33 Staaten Lateinamerikas und der Karibik schütteln US-Joch ab – Errichtung einer grossen Friedenszone
Interview mit Prof. Dr. iur. et phil. Alfred M. de Zayas, Unabhängiger Experte an der Uno für die Förderung einer demokratischen und gerechten internationalen Ordnung
thk. Im Dezember 2011 wurde die Gemeinschaft der lateinamerikanischen und karibischen Staaten (Celac – Communidad de Estados Latinoamericanos y Caribeños) gegründet. «Mitbegründer und hauptsächlicher Impulsgeber der Celac», so die Organisation selber, war der 2013 verstorbene venezolanische Präsidente Hugo Chávez, der im Westen zu Unrecht verteufelt wurde. In dieser Gemeinschaft sind 33 amerikanische Staaten assoziiert mit Ausnahme der USA und Kanada. Ziel dieser Organisation ist es, den Einfluss der USA einzudämmen sowie den Kolonialismus zu überwinden. Die Bekämpfung des Hungers und der Armut stehen ganz oben auf der Prioritätenliste. Gleichzeitig wollen die Länder ihr Gewicht bei der Mitsprache in internationalen Fragen erhöhen. Die Liste der Staaten ist beeindruckend. Dazu gehören auch Länder wie Mexiko, Honduras, Kolumbien oder auch Uruguay, die bisher eine USA-freundliche Haltung an den Tag legten und sich dennoch den Zielen der Celac angeschlossen haben. Das ist ein klares Signal an die Vereinigten Staaten: Die Völker haben genug von der US-amerikanischen Bevormundung und einer verlogenen Politik, die nur die eigenen Interessen verfolgt.
Während an der Sicherheitskonferenz in München am vorletzten Wochenende mit viel Mediengetöse und -aufmerksamkeit neue Kriege geplant wurden, bei denen vor allem Deutschland «wieder mehr Verantwortung übernehmen soll» (vgl. Artikel auf Seite 3), trafen sich am 28. und 29. Januar die Staats- und Regierungschefs der Celac in Anwesenheit von Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon in Havanna, der Hauptstadt Kubas, zu ihrer Gipfelkonferenz. Den deutschsprachigen Medien war dieses bedeutende Ereignis keine Zeile wert. Wer sich nicht direkt mit Lateinamerika beschäftigt und keine längere Recherchearbeit im Internet auf sich nimmt, erfährt nichts von diesem Gipfel der 33 Staats- und Regierungschefs, die sich als Vertreter ihrer Völker verstehen. So viel zur Pressefreiheit in der «freien westlichen» Welt.
Welche herausragende Bedeutung dieser Gipfel hat, wird durch die abschliessende Erklärung (siehe Seite 2), die die Ergebnisse dieser Konferenz darlegt, deutlich. Im Gegensatz zur westlichen Welt, die in München wieder einmal ihr wahres Gesicht gezeigt und die Kriegstrommeln geschlagen hat, planen diese 33 Länder die Etablierung einer Friedenszone in Mittel- und Lateinamerika. Damit wird eine Region von 600 Millionen Menschen und einer Fläche von 20,5 Millionen Quadratkilometern zum Vorreiter des Friedens auf unserer Welt. Bis es soweit ist, müssen noch verschiedene Fragen geklärt werden, denn gerade die lateinamerikanischen Staaten wissen nur zu gut, was ausländischer Interventionismus und US-amerikanische Einmischung in die inneren Angelegenheiten ihrer Staaten bedeutet. Die Beispiele von Guatemala, Chile, Venezuela oder auch Argentinien sind uns allen in beklemmender Erinnerung.
