Viele Menschen im Osten des Landes wollten diese neue ukrainische Regierung, die verfassungsrechtlich sehr fragwürdig an die Macht kam, nicht anerkennen. Analog des illegalen Regierungssturzes gelang es ihnen in einer Vielzahl von Städten der Ostukraine die Macht zu ergreifen nach dem Muster, das nicht viel anders war als das der sogenannten Maidankämpfer. Als angeblich unausweichliche Folge dieser Entwicklung kam es zum ukrainischen Bürgerkrieg, der bis heute im Osten des Landes tobt. Auf Befehl der jetzigen Putschregierung kämpft die Armee gegen einen Teil des eigenen Volkes. Die deutsche Diplomatie bemüht sich jetzt um Vermittlung. Auch Bundeskanzlerin Merkel war gerade am Samstag in Kiew.
Inwieweit ist die deutsche Diplomatie imstande, auf die Situation in der Ukraine friedensstiftend einzuwirken?
Belov: Ich denke, diese Möglichkeiten sind begrenzt und der jüngste Besuch Merkels in Kiew hat und wird das wohl auch bestätigen. Um friedensstiftend und vermittelnd zu wirken, hätte sich Deutschland und auch die EU zunächst auf eine eigenständige, von den USA unabhängige Außenpolitik besinnen müssen. Aber gegenwärtig sind ja Deutschland und die EU eher bereit, beträchtliche wirtschaftliche Nachteile in Kauf zu nehmen als den USA ihre Nibelungentreue zu versagen. Damit werden die Grenzen der deutschen Diplomatie offensichtlich. Hinzu kommt, dass die Regierung in Berlin nicht als neutraler Vermittler auftritt, sondern als aktiver Unterstützer der Kiewer Machthaber, neulich auch mit versprochenen 500 Millionen Euro deutscher Steuerzahler. Während Janukowitsch vom Westen noch aufs Schärfste gewarnt wurde, ja nicht die Armee zur Niederschlagung des Maidan-Aufstandes einzusetzen, akzeptiert die deutsche Regierung jetzt den monatelangen Kriegseinsatz der ukrainischen Armee im Osten des Landes, in dessen Folge schon Tausende Tote und Hundertttausende Flüchtlinge zu beklagen sind. Es drängt sich der Eindruck auf, und das ist nicht nur meine Sicht, dass die deutsche Außenpolitik mit doppelten moralischen Standards arbeitet. In Russland stellt man mit Bedauern fest, dass die außenpolitische Abhängigkeit Deutschlands vom großen Bruder in der Übersee zurzeit beinahe gewaltiger als in den Zeiten des Kalten Krieges vor 30 Jahren ist. Das stellen übrigens auch einige deutsche Politiker und einfache Bundesbürger fest. Beispiele dafür gibt es genug.
Auch viele Hörerzuschriften, die unsere Redaktion erhält, gehen in diese Richtung. Die Menschen mit solcher Meinung, die sich von der Vielzahl an russlandkritischen Berichten in deutschen Medien gravierend unterscheidet, werden bekanntlich abwertend als Russland- oder Putin-Versteher bezeichnet…
Belov: Ich würde diese Menschen lieber nicht als Putin- oder Russland-Versteher qualifizieren, sondern eher als Versteher der gegenwärtigen Geopolitik der amerikanischen Elite mit Obama an der Spitze, der hier als Vollstrecker dieser Ziele agiert. Ich habe den Eindruck, dass die Einsichtigen immer mehr werden. Ich möchte mich heute überwiegend auf die Leserbriefe mancher nachdenklicher deutscher Bürger beziehen, die in den wichtigsten deutschen Medien veröffentlich worden sind. So schrieb Anfang August Bernd Liske aus Magdeburg in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“: „Die Medien orchestrieren gemeinsam das Lied von den bösen Russen und begleiten den Chor des politischen Establishments, das eine Sanktion nach der anderen durchsetzt, weil Russland sich dem Bemühen widersetzt, dass Europa sich die Ukraine wirtschaftlich und politisch einverleibt. Die Vereinigten Staaten reiben sich die Hände, weil ihr Wettbewerber Europa sich auf einer seiner stabilsten Wirtschaftsachsen sich selbst schwächt.“ Oder nehmen wir die Meinung von Alfred Ott aus Sauerlach, die auf der Leserbriefseite der „Süddeutschen Zeitung“ veröffentlicht wurde. „Europa und Teile der Nato dürfen nicht selbstständig denken, weil Wohl und Wehe alles der USA unterworfen ist. Alle haben bei der liebgewonnenen Verteufelung Russlands durch die USA mitgemacht. Niemand hat es gewagt, Putin für seine Annäherung an den Westen eine ausgestreckte Hand zu reichen, auf die er gewartet hat… Macht nur weiter so, mit dem Niedergang des Westens, im Namen der USA“. Wie gesagt, das sind nur zwei schriftliche Wortmeldungen, davon gibt es mittlerweile viele auf den Leserbriefseiten. Und die sind bestimmt nicht von Kreml organisiert, wie manche westliche Propagandisten gerne behaupten.
