Vereinigung der Verfolgten des
Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen
und Antifaschisten
-
VVN-BdA - 60. Jahrestag der Gründung der VVN Bremen
Vortrag von Rechtsanwalt Heinrich
Hannover am 23. 08. 2007 im Bambergerhaus
Wenn bei offiziellen Feierlichkeiten
von Widerstand gegen das Nazi-Regime die Rede ist, dann wird mit
Sicherheit der Offiziere der deutschen Wehrmacht gedacht, die am 20.
Juli 1944 das misslungene Attentat gegen Hitler unternommen haben.
Dass der Widerstand gegen den Hitler-Faschismus sehr viel früher
begonnen hat und daß er von Menschen getragen wurde, die, anders als
die Männer des 20. Juli, an den Verbrechen der deutschen Wehrmacht
nicht teilgenommen haben, wird im öffentlichen Bewußtsein der
bundesdeutschen Bevölkerung seit jeher unterdrückt. Vor allem wird
verschwiegen, daß die Kommunisten im Widerstand gegen das
Nazi-Regime eine herausragende Rolle gespielt haben, daß sie neben
linken Sozialdemokraten und Antifaschisten aus anderen politischen
Parteien die meisten Kämpfer gestellt haben, aber auch die meisten
Opfer bringen mußten.
Immer wenn sich die Machtübernahme der
Nazis im Jahre 1933 jährt, wird gern der mutigen Rede des
sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Wels und der Ablehnung
des Ermächtigungsgesetzes durch die aus 120 Abgeordneten bestehenden
SPD-Fraktion gedacht. Aber wer von der jüngeren Generation weiß,
daß bei der Wahl vom 5.März 1933, der Zeitungs- und
Demonstrationsverbote, Verhaftungen und Ermordungen von Kommunisten
vorangegangen waren, noch 81 Kommunisten in den Reichstag gewählt
und dann von der Nazi-Regierung verhaftet wurden, um die Mehrheit für
Hitlers Ermächtigungsgesetz zu ermöglichen? Wer von den
Jüngeren weiß, daß von den rund 300.000 KPD-Mitgliedern des Jahres
1932 etwa 150.000 mehr oder weniger lange in Haft waren und daß bis
zum Ende der Nazi-Zeit etwa 20.000 deutsche Kommunisten ermordet
worden sind?
Daß nicht nur Hitlers, sondern auch
Stalins Schergen Tausende deutscher in die Sowjet-Union geflüchteter
Kommunisten umgebracht haben, bildet ein besonders trauriges Kapitel
der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Die Geschichtsschreiber der
herrschenden Klasse haben in ihrer antikommunistischen Grundtorheit
Stalins Terror nicht als entsetzliche Fehlentwicklung des Sozialismus
begriffen, sondern als Normalität der sozialistischen
Gesellschaftsordnung hingestellt. Es wäre an der Zeit, auch die von
Stalinisten ermordeten Kommunisten als Widerstandskämpfer und als
zum Schweigen gebrachte Hoffnungsträger für einen besseren
Sozialismus zu würdigen. (???? Einziges, aber dafür schlimmes, Stereotyp im Vortrag, dessen Wahrheitsgehalt zu prüfen wäre. Logisches Denken kann auch helfen dabei, die bloggerin)
Der Massenmord an deutschen Kommunisten
und Sozialisten, diesen entschiedensten Gegnern des kapitalistischen
Wirtschaftssystems, kommt in dem, was die Masse der deutschen
Zeitgenossen über Geschichte weiß, nicht vor. Geschichte wird von
den Herrschenden geschrieben und gelehrt. Und mit ihrer Medienmacht
hat die herrschende Klasse ein öffentliches Bewußtsein hergestellt,
in dem der von Kommunisten, linken Sozialdemokraten, Pazifisten und
anderen Antifaschisten geleistete Widerstand nicht die ihm zukommende
Hochachtung erfährt.
Ich will zwei Beispiele dafür nennen,
wie das kollektive Wissen vom deutschen Widerstand gegen das
Naziregime manipuliert worden ist. Als Mitte der 80er Jahre eine
Gedenktafel für die von den Nazis ermordeten Reichstagsabgeordneten
angebracht werden sollte, wollte der damalige Hausherr,
Bundestagspräsident Philipp Jenninger (CDU), verhindern, daß die
Parteizugehörigkeider Ermordeten angegeben wurde. Es sollte nicht
daran erinnert werden, daß von den 83 ermordeten
Reichstagsabgeordneten 33 Sozialdemokraten und 40 Kommunisten waren.
