung, und Israel
verschärfte seine Gewaltpolitik. Bis zum Juni [2006], als die
Angriffe eskalierten, hatte Israel bereits mehr als 7700 (155 mm)
Granaten auf den Norden des Gazastreifens abgeschossen.
Geplanter Militärputsch gegen die gewählte Hamas 2007
Die USA und
Israel entwickelten rasch Pläne für einen Militärputsch, um die
gewählte Regie-rung zu stürzen. Als die Hamas die Frechheit besaß,
diese Pläne zu vereiteln, wurden die isra-elischen Angriffe und die
Belagerung erheblich intensiviert. Gerechtfertigt wurde dies mit der
Behauptung, dass Hamas den Gazastreifen gewaltsam übernommen habe –
was nicht gänzlich falsch ist. Allerdings wird dabei die
entscheidende Tatsache [des geplanten Putsches] unterschlagen.
Es erübrigt
sich wohl, die schauerliche Bilanz der Ereignisse noch einmal Revue
passieren zu lassen. Die erbarmungslose Belagerung und die
barbarischen Angriffe werden unterbrochen durch Phasen des
„Rasenmähens“, um Israels neckischen Ausdruck für seine
periodischen Übungen im „Fische-imTeich-Schießen“ zu verwenden,
während des von ihm so genannten „Verteidigungskriegs“. Sobald
der Rasen gemäht ist und die verzweifelte Bevölkerung sich
irgendwie von der Verwüstung und den Morden zu erholen versucht,
gibt es einen Waffen-stillstand. Solche Waffenstillstände wurden,
wie Israel selber zugibt, von der Hamas regelmäßig eingehalten, bis
Israel sie mit erneuter Gewalt verletzte.
Der jüngste Waffenstillstand
wurde nach Israels Angriff im
November 2012 geschlossen.
Obwohl die Besatzungsmacht ihre verheerende Belagerung aufrecht
erhielt, hielt sich Hamas an die vereinbarte Waffenruhe, wie
israelische Offizielle zugeben. Die Situation änderte sich im Juni,
als Fatah und Hamas ein Einheitsabkommen beschlossen, das zur Bildung
einer neuen Regierung von Technokraten ohne [personelle] Beteiligung
von Hamas führte und sämtlichen Forderungen des Nahost-Quartetts
nachkam. [1]
Israel war natürlich
erbost, um so mehr, als sogar die USA ihre Zustimmung signalisierten.
Das Einheitsabkommen unterlief nicht nur Israels Behauptung, es könne
nicht mit einem gespaltenen Palästina verhandeln, sondern stellte
auch Israels langfristiges Ziel in Frage, Gaza vom Westjordanland zu
trennen und seine destruktive Politik in beiden Regionen
fortzusetzen.
Israels
achtzehntägiger Amoklauf im Westjordanland
Irgendwas musste geschehen, und eine Gelegenheit dazu bot sich kurz darauf, als die drei israelischen „Jungen“ im Westjordanland umgebracht wurden. Die Netanyahu-Regierung wusste zwar sofort, dass sie tot waren, gab dies aber nicht zu, was Anlaß für einen Amoklauf lieferte, der auf Hamas abzielte. Netanyahu behauptete, über sicheres Wissen zu verfügen, dass Hamas verantwortlich sei. Auch dies war eine Lüge, die schon frühzeitig als solche erkannt wurde. Es gab nicht einmal die Vortäuschung eines Beweises. Einer von Israels führenden Hamas-Experten, Shlomi Eldar, berichtete fast sofort, dass die Mörder vermutlich einem dissidenten Clan in Hebron entstammen, der lange schon ein Stachel im Fleisch der Hamas ist. Eldar fügte hinzu: „Ich bin mir sicher, dass sie kein grünes Licht von der Führung der Hamas bekommen haben. Sie dachten halt, dass die Zeit zu handeln gekommen sei.“ Die israelische Polizei sucht seither nach zwei Mitgliedern des Clans, und behauptet immer noch - ohne Beweis -, es seien „Hamas-Terroristen“.