Um so höher ist zu bewerten, dass eine ganze Region der Militarisierung eine Absage erteilen will. Der Unabhängige Uno-Experte für eine demokratische und gerechte internationale Ordnung Professor Alfred de Zayas titelte seine Presseerklärung vom 3. Februar «Ein zentraler Schritt gegen den weltweiten Militarismus» und machte somit als einer der wenigen auf diese bahnbrechende Konferenz aufmerksam. Die Verpflichtung zum Dialog und die Ablehnung jeglicher militärischer Auseinandersetzungen sind «ein starkes Signal an die Weltöffentlichkeit». Er sieht darin «ein positives Zeichen im Voranschreiten zu einer Weltordnung, die demokratischer und gerechter sein kann und muss, die auf den Prinzipien der Souveränität der Staaten und ihrer Völker und auf der internationalen Solidarität beruht.» Dass unsere Medien diese Konferenz totgeschwiegen haben, ist ein Skandal. Im folgenden Interview legt Alfred de Zayas seine Beurteilung des Gipfels in Havanna und seiner Ergebnisse detailliert dar.
Zeit-Fragen: Herr Professor de Zayas, wie beurteilen Sie die Konferenz der Celac-Staaten vor 14 Tagen in Havanna? Was für ein Ergebnis haben die Länder der Gemeinschaft der Staaten von Lateinamerika und der Karibik (Community of Latin America and the Caribbean States) dort erarbeitet?
Professor de Zayas: Zuerst ist zu bemerken, dass hier eine ganz neue Organisation entstanden ist, erkoren in Rio de Janeiro im Jahre 2010 und erfolgreich gegründet in Caracas im Dezember 2011. Es ist eine Zusammenkunft von 33 lateinamerikanischen Staaten und Staaten der Karibik, die sich als eine Region verstehen und die ihre regionalen Probleme lösen wollen, und zwar im Sinne ihrer Traditionen, im Sinne ihrer Kultur und im Sinne ihrer eigenen Interessen, die nicht immer oder eher selten mit den Interessen der Vereinigten Staaten und Kanadas im Einklang stehen. Darum muss man auch verstehen, dass die Celac gewissermassen eine Konkurrenzorganisation zur Organisation Amerikanischer Staaten ist. Die OAS mit Sitz in Washington wurde 1948 gegründet, so dass sich seit Jahrzehnten viele Lateinamerikaner von Washington bevormundet fühlten und sich daher aus diesem Zwang befreien wollten. Sie sind immer noch Mitglieder der OAS, haben jedoch eine eigene Organisation ohne Kanada und die USA gegründet. Das scheint bisher Erfolg zu haben.
Worin zeigt sich der Erfolg?
Die Gipfeltreffen, die sie bisher hatten, waren erfolgreich. Besonders bei dem letzten Gipfel, den sie am 28./29. Januar in Havanna veranstaltet haben, haben sie ein Novum geschaffen.
Könnten Sie das bitte noch etwas genauer ausführen?
Alle Staaten dieser Welt sprechen sich für den Frieden aus. Alle Staaten dieser Welt geben Lippenbekenntnisse zum Frieden ab. Artikel 2 Absatz 4 der Uno-Charta besagt, dass die Staaten weder Gewalt anwenden noch damit drohen dürfen. Das ist jus cogens, bindendes Völkerrecht, aber die Realität sieht leider häufig ganz anders aus. Hier wollen die lateinamerikanischen Staaten ein Zeichen setzen.
Wie wollen sie das tun?
Bereits vor 47 Jahren, im Februar 1967, haben die lateinamerikanischen Staaten den Vertrag von Tlatelolco, einem Ort in der Nähe von Mexiko City, angenommen und das gesamte Gebiet zu einer atomwaffenfreien Zone erklärt. Das gilt bis heute. Der Vertrag wurde von den Staaten ratifiziert und respektiert. Um dies zu sichern, haben sie die Agency for the Prohibition of Nuclear Weapons in Latin America and the Caribbean gegründet. Nun vollziehen sie den nächsten logischen Schritt.
Wie sieht dieser Schritt konkret aus?