Ähnliches spielte sich in Hamburg ab.
Auch hier wollte man auf der im Rathaus angebrachten Ehrentafel die
Parteizugehörigkeit und sogar die Namen der von den Nazis ermordeten
Bürgerschaftsabgeordneten verschweigen. Hier sind sie:
Dr. Max Eichholz (Deutsche
Staatspartei)
Dr. Kurt Adams (SPD)
Adolf Biedermann (SPD)
Dr.
Theodor Haubach (SPD)
Otto Schumann (SPD), Etkar Andé
(KPD),
Bernhard Bästlein (KPD)
Gustav Brandt (KPD)
Hugo
Eickhoff (KPD)
Hermann Hoefer (KPD)
Franz Jacobs (KPD)
Fritz
Lux (KPD)
Adolf Panzner (KPD)
August Schmidt (KPD)
Theodor
Skorzisko (KPD)
Hans Westermann (KPD) und
Ernst Thälmann (KPD).
Nur ein paar Namen von vielen tausend
ermordeten Widerstandskämpfern, die auf keinem Gedenkstein
eingemeißelt und in keiner Feierstunde genannt werden.
Oder wer weiß noch, wer Robert Stamm
war? Im Jahr 1900 in Remscheid geboren wuchs er in einer
sozialdemokratischen Arbeiterfamilie auf und schloß sich während
seiner Lehre als Werkzeugschlosser der Spartakusgruppe um Rosa
Luxemburg und Karl Liebknecht an. 1919 trat er der KPD bei und nahm
1920 an den Abwehrkämpfen gegen den Kapp-Putsch teil. In den
folgenden Jahren verschiedene Funktionen in der KPD und bei
kommunistischen Zeitungen. 1930 bis 1933 leitete er in Bremen den
Bezirk Nord-West. Er gehörte zu denen, die den Deutschen rechtzeitig
gesagt haben: „Wer Hitler wählt, wählt den Krieg.“ Im Juli 1932
wurde er als Abgeordneter für den Wahlkreis Weser-Ems in den
Reichstag gewählt. Am 7. Februar 1933 nahm er an der illegalen
Tagung des Zentralkomitees der KPD im Sporthaus Ziegenhals bei Berlin
teil, auf der Ernst Thälmann seine letzte Rede gehalten hat. Er
entging nach 1933 zunächst der Verhaftung und konnte illegale
politische Arbeit leisten. Erst 1935 wurde er durch die Gestapo
verhaftet, schwer gefoltert und schließlich nach langer Haftzeit
wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ angeklagt. Am 4.Juni 1937
wurde er vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und am 4.November
1937 in Berlin-Plötzensee hingerichtet.
Die Bremer KPD nannte ihr Parteihaus in
der Lindenhofstraße, das von den Nazis enteignet und nach dem
Zusammenbruch des Hitler-Reichs im Wege der Wiedergutmachung
faschistischen Unrechts zurückerstattet worden war, nach dem von den
Nazis ermordeten Widerstandskämpfer Robert Stamm-Haus. Am 17.August
1956 wurde das Robert Stamm-Haus durch das auf Antrag der Regierung
Adenauer ergangene KPD-Verbotsurteil des Bundesverfassungsgerichts
zum zweiten Mal enteignet. Ich habe als Anwalt von KPD-Genossen, die
das Haus auf eigene Kosten instandgesetzt hatten, beim Bremer
Verwaltungsgericht vergeblich um die Freigabe gekämpft.
Es gibt in Bremen kein Robert
Stamm-Haus mehr, nur eine Stammstraße, und man darf rätseln, ob sie
nach Robert Stamm benannt ist. Wenn sie Robert Stamm-Straße geheißen
hätte, wäre sie wahrscheinlich längst umbenannt.
Ich habe Robert Stamm hier als Beispiel
für etwa 20.000 von den Nazis ermordete Kommunisten angeführt, von
denen heute kaum noch jemand etwas weiß. Aber auch die Überlebenden
des faschistischen Mordsystems sind in Vergessenheit geraten. Oder
richtiger: was sie in der Zeit der Naziherrschaft erlitten haben,
jahrelange Einsperrung und Mißhandlungen in Konzentrationslagern,
Gefängnissen und Zuchthäusern, Demütigung und Not der Familien,
ist aus dem kollektiven Bewußtsein verdrängt worden.
