»So mörderisch wie Militärschläge«
Wirtschaftssanktionen gegen Syrien treffen die Bevölkerung und führen zur Brutalisierung der Gesellschaft. Ein Gespräch mit Bernd Duschner
Interview: Rüdiger Göbel
Syrische Flüchtlinge in einem Aufnahmelager in der libanesischen Grenzstadt Arsal, 15.12.2013
Foto: AP Photo/Bilal Hussein
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Bernd Duschner ist Vorsitzender des Vereins »Freundschaft mit Valjevo«. Der Pfaffenhofener Verein wurde während des NATO-Krieges gegen Jugoslawien 1999 gegründet und engagiert sich neben seiner Solidaritätsarbeit mit der serbischen Partnerstadt auch für in Bayern lebende Flüchtlinge (www.freundschaft-mit-valjevo.de)
Bei den seit zweieinhalb Jahre anhaltenden Kämpfen in Syrien sind Schätzungen zufolge 120000 Menschen getötet worden, darunter 40000 Soldaten. Fast fünf Millionen Syrer sind mittlerweile Binnenflüchtlinge, weitere 1,7 Millionen sind vor Krieg, Terror und »ethnischen Säuberungen« in die Nachbarländer geflohen. Deutschland will bis zu 10000 Syrer aufnehmen. Auch bei Ihnen in Pfaffenhofen sind Kriegsflüchtlinge untergekommen. Wie werden diese von der Bevölkerung aufgenommen?
In unserem Landkreis leben mittlerweile über 250 Asylbewerber. Ihre Zahl wird sich im kommenden Jahr voraussichtlich verdoppeln. Sie werden bei uns dezentral in Wohnungen untergebracht. Das begünstigt Kontakte mit der Bevölkerung und hilft den Flüchtlingen bei der Integration. Wir haben allerdings zuwenig preisgünstige Wohnungen. Es ist notwendig, daß der Staat entsprechend neuen Wohnraum schafft, damit nicht längerfristig Konflikte entstehen. Unsere Politik darf sich aber nicht darauf beschränken, eine verbesserte Aufnahme von Asylbewerbern zu fordern. Unsere Hauptaufgabe muß es vielmehr sein, die Ursachen zu erkennen und zu bekämpfen, die heute Millionen Menschen zwingen, ihre Heimat zu verlassen, alles aufzugeben und die Gefahren einer lebensgefährlichen Flucht auf sich zu nehmen.
Wer einen Blick auf die Herkunftsländer unserer Flüchtlinge wirft, erkennt sehr schnell, warum sie fliehen mußten: Es sind in erster Linie die militärischen »Interventionen« der NATO-Staaten – Stichworte Somalia, Afghanistan, Irak, Libyen – und die verheerenden Folgen von »Wirtschaftssanktionen«, wie sie gegen Syrien seit 2011 verhängt wurden, die heute Millionen Menschen ins Elend stürzen und zur Flucht zwingen.
Im Gegensatz zu den USA und den Golfstaaten hat die BRD – soweit bekannt – bisher keine Waffen an die Aufständischen geliefert.
Nur wenigen Menschen bei uns ist bewußt, daß die Bundesregierung seit 2011 verdeckt Krieg gegen Syrien führt. Sie gehört zu den Hauptverantwortlichen für das Blutvergießen und für das Elend der syrischen Bevölkerung. Deutschland ist Mitglied des Bündnisses mit dem verlogenen Namen »Freunde Syriens«. Saudi-Arabien und Katar haben ganz offen die Finanzierung und Bewaffnung islamistischer Aufständischer übernommen. Die Türkei hat ihnen ihr Territorium als Aufmarsch- und Rückzugsgebiet zur Verfügung gestellt. USA, Frankreich und Großbritannien unterstützen die bewaffneten Aufständischen bei ihren Angriffen und Terroranschlägen mit Spezialeinheiten. Israel ist mit Bombenangriffen dabei. Das entscheidende Instrument, mit dem Bundesregierung und EU bei diesem Krieg mitwirken, sind umfassende Wirtschaftssanktionen. Sie mögen langsamer wirken, sind aber nicht weniger mörderisch als Militärschläge.