Sie wollen ihren Reichtum nicht länger für Kriege und die Kriegsindustrie, für grosse Armeen und grosse Luftstreitkräfte verschwenden. Deshalb erklärten sie das ganze Gebiet zu einer Friedenszone. Sie wollen die Kriegsindustrie verringern und deren Ausrichtung neu orientieren, damit sie sich den Friedensaufgaben – und da gibt es genug zu tun – widmen können. Dazu braucht es finanzielle Mittel, die nicht verschwendet werden dürfen. Das ist das erste Gebiet auf der Welt – und das ist das Aussergewöhnliche –, das sich zur Friedenszone erklärt hat. Man kennt die Friedenszone der Antarktis, aber hier lebt kein Mensch. Das ist so, als wenn man das Weltall zur Friedenszone erklärt. Wenn man aber einen Teil der Erde mit 600 Millionen Bewohnern zu einer Friedenszone erklärt, dann hat das in der Tat Konsequenzen und auch eine Signalwirkung. Jetzt müssen wir abwarten, wie die Erklärung in die Tat umgesetzt wird.
Haben alle assoziierten Staaten dieser Erklärung zugestimmt?
Dieser Erklärung ist von allen Staaten zugestimmt worden. Es gab keinen Widerspruch. Aber es geht zunächst um eine Erklärung und noch nicht um einen Vertrag. Da ist noch ein langer Weg von einer Erklärung bis zu den notwendigen Umsetzungsmassnahmen, die dazu führen würden, dass alle 33 Staaten ihre Haushalte revidieren müssten. Auch dürfen sie sich nicht mehr an kriegerischen Massnahmen von anderen Staaten beteiligen oder moralische Unterstützung für militärisches Vorgehen geben.
Wie realistisch ist das? Wenn Länder abrüsten, ist es grundsätzlich positiv. Wie wollen sie sich wehren, wenn sie von aussen attackiert werden? Wir kennen die Beispiele aus der aktuellen Geschichte.
Es liegt auf der Hand, dass auch einer gewissen Bedrohung von aussen begegnet werden muss. Zunächst ist hier eine Verpflichtung innerhalb der Celac, der 33 Staaten, dass sämtliche Konflikte, die zwischen den Staaten entstehen könnten, auf friedliche Weise gelöst werden. Das ist schon eine bedeutende Sache, die Verpflichtung zur Verhandlung innerhalb der 33 Staaten. Aber sicherlich müssen einige dieser Staaten den Schutz der übrigen insofern übernehmen, damit eine Bedrohung von aussen nicht zu gewissen Konzessionen führt und man sich nicht erpressen lässt. Wenn eine Bedrohung von aussen entsteht, könnten sie sich dem Willen des Stärkeren beugen müssen. Das sind natürlich alles Fragen, die bei der nächsten Tagung der Celac behandelt werden müssen. Wie packt man diese Gefahr an.
Wie bleibt man wehrhaft? Diese Frage müssen sie sich stellen, besonders die Länder, die Interventionen oder andere Eingriffe in ihre Souveränität erlebt haben, und das sind in Lateinamerika nicht wenige.
Gesetzt den Fall, dass eine wirtschaftliche oder militärische Bedrohung entsteht. Hier braucht es natürlich eine lateinamerikanische Solidarität gegenüber ausländischen Interessen. Man muss natürlich auch bedenken, dass die Kriegsindustrie viele Finger hat und dass sie in vielen Staaten ihre Lakaien plaziert hat. Diese Menschen sitzen in vielen lateinamerikanischen Staaten und werden natürlich versuchen, diese Erklärung und die daraus entstehende Politik zu unterminieren. Das ist zu erwarten. Mein Optimismus liegt aber vor allem darin, dass man so einen Wurf gewagt hat. Dass in der Tat die Konferenzen erfolgreich gelaufen sind und dass hier tatsächlich eine neue Organisation entstanden ist, die auch den Mut zeigt, etwas ganz Neues zu tun. Und das ist meine Kernaussage. Es ist ein leuchtendes Beispiel für die gesamte Welt. Warum nicht eine Friedenszone im Südpazifik? Warum nicht in Osteuropa, warum nicht in ganz Europa? Wobei zu bemerken ist, wenn wir von Frieden reden, sollte man Frieden nicht nur im engen Sinne verstehen, im engen Sinne, dass kein Krieg geführt wird. Ich möchte Frieden als ein Equilibrium verstehen, in dem strukturelle Gewalt nicht mehr existiert, wo Menschen und Staaten nicht erpresst werden, wo Staaten nicht gezwungen werden, bestimmte politische Entscheidungen zu treffen, die gegen die Interessen des eigenen Volkes sind.