Irgendwas musste geschehen, und eine Gelegenheit dazu bot sich kurz darauf, als die drei israelischen „Jungen“ im Westjordanland umgebracht wurden. Die Netanyahu-Regierung wusste zwar sofort, dass sie tot waren, gab dies aber nicht zu, was Anlaß für einen Amoklauf lieferte, der auf Hamas abzielte. Netanyahu behauptete, über sicheres Wissen zu verfügen, dass Hamas verantwortlich sei. Auch dies war eine Lüge, die schon frühzeitig als solche erkannt wurde. Es gab nicht einmal die Vortäuschung eines Beweises. Einer von Israels führenden Hamas-Experten, Shlomi Eldar, berichtete fast sofort, dass die Mörder vermutlich einem dissidenten Clan in Hebron entstammen, der lange schon ein Stachel im Fleisch der Hamas ist. Eldar fügte hinzu: „Ich bin mir sicher, dass sie kein grünes Licht von der Führung der Hamas bekommen haben. Sie dachten halt, dass die Zeit zu handeln gekommen sei.“ Die israelische Polizei sucht seither nach zwei Mitgliedern des Clans, und behauptet immer noch - ohne Beweis -, es seien „Hamas-Terroristen“.
Mit dem
18-tägigen Amoklauf gelang es indes, die gefürchtete
Einheitsregierung zu unter-minieren und die israelische Repression zu
verschärfen. Nach Angaben des israelischen Militärs nahmen
israelische Soldaten 419 Palästinenser fest, darunter 335
Hamas-Angehörige, und töteten sechs Palästinenser. Darüber hinaus
durchsuchten sie Tausende Objekte und konfiszierten Bargeld und
Eigentum im Werte von 3 Millionen Dollar [2]. In
Gaza wurden Dutzende Angriffe durchgeführt, wobei allein am 7. Juli
5 Hamas-Mitglieder ermordet wurden.
Der Angriff
auf den Gaza-Streifen: Operation “Protective Edge”
Schließlich reagierte Hamas mit den ersten Raketen seit 19 Monaten - so offizielle israelische Stellen -, die Israel den Vorwand lieferten für Operation Protective Edge [etwa „Schützende Front“] am 8. Juli.Es gab Berichte im Überfluß von den Heldentaten der selbsternannten „moralischsten Armee der Welt“, die - so der israelische Botschafter in den USA - den Friedensnobelpreis verdient hätte. Bis Ende Juli waren etwa 1500 Palästinenser umgebracht worden, was die Opferzahl der „Geschmolzenes Blei“-Verbrechen [2008/9] überstieg. 70 % davon waren Zivilisten, darunter Hunder-te Frauen und Kinder. Und 3 Zivilisten in Israel. Weite Bereiche des Gazastreifens liegen in Trümmern. Während kurzer Bombardierungspausen suchen Angehörige verzweifelt zerfetzte Leichen oder Haushaltsgegenstände in den Ruinen ihrer Häuser. Das Hauptkraftwerk wurde angegriffen – nicht zum ersten Mal, das ist eine israelische Spezialität -, was die ohnehin eingeschränkte Stromzufuhr radikal drosselte und, schlimmer noch, die minimale Verfügbarkeit von Trinkwasser noch einmal verringerte. Ein weiteres Kriegsverbrechen. Währenddessen wurden Rettungsmannschaften und Kranken-wagen wiederholt angegriffen. Obwohl die Gräueltaten überall im Gazastreifen zunahmen, behauptete Israel, sein Ziel sei die Zerstörung der Tunnel an der Grenze.
Schließlich reagierte Hamas mit den ersten Raketen seit 19 Monaten - so offizielle israelische Stellen -, die Israel den Vorwand lieferten für Operation Protective Edge [etwa „Schützende Front“] am 8. Juli.Es gab Berichte im Überfluß von den Heldentaten der selbsternannten „moralischsten Armee der Welt“, die - so der israelische Botschafter in den USA - den Friedensnobelpreis verdient hätte. Bis Ende Juli waren etwa 1500 Palästinenser umgebracht worden, was die Opferzahl der „Geschmolzenes Blei“-Verbrechen [2008/9] überstieg. 70 % davon waren Zivilisten, darunter Hunder-te Frauen und Kinder. Und 3 Zivilisten in Israel. Weite Bereiche des Gazastreifens liegen in Trümmern. Während kurzer Bombardierungspausen suchen Angehörige verzweifelt zerfetzte Leichen oder Haushaltsgegenstände in den Ruinen ihrer Häuser. Das Hauptkraftwerk wurde angegriffen – nicht zum ersten Mal, das ist eine israelische Spezialität -, was die ohnehin eingeschränkte Stromzufuhr radikal drosselte und, schlimmer noch, die minimale Verfügbarkeit von Trinkwasser noch einmal verringerte. Ein weiteres Kriegsverbrechen. Währenddessen wurden Rettungsmannschaften und Kranken-wagen wiederholt angegriffen. Obwohl die Gräueltaten überall im Gazastreifen zunahmen, behauptete Israel, sein Ziel sei die Zerstörung der Tunnel an der Grenze.
