Wednesday, March 26, 2014

Offener Brief an Präsident Putin

Seine Exzellenz
Herrn Wladimir Putin
Präsident der Russischen Föderation
über
Botschaft der Russischen Föderation
in der Bundesrepublik Deutschland
Unter den Linden 63-65
10117 Berlin

Offener Brief

Sehr geehrter Herr Präsident!


In Ihrer Rede vor der Staatsduma baten Sie um Verständnis bei den Deutschen.
Wir sind deutsche Staatsbürger, die die Nachkriegszeit mehrheitlich in der Westhälfte Deutschlands erlebt haben. Als der Kalte Krieg 1990 beendet und unser Land vereinigt wurde, ging ein Aufatmen durch die Welt, weil die stets drohende Gefahr einer nuklearen militärischen Auseinandersetzung gebannt schien, die den gesamten Globus in Mitleidenschaft gezogen hätte. Deutschland wäre ausgelöscht worden.
Den entscheidenden Beitrag zur Befreiung Europas vom Nationalsozialismus hat, unter unvergleichlichen Opfern, die Sowjetunion geleistet. Gleichwohl war sie 1990 bereit, die deutsche Wiedervereinigung zu unterstützen, 1991 die Warschauer Vertragsgemeinschaft aufzulösen und die NATO-Mitgliedschaft Gesamtdeutschlands zu akzeptieren. Dies wurde vom Westen nicht honoriert. Der damalige Botschafter der USA in Moskau (1987 bis 1991), Jack Matlock, hat vor wenigen Tagen in der Washington Post bestätigt, dass Präsident Bush zugesagt hatte, die Großzügigkeit Präsident Gorbatschows nicht auszunutzen. Die Ausdehnung der NATO bis in ehemalige Sowjetrepubliken, die Errichtung von Militärstützpunkten in ehemaligen Warschauer Vertragsstaaten und der Aufbau eines Raketenabwehrschirms in Osteuropa bei gleichzeitiger Kündigung des ABM-Vertrages seitens der USA sind nicht nur eklatante Wortbrüche. Diese Maßnahmen können auch von uns nur als Machtprojektion der westlichen Führungsmacht verstanden werden, die gegen die von Ihnen betriebene staatliche und ökonomische Konsolidierung Ihres Landes nach Ihrem Amtsantritt im Jahr 2000 gerichtet sind. Keir A. Lieber und Daryl G. Press haben 2006 darüber hinaus in „Foreign Affairs“ mit ihrem Artikel „The Rise of U.S. Nuclear Primacy” überzeugend dargelegt, dass der Raketenabwehrschirm einen nuklearen Erstschlag zur nuklearen Neutralisierung Russlands ermöglichen soll.
Sehr geehrter Herr Präsident, Sie haben bereits vor knapp vier Jahren für eine Wirtschaftsgemeinschaft von Lissabon bis Wladiwostok geworben. Sie wäre die ökonomische Basis für das „Gemeinsame Haus Europa“. Die Ukraine könnte eine ideale Brückenfunktion für die künftige Kooperation zwischen der von Ihnen angestrebten Eurasischen Union und der Europäischen Union einnehmen, nicht zuletzt in kultureller Hinsicht. Wir sind überzeugt, dass die massive Einflussnahme der USA das Ziel hatte, diese Brückenfunktion auszuschalten. In der EU-Kommission haben sich diejenigen Kräfte durchgesetzt, die die Politik der USA gegen Russland unterstützen. Die Rede des Geschäftsführenden Generalsekretärs des Europäischen Auswärtigen Dienstes, Pierre Vimont, am 14. März dieses Jahres ist insofern eindeutig (EurActiv: „EU shunned from US-Russia meeting on Ukraine“).
Diese Vorgeschichte in geraffter Form bildet den Hintergrund ab, vor dem wir die Ereignisse in der Ukraine seit November 2013 beurteilen. Inzwischen ist vielfach dokumentiert, dass die USA die berechtigten Proteste der ukrainischen Bevölkerung für ihre Zwecke instrumentalisiert haben. Das Muster ist aus anderen Ländern bekannt: Serbien, Georgien, Ukraine 2004, Ägypten, Syrien, Libyen. Auch die Störfaktoren Europäische Union und OSZE wurden, postwendend, innerhalb von zwölf Stunden nach dem von den Außenministern des Weimarer Dreiecks ausgehandelten friedlichen Machtwechsel unter Zuhilfenahme faschistischer Kräfte ausgeschaltet. Wer hinter der jetzigen Putschregierung in Kiew steht, zeigen die Partner auf der Website der Open Ukraine Foundation des amtierenden Ministerpräsidenten.