Es hat nach dem Zusammenbruch des
Hitler-Reichs 1945 in den Westzonen nur eine kurze Zeit der
politischen Windstille gegeben, in der die überwältigende Mehrheit
der Deutschen, die ihrem Führer zugejubelt hatten, nicht recht
wussten, in welchen Wind sie ihr Fähnchen nun hängen sollten. Es
war die Zeit, in der Menschen, die den Nazi-Terror in Zuchthäusern
und Konzentrationslagern überlebt hatten, auch in Westdeutschland in
verantwortungsvolle politische Positionen berufen wurden und am
Wiederaufbau demokratischer Strukturen mitgewirkt haben. Es war die
Zeit, in der man gern darauf verwies, daß es auch während der
Nazi-Herrschaft ein anderes Deutschland gegeben hatte, Menschen, die
sich dem staatlichen Unrecht widersetzt und dafür tausendfach mit
Verlust ihrer Freiheit oder Verlust ihres Lebens bezahlt haben.
Aber in Herrn Adenauer fanden die
Westdeutschen eine neue Identifikationsfigur, einen Bundeskanzler,
der dafür plädierte, mit der „Naziriecherei“ Schluß zu machen,
und den Kommentator der Judengesetze zu seinem Staatssekretär
ernannte. Mit Adenauer und seinem Anhang hatten die Westdeutschen
wieder eine konservativ und national gesinnte Obrigkeit, die dafür
sorgte, daß die von den Siegermächten aus ihren Ämtern entfernten
Beamten und Richter zurückkehren konnten, daß die als
Kriegsverbrecher verurteilten Hitler-Generäle begnadigt und zum
Aufbau der Bundeswehr herangezogen wurden. Adenauer machte auch die
antikapitalistischen Aussagen des CDU-Programms von 1947 vergessen,
das dem kapitalistischen Gewinn- und Machtstreben eine klare Absage
erteilt hatte. Und so konnten auch die Wirtschaftsbosse der großen
Konzerne ihre Chefsessel wieder einnehmen, die sie wegen ihrer
Unterstützung von Hitlers Kriegswirtschaft, wegen der Lieferung von
Giftgas für den Judenmord und wegen der Ausbeutung von
Zwangsarbeitern vorübergehend hatten räumen müssen. Damit waren
die alten Machtverhältnisse wiederhergestellt, gegen die Kommunisten
und andere Antifaschisten vergeblich gekämpft hatten, und das
Personal wieder beisammen, das in den Jahren der Naziherrschaft
Widerstandskämpfer verfolgt, eingesperrt und ermordet hatte.
Die unter dem Namen Restauration in die
Geschichte eingegangene Rückwärtsentwicklung der bundesdeutschen
Geschichte unter der Regierung Adenauer war verbunden mit einer
unglaublichen Regression des kollektiven Bewußtseins der
westdeutschen Bevölkerungsmehrheit. Adenauer war mit seinem
militanten Antikommunismus und durch die Berufung des Herrn Globke
und anderer Naziverbrecher mit schlechtem Beispiel vorangegangen. Und
so traute man sich wieder, an alte Denkinhalte anzuknüpfen, die
vorübergehend in Verruf geraten waren. Und binnen weniger Jahre
hatten Millionen Bürger der BRD vergessen, daß sie 1945, als der
fürchterlichste aller bisherigen Kriege noch in frischer Erinnerung
war, mehrheitlich in dem Bekenntnis „Nie wieder Krieg! Nie wieder
Faschismus!“ einig gewesen waren.
Diese kollektive Gehirnwäsche gelang
mit Hilfe einer Medienkampagne, die Adenauers Kommunistenhaß und die
Angst vor einem militärischen Überfall der Sowjet-Union in die
Köpfe der Westdeutschen hämmerte. Nur wenige haben sich damals
daran erinnert, daß die Methode dieser Haßpropaganda schon in
Hitlers „Mein Kampf“ nachzulesen war, der dort über die „Kunst
der Propaganda“ doziert hat, daß sie sich auf das Niveau des
Beschränktesten einzustellen und einfachste Schlagworte tausendfach
zu wiederholen habe,. Heute ist kaum noch vorstellbar, daß man in
der Adenauer-Zeit den immer wiederholten absurden antikommunistischen
Parolen wie „Die Russen kommen!“ oder „Lieber tot als rot“
kaum widersprechen konnte, ohne sofort als Sympathisant oder
„nützlicher Idiot“ der Kommunisten abgestempelt zu sein.