Vier
Krankenhäuser wurden angegriffen, jeweils ein weiteres
Kriegsverbrechen. Das erste war das Al-Wafa-Rehabilitationszentrum in
Gaza-Stadt, das am Tag, als die Bodentruppen in das Gefängnis Gaza
eindrangen, attackiert wurde. Ein paar Zeilen in der New York Times,
in einer Reportage über den Beginn der Bodenoffensive, berichteten,
„dass die meisten, aber nicht alle 17 Patienten und Ärzte und
Pflegekräfte evakuiert wurden, bevor der Strom ausfiel und schwere
Bombardierungen das Gebäude weitgehend zerstörten. Ärzte
erzählten: „Wir haben sie unter Beschuß evakuiert.“ Und Dr. Ali
Abu Ryala, ein Krankenhaussprecher: „Krankenschwestern und Ärzte
mussten die Patienten auf ihrem Rücken hinaustragen, einige fielen
die Treppen hinunter. Es herrschte eine beispiellose Panik im
Krankenhaus.“
Dann wurden drei
Krankenhäuser, die noch in Betrieb waren, angegriffen, Patienten und
Personal waren bei der Flucht sich selbst überlassen. Ein
israelisches Verbrechen wurde allgemein verurteilt: der Angriff auf
eine UNO-Schule, die 3300 verängstigte Flüchtlinge aufgenommen
hatte, die auf Befehl der israelischen Armee den Ruinen ihrer
Wohnviertel entflohen waren. Der empörte UNWRA-General-Kommissar
Pierre Kraehenbuehl meinte: „Ich verurteile diese schwere
Verletzung des Völkerrechts durch israelische Streitkräfte auf das
Schärfste....Die Welt steht heute beschämt da.“ Es gab mindestens
drei Angriffe auf den UN-Schutzraum, der den Israelis wohlbekannt
war. „Die präzise Lokalisierung der Jabalia- Grundschule für
Mädchen und die Tatsache, dass Tausende Flüchtlinge dort
Unterschlupf gefunden hatten, waren der israelischen Armee 17 mal
übermittelt worden, um ihren Schutz sicherzustellen “, sagte
Kraehenbuehl, „das letzte Mal um 10 vor 9 gestern Nacht, nur wenige
Stunden vor dem tödlichen Beschuß.“
Der Angriff
wurde auch „in den schärfstmöglichen Worten“ vom üblicherweise
eher zurück-haltenden UNO-Generalsekretär, Ban Ki-moon,
verurteilt: „Nichts ist schändlicher, als schlafende Kinder
anzugreifen.“ Es gibt keinen Hinweis darauf, dass die
US-Botschafterin bei der UNO diesmal „aus der Fassung geriet, als
sie von den Kindern sprach, die [bei dem israelischen Angriff]
umkamen“ – oder überhaupt beim Angriff auf den Gazastreifen.
Aber die
Sprecherin des Weißen Hauses reagierte tatsächlich: „Wir sind
extrem besorgt, dass Tausende von Flüchtlingen, die vom israelischen
Militär aufgerufen worden waren, ihre Häuser zu verlassen, in den
von der UNO ausgewiesenen Schutzräumen nicht sicher sind. Wir
verurteilen auch jene, die dafür verantwortlich sind, dass Waffen in
UN-Anlagen versteckt wurden“, fügte sie hinzu, wobei sie zu
erwähnen vergaß, dass diese Anlagen leer waren und die Waffen vom
UNWRA-Personal gefunden wurden, die diejenigen verurteilten, die sie
dort versteckt hatten.