Welche unmittelbaren Folgen haben die Syrien-Sanktionen?
Die syrischen Konten in den EU-Staaten wurden eingefroren und dem Land der Zugang zu den internationalen Finanzmärkten versperrt. Fast 90 Prozent der syrischen Ölexporte gingen vorher in die EU. Mit den Einnahmen aus Öl und Gas erwirtschaftete das Land 20 Prozent seines Bruttosozialproduktes und 25 Prozent der gesamten Staatseinnahmen. Der Import von Öl und Gas aus Syrien in die EU wurde verboten, so daß das Entwicklungsland rund vier Milliarden Euro an Deviseneinnahmen pro Jahr verliert. Diese Gelder bräuchte es dringend für Einkäufe zur Versorgung seiner Bevölkerung. Syrien verfügt nur über zwei eigene Raffinerien. Es ist deshalb auf den Import von Treibstoff und Heizöl angewiesen; es braucht Maschinen und Ersatzteile aus der EU. Ohne Treibstoff und Strom kommen Traktoren und Bewässerungsanlagen in der Landwirtschaft, die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung, Industrie, Handwerk, Handel und Transportwesen zum Erliegen. Genau deshalb wurde im Rahmen der Sanktionen der Verkauf von Treibstoff und Heizöl sowie von Ausrüstung und Technologie für die Förderung von Erdgas und Erdöl und für Kraftwerke ausdrücklich verboten.
Offiziell heißt es, die Sanktionen zielen auf die Führung um Präsident Baschar Al-Assad, nicht auf die Bevölkerung.
Die Bundesregierung weiß sehr wohl, was und wozu sie es tut: Bereits am 30. August 2011 strahlte die ARD unter dem Titel »Wie hart treffen die Sanktionen Syrien?« nachfolgenden Kommentar aus: »So treffen die Sanktionen zunächst kleine Leute. Syriens Handel mit Ländern der Region ist seit Beginn der Krise um 30 bis 40 Prozent gesunken. Ein zumindest zeitweiliger Stopp der bisher rund eineinhalb Milliarden Euro Einnahmen jährlich aus dem Öl läßt den Staat aber nicht unberührt. Er muß möglicherweise Leistungen für öffentlich Beschäftigte kürzen – immerhin 30 Prozent aller Syrer. (…) Langfristig könnten fehlende Einnahmen aus dem Verkauf der wichtigsten syrischen Ressource auch Menschen zum Protest treiben, die bislang loyal zum System Assad standen oder schwiegen – staatlich Beschäftigte und erfolgreiche Geschäftsleute.«
Im Februar 2012 schrieb die regierungsnahe »Stiftung Wissenschaft und Politik« in einem ersten Resümee über die Auswirkungen der Wirtschaftssanktionen: »Die Bevölkerung leidet unter Knappheit von Benzin, Heizöl und Butangas; Stromsperren von bis zu sechs Stunden täglich treffen mittlerweile auch die Hauptstadt. Seit Beginn der Krise ist der Schwarzmarktkurs der syrischen Währung um rund 50 Prozent gefallen. Importgüter wie Weizen werden knapp, und damit mangelt es an Brot; die Preise für lokal erzeugte Güter des täglichen Bedarfs, etwa Milchprodukte, steigen spürbar. Nach wie vor sind jedoch keine Anzeichen für die erhofften politischen Wirkungen der Sanktionen zu sehen. Weder hat die Regimespitze ihre Haltung verändert, noch hat die Unternehmerelite sich vom Regime abgewandt.« Zynisch empfahlen die Autoren der Studie deshalb eine »stringente Umsetzung und weitere Verschärfung der bestehenden Sanktionen«, um die »Implosion des Regimes« zu erreichen.
Die Embargomaßnahmen werden auch von Linken unterstützt, weil sie das kleinere Übel im Vergleich zu einer Militärintervention zu sein scheinen.