Und so dauerte es nicht lange, bis die
im Geiste des Hitler-Faschismus bewährte Mehrheit und deren
Erziehungsprodukte wieder die Herrschaft über die Köpfe übernahmen
und die Widerständler der deutschen Linken nach den alten Mustern
der Goebbels-Propaganda diffamiert, kriminalisiert und aus dem
politischen Meinungsbildungsprozeß ausgeschlossen wurden. Spätestens
mit dem Adenauer-Erlaß vom September 1950, der die Vereinigung der
Verfolgten des Nazi-Regimes zur kommunistischen Tarnorganisation und
eine Mitgliedschaft für unvereinbar mit den Dienstpflichten eines
Beamten erklärte, war die Rückkehr zu den alten Machtverhältnissen
im Staatsapparat eingeleitet. Eine Entwicklung, die mit dem
sogenannten 131er-Gesetz fortgesetzt wurde, das den wegen ihrer
Nazi-Belastung aus dem Dienst entfernten Beamten einen Rechtsanspruch
auf Wiedereinstellung verlieh.
Da kamen sie alle wieder, die als
Gefolgsleute Hitlers den Massenmord an den Juden, Kommunisten, linken
Sozialdemokraten, Zeugen Jehovas, Zigeunern und anderen mißliebigen
Bevölkerungsgruppen zu verantworten hatten, die als Staatsanwälte
und Richter einem Unrechtsregime gedient und Todesurteile gegen
Widerstandskämpfer beantragt und gefällt hatten. Und sie nutzten
ihre Positionen im Staatsapparat, insbesondere in der Justiz, um
ihren alten Kameraden zu bescheinigen, daß deren Verbrechen
verzeihlich und keineswegs karrierehindernd waren. Die restaurierte
herrschende Klasse und ihre Medien sorgten dafür, daß ihre
Verbrechen aus dem öffentlichen Bewußtsein so weit wie möglich
getilgt und die Verdienste der ermordeten und der überlebenden
Widerstandskämpfer, mit Ausnahme der Militäropposition, in
Vergessenheit gerieten.
Die Verfolgten des Naziregimes sahen
sich erneut ihren alten Verfolgern in den Machtpositionen des nunmehr
als „freiheitlich-demokratisch“ firmierenden Staates gegenüber.
Und die Verfolgten von einst wurden wiederum zu Verfolgten.
Es begann mit dem Verbot von
Organisationen, die als „kommunistische Tarnorgansationen“
diffamiert wurden. Das betraf auch die Vereinigung der Verfolgten des
Naziregimes (VVN), in der Kommunisten, wie es nicht anders sein
konnte, die Mehrheit bildeten. Das Verbot der VVN auf Bundesebene
scheiterte allerdings beim Bundesverwaltungsgericht, das die Sache
vertagte, ohne einen neuen Termin anzuberaumen, nachdem sich
herausgestellt hatte, daß der Vorsitzende des zuständigen
Senats ein ehemaliges Mitglied der SA und der NSDAP war.
Das änderte aber nichts daran, daß
die VVN in der Verwaltungspraxis als verfassungsfeindliche
Organisation behandelt wurde. Als ich im September 1950 meine
Einstellung als Gerichtsreferendar in den Bremer Justizdienst
beantragte, um die Voraussetzung für die spätere Zulassung als
Rechtsanwalt zu erfüllen, mußte ich die von der Adenauer-Regierung
verfügte schwarze Liste unterschreiben, in der alle „kommunistischen
Tarnorganisationen“ aufgeführt waren, in der Mitglied zu sein mit
den Pflichten eines bundesdeutschen Beamten unvereinbar war. Zu
meinem Glück war ich nicht Mitglied der VVN, sonst hätte ich nie
Rechtsanwalt werden können. Der Begriff Berufsverbot war noch nicht
erfunden, aber es wurde schon praktiziert.
Dann kam das
1.Strafrechtsänderungsgesetz von 1951, mit dem eine von alten Nazis
majorisierte Justiz die radikale – und das heißt: die an die
Wurzeln gehende – Opposition gegen Adenauers Politik der
Remilitarisierung und Renazifizierung abstrafte und unterdrückte.
Eine Gesinnungsjustiz, die nicht nur Kommunisten betraf, sondern
oppositionelle Meinungsäußerungen und Aktivitäten schon dann als
staatsgefährdend und verfassungsfeindlich definierte, wenn diese mit
kommunistischen politischen Forderungen inhaltlich übereinstimmten
(Konsensschuldvorwurf) oder in organisatorischer Gemeinsamkeit mit
Kommunisten geäußert wurden (Kontaktschuldvorwurf).