Später stimmte
die [amerikanische] Regierung ein in schärfere Verurteilungen dieses
besonderen Verbrechens – während sie gleichzeitig weitere
Waffenlieferungen an Israel freigab. Dabei meinte Pentagon-Sprecher
Steve Warren jedoch gegenüber Reportern: „Es ist klar, dass die
Israelis mehr tun müssen, um ihren hohen Maßstäben zum Schutz von
Zivilisten gerecht zu werden – den hohen Maßstäben, die sie
während vieler Jahre beim Einsatz von amerikanischen Waffen immer an
den Tag gelegt haben, so wie auch heute wieder.“
Angriffe auf
UN-Einrichtungen, die Flüchtlinge beherbergen, ist eine weitere
israelische Spezialität. Ein berüchtigter Fall ist die israelische
Bombardierung des eindeutig identifi-zierten UN-Flüchtlingslagers in
Qana [1996] während der mörderischen „Grapes-of-Wrath“ [Früchte
des Zorns]-Kampagne der Simon Peres-Regierung, bei der 118
libanesische Zivi-listen getötet wurden, die dort Zuflucht gesucht
hatten, unter ihnen 52 Kinder. Selbstver-ständlich ist Israel nicht
allein mit dieser Praxis. Zwanzig Jahr zuvor hatte sein
südafrika-nischer Alliierter einen Luftschlag tief nach Angola
hinein auf Cassinga verübt, ein Flücht-lingslager, das von der
namibischen Widerstandsbewegung SWAPO betrieben wurde.
Israelische
Regierungsvertreter rühmen die Humanität ihrer Armee, die so weit
gehe, dass Bewohner vorher informiert werden, wenn ihr Haus zerbombt
wird. Diese Praxis sei „schein-heilig als Barmherzigkeit
verkleideter Sadismus“, so die israelische Journalistin Amira
Hass. „Eine aufgezeichnete Botschaft, die Hunderttausende
Menschen auffordert, ihre bereits ins Fadenkreuz geratenen Häuser zu
verlassen für einen anderen, 10 Kilometer entfernten, gleichermaßen
gefährlichen Ort.“ Tatsächlich gibt es [in Gaza] keinen vor
Israels Sadismus geschützten Ort.
Für manche
Menschen ist es schwierig, aus Israels Fürsorglichkeit Nutzen zu
ziehen. Ein Appell an die Welt von der Katholischen Kirche Gazas
zitiert einen Priester, der die verzweifelte Lage der im „Haus
Christi“ lebenden Insassen schildert, einem Pflegeheim für
behinderte Kinder. Weil die Gegend zum Zielobjekt der israelischen
Armee wurde, quartierte man sie um in die „Kirche der Heiligen
Familie“. Aber jetzt, schreibt er, habe „die Kirche Gazas einen
Evakuierungsbefehl bekommen. Sie werden die Zeitun-Gegend
bombardieren, und die Menschen fliehen bereits. Das Problem ist, dass
Bruder George und die drei Nonnen des Mutter-Teresa-Ordens 29
behinderte Kinder und neun alte Damen, die sich nicht bewegen können,
in ihrer Obhut haben. Wie sollen sie es schaffen zu fliehen? Wenn
irgendjemand einen Menschen mit Einfluß kennt, soll er bitte etwas
unternehmen.“
Das sollte in
der Tat nicht so schwer sein. Israel hat dem
Wafa-Rehabilitationszentrum die entsprechende Anweisung schon
zukommen lassen, und glücklicherweise intervenieren zumindest einige
Staaten bereits, so gut sie können. Fünf lateinamerikanische Länder
– Brasilien, Chile, Ecuador, El Salvador und Peru – haben ihre
Botschafter aus Israel zurück-gerufen. Sie folgten dem Kurs
Boliviens und Venezuelas, die als Reaktion auf vorhergehende
Verbrechen Israels die Beziehungen zu ihm abgebrochen haben. Dieses
prinzipientreue Verhalten ist ein weiteres Zeichen des
bemerkenswerten Wandels in den internationalen Beziehungen, da ein
Großteil der Länder Lateinamerikas sich von der westlichen
Vorherrschaft zu befreien beginnt und dabei denen gegenüber zuweilen
ein Vorbild zivilisierten Verhaltens abgibt, die sie 500 Jahre lang
unter Kontrolle hielten.
Die erwähnten
hässlichen Enthüllungen riefen allerdings beim „moralischsten
Präsidenten der Welt“ eine andere Reaktion hervor, die übliche:
große Sympathie für die Israelis, scharfe Verurteilung der Hamas
und Aufrufe zur Mäßigung an beide Seiten. In seiner
Pressekonfe-renz vom 1. August brachte er tatsächlich seine Sorge um
die Palästinenser zum Ausdruck, „die ins Kreuzfeuer geraten sind“
(wo bitte?), während er wiederum das Recht Israels vehe-ment
unterstützte, sich zu verteidigen – so wie jeder andere Staat
auch. Allerdings nicht jeder – die Palästinenser natürlich nicht.