Die inner- und völkerrechtlichen Fragen zur Sezession der Krim werden unterschiedlich beantwortet. Wir sind keine Fachjuristen und können die Vorgänge nur politisch bewerten und einordnen. Vor dem Hintergrund der Entwicklung in Europa seit 1990, der Dislozierung der rund 1000 US-Militärbasen weltweit, der Kontrolle der Meerengen durch die USA und der von den Gewalttätern des Majdan ausgehenden Gefahr für die russische Schwarzmeerflotte sehen wir die Sezession der Krim als eine defensive Maßnahme mit einer gleichzeitigen Botschaft: bis hierher und nicht weiter! Der entscheidende Unterschied zur Unabhängigkeitserklärung des Kosovo ist, dass hierfür mit dem völkerrechtswidrigen Luftkrieg der NATO – leider mit Beteiligung Deutschlands – erst die Voraussetzung geschaffen wurde.


Sehr geehrter Herr Präsident, wir bauen darauf, dass Ihre historische Rede im Jahr 2001 im Deutschen Bundestag auch künftig die Grundlage für Ihr Handeln gegenüber der EU und Deutschland bilden wird. Die aktuellen Umfragen zeigen, dass die Mehrheit der Deutschen keine Konfrontation mit der Russischen Föderation wünscht und Verständnis für die russische Reaktion auf die Ereignisse in der Ukraine aufbringt. Wir verkennen nicht die Schwierigkeiten, denen die deutsche Politik als Mitglied der EU und der NATO in Bezug auf Russland ausgesetzt ist, sie sind auch Ihnen bekannt. Zumindest erwarten wir jedoch, dass die Bundesregierung nach dem alten Römischen Rechtsgrundsatz audiatur et altera pars handelt. Dies wurde im Zusammenhang mit der Nachbarschaftspolitik der EU im Fall der Ukraine unterlassen.

Russland hat seine im Zweiten Weltkrieg zu Tode gekommenen 27 Millionen Menschen selbst im Kalten Krieg nicht gegen Deutschland politisch instrumentalisiert. Diese innere Größe allein verdiente eine andere Qualität in den Beziehungen zwischen unseren Ländern. Die Menschen in Deutschland haben hierfür ein feines Gespür: als sich 1994 die „Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland“ mit einem Auftritt ihres Musikkorps auf dem Platz vor der Bundeskunsthalle in Bonn aus Deutschland verabschiedete, spielten sich bewegende Szenen zwischen den zahlreichen Zuschauern und den Musikern ab. In diesem Zusammenhang fällt uns zu der aktuellen Berichterstattung und Kommentierung der deutschen Medien nur ein treffendes Adjektiv in englischer Sprache ein: disgusting.

Sehr geehrter Herr Präsident, mit unseren bescheidenen Mitteln als einfache Staatsbürger werden wir dazu beitragen, dass die beabsichtigte Spaltung Europas nicht gelingt, sondern die Ideen von Gottfried Wilhelm Leibniz zu neuem Leben erweckt werden. Wir sind überzeugt: nur wenn die Staaten und Völker des eurasischen Doppelkontinents ihre Angelegenheiten miteinander friedlich, respektvoll, kooperativ, auf der Grundlage des Rechtes und ohne Einmischung von außen regeln, wird dies auch auf die übrige Welt ausstrahlen. Wir verstehen Sie in diesem Sinn als Verbündeten.
Für Ihre jetzige, und hoffentlich auch die nächste Amtsperiode wünschen wir Ihnen Kraft, Stehvermögen, Klugheit und Geschick.