Und mit dem KPD-Verbot von 1956 wurde
schließlich die von der herrschenden Klasse nur widerwillig
geduldete legale Existenz dieser Partei erneut beendet und ein
Straftatbestand in Kraft gesetzt, der jede politische Betätigung von
Kommunisten und Nichtkommunisten, die nach Meinung der Staatsanwälte
und Richter den Interessen der verbotenen KPD oder der als deren
Ersatzorganisation definierten SED diente, mit Strafe bedrohte.
Aus der Masse der Strafverfahren, die
sich in den Jahren 1951 bis 1968 gegen 150.000 bis 200.000 Personen
richteten, will ich nur eines herausheben, an dem ich selbst als
Verteidiger mitgewirkt habe.
Von November 1959 bis April 1960 fand
vor dem Landgericht Düsseldorf das Strafverfahren gegen führende
Persönlichkeiten des Friedenskomitees der Bundesrepublik Deutschland
statt. Zu den Angeklagten gehörte ein Kommunist, der schon im
Nazi-Reich als Widerstandskämpfer wegen „Vorbereitung zum
Hochverrat“ verurteilt wurde, der ehemalige Pfarrer Erwin Eckert,
Jahrgang 1893, SPD-Mitglied von 1911 bis 1931, danach Mitglied der
KPD. Als Kriegsgegner aus dem 1. Weltkrieg zurückgekehrt wurde er
1919 Stadtvikar in Pforzheim, später Pfarrer in Meersburg und ab
1927 in Mannheim. Wegen seines Eintritts in die KPD wurde er von
seiner Kirche aus dem Pfarramt entlassen. Er hielt Vorträge, in
denen er gegen die Gefahr des Hitler-Faschismus und des Militarismus
Stellung bezog. Er sprach zum Thema „Wer Hitler wählt, wählt den
Krieg“. Nach dem Reichstagsbrand im Februar 1933 wird er zum ersten
Mal verhaftet und sechs Monate eingesperrt. Im Juni 1936 folgt die
zweite Verhaftung, Anklage und Verurteilung zu langjähriger
Zuchthausstrafe. Nach dem Ende des Nazi-Reichs wird er Vorsitzender
der KPD in Südbaden und Staatsrat in der Regierung Südbadens. Von
1947 bis 1952 Abgeordneter im ersten badischen Landtag, dann bis 1956
Angeordneter im baden-württembergischen Landtag. 1949 kandidiert
Eckert als Kommunist für das Amt des Oberbürgermeisters in
Mannheim, der Stätte seines einstigen Wirkens als Pfarrer, und
erhält, obwohl der Gegenkandidat von SPD, CDU und FPD unterstützt
wird, 35 % aller abgegebenen Stimmen.
Seine Arbeit im Friedenskomitee
verstand Eckert als logische Fortsetzung seiner aus dem Erleben des
1. Weltkriegs resultierenden Friedensarbeit in der Vor-Hitler-Zeit.
Für den Staatsanwalt war Eckerts Friedensarbeit nur eine Tarnung für
seine eigentliche Absicht, die Diktatur des Proletariats und die
kommunistische Weltrevolution herbeizuführen. Er warf Eckert vor, er
benutze „seine Gabe, brillant zu formulieren und die in der
Öffentlichkeit bekannte Tatsache, daß er früher Pfarrer gewesen
ist, verbunden mit seinen dialektischen Fähigkeiten, um viele
Personen dem kämpferischen Kommunismus zuzuführen, die diesen Weg
nicht gegangen wären, wenn er von dem Angeklagten nicht so
hervorragend getarnt worden wäre.“ Das Gericht, bestehend aus drei
Berufsrichtern und zwei Schöffen, war der gleichen Ansicht und
weigerte sich, die von der Verteidigung vorgelegten Beweismittel über
die Friedensarbeit der Angeklagten überhaupt zur Kenntnis zu nehmen
und lehnte unsere Beweisanträge ab. Auf dem Hintergrund des im
CDU-Staat herrschenden antikommunistischen Zeitgeistes konnten sie
die Friedensarbeit von Kommunisten nur als Tarnung ihres wahren
Zieles verstehen, die BRD gegenüber dem drohenden Überfall der
Sowjets wehrlos zu machen. Daß in Düsseldorf nicht nur Kommunisten,
sondern auch Nichtkommunisten auf der Anklagebank saßen und daß die
Verteidigung etwa 50 Zeugen aus der Weltfriedensbewegung präsent
gestellt hatte, die der angeblichen Verfassungsfeindlichkeit des
Friedenskomitees widersprachen, beeindruckte die Richter und Schöffen
in keiner Weise. In ihren Augen waren das eben alles „nützliche
Idioten“, die sich von den Kommunisten über deren wahre Absichten
hatten täuschen lassen. Das Urteil gegen Eckert lautete auf neun
Monate Gefängnis – zur Bewährung ausgesetzt – wegen
Rädelsführerschaft in einer verfassungsfeindlichen Vereinigung
(damaliger § 90 a).