Einen interessanten Artikel hat z.B. in der „Süddeutschen Zeitung“ Gregor Schöllgen Ende Juli dieses Jahres veröffentlicht. Zuerst würde ich anmerken, dass Gregor Schöllgen nicht irgendein Journalist ist, sondern Professor für Neuere Geschichte an der Uni Erlangen und Mitherausgeber der Akten des Auswärtigen Amtes, darunter der zweibändigen Geschichte der deutschen Außenpolitik von 1815 bis zur Gegenwart. In seinem großen Artikel unter dem Titel „Besetzt, beschützt, bevormundet“, der fast die ganze Zeitungsseite einnimmt, schildert er die Prinzipien der deutsch-amerikanischen Beziehungen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs bis jetzt. Er stellt zum Beispiel fest, dass es nach wie vor für die Bundesregierung ein Geheimnis ist, wo die Amerikaner auf deutschem Boden ihre taktischen Atomwaffen lagern und um welche es sich handelt. Auch die amerikanischen militärischen Planungen für Europa wurden in der Vergangenheit nach Belieben oft umgestellt, ohne die deutsche Seite ernsthaft zu konsultieren. Seinerzeit klagte der damalige Bundeskanzler Kiesinger, dass die amerikanische Politik in Europa ausschließlich amerikanische Interessen vertritt. Die aktuellen Ereignisse um Ukraine und die massive amerikanische Einmischung inklusive zahlreicher CIA-Berater im ukrainischen Geheimdienst SBU bestätigen diese Tatsache.
Das Fazit des Artikels von Gregor Schöllgen, der auch die neuesten amerikanischen Spionage- und Abhöraktivitäten in Deutschland erwähnt, würde ich gern zitieren. „Der Grund für den desaströsen Zustand des deutsch-amerikanischen Verhältnisses ist nicht in der politischen Wirklichkeit, sondern in der mentalen Befindlichkeit der Beteiligten zu suchen. Solange die Deutschen in der Rolle des Mündels harren, haben die Amerikaner keine Veranlassung ihre Besatzermentalität abzulegen“ (Zitatende). Ich denke, klarer und deutlicher kann man kaum sagen.
Letzte Woche war der deutsche Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth, also die Nummer zwei im Außenministerium der Bundesrepublik in Wien zu Gast. Er traf sich mit Journalisten und gab einigen österreichischen Medien Interviews. Ihm wurde auch die Frage über die Gegenmaßnahmen Russlands als Antwort auf westliche Sanktionen und die Auswirkungen auf die europäische Wirtschaft. Michael Roth antwortete diplomatisch: „Die Auswirkungen lassen sich noch nicht im Einzelnen absehen. Wir sind aber bereit, die Lasten von Sanktionen zu tragen. Innerhalb der EU haben wir uns zu Solidarität verpflichtet. Wir wollen, dass aus den Sanktionen heraus eine Dynamik für einen politischen Prozess entsteht, dass wir in den Verhandlungen mit Russland vorankommen. Sanktionen sind ja kein Selbstzweck“. Mit anderen Worten, die deutsche Außenpolitik hofft, mit der den Sanktionen innewohnenden Dynamik Russland etwas aufzuzwingen, was ohne Sanktionen eher nicht möglich wäre. Eine indirekte Antwort auf diese merkwürdige und realitätsferne Theorie vom Staatsekretär Michael Roth gibt der Inhalt des Leserbriefes von Dietrich Thomas aus München, der in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ veröffentlicht wurde. Wer ein Einvernehmen mit Russland will, schreibt Herr Thomas, muss seine fundamentalen spezifischen Interessen respektieren. Westliche Normen dürfen nicht der alleinige Maßstab für politisches Handeln sein. Je schärfer die Sanktionen ausfallen, desto mehr dienen sie Putin als Rechtfertigung für sein Vorgehen. Das leidgeprüfte Russland wird - im Bewusstsein, es dem hilflosen Westen gezeigt zu haben - die Folgen ertragen. Vor allem Europas Wirtschaft wird erheblich belastet werden. Ein späterer Aufräumprozess wird für beide Seiten umso schwieriger werden. Und weiter empfiehlt Dietrich Thomas den Außenpolitikern, vor allem die Fähigkeit zu entwickeln, zu verstehen, warum der andere so denkt und handelt, vielleicht so handeln muss. Dieser Maßstab gilt für jeden, dem Frieden zu bewahren das oberste Gebot ist. Europa, so ist er überzeugt, muss seinen Kurs ändern. Realitätssinn muss Vorrang vor idealistischen Theorien, Wunschdenken und Ungeduld haben. Europa muss angesichts der immer wieder fehlgeschlagenen Außenpolitik der Vereinigten Staaten von Amerika mehr Eigenständigkeit entwickeln. Mehr wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit mit Russland ist für beide Seiten vorteilhaft. Das war der Inhalt eines Leserbriefes in der „FAZ“, der bestimmt - trotz gleichgeschalteten westlichen Medien – die Meinung von etlichen Millionen deutscher Bürger wiederspiegelt. Und ich möchte noch hinzufügen. Auch unter Berücksichtigung der schmerzlichen Ereignisse in der deutsch-russischen Geschichte des 20. Jahrhunderts würde eine gegenüber Russland unvoreingenommene und seine Sicherheitsinteressen verständnisvolle Haltung der deutschen Außenpolitik und ihrem Anspruch, jetzt als Krisenvermittler aufzutreten, viel besser zu Gesicht stehen. Gestern, 23:00
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