Mit vorzüglicher Hochachtung
Jochen Scholz, Oberstleutnant a.D.
Volker Bräutigam, Journalist

Bisherige Unterzeichner:


Unterzeichner:

Jochen Scholz, Oberstleutnant i.R.
Volker Bräutigam, Journalist
Wolf Gauer, Filmemacher/Journalist
Andreas Hauß, Historiker, Publizist
Regine Naeckel, Redakteurin
Dr. Ludwig Watzal, Journalist und Redakteur, Bonn
Stefan Siegert, Zeichner, Autor
Peter Kleinert, Journalist, Dokumentarfilmer, Herausgeber der Neue Rheinische Zeitung
Günter Schupp, Rentner  
Ulrich Sander, Journalist, Bundessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten 
Evelyn Hecht-Galinski, Publizistin und Autorin
Benjamin Hecht
Peter Lommes, Immobilienkfm.
Wilfried Rühe, Rentner, Hauptmann a.D. der NVA, Vorsitzender der Gemeinschaft der 13er e.V. 
Claudia Karas, Verwaltungsangestellte, Friedensaktivistin
Peter M. Richter, Jurist
Antje Richter, Diplombibliothekarin
Tilo Schönberg, Herausgeber des Informationsportals 0815-info.com
Hartmut Barth-Engelbart, Schriftsteller, Kabarettist, Liedermacher, Historiker
Günter Schenk, membre du Collectif Judéo Arabe et Citoyen pour la Palestine, Strasbourg
Wolfgang Jung, Herausgeber der LUFTPOST
Ulrich Gellermann, Herausgeber der Rationalgalerie
Tim Bräutigam, Kundenbetreuer
Rainer Rupp, Journalist
Winfried Belz, Dipl.-Theologe, Klinikseelsorger i.R.
Friedrich Gentzsch, Dipl.-Ing. Architekt
Birgit Gentzsch, Lehrerin i.R GEW
Harri Grünberg, Vorsitzender des Netzwerkes Cuba, Mitglied des Bundesausschusses der Partei Die Linke  
Dr. Werner Bollendorf, Historiker, selbst.Kaufmann i.R.
Thomas Immanuel Steinberg, Rentner
Fritz Reichert, Physiker
Dr. Manfred Lotze, Arzt
Annette Klepzig, MTA im Ruhestand, Mitglied bei Pax Christi
Dr. Dieter Weber, Historiker und Archivar
Dr. med. Jens Wagner, Assistenzarzt, IPPNW
Johannes Klier, Musiker
Ingrid Hacker-Klier, Übersetzerin
Norbert Bragoner, Rentner
Dr. Albrecht Jebens
Samy Yildirim, Dipl. Phys.
Paria Pauli, Kunsthandwerkerin
Kurt Wirth, Dipl.-Kfm./Rentner,
Elisabeth Woeckel, Theologin, Dozentin i. Brasilien, Syrien, Sri Lanka,  i. R.
Dr. Dirk-M. Harmsen, Physiker, Leitungskreis Forum Friedensethik (FFE) in der Evangelischen Landeskirche in Baden
Flora Erler, Rentnerin
Irma Dillmann, Rentnerin
Jürgen Rose, Oberstleutnant a. D., Vorstandsmitglied des Arbeitskreises Darmstädter Signal
Karl-Heinz Walloch, Dokumentarfilmer
René Pauli, Polizeibeamter
Esther Thomsen, Diplom-Theologin
Prof. Dr. Werner Ruf, Jurist
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