Wenn ich Erwin Eckert als Beispiel für
vergessene Widerstandskämpfer anführe, soll das nicht heißen, daß
niemand mehr wüßte, wer Erwin Eckert war. In dem von
Friedrich-Martin Balzer 1993 im Pahl-Rugenstein-Verlag
herausgegebenen Buch „Ärgernis und Zeichen“ mit dem Untertitel
„Erwin Eckert – Sozialistischer Revolutionär aus christlichem
Glauben“ haben 15 Autoren, darunter Theologen und Wissenschaftler
wie Hans-Werner Bartsch, Frank Deppe, Georg Fülberth, Hans Heinz
Holz und Helmut Ridder, dieser bedeutenden Persönlichkeit des
deutschen Widerstands gedacht. Und das ist nicht die einzige
Veröffentlichung über Eckert. Aber im kollektiven Bewußtsein der
Zeitgenossen kommt er ebensowenig vor, wie der sozialistische
Widerstand überhaupt.
Der Düsseldorfer Prozeß gegen die
deutschen Repräsentanten der Weltfriedensbewegung fand in der
internationalen Presse große Beachtung, während die westdeutsche
Öffentlichkeit so gut wie nichts von diesem fünf Monate dauernden
Prozeß erfuhr. Die Unterdrückung unerwünschter Informationen
funktionierte, ohne daß es dazu noch eines Propagandaministeriums
bedurfte. Und wer in offiziellen Archiven nach den Prozeßakten
forscht, wird vergeblich suchen, da die zuständige
Staatsanwaltschaft die Akten und die von uns vorgelegten etwa 600
Dokumente zur Geschichte der deutschen Wiederbewaffnung, zur
Vorbereitung des nächsten Krieges und zur Opposition gegen diese
Staatsaktionen als historisch uninteressant bewertet und die
Vernichtung veranlaßt hat.
Es wäre viel zu lernen gewesen, nicht
nur aus dem eindrucksvollen Lebenslauf des antifaschistischen
Widerstandskämpfers Erwin Eckert, sondern auch aus der im
Düsseldorfer Prozeß von 1959/60 dokumentierten Arbeit des
Friedenskomitees. Schon damals hätten die Deutschen aus den von der
Verteidigung vorgelegten Beweismitteln erfahren können, daß der
Weltfrieden nicht, wie es die Adenauer-Propaganda behauptete, von der
Sowjet-Union gefährdet wurde, sondern von den USA und deren
treuestem Vasallen, der deutschen Bundesregierung. Ein Thema, das ich
an anderer Stelle (Sonderdruck der Zeitschrift „Ossietzki“:
„Befreiung auf amerikanisch“) ausführlicher behandelt habe. Aber
wir leben noch immer in einer von den Volksverdummungsstrategien der
Adenauer-Zeit beeinflußten Medienumwelt, in der geschichtliche
Informationsdefizite von den Sprechern und Schreibern der
herrschenden Klasse geflissentlich aufrechterhalten werden.
Doch wir sollten die Hoffnung nicht
aufgeben, daß eine zukünftige Generation, die auf ihre von Adenauer
repräsentierten Groß- und Urgroßväter keine Rücksicht mehr zu
nehmen braucht und deren Ungeist überwunden hat, sich der
Widerständler erinnern wird, die schon vor Hitler und auch nach
Hitler mit dem Mut der freien Rede gegen den im kapitalistischen
System wurzelnden Faschismus und Militarismus gekämpft haben. Schon
Gustav Heinemann hat daran erinnert, daß deutsche Geschichte außer
Untertanengeist und Massenmord auch Widerstand, freiheitliche
Rebellion und Solidarität mit Unterdrückten kennzeichnet. In diesem
Geiste könnte deutsche Geschichte, beginnend mit den Revolutionären
von 1848/49 bis hin zu den antifaschistischen Widerstandskämpfern
des 20. Jahrhunderts, neu geschrieben werden, eine Geschichte, der
wir uns nicht zu schämen bräuchten.
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