Was sind das für »Linke«, die das Aushungern eines ganzen Volkes für ein legitimes Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele halten? Reichen ihnen die Million toter Iraker nicht, die in den 90er Jahren infolge von Wirtschaftssanktionen gegen ihr Land sterben mußten? Auch an diesem Embargo war die Bundesrepublik beteiligt. – Ist ihnen nicht klar, daß die Sanktionen die Aufgabe haben, die Konflikte zwischen den verschiedenen ethnischen und religiösen Teilen der syrischen Gesellschaft zu verschärfen und das Land in einen sich selbst zerfleischenden blutigen Bürgerkrieg zu treiben? Verstehen sie nicht, daß die Sanktionen genauso wie die Rekrutierung und Bewaffnung islamistischer Extremisten integraler Bestandteil der Kriegsführung sind?
In den vergangenen zwei Jahren ist das Sozialprodukt Syriens um weit über 60 Prozent eingebrochen. Die Hälfte der Syrer ist arbeitslos. Die Preise sind um über 200 Prozent gestiegen. Es fehlt an Medikamenten und medizinischen Geräten, viele Krankenhäuser können nur noch Notfälle behandeln. Bis zu 200000 Menschen sollen durch mangelhafte medizinische Versorgung seit Ausbruch der Kämpfe 2011 gestorben sein. Massenhaft fliehen Fachleute, Wissenschaftler, Ärzte und Ingenieure, die noch die finanziellen Mittel auftreiben können, ins Ausland. Das Land blutet aus. Man kann es nicht deutlich genug sagen: Die Sanktionen sind ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Sie forcieren die Brutalisierung und Radikalisierung der Gesellschaft, was wiederum die Rekrutierung islamistischer Extremisten gegen saudisches Geld entscheidend erleichtert.
Mit Blick auf das Anwachsen islamistischer bewaffneter Gruppen orientiert sich ein Teil der »Freunde Syriens« darauf, Assad doch nicht abzulösen. Spätestens da sind die Sanktionen auch politischer Unsinn.* Aber nochmals zurück zu den Flüchtlingen. Sie hatten in der Adventszeit Asylbewerber Ihrer Stadt zum gemeinsamen Feiern eingeladen. Was war der Anlaß?
Unser Fest war mit über 150 Besuchern, zwei Drittel von ihnen Flüchtlinge, ein großer Erfolg. Wir wollten deutlich machen, daß uns die Flüchtlinge in Pfaffenhofen willkommen sind und wir an ihrer Seite stehen. Im Moment sammeln wir Geld, um einem Kind, dem einjährigen Ayaz aus der syrisch-kurdischen Kleinstadt Amuda, die notwendige Operation in Deutschland zu ermöglichen. Er leidet unter einem schweren lebensbedrohenden Herzfehler, der Fallot-Tetralogie. Daß eine Rettung des Lebens dieses Kindes heute in Syrien nicht möglich ist, ist auch eine Folge der Sanktionen. Wer uns bei dieser humanitären Aktion helfen, den bitten wir um Spenden auf unser Vereinskonto »Freundschaft mit Valjevo«, Konto-Nummer 8011991 bei der Sparkasse Pfaffenhofen (BLZ 72151650), Stichwort »Hilfe für Ayaz«.
23.12.2013 /JUNGE WELT Schwerpunkt / Seite 3Inhalt
(Markierung durch Bloggerin.
*Will der Interview Rüdiger Göpel hier etwa suggerieren: Für den Fall, dass Präsident Assad durch die Sanktionen gestürzt würde, so seien sie gewissermaßen am Ende doch gerechtfertigt?)
23.12.2013 /JUNGE WELT Schwerpunkt / Seite 3Inhalt
(Markierung durch Bloggerin.
*Will der Interview Rüdiger Göpel hier etwa suggerieren: Für den Fall, dass Präsident Assad durch die Sanktionen gestürzt würde, so seien sie gewissermaßen am Ende doch gerechtfertigt?)
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