Das verlangt doch aber, dass die Souveränität der einzelnen Staaten voll respektiert werden müsste.
Das ist im Text der Erklärung ausdrücklich festgehalten. Die Celac strebt keine Zentralregierung an. Wir haben es hier mit einer Vereinigung von souveränen Völkern zu tun, und sie wollen ihre Identität, ihre Kultur und ihre Tradition weiterhin behalten. Eine Celac-Regierung ist nicht auf dem Programm, aber sehr wohl eine Koordinierung zur Förderung des Friedens mit den Bruderstaaten. Die Bestrebungen Venezuelas, manchen Staaten wie zum Beispiel Argentinien zu helfen, damit sie sich vom Internationalen Währungsfond befreien können, hätte Venezuela nicht tun müssen. Das war eine brüderliche Tat, die Venezuela hier vollzogen hat. Meine Hoffnung ist, dass bei einem Kontinent, der so reich ist wie Lateinamerika, diese Reichtümer für die gemeinsame Sache genutzt werden, damit die Besonderheiten der 33 Staaten bestehenbleiben und der Frieden gefördert und erhalten wird. Man wird zusammenstehen müssen, wo dieses Anliegen durch ausländische Konzerne, durch ausländische Einflüsse gefährdet wird, die diese Staaten mehr oder weniger gleichschalten wollen. Man will die Souveränität über die eigenen Ressourcen sichern, und diese nicht von multinationalen Konzernen verwalten lassen. Man will die grossen Regenwälder des Amazonas bewahren, Umweltverschmutzung bekämpfen, die Rechte der autochthonen Bevölkerungen bewahren (Ich lehne die Bezeichnung «Indianer» ab). Da muss die Celac als Organisation Richtung geben. Man muss die Problematik erkennen, eine Strategie haben, um diese Probleme zu lösen, ehe sie zu schwierig werden.
Dieser Schritt, der hier von den lateinamerikanischen Staaten vollzogen wurde, korrespondiert doch sehr mit dem Anliegen, das Sie mit Ihrem Mandat verfolgen?
Das denke ich schon, denn mein Mandat erstrebt eine friedliche Welt, eine Welt, in der die Menschenrechte durch internationale Solidarität bekräftigt werden. Aber es ist nicht immer einfach, konkret festzustellen, wo meine Berichte an den Menschenrechtsrat oder an die Generalversammlung einen Einfluss haben. Ich formuliere diesbezüglich pragmatische Vorschläge, die vielleicht Impulse an die Staaten bedeuten können. Ich nenne die Probleme, die ich identifiziert habe. Ich erwähne die Hürden, die zu überwinden sind. Ich thematisiere positive Entwicklungen in der Welt, wie zum Beispiel die direkte Demokratie und die Neutralität der Schweiz. Wenn man die Berichte studiert, findet man genügend Impulse, wie die Staaten zusammenwirken könnten, damit tatsächlich eine bessere Weltordnung entsteht, die demokratischer und gerechter ist. Wenn ich in drei oder vier Jahren nicht mehr Sonderberichterstatter bin, werde ich vielleicht erfahren, ob meine Vorschläge Früchte getragen haben. Aber ich bleibe optimistisch und sehe, dass die Vernunft nicht erloschen ist und dass es immer wieder Staaten gibt, die das Richtige tun. Ich will nur, soweit ich die Gelegenheit habe, die Impulse und die Entwicklungen in diesen Staaten unterstützen, um eine gerechtere, eine menschlichere Weltordnung für uns alle zu schaffen.
Herr Professor de Zayas, vielen Dank für das Gespräch. •
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