Sie haben kein Recht, sich zu verteidigen. Allemal nicht, wenn Israel
sich gut benimmt und sich an den Grundsatz „Ruhe für Ruhe“ hält
und ihnen ihr Land raubt, sie aus ihren Häusern vertreibt, einer
barbarischen Belagerung unterwirft und sie regelmäßig mit den vom
Schutzherrn gelieferten Waffen angreift.
Die
Palästinenser sind, so wie die Schwarzafrikaner, die namibischen
Flüchtlinge im Cassinga-Lager zum Beispiel, alles Terroristen, für
die das Selbstverteidigungsrecht nicht gilt.
Ein 72-stündiger
Waffenstillstand sollte am 1. August in Kraft treten. Kaum hatte er
be-gonnen, brach er schon zusammen. Während ich dies schreibe,
wenige Stunden später, gibt es widersprüchliche Berichte, und
einiges bleibt unklar. Nach einer Pressemitteilung des Al
Mezan-Zentrums für Menschenrechte in Gaza, das für seine
Zuverlässigkeit bekannt ist, hörte einer seiner Mitarbeiter in
Rafah, an der ägyptischen Grenze, um 8.05 Uhr israelisches
Artilleriefeuer. Nach Berichten, dass ein israelischer Soldat in
Gefangenschaft geraten sei, begann gegen 9.30 Uhr ein schweres Luft-
und Artilleriebombardement Rafahs mit wahrscheinlich Dutzenden von
Toten und Hunderten Verletzten, die nach Hause zurückgekehrt waren,
nachdem der Waffenstillstand in Kraft getreten war; bisher liegen
allerdings keine bestätigten Zahlen vor.
Am Tag zuvor, am
31. Juli, hatte das Coastal Water Utility, das einzige Wasserwerk im
Gazastreifen, verkündet, dass es wegen Treibstoffmangels und
häufiger Angriffe auf sein Personal kein Wasser oder sanitäre
Dienste mehr zur Verfügung stellen könne.
Al Mezan
berichtet, dass „fast sämtliche Gesundheitsdienste eingestellt
wurden wegen Mangels an Wasser, an Müllbeseitigung und
Umweltschutzmaßnahmen. Auch die UNWRA hat vor der Gefahr unmittelbar
bevorstehender Verbreitung von Krankheiten aufgrund des Wassermangels
und des Zusammenbruchs des Abwassersystems gewarnt“. In der
Zwischen-zeit töteten und verwundeten israelische Flugzeug-Raketen
am Vorabend des Waffenstill-stands überall im Gazastreifen immer
mehr Menschen.
Und wie
weiter?
Israel hofft, wenn die gegenwärtige Phase des Sadismus schließlich beendet ist - wann auch immer das sein wird -, seine kriminelle Politik in den besetzten Gebieten ohne Beeinträchtigung fortsetzen zu können, und dies mit amerikanischer Unterstützung, derer es sich in der Vergangenheit stets erfreute: in militärischer, ökonomischer, diplomatischer und auch in ideologischer Hinsicht, weil sich amerikanische und israelische Interpretation der Kernfragen decken. Die Menschen im Gazastreifen werden in ihrem von Israel betriebenen Gefängnis zur „Normalität“ zurückkehren dürfen, während sie im „friedlichen“ Westjordanland zuschauen können, wie Israel langsam zerstört, was von ihrem Besitz noch übrig geblieben ist.
Israel hofft, wenn die gegenwärtige Phase des Sadismus schließlich beendet ist - wann auch immer das sein wird -, seine kriminelle Politik in den besetzten Gebieten ohne Beeinträchtigung fortsetzen zu können, und dies mit amerikanischer Unterstützung, derer es sich in der Vergangenheit stets erfreute: in militärischer, ökonomischer, diplomatischer und auch in ideologischer Hinsicht, weil sich amerikanische und israelische Interpretation der Kernfragen decken. Die Menschen im Gazastreifen werden in ihrem von Israel betriebenen Gefängnis zur „Normalität“ zurückkehren dürfen, während sie im „friedlichen“ Westjordanland zuschauen können, wie Israel langsam zerstört, was von ihrem Besitz noch übrig geblieben ist.
Das ist das
wahrscheinliche Ergebnis, falls die USA ihre entscheidende und
wahrlich ein-seitige Unterstützung für Israels Verbrechen sowie
ihre Zurückweisung des seit langem bestehenden internationalen
Konsenses für eine diplomatische Regelung des Konflikts
aufrechterhalten.
Ganz anders
allerdings wird die Zukunft aussehen, wenn die USA diese
Unterstützung zurückziehen. In diesem Fall wäre es tatsächlich
möglich, zu einer „nachhaltigen Lösung“ für Gaza zu kommen, zu
der Außenminister Kerry aufrief, was auf hysterische Ablehnung in
Israel stieß, denn diese Formulierung könnte als Aufruf zur
Beendigung der israelischen Belagerung Gazas und der regelmäßigen
Angriffe interpretiert werden. Und sie könnte – was für eine
Horrorvorstellung! – verstanden werden als Aufruf zur Respektierung
des Völkerrechts in den besetzten Gebieten.
Nun ist es
keineswegs so, dass Israels Sicherheit durch Beachtung des
Völkerrechts bedroht würde. Sie würde höchstwahrscheinlich sogar
erhöht. Aber wie vor 40 Jahren der israelische General Ezer
Weizman, der spätere Präsident, erklärte, könnte Israel
dann nicht mehr „mit den hohen Werten, dem Geist und der Qualität,
für die es jetzt steht, weiterexistieren“.
Es gab ähnliche
Fälle in der jüngeren Geschichte. Indonesische Generäle schworen,
dass sie niemals aufgeben würden, was der australische Außenminister
Gareth Evans „die indonesische Provinz Ost-Timor“ nannte,
während er ein Geschäft zum Diebstahl timoresischen Öls abschloß.
Und solange die indonesischen Generäle auf die jahrzehntelange
amerikanische Unterstützung zählen konnten, war ihr Ziel durchaus
realistisch. Schließlich aber bedeutete Präsident Clinton ihnen,
unter beträchtlichem innenpolitischen und internationalem Druck,
sang- und klanglos, dass das Spiel vorbei sei, und sie zogen sich
umgehend zurück – während Evans sich seiner neuen Karriere als
lautstarker Apostel der „Schutzverantwortung“ [„Responsibility
to protect“] zuwandte, die selbstverständlich so konzipiert wurde,
dass sie den westlichen Rückgriff auf Gewalt nach Belieben erlaubt.
Ein weiterer
relevanter Fall in diesem Zusammenhang ist Südafrika. 1958
teilte der südafrikanische Außenminister den USA mit, solange die
amerikanische Unterstützung andauere, habe es nichts weiter zu
bedeuten, daß sein Land zu einem Paria-Staat geworden sei. Seine
Einschätzung erwies sich als ziemlich zutreffend. 30 Jahre später
war Ronald Reagan der letzte bedeutende Realitätsverweigerer, der
das Apartheid-Regime unterstützte, das immer noch durchhielt.
Innerhalb weniger Jahre schloß sich Washington dann allerdings der
übrigen Welt an, und das Regime brach zusammen – natürlich nicht
aus diesem Grund allein. Ein entscheidender Faktor war die
bemerkenswerte Rolle, die Kuba bei der Befreiung Afrikas spielte, was
im Westen allgemein ignoriert wird, nicht allerdings in Afrika.
Vor 40 Jahren
fällte Israel die verhängnisvolle Entscheidung, die Expansion der
Sicherheit vorzuziehen, indem es den umfassenden Friedensvertrag
zurückwies, den Ägyptens Präsident Sadat für den Rückzug
vom Sinai angeboten hatte, wo Israel intensive Siedlungs- und
Entwicklungsprojekte begonnen hatte. Es hält bis heute an dieser
Politik fest, auf der Basis derselben Einschätzung wie Südafrika
1958.
Im Falle Israels
wären die Auswirkungen, wenn die USA sich dem Rest der Welt
anschlössen, bedeutend größer. Im Zweifel setzt sich das
tatsächliche Machtverhältnis durch, was sich immer wieder zeigte,
wenn Washington von Israel verlangte, langgehegte Zielvorstellungen
aufzugeben. Darüber hinaus kann Israel gegenwärtig auf wenig
zurückgreifen, nachdem es sich einer Politik verschrieben hat, die
es von einem höchst bewunderten zu einem gefürchteten und
verachteten Land gemacht hat, ein Kurs, den es heute mit blinder
Zielstrebigkeit verfolgt, auf dem entschlossenen Marsch zu
moralischem Verfall und letztendlich möglichem Untergang.
Könnte die
Politik der USA sich ändern?
Unmöglich ist das nicht. Die öffentliche Meinung hat sich in den letzten Jahren erheblich gewandelt, besonders unter den jungen Menschen, und das kann nicht völlig ignoriert werden. Seit einigen Jahren gibt es eine solide Basis für die öffentliche Forderung, dass Washington seine eigenen Gesetze einhalten und die Militärhilfe für Israel aussetzen solle. Das US-Gesetz verlangt, dass „keinem Land Sicherheitsbeistand geleist wird, dessen Regierung einem durchgängigen Muster grober Verletzungen international anerkannter Menschenrechte folgt“. Israel macht sich dieser Verletzungen zweifelsfrei und seit langen Jahren schuldig. Deshalb hat Amnesty International während Israels mörderischer Operation „Geschmolzenes Blei“ [„Cast Lead“] in Gaza zu einem Waffenembargo gegen Israel (und Hamas) aufgerufen. Senator Patrick Leahy, Autor dieser gesetzlichen Bestimmung, hat ihre mögliche Anwendbarkeit auf Israel in bestimmten Fällen thematisiert, und mit gut geführten, organisierten und aktivistischen aufklärerischen Anstrengungen ließen sich solche Initiativen erfolgreich realisieren. Dies könnte eine sehr bedeutsame Wirkung in sich selbst haben und gleichzeitig ein Sprungbrett für weitere Aktionen nicht nur zur Bestrafung Israels für sein verbrecherisches Verhalten sein, sondern auch Washington nötigen, selbst Teil „der internationalen Gemeinschaft“ zu werden und das Völkerrecht sowie menschlichen Anstand und moralische Prinzipien zu beachten.
Unmöglich ist das nicht. Die öffentliche Meinung hat sich in den letzten Jahren erheblich gewandelt, besonders unter den jungen Menschen, und das kann nicht völlig ignoriert werden. Seit einigen Jahren gibt es eine solide Basis für die öffentliche Forderung, dass Washington seine eigenen Gesetze einhalten und die Militärhilfe für Israel aussetzen solle. Das US-Gesetz verlangt, dass „keinem Land Sicherheitsbeistand geleist wird, dessen Regierung einem durchgängigen Muster grober Verletzungen international anerkannter Menschenrechte folgt“. Israel macht sich dieser Verletzungen zweifelsfrei und seit langen Jahren schuldig. Deshalb hat Amnesty International während Israels mörderischer Operation „Geschmolzenes Blei“ [„Cast Lead“] in Gaza zu einem Waffenembargo gegen Israel (und Hamas) aufgerufen. Senator Patrick Leahy, Autor dieser gesetzlichen Bestimmung, hat ihre mögliche Anwendbarkeit auf Israel in bestimmten Fällen thematisiert, und mit gut geführten, organisierten und aktivistischen aufklärerischen Anstrengungen ließen sich solche Initiativen erfolgreich realisieren. Dies könnte eine sehr bedeutsame Wirkung in sich selbst haben und gleichzeitig ein Sprungbrett für weitere Aktionen nicht nur zur Bestrafung Israels für sein verbrecherisches Verhalten sein, sondern auch Washington nötigen, selbst Teil „der internationalen Gemeinschaft“ zu werden und das Völkerrecht sowie menschlichen Anstand und moralische Prinzipien zu beachten.
Nichts könnte
den tragischen palästinensischen Opfern so vieler Jahre der Gewalt
und der Unterdrückung gerechter werden.
Anmerkung:
[1]
1. Anerkennung Israels 2. Gewaltverzicht 3. Anerkennung geschlossener
Verträge
[2]
http://www.inamo.de/index.php/israel-palaestina-beitrag-lesen/items/israelisches-militaer-stiehlt-3-mio-us-dollar-und-eigentum-von-palaestinensern-in-der-westbank.html
Quelle: http://de.scribd.com/doc/235726627/Outrage-re-Gaza-by-Noam-Chomsky
Quelle: http://de.scribd.com/doc/235726627/Outrage-re-Gaza-by-Noam-Chomsky
Übersetzung:
Jürgen Jung Redaktion: Eckhard Lenner
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